Gestern legte das Europaparla-
ment ACTA (Anti-Counterfeiting
Trade Agreement) endgültig
ad acta. Das ist ein Sieg für die
europäische Demokratie und für
den Datenschutz im Internet.
478 Abgeordnete hatten gegen das von den USA vorangetriebene Abkommen gestimmt. Dafür stimmten 39 Abgeordnete und 165 enthielten sich. Damit sind Angriffe gegen das freie Internet unter dem Deckmantel "Schutz gegen Produktpiraterie" zumindest in der EU für's erste vom Tisch.
Die Abgeordneten des Europaparlaments sprachen sich mit ihrem Votum eindeutig im Sinne von Millionen von Menschen aus, die europaweit und international gegen die Unterzeichnung der US-amerikanischen Gesetzesinitiative durch die EU demonstriert und mithilfe von Petitionen mit mehr als 2,8 Millionen Mitzeichnern dagegen protestiert hatten. Das ist vor allem ein eindeutiger Sieg für die Demokratie.
Aufgrund der darin - u.a. auch aufgrund schwammiger Formulierungen - versteckten Angriffsmöglichkeiten gegen die Nutzer des Internets (die unter anderem auch Internetsperren zur Folge hätten haben können) und der Gefährdung des Datenschutzes, hat ACTA mit der Entscheidung des Europaparlaments allerdings international allerdings erheblich an Wirkung verloren. Aber unabhängig davon ist ACTA eigentlich schon deshalb zum Scheitern verurteilt gewesen, weil Länder, wie zum Beispiel China, die dafür bekannt sind, dass Fälschungen teurer Markenprodukte, aber auch die Fälschung von Massenprodukten namhafter Hersteller dort ein wichtiger Wirtschaftfaktor sind, ihre Beteiligung an ACTA verweigern. So berichtete zum Beispiel "Der Westen" in einem Artikel vom 04.07.2012, dass 85 Prozent der von EU-Zollfahndern abgefangenen Produktfälschungen allein aus China stammen.
Bezüglich des vorgeblich eigentlichen Anliegens, den weltweiten Schutz vor Produkt- und Markenpiraterie, verliert ACTA mit der Abstimmung des Europaparlements allerdings weiterhin an Wirkung. Nach dem Scheitern des Abkommens wäre es jetzt an der Zeit, dass international und transparent für alle Menschen in den Staaten, die sich daran beteiligen wollen, über ein wirkliches Abkommen zum "Schutz gegen Produktpiraterie" verhandelt wird.
Ein solches Abkommen müsste dann allerdings auch sicherstellen, dass preiswerte Generika für Arzneimittel nicht unter dem Deckmantel "Produktfälschung" verboten werden. Zum Schaden der Menschen in Entwicklungsländern, die sich teure Medikamente multnationaler Pharmakonzerne nicht leisten können, hätte ACTA auch das ermöglicht. Darüber, dass überteuerte Pharmaprodukte großer Konzerne, die ihren "Preis nicht wert" sind, einen erheblichen Anteil an der Kostenexplosion in unserem eigenen Gesundheitswesen haben, sind hierzulande Bürger und Politik einer Meinung. Somit hätte ACTA wohl auch erhebliche Auswirkungen auf die ohnehin schon sehr hohen Kosten unseres eigenen Gesundheitswesens haben können.
Auf einem anderen Blatt
Was den Urheberschutz im Internet angeht, so ist dieses ein völlig anderes Thema, das nach meinem Verständnis auf einem anderen Blatt steht und getrennt vom Thema "Produktpiraterie" behandelt werden müsste. Auch hier müssten internationale Vereinbarungen getroffen werden, die einerseits das Einkommen von Musikern, Autoren und Künstlern (deren wirtschaftliche Grundlage!) schützen, andererseits aber auch zum Beispiel nichtkommerzielle Hobbyfilmer, die ihre selbsterstellten Werke für die Allgemeinheit kostenlos auf Videoplattformen im Internet zur Verfügung stellen.
Wenn jemand komplette Musik-CDs mit einem Standfoto versehen bei YouTube hochlädt, dann könnte ich es gut verstehen, wenn die Musiker, welche die CD aufgenommen haben, um von dem Erlös aus dem Verkauf ihren Unterhalt zu finanzieren, gerichtlich dagegen vorgehen. Wenn andere Internetnutzer die CD nicht kaufen, weil sie im Internet kostenlos zu hören ist, dann wird den Musikern damit immerhin ein kaum zu beziffernder, aber möglicherweise erheblicher Schaden zugefügt.
Nicht verstehen kann ich es jedoch, wenn jemandem, der mit seinem Camcorder in einer Straße irgendeiner Stadt eine Szene aufnimmt, vorgeworfen wird, er würde das Urheberrecht von Musikern verletzen, von deren Musik im Video einige Takte zu hören sind, weil einige Tänzer, die den Menschen auf der Straße (kostenlos!) ihr Hobby vorstellen, zufällig gerade zu dieser Musik tanzen. Wäre ACTA in Europa Gesetz geworden, dann wären wohl viele solcher oder ähnlicher Videos aus dem Internet verschwunden, weil deren Urheber sich vorsorglich vor Strafverfolgung hätten schützen müssen.
Zum Weiterlesen:
(Quellen: Der Westen vom 04.07.2012, Die Zeit vom 04.07.2012, Süddeutsche Zeitung vom 04.07.2012, Heise vom 04.07.2012, Tagesspiegel vom 04.07.2012, Focus vom 04.07.2012, Spiegel vom 04.07.2012, AVAAZ, Wikipedia)
1 Kommentar:
Der erste Angriff auf die Freiheit im Internet ist ertstmal abgewehrt - doch sie werden immer neue Angriffe starten. Steter Tropfen höhlt den Stein. Und sie werden wieder und wieder neue Gesetze aufs Tapet heben in der Hoffnung, daß irgendwann die Proteste dagegen abflauen. Dann durchs EU-Parlament damit und die AbmahnAnwälte kommen letztendlich doch zu ihrem - unserem Geld wenn wir uns kleinster Delikte schuldig machen. Wenn schon drei identische Worte in einem Text als Plagiat gewertet werden, gibts ja schon Strafen bei Wortgruppen wie "in das Haus" oder "Vor die Tür"? Wir werden's gewahr und können ja dann immer noch entscheiden, uns aus dem Netz weitestgehend zurückzuziehen. Dann wäre es aber auch an der Zeit. Es ist eben nichts für die Ewigkeit. Liebe Grüße von der einen an die andere See vom ollen Wolfgang.
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