Atommüll-Schubverband "Edo" und "Lastdrager 40" ( © Lubmin niX da!) |
In der deutschen Neusprech-Variante wird ein solches Atommülllager heutzutage als "Zwischen"-Lager bezeichnet. Bei der Übergabe des gerade fertiggestellten Atommülllagers an die "Energiewerke Nord GmbH" (EWN) im Jahre 1999 hatte Herr Trittin (Grüne, damals Bundesumweltminister der rot-grünen Bundesregierung) vor laufenden Kameras versichert, das Lager für hochaktive Brennelemente sei ausschließlich für abgebrannte Brennelemente aus Greifswald und aus dem Atomkraftwerk Rheinsberg vorgesehen, nicht jedoch für Brennelemente aus westdeutschen Atomkraftwerken oder Glaskokillen aus der Wiederaufarbeitung. Konkreter formuliert lässt sich das in einer Pressemitteilung 28.11.1999 auf der Internetseite des "Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit" (BMU) nachlesen. Darin weist Herr Trittin die Kritik der Grünen des Landesverbands Mecklenburg-Vorpommern zurück (Zitat):
"Die Anlage ist mit Auflagen genehmigt, die sicherstellen, dass dort ausschließlich Müll aus dem Abriss der beiden stillgelegten Atomkraftwerke "Greifswald" und "Rheinsberg" eingelagert werden darf."
Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen)
Soviel zur Theorie. In der Praxis fand auf Veranlassung der wespenfarbenen Bundesregierung im Dezember 2010 ein Castor-Transport aus der Atommüll-Aufbereitungsanlage "Cadarache" (Frankreich) in das Atommülllager Nord statt. Der hochradioaktive Atommüll stammt ursprünglich aus dem "Atomforschungszentrum Karlsruhe" und dem ehemaligen Atomfrachter "Otto Hahn". Bereits einen Monat darauf, im Januar 2011 folgte der Transport hochradioaktiver "Atomsuppe" aus der westdeutschen ehemaligen Atommüll-Aufbereitungsanlage "Karlsruhe" (WAK). Aber das war wohl längst noch nicht alles ...
Über stille Wasser
Während diese beiden Transporte westdeutschen Atommülls nach Lubmin über Land im Rampenlicht der deutschen und internationalen Öffentlichkeit stattfanden, versucht die Bundesregierung es jetzt still und heimlich mit einem Atommülltransport über die Binnenwasserstraßen. Im Gegensatz zur Kennzeichnungspflicht für Schienen- und Straßenfahrzeuge muss die radioaktive Fracht von Binnenschiffen nämlich nicht deutlich sichtbar als solche gekennzeichnet sein. Binnenschiffe mit Gefahrgut an Bord führen statt dessen ein bis drei blaue Kegel als allgemeine Kennzeichnung - je nachdem, wie gefährlich die transportierten Güter eingeschätzt werden.
Dabei ist es völlig belanglos, um welche Art von Gefahrgut es sich überhaupt handelt und in welcher Weise sich die Folgen eines Kontakts mit der Ladung auf lebende Organismen auswirken können. Von außen ist nur anhand der Kegel nur ganz allgemein zu erkennen, ob das Schiff eine mehr oder weniger gefährliche Fracht transportiert, nicht aber, welche Gefahr davon ausgeht.
Trotzdem sind Atomkraftgegner auch auf diesen Transport aufmerksam geworden, und begleiten den aus dem Schubschiff "Edo" und dem Transporter "Lastdrager 40" bestehenden Schubverband mit Protesten und Blockaden. Der Atommüll-Transport brach am Donnerstag letzter Woche vom im Rückbau befindlichen Atomkraftwerk "Obrigheim" in Richtung Atommülllager Nord auf. Der Schubverband ist mit jeweils zwei blauen Kegeln an Heck und Bug gekennzeichnet. Nachts zeigt die "Edo" am Brückenaufbau zwei blaue Lichter. Die radioaktive Ladung besteht aus Dampferzeugern und Pumpen, die in Lubmin zerlegt werden sollen.
Nach Angaben des Betreibers des Atomkraftwerks "Obrigheim", der "Energie Baden-Würtemberg" (EnBW), soll der Atommüll anschließend wieder nach Obrigheim zurücktransportiert werden. Das "Anti-Atom Bündnis NordOst" hält diese Ankündigung jedoch nicht für glaubwürdiger, als das Versprechen des ehemaligen Bundesumweltministers, Herrn Trittin. Sie begründet ihr Misstrauen folgendermaßen (Zitat):
"Die Betreiber des Zwischenlagers, Energiewerke Nord GmbH (EWN), dürfen atomaren Fremdabfall nur fünf Jahre als Pufferlagerung in Lubmin zwischenlagern. Dagegen haben sie Klage gegen das Land Mecklenburg-Vorpommern eingereicht, um eine unbefristete Lagerung zu erzielen. Außerdem möchte EWN das Lager ausbauen, um weiteren Platz für Atommüll zu schaffen. Der Schiffstransport zementiert damit ein Dauerlager für Atommüll, da es nirgendwo ein sicheres Endlager gibt. Es handelt sich also nicht um die letzten Transporte, wie einst von der Politik versprochen, sondern erst um den Anfang einer neuen Runde des Atommüll-Tourismus ..
