Die Nordsee-Zeitung schrieb am 01.09.2008, den Betreibern des Atommülllagers Asse-II sei das Risiko des Auslaufens radioaktiv verseuchter Salzlauge von Beginn an bekannt gewesen. Noch bis Anfang des Jahres wurde von den Betreibern des "Versuchsendlagers" verschwiegen, dann dementiert und bis jetzt heruntergespielt, dass sich tatsächlich seit Jahren radioaktiv belastete Salzlauge in dem ehemaligen Salzbergwerk ansammelt, die nach einer erst kürzlich erfolgten Untersuchung aus den Atommüllfässern in einer Lagerkammer stammt.
Wie vor kurzer Zeit ebenfalls bekannt wurde, ist die radioaktive Salzlösung teilweise in andere ehemalige Salzbergwerke transportiert worden. Die beim Salzabbau entstandenen Hohlräume in diesen Bergwerken waren nach dem Schließen der Anlagen geflutet worden. Die radioaktive Salzlösung aus Asse-II hat sich mit den zur Stabilisierung in die ehemaligen Salzbergwerke eingebrachten Flüssigkeiten vermischt. Auf die gesamte Flüssigkeitsmenge bezogen ist die Strahlung damit also "verdünnt" worden. Herr Haury (Helmholtz-Zentrum, Pressesprecher) sagte im Bayerischen Rundfunk, dass radioaktive Stoffe in Asse-II in kleinen Mengen vorhanden seien wisse man seit etwa zehn Jahren. Für die umstrittene Umlagerung radioaktiv kontaminierter Lauge gäbe es eine Genehmigung der zuständigen Behörde. Da Asse-II als Forschungsbergwerk gilt, ist formal das Bundesministerium für Forschung und nicht der Bundesumweltminister zuständig. Die Tätigkeiten im Bergwerk erfolgten primär nach den bergrechtlichen Vorgaben des Landesbergamts in Niedersachsen und nicht nach den Auflagen des Atomrechts.
Umstrittenes Schließungsverfahren
Im Februar 2008 hatte das Oberverwaltungsgericht Lüneburg die Klage einer Anwohnerin aus formellen Gründen abgewiesen. Statt der geplanten Schließung nach Bergrecht hatte sie die Schließung der Anlage Asse-II nach dem strengeren Atomrecht erreichen wollen, die eine Beteiligung der Bürger vorschreibt. Seit 1995 werden die Stollen des Bergwerkes mit altem Salz vor allem aus der Kaligrube Ronnenberg bei Hannover verfüllt. Die verbleibenden Hohlräume sollen anschließend mit einer Magnesium-Chlorid-Lösung geflutet werden, um Einstürze zu verhindern. Gegner der Lagerung befürchten, dass dadurch radioaktive Stoffe in die Umwelt gelangen könnten, zumal Wasser- und Laugeneinbrüche in die alte Schachtanlage bekannt sind.
"Versuchsendlager" faktisch als Endlager genutzt
Mitarbeiter der Schachtanlage Asse-II berichteten, in den ersten Jahren seien Fässer angeliefert worden, die zum Teil bereits durchkorrodiert waren und Flüssigkeiten verloren. Im Verlauf der Stapelung seien Fässer auch zerdrückt worden. Diese von den Gegnern des Atommülllagers seit langem geäußerten Befürchtungen wurden von den Betreibern schon vor Beginn der Einlagerung der ersten Fässer ausgeschlossen und später verschwiegen und dementiert. Das 1965 offiziell zu Forschungszwecken in dem Salzbergwerk eingerichtete "Versuchsendlager" sei von Beginn an faktisch als Endlager genutzt worden.
Ungenehmigter Umgang mit radioaktiven Stoffen
Herr Gabriel (Bundesumweltminister) sagte gestern in der Tagesschau, der auf Anforderung seines Ministeriums vom niedersächsischen Umweltministerium vorgelegte Statusbericht habe die Befürchtungen über den Zustand des Lagers bestätigt. Er habe schwerwiegende Mängel beim Helmholtz-Zentrum, das die Anlage betreibt, und bei der Aufsicht, dem Landesbergamt in Niedersachsen, aufgedeckt. Die Sicherheit sei nirgends nachgewiesen. Asse-II sei die problematischste kerntechnische Anlage, die in Europa zu finden ist. Das Helmholtz-Zentrum München, sei seit langer Zeit ungenehmigt mit radioaktiven Stoffen umgegangen. Der Umgang mit radioaktiven Abfällen im Betrieb sei nicht sachgemäß gewesen, Dokumentationsstandards seien nicht eingehalten worden. Auch habe der Betreiber keine ausreichende Fachkunde und treffe bauliche Maßnahmen ohne ausreichende Kenntnis. Dadurch würden neue Risiken geschaffen, etwa bei der Befüllung von Kammern mit Wasser.
Unverantwortlicher Betrieb von Atomkraftwerken
Herr Gabriel nannte den Statusbericht den "psychologischen Gau für die Endlagerdebatte in Deutschland".
