Merkt denn eigentlich niemand in diesem Land,
wie wir scheinbar unaufhaltsam in den Sog eines
Krieges hineingezogen werden?
- Und wofür das alles? Weil Afghanistan auf dem Weg in die Demokratie die Unterstützung des Westens braucht? In Anbetracht der Aussage der von der UNO unterstützten Wahlbeobachter, die im Zusammenhang mit den Wahlen in Afghanistan von "Wahlbetrug im großen Stil" und "klaren und überzeugenden Beweisen für Betrug" sprechen ist das ja wohl nichts weiter als ein übler Scherz! Zumal die Schuldzu-
weisungen zu einem nicht unerheblichen Teil an die Adresse des bisherigen - und augenscheinlich auch zukünftigen - Präsidenten, Herrn Karsai, und seine Mitstreiter gerichtet sind. Den Terroristen wird es eher vorkommen, als hätten sie Recht damit behalten, dass die westliche Unterstützung für für die Regierung des Herrn Karsai nur der Wahrung des westlichen Einflusses in Afghanistan gilt.
- Oder wird Deutschland jetzt etwa - wie man uns weismachen will - am Hindukusch verteidigt? In Afghanistan? Einem bitterarmen, in Jahrzehnten Krieg ausgeblutetem Land? Einem Land, in dem die russische Armee die Grundlage für den Aufstieg der Taliban gelegt hat, bevor sie sich nach großen Verlusten zurückzog? Als nach jahrelanger Schreckensherrschaft des Taliban-Regimes in Afghanistan die US-Armee nach dem 11. September 2001 (in der Hoffnung, vielleicht Herrn Osama Bin Laden zu treffen) anfing, wahllos um sich zu schlagen, und dabei unter anderem die Taliban in die Berge und über die Grenze nach Pakistan gebombt hatte, verkündete der damalige US-Präsident Herr Bush den Sieg über den Terror, und deutsche Soldaten wurden als "Aufbauhelfer in Uniform" in das zerstörte Land geschickt. Wie wir heute wissen war das hohle Gerede des Herrn Bush völliger Blödsinn. Die Welt ist seitdem nicht sicherer geworden - und Afghanistan schon gar nicht. Auch wenn die deutschen Soldaten zu Beginn ihres Aufenthalts in Afghanistan vielleicht noch gute Erfolge beim Wiederaufbau der Infrastruktur Afghanistans verzeichnen konnten, so wird der markige Titel "Aufbauhelfer in Uniform" für das deutsche Militär inzwischen mehr und mehr zur Farce.
Der Kölner Stadtanzeiger schrieb am 17.08.2009, Herr Weisser (früherer Leiter des Planungsstabs der Bundeswehr) habe ein Ende des Nato-Einsatzes in Afghanistan spätestens im Jahr 2011 verlangt. Er habe scharfe Kritik an Herrn Jung (CDU, Verteidigungsminister) geübt, der davon ausgehe, dass deutsche Soldaten noch fünf bis zehn Jahre in Afghanistan bleiben müssten. Die Deutschen hätten Anspruch auf eine sinnvolle Alternative zu der Aussicht, weitere zehn Jahre einen Krieg zu führen, der in einem von Drogenkartellen beherrschten und von der Korruption zerfressenen Land nicht zu gewinnen sei. Bundesregierung und Parlament hätten bislang nicht überzeugend dargelegt, warum deutsche Soldaten überhaupt in Afghanistan eingesetzt seien und dort womöglich zu Tausenden über Jahrzehnte bleiben sollten. Der Kölner Stadtanzeiger zitiert Herrn Weisser mit den Worten: "Der Satz, dass Deutschland auch am Hindukusch verteidigt wird, reicht nicht aus."
Aufrüstung der SpracheInzwischen hört man aus den politischen Lagern die ersten Durchhalteparolen. Die in Afghanistan umgekommenen deutschen Soldaten dürfen schließlich nicht umsonst gestorben sein. Zuerst wurden sie
getötet. Jetzt
fallen sie. Auf die Eskalation des Krieges folgt die Aufrüstung der Sprache!
Was für ein Quatsch:- Wenn jemand hierzulande fällt, dann ist er vielleicht über einen Stein gestolpert. Er steht wieder auf, klebt vielleicht ein Pflaster auf das aufgeschlagene Knie, und das Leben geht weiter.
- Wenn Soldaten in Afghanistan umgebracht werden,
dann stehen sie nicht wieder auf.
Nie wieder!
