Aufklärer in Haft, Todesschützen frei (ARD "Panorama" vom 10. Februar 2011)
Am 12. Juli 2007 schossen Soldaten aus einem Kampfhubschrauber der USA auf eine Gruppe unbewaffneter Menschen in Bagdad, darunter auch zwei Journalisten der Nachrichtenagentur Reuters. Ihren Angriff dokumentierten sie mit der Bordkamera ihres Hubschraubers. Die US-Armee verweigerte die Herausgabe des Videos an die Nachrichtenagentur. Die Aufnahme verschwand in den Archiven der US-Armee ...
Im September des gleichen Jahres wurde Herr Bradley Manning Soldat in der Armee der Vereinigten Staaten von Amerika. Im Oktober 2009 schickte man ihn in den Irak. Während seiner Tätigkeit als Geheimdienst-Analyst musste Herr Manning dort an seinem Computer mit ansehen, wie amerikanische Soldaten - unter ihnen auch hohe Offiziere - im Irak-Krieg zu Kriegsverbrechern wurden. Wie die Tageschau im Dezember 2011 berichtete, wurde er von seinem Vorgesetzten zurechtgewiesen, als er diesem einmal über einen solchen Zwischenfall berichten wollte. An seinem Wissen um die Verbrechen, über die er nicht sprechen durfte, drohte er zu zerbrechen ...
Am 05. April 2010 wurde der Enthüllungsplattform "Wikileaks" unter anderem auch ein Video zugespielt, das inzwischen unter dem Titel "Collateral Murder" bekannt geworden ist. Zu sehen ist darin unter anderem die Ermordung der beiden Journalisten der Nachrichtenagentur Reuters. Einer der beiden Journalisten hatte den Angriff schwer verletzt überlebt. Im Video ist zu sehen, wie die Hubschrauberbesatzung ihn ständig im Fadenkreuz behält. Nach einiger Zeit fährt ein Minivan die Straße entlang. Der Fahrer steigt aus, um dem Verletzen Journalisten zu Hilfe zu kommen. Als er ihn in sein Auto ziehen will, beginnen die Soldaten im Hubschrauber auf den Fahrer, den Journalisten und das Auto zu schießen. Im Auto sitzen die Kinder des Fahrers. Ein Mädchen und ein Junge werden später schwer verletzt von einem Soldaten der US-Bodentruppen aus dem zerschossenen Auto geborgen ...
Zuvor hatte Herr Manning das Material der "New York Times", der "Washington Post" und dem Internetportal "Politico" angeboten. Diese hatten daran jedoch kein Interesse gezeigt. Mit der Veröffentlichung hatte er eine öffentliche Debatte über die amerikanische Diplomatie und Verteidigungspolitik auslösen wollen. Er war nicht davon ausgegangen, dass er - wie die Anklage ihm vorwirft - mit Veröffentlichung der von US-Soldaten begangenen Kriegsverbrechen Dritte in Gefahr bringen könnte.
Herrn Manning ging es darum, die Öffentlichkeit über die vertuschten Kriegsverbrechen in Kenntnis zu setzen. Das ist ihm gelungen. Viele Menschen sind ihm dafür dankbar und halten ihn für einen Helden. Freunde Herrn Mannings sagten in einem Filmbeitrag des Polit-Magazins "Panorama" vom 10.02.2011 er sei schon immer ein Idealist gewesen und habe einen großen Gerechtigkeitssinn.
Andere hingegen beschuldigen ihn des Hochverrats. Angeklagte, die des Hochverrats für schuldig befunden werden, erwartet in den USA die Hinrichtung.
Den hinterhältigen Mördern, die mit ihrem Hubschrauber so hoch über Bagdad flogen, dass niemand auf der Straße auf sie aufmerksam geworden war, wurde bei einer militärinternen Untersuchung bescheinigt, dass sie alles richtig gemacht hatten. Da sie sich an die US-Kriegsregeln gehalten hätten wurden sie für unschuldig befunden. - Und Menschen, die sich nichts zu Schulden kommen lassen haben, werden in den USA - wie auch sonst überall auf der Welt - frei gesprochen.
Zweieinhalb Jahre Haft
unter folterähnlichen Bedingungen
Am 29.05.2010 wurde Herr Mannig festgenommen und in Camp Arifjan (Kuwait) inhaftiert. Erst Anfang Januar dieses Jahres fand die Voruntersuchung statt. Bis dahin hatte er, teilweise unter menschenunwürdigen Umständen, zweieinhalb Jahre in verschiedenen US-amerikanischen Lagern und Gefängnissen zubringen müssen. Die Tagesschau schrieb dazu im November 2011 (Zitat):
Im Juli 2010 war der Soldat auf den Marines-Stützpunkt in Quantico (Virginia) verlegt worden. Neun Monate brachte er in dortiger Untersuchungshaft zu. Obwohl keine Anklage gegen ihn erhoben geschweige denn ein Schuldspruch ergangen war, hatte der damalige Chef des Militärgefängnisses Manning monatelang in Isolationshaft gehalten; zeitweilig 23 Stunden am Tag in gleißendem Licht in einer fensterlosen Kleinstzelle, nachts nackt. Er durfte dort nicht mehr seine Brille tragen. Um Toilettenpapier musste er stets bitten. Besuch erhielt Manning nur von seinem inzwischen bestellten Anwalt, der bald darauf den folterähnlichen Umgang mit seinem Mandanten öffentlich machte.
