Freitag, 6. September 2013

Bremerhavener Nachtleben in der "Guten alten Zeit"

Martin Kemner in seiner grandiosen Doppelrolle als "Stadtführer" und "Terry Thun"

Während der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts war Bremerhaven die Stadt mit der größten Kneipendichte Deutschlands. Der "Stadtführer" ("NICHT Terry Thun" und Terry Thun; beide gespielt von Martin Kemner), unterstützt von seinem Assistenten "Günni" (gespielt von Erpho Bell) erzählte an der Ecke Goethe- /Lutherstraße, im heutigen "Laderaum" habe früher einmal sogar Rudoph Schock gesungen, als er auf die Abfahrt seines Schiffes wartete, einfach so. - Er sei mit dem damaligen Wirt bekannt gewesen. Auch andere internationale Größen sind in den Gastwirtschaften, Kneipen und Clubs im und am Rande des Leher Goethe-Quartiers aufgetreten.


Der "Stadtführer" schwärmt vom legendären "Chico's Place" ...
Bekannt dafür waren auch einige Jazz-Clubs, unter ihnen das legendäre "Chico's Place" an der Ecke Rickmers- /Körnerstraße. Asuquo "Chico" Eyo, der kleine Nigerianer mit dem großen Namen, eröffnete seinen Club im Jahre 1958. Mit Auftritten weltbekannter Musiker, wie beispielsweise Dizzy Gillespie, machte sich "Chico's Place" schnell einen Namen, der weit über die Grenzen Bremerhavens und Deutschland hinausreichte. Der Stadtführer geriet regelrecht ins Schwärmen, als er über diese Zeit und das Lebensgefühl der vom Jazz begeisterten Menschen erzählte - und die passende Musik dazu hatte er auch im Gepäck ...

Inzwischen ist Chico schon seit zwanzig Jahren tot und sein Haus, in dem er dreißig Jahre lang seinen Jazz-Club betrieben hatte, befindet sich in einem derart desolaten Zustand, dass es demnächst abgerissen werden muss.


... und "Terry Thun" erinnert an das "Blue Star", eine der amerikanischen Nachkriegsbars
Ein "Haus" weiter in Richtung Hafenstraße - äußerlich eigentlich eher ein Schuppen - prangt noch der Name "Blue Star" über der Tür und dem Fenster. Von diesen für die Soldaten der US-Army auf freien Grundstücken schnell aus dem Boden gestampften Bars sind heute noch einige Überbleibsel aus der "Guten alten Zeit" zu finden. Aber auch sie haben ihre "Glanzzeiten" schon längst hinter sich ...
  • ... Vor dem "Aladin" Kino stehend blickt Terry Thun ungläubig hinüber zur gegenüberliegenden Seite der Rickmersstraße und schreit:
    "Wo ist meine Sportklause hin?!!"
Die Sportklause war auch eine dieser Art von Bars. Jetzt steht an ihrer Stelle ein offener Imbisswagen auf dem abgeräumten Grundstück.

Schon in der Guten alten Zeit sei die Sportklause ziemlich verrufen gewesen, erzählt der Stadtführer kurz darauf. Deshalb habe Terry dort auch so manchen Streit geschlichtet. Dieser üble Ruf sei aber auch sehr verlockend für Nachtschwärmer aus gutbürgerlichen Familien gewesen. So hätten, beispielsweise im Anschluss an einen Theaterbesuch, immer mal wieder feine Herren ihren schick angezogenen Begleiterinnen mit einem Besuch in der Sportklause ein echtes Abenteuer bieten wollen ...


Martin Kemner als "Terry Thun" (mit Arbeitshandschuhen) und als "Stadtführer"

Terry Thun ist übrigens keine fiktive Person - es hat ihn wirklich gegeben und die Spielszenen spiegeln Ereignisse wieder, die an den betreffenden Orten tatsächlich stattgefunden haben. Erpho Bell, Autor dieses sehens- und erlebenswerten Straßentheaterstücks, hat mit einigen Zeitzeugen, die Terry Thun persönlich gekannt hatten, über ihn gesprochen und viel über sein Leben und sein Wirken in Erfahrung bringen können. Wenn es irgendwo in "seinem Revier" zu einem Streit kam, habe man zuerst nach Terry Thun gerufen. Aufgrund seiner respekteinflößenden Erscheinung habe der in den meisten Fällen gar nicht erst handgreiflich tätig werden müssen, um die Kontrahenten ruhigzustellen.