Der Tod ist endgültigIch habe einmal ein Buch mit Fotos von Menschen aus dem Ersten Weltkrieg gesehen. Eigentlich müsste es heißen, mit Fotos die das zeigten, was nach den Grabenkämpfen an der Westfront noch von den Menschen übrig war. Diese Bilder habe ich vor Augen, wenn die Presse über deutsche Soldaten berichtet, die bei militärischen Auseinandersetzungen in Afghanistan verletzt wurden oder umgekommen sind. Verbrannte, zerfetzte Leiber - verkohlte und verstreute Überreste von gerade noch gesunden, lebenden Menschen: Diese Vorstellung habe ich von den Opfern des Bombenangriffs auf die im Flussbett des Kundus steckengebliebenen Tanklaster.
Und es macht in meinen Augen keinen Unterschied, ob deutsche Soldaten in Afghanistan bei einem Angriff mit gestohlenen Tanklastern umkommen oder ob Afghanische Bürger beim Bombenabwurf auf gestohlene Tanklaster umgebracht werden. Es handelt sich in jedem Falle um Menschen, die elendiglich in einer Feuerhölle verbrennen. In jedem Falle hinterlassen die Opfer der Gewalt Familienangehörige und Freunde, die verzeifelt um sie trauern.
Ein deutsches Kriegsopfer erlebt vielleicht nicht mehr, wie seine Kinder aufwachsen. Vielleicht hatte ein in Afghanistan umgekommener Soldat noch große Pläne für die Zeit nach seiner Entlassung aus dem Militär - er wird sie nie verwirklichen. Statt dessen hinterlässt er eine große Leere im Leben seiner Anghörigen. Afghanische Opfer der Gewalt haben vielleicht davon geträumt, dass sie es möglicherweise vielleicht doch noch einmal erleben könnten, wie es sich anfühlt in Frieden zu leben. Vielleicht plante ein getöteter junger Mensch gerade, eine Familie zu gründen ... - seine Kinder, die vielleicht einmal großartiges für ihr Land und ihre Gesellschaft geleistet hätten, werden nie geboren.
Schuld an all diesem Leid sind in letzter Konsequenz immer diejenigen die töten. Sie entscheiden, ob sie Soldat werden und die Befehle ihrer Vorgesetzten ausführen. Sie entscheiden, ob sie sich inmitten einer Menschenmenge in die Luft sprengen und wahllos Soldaten, sowie unbeteiligte Männer, Frauen und Kinder mit in den Tod reißen. Es macht für mich aber einen großen Unterschied, ob deutsche Menschen Schuld auf sich laden, oder ob sie, wie bisher, das moralische Recht für sich in Anspruch nehmen können, andere für deren Schuld verantwortlich zu machen. Deutschland ist gerade auf dem besten Wege, dieses Recht zu verwirken.
Wieder Krieg in Deutschland?Bisher hatte niemand einen Grund für einen gewalttätigen Angriff auf Deutschland. Auch die international vernetzten Terroristen nicht. Mit jedem afghanischen Zivilisten, der von einem deutschen Soldaten umgebracht wird, gibt das deutsche Militär ihnen jedoch einen Grund dafür. Mit dem von einem deutschen Offizier angeforderten Bombenangriff liefert es den Terroristen jetzt gleich dutzende Gründe dafür frei Haus.
- Nachdem Herr Jung, im Gegensatz zu anderen Quellen, tagelang stur behauptete, alle Opfer des Bombenangriffs seien Talibankämpfer gewesen, konnte man in mehreren Zeitungen lesen, das Einsatzführungskommando der Bundeswehr habe darauf verwiesen, dass "der Feind oft nicht klar erkennbar" sei. Es sei also möglich, dass doch der eine oder andere unschuldige Zivilist bei dem Angriff umgebracht worden ist.
Dass aus dem Untergrund zuschlagende Terroristen, Freischärler oder Partisanen - oder wie immer man die auch nennen möchte - niemals klar erkennbare Feinde sind, das hätte man mir nicht erst lange erklären müssen. Das habe ich schon vor langer Zeit verstanden, als ich von Untergrundkämpfern während des zweiten Weltkriegs in von der deutschen Reichswehr besetzten Ländern hörte. Dieser Eindruck verfestigte sich im Laufe der Zeit durch Berichte über die Kriege des letzten Jahrhunderts.
Groß angelegte Luftangriffe auf unsichtbare Terroristen haben im Kaukasus ganze Staaten in Trümmerwüsten verwandelt. Auch wenn der Fokus der Presse sich inzwischen neuen Kriegen in anderen Teilen der Welt zugewendet hat, so wird auch heute noch immer wieder über Anschläge aus dem Untergrund in den Kaukasusrepubliken berichtet. Der unterdrückte Widerstand der Menschen gegen die Zerstörer ihres Landes und ihrer Familien führt nicht zum Frieden - es herrscht bestenfalls Friedhofsruhe.