Anklage
Die jetzt erhobene Anklage umfasst 22 Punkte. Während der Voruntersuchung im Januar hatte sich Herr Manning in 10 der Anklagepunkte schuldig bekannt. Nicht darunter ist die schwerwiegendste Anschuldigung, er habe "den Feind unterstützt". Den Berichten internationaler Medien zufolge hofft er aufgrund des Geständnisses auf einen Vergleich und ein geringeres Strafmaß als "Lebenslänglich".
Derzeit ist die Anklage jedoch noch auf der Suche nach Beweisen, mit denen sie Herrn Manning "Hilfe für den Feind" nachzuweisen hofft. Der Prozessbeginn ist deshalb auf den 03.06.2013 verschoben worden.
Kriegsverbrechen und Pressefreiheit
Die Aufnahmen der Bordkamera des Hubschraubers belegen eindeutig, dass am 12. Juli 2007 in Bagdad ein Kriegsverbrechen verübt wurde, dem zwölf Menschen zum Opfer fielen - darunter auch die beiden Reuters Journalisten. Wenn die militärinterne Untersuchung aber trotzdem zu dem Schluss kommt, die Hubschrauberbesatzung habe im Einklang "mit den US-Kriegsregeln" gehandelt, dann lässt das nur einen Schluss zu:
- Die "US-Kriegsregeln" verstoßen ihrerseits
ebenfalls gegen die Genfer Konvention.
In der Genfer Konvention sind für den Fall eines Krieges oder eines bewaffneten Konflikts völkerrechtliche Regeln zum Schutz von Personen, die nicht an Kampfhandlungen teilnehmen, vereinbart worden.
Keiner der zwölf hinterhältig ermordeten Menschen war an Kampfhandlungen beteiligt - schon gar nicht der Vater, der dem verletzten Journalisten zu Hilfe kommen wollte und dessen Kinder, die im Auto auf seine Rückkehr warteten.
Vom Standpunkt der Ankläger aus betrachtet hätte die Anklage gegen Herrn Manning auch dann "Hilfe für den Feind"gelautet, wenn das belastende Material von der "New York Times", von der "Washington Post" oder von "Politico" veröffentlicht worden wäre anstatt von "Wikileaks". Ein Teil der amerikanischen Presse sieht das als Bedrohung ihrer Freiheit und ihrer Kontrollfunktion gegenüber der Politik und den Behörden. Diese Gleichstellung könne dazu führen, dass der Presse in den USA Repressalien drohen, wenn sie Informationen von Informanten aus den Reihen der US-Armee veröffentlicht.
Das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung ist ein allgemeines Menschenrecht. Die USA haben die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" offiziell anerkannt. Sie haben deshalb kein Recht, der Presse und anderen Medien mit Repressalien zu drohen, wenn sie die Öffentlichkeit über Kriegsverbrechen informieren - auch dann nicht, wenn diese Kriegsverbrechen von Soldaten der US-Armee verübt wurden.
Ähnlich sieht das auch die internationale Menschenrechtsorganisation "Amnesty International" (Zitat):
Für Amnesty International lassen sich Strafverfolgungen, die darauf abzielen, eine Privatperson für die Veröffentlichung von Beweismaterial zu Menschenrechtsverletzungen zu bestrafen, in keiner Weise rechtfertigen. Dasselbe gilt für Informationen zu einer ganzen Reihe weiterer Angelegenheiten von öffentlichem Interesse.
Zum Weiterlesen:
- Aussage von Bradley Manning vom 28.02. 2013
(in deutscher Übersetzung)
"Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie
Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit
ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über
Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen
Informationen und Gedankengut zu suchen, zu emp-
fangen und zu verbreiten."
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
Artikel 19 der Resolution 217 A (III) vom 10.12.1948
(Quellen: Free Bradley Manning vom 07.03.2013, D-Radio vom 04.03.2013, Spiegel vom 28.02.2013, Heise Telepolis vom 26.02.2013, Heise vom 10.01.2013, Tagesschau vom 30.11.2012, Tagesschau vom 16.12.2011, Panorama vom 10.02.2011, Amnesty International vom 24.01.2011 und vom 09.12.2010, WikiLeaks vom 05.04.2010, Free Bradley Manning, Wikipedia)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Eigene Meinungen, konstruktive Kritik, Anregungen etc. sind jederzeit willkommen.
Nettikette
Bitte achtet auf den »guten« Ton.
Beschimpfungen und ähnliches werden im Papierkorb veröffentlicht.
Anonyme Kommentare:
Wenn ihr "Anonym" bei "Kommentar schreiben als" auswählt, dann lasst mich und die anderen Leser bitte wissen, wer ihr seid.
Um faire Diskussionen zu gewährleisten, werde ich Kommentare ohne "Identität" in Form einer E-Mail-Adresse, einem Namen oder zumindest einem Nicknamen nicht veröffentlichen!
Zum Schutz vor Spammern müssen die Kommentare erst von mir freigeschaltet werden. Ich bitte dafür um euer Verständnis.