Damit hat er sicherlich Recht. Allerdings beschreibt er damit noch lange nicht die gesamte Tragweite des Skandals. Hätten die Verantwortlichen von Anfang an die Wahrheit gesagt, dann wäre bereits seit Anfang der 1960er Jahre klar gewesen, dass der Bau und der Betrieb von Atomkraftwerken aufgrund des dabei anfallenden radioaktiven Mülls, für dessen sichere Lagerung über sehr lange Zeiträume es keine Lösung gibt, ein unverantwortliches Spiel mit dem atomaren Feuer ist. Die "sehr langen Zeiträume" sind abhängig von den Halbwertszeiten der im Atommüll enthaltenen radioaktiven Stoffe, die zwischen 8 Tagen und 4,468 Milliarden Jahren liegen. Dabei ist zu bedenken, dass nach Ablauf der "Halbwertszeit" die radioaktive Strahlung nicht "verschwunden" ist. Sie hat nach dieser Zeit lediglich um die Hälfte abgenommen. Es braucht noch einmal die Dauer einer Halbwertszeit, bis die diese um die Hälfte verminderte Strahlung noch einmal um die Hälfte abgenommen hat, und so weiter. Nach einem Menschenleben bemessen sprechen wir hier also teilweise über unvorstellbare Lagerzeiträume, für die kein heute lebender Mensch die Sicherheit garantieren kann.
Bestandteile des Atommülls aus Atomkraftwerken
Aus dem in Atomkraftwerken als Primärenergieträger verwendeten Uran entstehen nach der Verwendung zur Energieerzeugung durch Kernspaltung und Nebenprozesse die folgenden wesentlichen Stoffgruppen:
- Spaltprodukte, also die bei der Kernspaltung entstehenden "Bruchstücke". Diese sind zum größten Teil sehr kurzlebig (z. B. Iod-131, etc.), jedoch sind auch einige längerlebig (z. B. Cäsium-137, Strontium-90 etc.) oder langlebig (z. B. Iod-129 etc.).
- Aktivierungsprodukte. Dies sind ursprünglich nichtradioaktive Materialien aus dem Reaktor oder dessen Umgebung, die durch Neutroneneinfang von Spalt-Neutronen in radioaktive Nuklide umgewandelt wurden (prominentestes Nuklid ist hier Cobalt-60).
- Erbrüteter Kernbrennstoff (z. B. Plutonium-239, das durch Neutroneneinfang und zwei anschließenden Betazerfällen aus Uran-238 gebildet wird.
- Erbrütete weitere Transurane (z. B. Americium-241, das durch mehrfachen Neutroneneinfang aus Plutonium-239 über Plutonium-240 und Plutonium-241 mit nachfolgendem Betazerfall entsteht.
- Unverbrauchter ursprünglicher Brennstoff (Uran-235, Pu-239 und Plutonium-241), und
- nicht in Plutonium umgewandeltes Uran-238.
- Americium-241: 432,2 Jahre
- Cäsium-137: 30,17 Jahre
- Cobalt-60: 5,2714 Jahre
- Iod-129: 15.7 Millionen Jahre
- Iod-131: 8,02070 Tage
- Plutonium-239: 24110 Jahre
- Plutonium-241: 14,35 Jahre
- Strontium-90: 28,78 Jahre
- Uran-235: 703,8 Millionen Jahre
- Uran-238: 4,468 Milliarden Jahre
Verantwortung von Politik und Gesellschaft in Deutschland
Wer heute noch den Betrieb oder gar den Ausbau der Atomkraftwerke befürwortet, gefährdet nicht nur die heute lebenden Menschen durch die "normalen Störfälle" oder das "Restrisiko" eines atomaren GAU, sondern auch die Gesundheit und das Leben unzähliger Generationen unserer Nachfahren. Der Bundeskanzler und die Bundesminister leisten bei ihrem Amtsantritt den Amtseid vor den Mitgliedern des Bundestages.
Der Amtseid lautet:
"Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe."
(GG, Artikel 56 und 64)
Wer im vollen Bewusstsein der Bedeutung geschworen hat, dass er seine Kraft dem "Wohle des deutschen Volkes" widmen und "Schaden von ihm wenden" will, der kann aus meiner Sicht in Kenntnis der im Laufe des Jahres bekanntgewordenen Tatsachen unmöglich den Weiterbetrieb der deutschen Atomkraftwerke befürworten. Politische Parteien und diejenigen ihrer Mitglieder, für die der Inhalt des Amtseids im täglichen politischen Geschäft ohne Bedeutung zu sein scheint, sind aus meiner Sicht als Vertretung der Interessen unserer Gesellschaft nicht tragbar !
(Quellen: Nordsee-Zeitung vom 01.09.2008, Wikipedia, 20:00 Uhr Tagesschau vom 02.09.2008, NDR Nachrichten: Dossiers, Hintergrund, NDR Nachrichten: Dossiers,
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