Mit dioxinhaltigem "Agent Orange" entlaubte Wälder und mit Napalm in Feuerhöllen verwandelte Dörfer in Vietnam, mit denen die Untergrundkämpfer des Vietkong sichtbar gemacht und besiegt werden sollten, haben die Niederlage der hochgerüsteten Armee der "Weltmacht" USA nicht verhindern können. Die Menschen in diesem Land leiden heute noch unter den erbgutschädigenden Wirkungen des Dioxins. Noch viele Generationen ihrer Nachkommen werden unter den ererbten Schädigungen ihrer Gene zu leiden haben.
Herr Jung hat sich verbeten, dass der auf Veranlassung des deutschen Offiziers ausgeführte Bombenangriff von den Vertretern anderer Staaten und der Presse als großer Fehler bezeichnet wurde. Der Vorwurf gegen den Offizier beinhaltet unter anderem, er habe zivile Todesopfer in Kauf genommen. Herr Jung wirft diesen Kritikern vor, sie hätten vorschnell und ohne Kenntnis der genauen Hintergründe geurteilt. Inzwischen stellt es sich für mich eher so dar, als seien diese Leute zu einem früheren Zeitpunkt besser im Bilde gewesen, als der oberste politisch Verantwortliche für den deutschen Militäreinsatz in Afghanistan, der immer noch nicht zugeben mag, dass aus dem Wiederaufbauauftrag der deutschen Soldaten inzwischen ein Kriegseinsatz geworden ist. Dafür lobte er den deutschen Offizier (offensichtlich selbst ohne genaue Kenntnis der Hintergünde) für sein Handeln und bezeichnete alle Opfer des Angriffs pauschal als getötete Taliban-Kämpfer.
Nach Spanien kam der Krieg am 11. März 2004 aufgrund seiner Beteiligung am Irak-Krieg. Bei
Bombenanschlägen islamistischer Terroristen auf Züge in Madrid kamen 191 Menschen ums Leben, 2051 wurden verletzt, 82 davon schwer. Bei den folgenden Parlamentswahlen lösten die die Sozialisten der PSOE die bis dahin mit absoluter Mehrheit regierende Partido Popular ab, und begannen im Frühjahr 2004 mit dem Abzug der spanischen Armee aus dem Irak.
Das Online Magazin "Focus" schrieb am 07.09.2009, der Afghanistan-Einsatz mache Deutschland zum
Hassobjekt für Terroristen, der Luftangriff auf entführte Tanklaster verstärke das noch. Das BKA befürchte daher noch vor der Wahl Anschläge. In einem aktuellen als Verschlusssache deklarierten Lageberichtdes BKA heiße es, vor allem das unverändert hohe Engagement Deutschlands in Afghanistan werde als Rechtfertigungsgrund für Anschläge gegen deutsche Interessen im In- und Ausland durch islamistische Organisationen genutzt.
Noch ist dieser Krieg für die meisten Bundesbürger weit weg - irgendwo in Afghanistan. In Anbetracht des Lageberichts des BKA könnte sich das aber über kurz oder lang ändern.
Seelische Wunden: Ein TabuGestern habe ich eine Sendung des WDR aus der Serie "Hart aber fair" gesehen, in der über das Thema "Abgrund Afghanistan - Sollen unsere Soldaten nach Hause kommen?" diskutuert wurde. In der Ankündigung der Sendung hieß es, mit jedem Tag gerate die Bundeswehr in Afghanistan immer tiefer in Kriegshandlungen. Statt aufbauen und helfen, heiße es kämpfen, töten und sterben. In der Einleitung wurde die Frage gestellt, ob wir so wirklich unsere Freiheit verteidigen, warum ist die Bundeswehr dort ist und wie sie da wieder rauskommt.
