Dienstag, 7. Dezember 2010

Ein Brief an den Neckermann

Lieber Neckermann,

letztens ist mir zufällig einer deiner schönen bunten Kataloge in die Hände gefallen. Es war nicht einer dieser dicken, sondern so ein dünner, wie du sie ab und zu immer mal zwischendurch verschickst. In dem, den ich meine, waren schon Weihnachtssachen drin, obwohl es da noch ganz lange hin war, bis Weihnachten.

Aber egal. Du willst bestimmt wissen, weswegen ich dir eigentlich überhaupt diesen Brief schreibe. Das kommt daher, weil du vorne auf den Katalog geschrieben hast, du seist in der Lage, die Geschenke, die man bei dir bestellen kann, schneller zu liefern als der Weihnachtsmann. Also mal ehrlich lieber Neckermann: Das glaub' ich dir nicht.
Ich habe nämlich einmal eine wissenschaftliche Veröffentlichung gelesen, die wohl ein Professor geschrieben haben muss. Darin steht, es gäbe 2 Milliarden Kinder auf der Welt. Da der Weihnachtsmann aber wohl keine Moslems, Hindus, Juden und Buddhisten beliefert, würde sich seine Arbeit auf etwa 15 Prozent aller Kinder reduzieren. Das Volkszählungsbüro hat dem Professor erzählt, das wären dann immer noch 378 Millionen Kinder. Bei einer durchschnittlichen Kinderzahl von 3,5 pro Haushalt ergäbe das 91,8 Millionen Häuser. Der Professor mimmt pauschal an, dass in jedem Haus mindestens ein braves Kind lebt, so dass der Weihnachtsmann während seines 31 Stunden Weihnachtsarbeitstages also insgesamt 91,8 Millionen Adressen abzuklappern habe.

Das mit dem 31-Stundentag läge an den verschiedenen Zeitzonen, die er am zeitbringend durchquere, wenn er von Osten nach Westen reise. Wie du daran gut erkennen kannst, lieber Neckermann, versuchen die modernen Ökonomen uns heutzutage mit ihrem sogenannten "innovativen Zeitmanagament" in Wirklichkeit nur einen uralten Hut anzudrehen. Immerhin ist der Weihnachtsmann ja schon so alt, dass sich niemand mehr wirklich daran erinnern kann, wann er das erste Mal die Wünsche der braven Kinder erfüllt hat. Sein Glück sei, dass er Halter des weltweit einzigen fliegenden Schlittens ist der von fliegenden Rentieren gezogen wird. Probleme mit winterlichen Straßen und wegen des Feiertagsreiseverkehrs verstopften Autobahnen entfallen also für den Weihnachtsmann.

Bei 91,8 Millionen Besuchen in 31 Stunden kommt der Professor allerdings rechnerisch auf eine Anzahl von 822,6 Besuchen pro Sekunde. Somit habe der Weihnachtsmann für jeden christlichen Haushalt mit braven Kindern gerade einmal eine tausendstel Sekunde Zeit, um seine Arbeit zu erledigen: Schlitten parken, aussteigen, abladen, aufs Dach klettern und ab durch den Schornstein, die Geschenke unter dem Weihnachtsbaum verteilen, den Schornstein wieder raufklettern, vom Dach rutschen, rauf auf den Schlitten und zum nächsten Haus fliegen.

Der Professor nimmt für seine weiteren Berechnungen pauschal an, dass alle 91,8 Millionen Adressen gleichmäßig auf die ganze Erde verteilt sind und kommt so rechnerisch auf eine Entfernung von 1,3 km zwischen den Häusern, woraus sich eine Wegstrecke von 120,8 Millionen km ergibt. Bei 31 Stunden ergäbe das für den Schlitten des Weihnachtsmannes eine Riesegeschwindigkeit von 1040 km pro Sekunde. Das entspräche über den Daumen der dreitausendfachen Schallgeschwindigkeit.

Der Professor hat sich auch noch Gedanken über das Gewicht des Schlittengespanns Weihnachtsmanns gemacht. Überschlagsmäßig hat er - wieder einmal pauschal - angenommen, jedes Kind bekäme nicht mehr als ein mittelgroßes Lego-Set mit einem Gewicht von ca. einem Kilogramm. Bei 378 Millionen Kindern wäre der Schlitten dann mit einem Gewicht von 378000 Tonnen beladen. Den Weihnachtsmann, der übereinstimmend als übergewichtig beschrieben werde, habe er in seiner Rechnung der Einfachheit halber jedoch nicht berücksichtigt.

Um den Schlitten bei diesem Gewicht auf die oben genannte Geschwindigkeit zu beschleunigen, bedürfte es schon besonderer Rentiere. Diejenigen des Weihnachtsmannes erfüllen diese Bedingung meines Erachtens zwar allein schon aufgrund ihrer Flugfähigkeit, aber wenn man aber davon ausgehe, so der Professor, dass ein Rentier des Weihnachtsmannes das zehnfache eines gewöhnlichen Rentieres ziehen kann (was maximal etwa 175 kg sind), dann bedürfe es 216000 fliegender Rentiere für den Antrieb des Schlittens. Das erhöhe das Gewicht des Gespanns um 410400 Tonnen. Zum Vergleich verweist der Professor darauf, dass dieses mehr als dem vierfachen Gewicht des Passagierschiffs "Queen Elizabeth" entspricht (aber das nur mal so nebenbei).