Der angelieferte Atommüll aus Obrigheim soll im Zwischenlager Lubmin zerlegt und konditioniert werden. Dies ist ein lukratives Geschäft. Dank der hohen Grenzwerte für Strahlung können die Strukturteile nach einer Reinigung “freigemessen” werden und in den konventionellen Rohstoffkreislauf geführt werden. Die Teile strahlenden dann noch immer – nur unterhalb der geltenden Grenzwerte. In Mecklenburg-Vorpommern wird der „freigemessene“ Atommüll auf die Deponie Ihlenberg transportiert, von wo er dann wieder in Umlauf geraten kann (z.B. Straßen-, Hausbau uvw.) ..
Der Schiffstransport vom AKW Obrigheim ins Zwischenlager Nord geht als Binnenschiff über den Rhein und Mittellandkanal einmal quer durch Deutschland, bevor er über den Peenestrom zur Ostsee gelangt. Angrenzende Gemeinden sind über diesen Gefahrenguttransport i.d.R. nicht informiert und im Falle einer Havarie schlecht oder gar nicht vorbereitet ..
Der Lubminer Industriehafen hat allein 20 Mio. Euro staatliche Förderung erhalten, allerdings zu keiner substanzieller Hafenaktivität beitragen. Der Kai gilt spöttisch als "teuerster Anglerkai Deutschlands". AtomkraftgegnerInnen sahen von Anfang an die Gefahr, das Atommüll, auch aus dem Ausland, nun leicht und protestarm nach Lubmin geschafft werden kann."
Die Ankunft des Atommülltransports im Industriehafen Lubmin ist war eigentlich für den 04.06.2012 geplant. Allerdings wurde der Schubverband unterwegs von zwei Kletteraktivisten der Organisationen "SOFA Münster" und "Robin Wood" für mehrere Stunden aufgehalten. Diese hatten sich in Münster mit einem Transparent von einer Kanalbrücke abgeseilt. Darauf war die Forderung "Atommüll vermeiden statt verschieben" zu lesen. Erst nach mehr als 6 Stunden Brückenblockade war es den Sicherheitskräften gelungen, die beiden Atomkraftgegner auf ein Polizeiboot abzuseilen. Da war es für die Weiterfahrt jedoch schon zu spät: Die Schleuse in Münster ist Abends nur bis 22 Uhr in Betrieb, so dass der Atommülltransport seine Fahrt nach Mecklenburg-Vorpommern erst gestern Morgen um 07:30 Uhr fortsetzen konnte.
Bundesfilz
Betreiber des "Zwischenlagers Nord" (ZLN) in Lubmin sind zu 100 Prozent die Energiewerke Nord GmbH (EWN). Die EWN sind Rechtsnachfolger des früheren DDR-Kombinats "Kernkraftwerke Bruno Leuschner". Alleiniger Gesellschafter des Unternehmens ist seit dem Jahre 2000 das "Bundesministerium der Finanzen". Über sein "Bundesministerium der Finanzen" ist der Bund also auch Betreiber des - ich nenne es wieder beim Namen - Atommülllagers Nord.
Das gleiche gilt für die "Arbeitsgemeinschaft Versuchs-Reaktor GmbH" (AVR GmbH) in Jülich, die von den EWN im Jahre 2003 zu 100 Prozent übernommen wurde, und für die "Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe Rückbau und Entsorgungs-GmbH" (WAK), die seit 2006 - ebenfalls zu 100 Prozent - zu den EWN gehören.
Wenn der Bund - in Persona Frau Merkel (CDU, Bundeskanzlerin) oder früher Herr Röttgen (CDU, ehemaliger Bundesumweltminister), jetzt Herr Altmaier (CDU, Bundesumweltminister) - nicht weiß, wohin mit dem Atommüll aus Jülich oder aus Karlsruhe, dann braucht er nur sich selbst zu fragen und sich dann selbst die Genehmigung für die Lagerung in Lubmin zu geben.
Das wäre dann in etwa so, wie wenn ich die Müllgebühren sparen wollte, dann aber nicht wüsste wohin mit meinem Müll und diesen deshalb, zur Freude meiner Nachbarn, in meinem Schrebergarten "zwischen"-lagern würde. Allerdings würden bei mir wohl bald der Gartenvereinsvorstand und alle möglichen Behörden mit irgendwelchen Strafandrohungen auf der Matte stehen. Über der Bundesregierung steht nur der "Volkssouverän" der den jeweils Regierenden mit Abwahl drohen kann. Woran es mangelt sind allerdings zur Wahl stehende Parteien, deren Ziel es ist, diesen Bundesfilz schnellstmöglich aufzulösen.
(Quellen: Der Westen vom 29.05.2012, TAZ vom 11.12.2010, Pressemitteilung Nr. 212/99 des BMU vom 28.11.1999, Anti-Atom Bündnis NordOst, Wikipedia)