Samstag, 6. Dezember 2008

Das Klima und die Nordseeküste

Am 4. Dezember 2008 fand in der Aula der Geschwister-Scholl-Schule eine öffentliche Bau-und Umweltausschuss-Sitzung statt. Zu Beginn der Ausschuss-Sitzung hielt Herr Dr. Michael Schirmer einen Vortrag über den Klimawandel und seine Folgen für unsere Küste in Bremerhaven. Dafür hatten die Grünen über den E-Mail Verteiler der Stadtteilkonferenz Lehe eine Einladung verschicken lassen. Herr Schirmer ist ehrenamtlicher Hauptmann des Bremer Deichverbandes Rechts der Weser und Professor an der Universität Bremen.

Selbst wenn ich es wollte, wäre es unmöglich hier den gesamten Vortrag wiederzugeben, da ich die für eine Veranschaulichung nötigen Diagramme hier nicht wiedergeben kann. Ich habe aber im Internet eine Präsentation gefunden, die Herr Schirmer im Rahmen der "Hamburger Klimatage 2006" gezeigt hatte. Darin sind unter anderem auch Diagramme und Abbildungen aus seinem Vortrag in der Ausschusssitzung am 4. Dezember 2008 zu sehen (siehe unten, "zum Weiterlesen": Dr. Michael Schirmer - Klimafolgen und Klimafolgenanpassung). Ich beschränke mich deshalb auf eine kurze Zusammenfassung anhand meiner Stichwort-Notizen.


Theorie und Statistik

Herr Schirmer machte anhand einiger Diagramme von IPCC Szenarien deutlich, dass der Klimawandel kein Science Fiction Märchen von Übermorgen ist, sondern das wir uns mitten darin befinden. Klimatisch befänden wir uns in einer Warmzeit, zu der aufgrund menschlicher Einflüsse noch einmal eine kräftige Warmzeit hinzukomme. Eine Klimasituation wie diese habe es in der Menscheitsgeschichte noch nicht gegeben. Der IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change = Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen) wird im Deutschen oft als Weltklimarat bezeichnet. Hauptaufgabe des der Klimarahmenkonvention (UNFCCC) beigeordneten Ausschusses ist es, Risiken der globalen Erwärmung zu beurteilen und Vermeidungsstrategien zusammenzutragen. Die Organisation wurde 1988 vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) gegründet.

Zu den Diagrammen, die zum Teil mehrere verschiedene Kurvenverläufe enthielten, erläuterte Herr Schirmer, dass Wissenschaftler natürlich nicht in die Zukunft schauen können: Deshalb spielen sie Berechnungen, mit auf unterschiedlichen Datengrundlagen basierenden "was wäre wenn" Szenarien durch, welche die daraus resultierenden unterschiedlichen Auswirkungen des Klimawandels aufzeigen. Diese decken ein Spektrum von der günstigsten Annahme bis hin zum "worst case scenario" (Szenario für den ungünstigsten Fall) ab.

Das "worst case scenario" tritt dann ein, wenn alles, was an fossilen Brennstoffen noch aus der Erde zu holen ist, verbrannt wird. Das jedoch sind leider immer noch genau die Vorstellungen, die in den Köpfen der Verantwortlichen in den Energiekonzernen, der Automobilhersteller und leider auch vieler politisch Verantwortlicher in der Welt, herumschwirren. Einige Politiker, wie zum Beispiel Frau Merkel, preschten - von den jüngsten IPCC-Berichten zu Beginn dieses Jahres aufgerüttelt - in der Absicht vor, so schnell wie möglich realistische Vorgaben für Rahmenbedingungen zur nachhaltigen Vermeidung weiterer Treibhausgas Emissionen festzulegen. Das wäre in Anbetracht der sich anbahnenden globalen Katastrophe auch dringend erforderlich gewesen. Sofort gingen jedoch die Energiekonzerne, die Automobilhersteller etc. auf die Barrikaden; es wurde verhandelt, und es wurden faule Kompromisse geschlossen. Diese Leute waren in der Vergangenheit vielleicht in der Lage ein Land zu regieren oder einen Konzern zu führen. Als es aber darum ging, rechtzeitig die Weichen für die Sicherung der Zukunft unserer Nachkommen auf diesem Planeten zu stellen, haben alle diese Leute bisher kläglich versagt. Egal welche Kompromisse Politiker und Konzern-Manager miteinander aushandeln:

Das Klima lässt sich auf keine Kompromisse ein!


Die Reale Welt

Aber nicht nur an den auf Berechnungen basierenden Diagrammen lässt sich der weltweite Anstieg der mittleren Temperatur erkennen. In diesem Jahr waren die Arktispassagen im Sommer komplett offen, so dass der Forschungseisbrecher "Polarstern" des Bremerhavener Alfred-Wegner-Instituts (AWI) ohne wesentliche Behinderungen durch Eis den Nordpol umrunden konnte. Das sei bisher noch nie dagewesen. Weniger in Eismassen gebundenes Wasser führt zum weltweiten Anstieg des Meeresspiegels. Ein wichtiger Faktor ist dabei auch das Abschmelzen des im Inland bis zu 3000 Meter starken und etwa 2 Millionen Jahre alten Grönlandeises. Dieses schmilzt schneller als bisher angenommen. Das komplette Abschmelzen des Grönlandeises hätte einen Anstieg des Meeresspiegels um ca. 7 Meter zur Folge.