Aufbauend auf seinen Eingangsberechnungen weist der Professor in seiner Schlussbetrachtung darauf hin, dass 410400 Tonnen bei einer Geschwindigkeit von 1040 km/s einen ungeheuren Luftwiderstand erzeugen würden. Die Rentiere würden dadurch in ähnlicher Weise aufgeheizt, wie ein Raumschiff beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre.

Das vordere Paar Rentiere müsse deshalb pro Sekunde eine Energie von 16,6 Trillionen Joule absorbieren, was unweigerlich dazu führe, dass die Tiere praktisch augenblicklich in Flammen aufgehen würden. Daraufhin würde das nächste Paar Rentiere dem Luftwiderstand ausgesetzt sein etc. Innerhalb von 5 Tausendstel Sekunden würde das gesamte Team aus 216000 Rentieren mit einem ohrenbetäubendem Knall vaporisiert werden.

Der Weihnachtsmann wäre währenddessen einer Beschleunigung ausgesetzt, die der 17500-fachen Erdbeschleunigung entspräche. Ein - vorsichtig geschätzt - 120 kg schwerer Weihnachtsmann würde dabei mit einer Kraft von 20,6 Millionen Newton an das Ende seines Schlittens genagelt werden. Unter der Berücksichtigung des Stands der Wissenschaft kommt der Professor deshalb abschließend zu folgender Erkenntnis:

Sollte der Weihnachtsmann irgendwann einmal die Geschenke gebracht haben, dann wäre er heute tot.

Und damit komme ich wieder zurück zu deiner Behauptung, lieber Neckermann, du könntest die Geschenke schneller liefern als der Weihnachtsmann. Selbst wenn du nicht jedes der Kinder beliefern musst, sondern nur diejenigen, die in Deutschland wohnen, so wissen wir doch alle, dass diese heutzutage nicht nur ein Geschenk bekommen, sondern mindestens fünf, wobei moderne Geschenke mit dem Gewicht eines Fahrrads, Computers, Fernsehgerätes oder einer Stereoanlage - mit Surround Sound inklusive diverser Lautsprecherboxen - eher die Regel sind, als die Ausnahme (jedenfalls, wenn man der Fernsehwerbung glauben schenkt). Und da wundern sich die Leute darüber, dass zu Beginn des 21. Jahrhunderts sogar schon Kinder unter Statussymbolen leiden. Derart pralle Geschenke bringen jedoch das Vielfache eines mittelgroßes Lego-Sets auf die Waage.

Da der Weihnachtsmann, wie gesagt, weltweit der einzige Halter eines von fliegenden Rentieren angetriebenen fliegenden Schlittens ist, müsstest du wohl auf die Deutsche Post oder einen anderen Paketzustellungsdienst zurückgreifen.

Bei Recherchen im Internet habe ich herausgefunden, dass es im Jahre 2008 rund 10,3 Millionen Kinder unter 14 Jahren in Deutschland gab. In den Berechnungen des Professors wurden darüber hinaus sogar auch noch Kinder bis zum Alter von 18 Jahren berücksichtigt. Aber egal: Andere Zahlen stehen mir ja nicht zur Verfügung. Die Anzahl der bis vierzehnjährigen Kinder sind jedenfalls abgerundet 2,7 Prozent der 378 Millionen Kinder, um die der Weihnachtsmann sich zu kümmern hat. Bei 3 Kindern pro Haushalt, was für deutsche Verhältnisse schon ungewöhnlich hoch angesetzt sein dürfte, käme man analog zur Methode des Professors auf 3,4 Millionen Haushalte mit mindestens einem braven Kind. Da du aber ja nicht der Weihnachtsmann bist, sondern der Neckermann, und du zudem innerhalb Deutschlands nicht von Ost nach West durch sämtliche Zeitzonen der Erde reien kannst, hast du keine 31, sondern nur 24 Stunden Zeit zum Liefern.

Im Gegensatz zum Weihnachtsmann müsstest du zwar nur die vergleichsweise geradezu lächerlich geringe Anzahl von 39,4 Lieferungen pro Sekunde absolvieren, aber aufgrund deiner Abhängigkeit von externen Paketzustelldiensten bin ich davon überzeugt, dass du nicht einmal das zustande bringen würdest. Bevor du dich also noch ebenso wie der Weihnachtsmann in Lebensgefahr bringst, und dafür zur Verantwortung gezogen wirst, dass die Lkws der Paketzustelldienste auf den Autobahnen verglühen, wie Raumschiffe beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre, empfehle ich dir, lieber bei deinen üblichen Lieferzeiten zu bleiben. Daran sind die Leute gewöhnt. - Und die Geschichte mit dem Weihnachtsmann, die glaubt dir eh niemand mehr.

Mit freundlichem Gruß,
juwi

1 Kommentar:

Frau Momo hat gesagt…

Schneller als der Weihnachtsmann kann schon deshalb nicht klappen, wenn Neckermann mit DHL ausliefern lässt :-)
Aber ich schmeiß mich gerade weg ob Deiner Berechnungen.

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