März 2007: Verwahrlosung im fortgeschrittenen Stadium |
Als wir vor gut 20 Jahren in unsere Wohnung im Leher Gründerzeitviertel gezogen waren, war das Eckhaus, dessen Fassade teilweise noch mit Jugendstil-Ornamenten geschmückt war, noch weitgehend intakt. Die Wohnungen waren vermietet und in den Ladenräumen des Ergeschosses gab es eine kleine Videothek, die den im Viertel ansässigen Menschen dabei half, gelegentliche Durststrecken im Fernsehprogramm mit auf VHC-Videokassetten konservierten Filmen zu überbrücken.
Von einem guten
Bekannten, der beruflich
damit zu tun hatte, weiß
ich, dass eine im Osten
und Süden Deutsch-
lands ansässige
Wohnungsgesellschaft
auf Anraten eines ihrer
Aufsichtsratsmitglieder
- einem "smarten, in
dunkles Tuch gekleide-
ten Herrn" - sieben von
acht Wohnungen des
Hauses an der Ecke
Potsdamer-/Eupener
Straße erworben hatte.
Erst als das Geschäft
unter Dach und Fach
gewesen sei, hätten die
Verantwortlichen der
Wohnungsgesellschaft
festgestellt, dass sie mit
rund 400000 Euro einen
viel zu überteuerten Preis für die sieben Wohnungen gezahlt hatten.
Bald darauf muss der neuen Wohnungseigentümerin wohl klar geworden sein, dass es ein schlechtes Geschäftsmodell wäre, wenn sie die Wohnungen im damaligen Zustand zur ortsüblichen Miete abgegeben und dabei laufend rote Zahlen geschrieben hätte. So standen die Wohnungen bald leer und das Haus begann zu verwahrlosen.
Herbst 2009: Die Erker werden zur Gefahr und müssen entfernt werden
Bei Gesprächen mit der Stadt über eine Modernisierung fehlte es der Gesellschaft an der nötigen Ernsthaftigkeit. Die Verhandlungen scheiterten und bald setzten in das Mauerwerk eindringende Nässe und Frost dem unbeheizten Mauerwerk zu. Immer mehr loser Putz, der auf die Straße zu stürzen drohte, musste von der Fassade entfernt werden. Als nach längerer Zeit auch noch die Erker zur Gefahr für vorübergehende Passanten wurden, weil Statiker festgestellt hatten, dass Gefahr im Verzug war, musste die Stadt sie entfernen lassen. Die Wunden in der Fassade wurden notdürftig mit Schalholzplatten verschlossen. Am Ende erstand die Stadt das Gebäude aus der Zwangsversteigerung zum Nullwert.
März 2011: Hausbesetzer sind in die Zwischendecken eingezogen |
Immer wenn ich die verfallenden Häuser mit ihren ehemals prunkvollen Schmuckfassaden sehe, die wegen der Habgier, der Gleichgültigkeit und der Dummheit mancher Zeitgenossen irgendwann abgerissen werden müssen, dann könnte auch ich jedes Mal in Tränen ausbrechen. Mitleid mit den geprellten Schnäppchenjägern empfinde ich dagegen keineswegs. Im Gegenteil: Die gehören meines Erachtens eigentlich "wegen nicht wiedergutzumachender Schädigung der Allgemeinheit" hinter Schloss und Riegel!
Mai 2012: Abrisslücke in ehemals intaktem Gründerzeit-Blockrand |
Wie auch immer: Diese - in meinen Augen kriminellen Machenschaften - richten Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wieder Häuser zugrunde, die den Bombenhagel der Alliierten Bomberflotten, wie durch ein Wunder, mehr oder weniger unbeschadet überstanden haben - und das nicht nur in Bremerhaven. Beispiele dafür finden sich in der kleinen Auswahl folgender Artikel und Pressemitteilungen:
- "Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 16.09.2010
- SPD-Fraktionen der Stadt Herne vom 02.07.2010
- "Die Welt" vom 06.08.2010
- Mitteilung der Senatspressestelle Bremen vom 11.03.2009
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