Wir haben es nach Einschätzung von Herrn Schirmer jedoch bis zum Ende des nächsten Jahrzehnts noch in der Hand, das Schlimmste zu verhindern. Dem letzten Klimareport des IPCC ist allerdings mit aller Deutlichkeit zu entnehmen, dass jetzt sofort die entscheidenden Maßnahmen eingeleitet werden müssen und nicht erst 2015. Dann wird es nämlich zu spät dafür sein.


Auswirkungen des Klimawandels in Deutschland

Herr Schirmer präsentierte eine sogenannte phänologische Uhr. Anhand dieser Grafik ließ sich die beobachtete Auswirkung der jahreszeitlichen Einflüsse auf die Vegetation erkennen. Die alarmierendste Erkenntnis daraus ist die, dass die Winter im Mittel des 10-Jahreszeitraums 1991-2000 um drei Wochen kürzer geworden sind als diejenigen im Mittel des 30-Jahreszeitraums von 1961-1990.
  • In absehbarer Zukunft wird es im Mittel wärmere Sommer geben.
  • Die mittleren Wintertemperaturen werden dem gegenüber überproportional ansteigen.
  • 10 bis 20 oder 30% geringere Niederschlagsmengen und höhere Verdunstung im Sommer werden häufigere Trocken- und Dürreperioden zur Folge haben. Die selteneren Regenfälle im Sommer werden häufiger als Starkregen, auch mit heftigen Hagelschlägen, zu erwarten sein. Dadurch wird es auch häufiger zu Überschwemmungen kommen.
  • 10 bis 20 oder 30% höhere Niederschlagsmengen im Winter, die kaum noch als Schnee gebunden sind und sofort abfließen werden, lassen häufigere und längere Hochwasserperioden im Winter erwarten.
Auswirkungen auf die Landwirtschaft sind bereits jetzt schon zu beobachten. Während früher 3 Grasschnitte pro Jahr üblich waren, seien heute bereits bis zu 5 Grasschnitte pro Jahr möglich.

Auf andere landwirtschaftliche Bereiche übertragen ließe das den Schluss zu, dass die landwirtschaftliche Produktivität steigen könnte
  • wenn keine Trockenschäden eintreten
  • wenn trocken und hitzeresistente Sorten verfügbar sind


Auswirkungen des Klimawandels auf den Küstenschutz

Das der Meeresspiegel steigt ist schon länger bekannt als die dafür verantwortlichen Ursachen. In der Zeit von 1857 bis 2005 ging man von einem Anstieg des Meeresspiegels um 25 cm pro 100 Jahre aus. Aktuelle Erkenntnisse zeigen aber, dass der Meeresspiegels seit ungefähr 50 oder 60 Jahren stärker ansteigt als bisher angenommen. Die mittlere Steigung des Kurvenverlaufs wird immer größer, so dass man jetzt von einem Meeresspiegelanstieg um 72 cm pro 100 Jahre ausgehen muss. Auf diese Erkenntnisse ausgerichtete Küstenschutzmaßnahmen bieten eine ausreichende Sicherheit, solange keine weitere Beschleunigung des Meeresspiegelanstiegs eintritt.

In den sich verengenden Flussmündungen läuft das Hochwasser stärker auf als an den offenen Küstenlinien. Eigentlich liegen viele Küstenbereiche schon jetzt unterhalb des mittleren Tidenhochwassers. Die Besiedlung dieser Gebiete ist überhaupt nur aufgrund der vorhandenen Deiche möglich. Ohne die Deiche würden rund 85% der Bremer Stadtfläche zweimal täglich überflutet werden. Die Auswirkungen des Meeresspiegelanstiegs lassen sich recht anschaulich anhand der Flood Map interaktiv darstellen.

Der derzeitiger Generalplan für den Küstenschutz geht für die nächsten 50 Jahre von einem Anstieg des Meeresspiegels um 40 cm aus. Hinzugerechnet werden müssen 15 cm aufgrund der angenommenen tektonischen Senkung der niedersächsischen Nordseeküste sowie ein Anstieg des mittleren Tidenhochwassers um 10 cm. Somit sind die Deiche um mindestens 65 cm zu erhöhen. Die Niederlande geben sich damit jedoch nicht zufrieden. Dort geht man lieber auf Nummer sicher und wird die Seedeiche um 1,30 Meter erhöhen.