Ein augenfälliges Merkmal seien, übereinstimmenden Aussagen der Augenzeugen zufolge, auch seine auffallend großen Hände gewesen. Bei den Spielszenen hatten die Zuschauer schnell herausgefunden, dass sie Terry Thun gegenüberstanden, sobald Martin Kemner seine großen, gelben Arbeitshandschuhe überzog. Ohne Handschuhe - mit normal-großen Händen - hatten sie den Stadtführer vor sich.


"Günni" präsentiert ein Foto der "Atom Anita" (im Hintergrund die "Venus Bar")
Mit der "Venus Bar" auf der gegenüberliegenden Straßenseite der Rickmersstraße im Hintergrund erzählten Terry, der Stadtführer und Günni etwas über eine weitere, berühmte Persönlichkeit aus dem Nachtleben der guten alten Zeit. Die "Big Anita", die bei den Amerikanern auch "Germany's Marilyn Monroe" genannt wurde. Die 1950er und der Beginn 1960er Jahre markierten den Anfang des Atomzeitalters. Alles, was groß war, wurde damals in den USA oft mit dem Prädikat "Atom" versehen. Aufgrund ihrer - wie es heißt - phänomenalen Oberweite war "Big Anita" in Bremerhaven daher auch unter dem Namen "Atom Anita" bekannt.


Im "Metropol" erinnern 'der GI und das Frollein' und eine Musicbox aus den sechziger
Jahren des letzten Jahrhunderts an das Nachkriegs-Domizil der US-Soldaten
Allein über das "Hotel Metropol" und seine wechselvolle Geschichte könnte man wohl ein ganzes Buch schreiben. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die heutige Gaststube des inzwischen in der vierten Generation von der Familie Frommer geführten Hauses das Haupt-Freizeitdomizil der Soldaten der US-Army im Bereich der Rickmers- und der Lessingstraße. An diese Zeit erinnern heute eine originale Musicbox aus den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts sowie ein Gemälde auf dem ein amerikanischer GI mit einem deutschen "Frollein" zu sehen ist.

Hier gab Terry Thun die Geschichte über ein legendäres Kunststück der "Big Anita" zum besten: Sie schaffte es freihändig zwei Cognac-Gläser leerzutrinken, die sie auf ihrem Dekolleté balancierte. Indem sie mit Gästen eine Wette darum einging, habe sie den übrigen Gästen im "Metropol" zu so mancher Saalrunde verholfen - jedoch nie auf ihre Kosten.


Bremerhavens Rotlichtviertel in der Lessingstraße
Die Lessingstraße, so erzählt Terry Thun, war eigentlich nicht sein Ding. Sein Revier sei die Rickmersstraße gewesen. Allerdings wird die "Die Reeperbahn von Bremerhaven", die auch schon einmal in einem Lied besungen worden ist, zu seiner Zeit wohl noch nicht ganz so freizügig gewesen sein. Der Stadtführer sprach davon, dass die ersten "Schaufenster" erst in den 1970er Jahren zu sehen waren.

Heute, wo sich die Damen auch schon mal - kaum bekleidet - in der offenstehenden Tür einiger der Etablissements präsentieren, geht eine nicht zu unterschätzende Zahl von Autofahrern einer kaum zu übersehenden Beschäftigung nach: Sie spielen "Karussell fahren". Die - mal mehr, mal weniger dichte - Blechkarawane schleicht dabei im Schneckentempo durch die "sündige Meile". Am Ende der Lessingstraße geht es dann - nicht mehr ganz so langsam - durch die Hafenstraße und die Rickmersstraße zurück zur Lessingstraße ... - gucken kostet wohl noch nichts - bis auf das Benzin vielleicht (aber das ist ja heutzutage eigentlich auch schon teuer genug).
Nachdem eineinhalb Stunden wie im Fluge vergangen waren, gab es lang anhaltenden Applaus für den Darsteller und für den Autor. Wenn das Publikum nicht ohnehin schon gestanden hätte, dann wäre es sicher zum Applaudieren aufgestanden. Meine Meinung: Klasse gespielt, toll recherchierte Geschichten und viel Informatives über das Quartier und die Geschichte seiner Kneipenkultur.

Wer jetzt neugierig geworden sein sollte, der hätte am 8., am 13. oder am 15. September noch die Gelegenheit, selbst dabei zu sein, wenn es wieder "mit Terry Thun ins pulsierende Nachtleben der guten alten Zeit" geht.


(Quellen: "6913 RSM, ReActivated", Erpho Bell, Wikipedia)

1 Kommentar:

juwi hat gesagt…

@Anonym":
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