Inzwischen weiß ich, dass es nicht einmal etwas außergewöhnliches ist, dass ein derart klägliches Häuflein Abgeordneter Gesetze im Schnellverfahren durch den Bundestag winkt, deren Auswirkungen nachher knapp 82 Millionen Bundesbürger betreffen. Deutlich wurde das gestern noch einmal in der ZDF-Talkrunde "Markus Lanz".
Mit meinem Verständnis der - insbesondere von Politikern - so hochgelobten "Parlamentarischen Demokratie" hat dieser offenbar alltägliche Skandal nichts gemeinsam ... - eher schon mit parlamentarischer Diktatur: Da hätte im Falle des neuen Meldegesetzes eine "Mehrheit" von ungefähr 16 Abgeordneten gereicht, um sogar gegen den erklärten Willen der Mehrheit der Sesselschoner aus der eigenen Regierungskoalition zu putschen. Wären die Abgeordneten der Oppositionsparteien im Bundestags so zahlreich zugegen gewesen, wie man das als Bundesbürger von den gewählten Vertretern seiner Interessen wohl hätte erwarten können, dann hätte es wohl eine schallende Ohrfeige für das Ansinnen der beiden Abgeordneten von der CSU (Herr Uhl) und der FDP (Frau Piltz) - gegeben, unsere ausdrückliche Zustimmung zum Verschachern unserer Daten durch den ausdrücklichen Widerspruch zu ersetzen ... - einmal ganz davon abgesehen, dass es eigentlich schon eine Frechheit an sich ist, den Handel mit unseren hochsensiblen Meldedaten überhaupt auch nur in Erwägung zu ziehen.
Nachdem Herr Lanz seinen Gästen noch einmal den inzwischen zu trauriger Berühmtheit gelangten, 57 Sekunden kurzen Filmausschnitt aus der Bundestagssitzung vom 28.06.2012 gezeigt hatte, sagte er zu Herrn Döring (FDP, Generalsekretär): "So: 57 Sekunden; das ist Loriot. Und wenn es nicht so traurig wäre, wäre es ehrlich gesagt sehr lustig - ist es aber nicht." (In der Videoaufzeichnung der Sendung ab 11 Minuten, 36 Sekunden)
Herr Döring meinte daraufhin: "Ist allerdings Alltag in unserem Parlament. Das gehört zur Wahrheit dazu. Ich will das auch nicht verteidigen, aber wir haben die Situation. Wir sind ein Arbeitsparlament, das sich in Sitzungswochen trifft und die Fülle der Drucksachen und Gesetzesvorhaben führt eben am Donnerstag zu sehr langen Sitzungstagungen." Dieses "Arbeitsparlament" zeichnete sich zumindest an jenem denkwürdigen Tag allerdings nicht gerade durch eine hervorragende Arbeitsmoral seiner Abgeordneten aus.
Darauf machte auch Herr Lanz seinen Gesprächspartner Herrn Döring aufmerksam. Offiziell säßen doch mehr als 600 Abgeordnete im Parlament. Das heiße, es müssten mehr als 300 Abgeordnete für ein Gesetz stimmen, damit es mit einer Mehrheit verabschiedet werden könne. Herr Döring habe aber gemeint, am 28. Juni 2012 habe es sich auch um eine Mehrheit gehandel, "und zwar deswegen, weil keiner offiziell angezweifelt hat, dass das keine Mehrheit war." - Aha! Darauf muss man erst einmal kommen. In jedem Kegel- oder Angelverein ist klar geregelt, dass sich der Begriff "Mehrheit" an der Anzahl der Vereinsmitglieder bzw. der Vorstandsmitglieder orientiert. Im Bundestag sieht man das offenbar nicht so eng. Da müssen dann auch schon mal 15 oder 16 Abgeordnete - das entspricht gerade einmal 2,4 Prozent der 620 Bundestagsabgeordneten(!) - als Mehrheit ausreichen.
Herr Döring zeigte sich diesbezüglich auch nicht im Geringsten irritiert. Er sagte (Zitat): "Die Koalitonsfraktionen hatten ja auch die Mehrheit. Im Bundestag ist die Mehrheit festgestellt, wenn die Mehrheit der anwesenden Kollegen für etwas stimmt, und die Minderheit gegen etwas. Und zwar unabhängig davon, wie viele da sind."
Ich weiß ja nicht, wie es euch angesichts des von Herrn Döring dargelegten Demokratieverständnisses unserer Bundestagsabwesenden geht, aber zu dieser Sesamstraßenlogik fällt mir nun wirklich nichts mehr ein.
(Quellen: ZDF-Talkrunde "Marus Lanz" vom 10.07.2012, Deutscher Bundestag)
1 Kommentar:
Hallo Jürgen,
nix gegen die Leute aus der Sesamstraße. Die sind bestimmt schlauer als unsere "Volkszertreter", äh ich meine natürlich "Volksvertreter". Du hast recht, wenn nur ein paar Leute über solch wichtigem Gesetz abstimmen, ist das keine Demokratie mehr. Gesetze dürfen eigentlich nur bei vollem Parlament beschlossen werden. Jede Abgeordnete und jeder Abgeordnete müssen anwesend sein. Als einzige Ausnahme billige ich Krankheit.
Tschüss
Holger
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