In der Sendung kam unter anderem auch die Mutter eines deutschen Soldaten zu Wort. Sie schilderte, welchen seelischen Schaden ihr Sohn aufgrund seines Alltags in Afghanistan davongetragen hat, dass er sich aber - im Gegensatz zu anderen seiner Kameraden - inzwischen in psychatrische Behandlung begeben hat, und dass er nach seiner Genesung unbedingt wieder zurück nach Afghanistan will, weil er immer noch der Meinung ist, er könne den Menschen dort helfen. Sie sprach auch von den Veränderungen, die ihr im Laufe der Zeit bei Kameraden ihres Sohnes aufgefallen sind, die sich wegen "
ihrer Schwäche" schämen, und deshalb nicht bereit sind, seelischen Beistand in Anspruch zu nehmen. Die toten Soldaten werden betrauert. Noch ist die Zahl der trauernden Familien überschaubar. Die körperlichen Verletzungen der verwundeten Soldaten werden medizinisch behandelt. Einige von ihnen werden für den Rest ihres Lebens davon gezeichnet sein. Über die unterdrückten, unsichtbaren Verletzungen der Seele der Soldaten spricht man jedoch nicht. Das ist Tabu. Auch hier geraten die Soldaten in eine Falle unserer Sprache, die unterschwellig unser Denken und Handeln beeinflusst: "Ich bin doch nicht
reif für die Klapse."
Die Mutter des Soldaten teilt nicht die Meinung ihres Sohnes, unterstützt ihn jedoch, weil sie Angst hat, dass er ansonsten auch noch den Halt in seiner Familie verlieren könnte. Sie sagt, sie sei stolz auf ihren Sohn - auch weil er den Mut hatte, sich wegen seiner seelischen Verletzungen in Behandlung zu begeben. Ebenso wie andere Diskussionsteilnehmer auf dem Podium, forderte sie von den politisch Verantwortlichen, dass sie den Soldaten und uns endlich die Wahrheit sagen sollen. Sie sollen endlich zugeben, dass unsere Armee in Afghanistan in einen Krieg verwickelt ist, damit die Soldaten wissen, worauf sie sich einlassen, und damit sie wissen, welchen Rückhalt sie in der Bevölkerung für einen Kriegseinsatz im Ausland haben. Ein Verteidigungsminister, der vehement leugnet, dass er seine Soldaten in den Krieg schickt, im selben Atemzug aber von "Gefallenen" spricht, ist da wenig hilfreich. Wer die Soldaten, die ihre Situation als Krieg erleben und täglich um ihr Leben fürchten müssen, weiterhin offiziell als "Aufbauhelfer in Uniform" bezeichnet, der verrät nicht nur die Soldaten in Afghanistan, sondern betrügt auch die deutsche Bevölkerung.
Die Sendung "Hart aber fair" vom 09.09.2009 steht auf der Seite des WDR als
Videostream zur Verfügung.
Die Schuld heutiger GenerationenEs ist für mich unbegreiflich, dass die für den deutschen Militäreinsatz verantwortlichen Politiker nicht längst erkannt haben, dass keine technisch noch so hoch gerüstete Armee etwas gegen Untergrundkämpfer ausrichten kann. Deshalb gibt es keinen Grund dafür, den deutschen Militäreinsatz in Afghanistan fortzusetzen.
Sollte jemand aus meiner Familie, einer meiner Freunde oder ich selbst einmal bei einem mit der deutschen Beteiligung am Krieg in Afghanisten begründeten Terrorangriff ums Leben kommen, stelle ich schon heute vorsorglich klar, dass ich dafür jeden derjenigen verantwortlich machen werde, der uns diesen Schlamassel eingebrockt hat, und jetzt nicht bereit ist, die Konsequenzen daraus zu ziehen.
Ich habe meine Eltern und Großeltern einmal gefragt, warum die Leute damals die Nazis gewählt haben. Wenn sie denen zugehört hätten, dann hätten sie ja schließlich erkennen können, dass diese sie nach den gerade erst überstandenen Schrecken des Weltkriegs erneut in einen Krieg hineinziehen würden.
Ich möchte mir nicht eines Tages einen ebensolchen Vorwurf von meinen Kindern und Enkeln anhören müssen. Es geht heute nicht mehr darum, dass wir uns als Angehörige der nach dem Zweiten Weltkrieg geborenen Generationen immer wieder gegen ungerechtfertigte Anschuldigungen für eine "Kollektivschuld" für zwei verheerende Weltkriege zur Wehr setzen müssen, die von den Generationen unserer Eltern und Großeltern zu verantworten sind. Wenn aber deutsche Soldaten heute irgendwo im Ausland unschuldige Menschen umbringen, dann tragen wir - die heute lebenden Generationen - die Verantwortung dafür.
Deshalb werde ich bei der Bundestagswahl am 27. September 2009 keine Partei unterstützen, die am weiteren Verbleib des deutschen Militärs in Afghanistan festhält.
(Quellen: Nürnberger Zeitung, Tagesspiegel.de, Hamburger Abendblatt, N24.de, Deutsche Welle, WDR - Hart aber fair vom 09.09.2009, Kölner Stadtanzeiger )