Die dem Wasser zugewandten Seiten der Seedeiche haben eine flache Böschung, damit sich die auflaufenden Wellen daran tot laufen können. Die Deiche sind so gebaut, dass bei einer extremen Sturmflut maximal bis zu 20% der auflaufenden Wellen überschwappen dürfen. Eine Ursache für die schnelle Zerstörung vieler Deichabschnitte während der schweren Sturmflut an der deutschen Nordseeküste im Jahre 1962 waren die zu steilen Böschungen an den Rückseiten der Deiche. Überschwappendes Wasser der hoch auflaufenden Wellen floss zu schnell daran ab, riss dadurch den festigenden Grasbewuchs ab, schwemmte dann das Erdmaterial weg und trug die Deiche von hinten ab, bis sie dem Wasserdruck von vorn nicht mehr standhielten.

Eigentlich hätte Herr Schirmer noch mehr über Hintergründe und Ursachen erzählen wollen. Zum Verständnis der Zusammenhänge wäre das für Interessierte, die sich sonst noch nicht mit der Materie befasst haben, eigentlich auch notwendig gewesen. Dafür reichte die ihm zugebilligte Zeit von dreißig Minuten jedoch nicht aus, und er musste seinen eigentlich auf sechzig Minuten angelegten Vortrag aus der Situation heraus so kürzen, dass er innerhalb von dreißig Minuten zumindest einen Einblick in die Thematik geben konnte. Auch für die Beantwortung von Fragen aus dem Publikum gab es keinerlei Möglichkeit. Aus meiner Sicht wäre jedoch eine ausreichend bemessene Zeit für eine an den Vortrag von Herrn Schirmer anknüpfende Diskussion dringend notwendig gewesen.

Die Nordsee-Zeitung berichtete in ihrer Ausgabe vom 5. Dezember 2008 über die Ausschusssitzung und schrieb, dass die Grünen das genauso sehen. Sie halten Herrn Holm (CDU, Baustadtrat und Umweltdezernent) in seiner Funktion als Umweltdezernent für nicht tragbar und fordern seinen Rücktritt. Ich bin mir nicht sicher, ob ich gleich so weitgehende Konsequenzen fordern würde, aber mangelndes Interesse und eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber der auch für Bremerhaven existentiellen Bedrohung durch den Klimawandel ließ sich daraus schon ablesen. Ich empfand die vorher offenbar nicht angekündigte Beschneidung der Vortragszeit als eine Frechheit gegenüber Herrn Schirmer. Den Äußerungen anderer Zuschauer konnte ich beim Verlassen der Aula entnehmen, dass einige von ihnen es einfach nur peinlich fanden, was der Ausschuss sich da gegenüber seinem Gastdozenten geleistet hatte.

Vielleicht ist es aber ja auch einfach nur so, dass die bittere Wahrheit über das, was auf die Menschheit im allgemeinen, und auf uns Küstenbewohner im besonderen, noch zukommen wird, nicht wirklich gut in das Bild der schönen neuen Havenwelten passt. Durch die mit der drastischen Beschneidung des Vortrags zum Ausdruck gebrachte Scheuklappenpolitik des Bau- und Umweltausschusses wird sich der Klimawandel jedoch nicht beeindrucken lassen. Auch der Meeresspiegel wird nicht mit sich über eine vorzeitige Beendigung seines Ansteigens verhandeln lassen. Die Natur ist in diesen Dingen absolut kompromisslos. Wer die Sorgen der Bürger ignoriert, der bekommt bei der nächsten Wahl weniger Stimmen. Wer aber meint, er könne die Naturgesetze ignorieren, der wird früher oder später untergehen - die Küstenbewohner und die Bewohner der Inseln würde diese Tatsache im wahrsten Sinne des Wortes treffen.

Nachdem ich die Ausschusssitzung verlassen hatte, wartete ich zusammen mit einigen anderen Gästen, bis auch Herr Schirmer die Aula verließ. Herr Schirmer nahm sich noch etwas Zeit für uns, so dass sich nachträglich doch noch die Gelegenheit für ein kurzes Gespräch ergab.

Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintretens des in seinem Vortrag aufgezeigten "worst case scenario" zeigte sich Herr Schirmer bisher noch einigermaßen optimistisch. Mit Hinweis auf seine Ausführungen über die zu steilen Böschungen auf den Deichrückseiten habe ich ihn darauf angesprochen, dass im Rahmen des Baus der Havenwelten eine hohe Spundwand durch die Deichkrone gerammt, und das Erdreich des Deiches dahinter abgetragen wurde, um Platz für einige wenige weitere Kfz-Stellplätze im Parkhaus unterhalb der neuen Gebäude zu schaffen. Herr Schirmer hakte an dieser Stelle ein und sagte: "So etwas wäre in Bremen nie genehmigt worden".

Alternativen zu Deichen sind starke Mauern. Diese müssen dem vollen Anprall der Wellen standhalten, können aber ca. einen Meter niedriger sein, als ein Deich, da die an einer Deichböschung auslaufenden Wellen höher auflaufen. Mauern seien üblich im Zusammenhang mit Hafenanlagen (z.B. die Stromkaje mit Wellenkammern am Containerterminal in Bremerhaven oder die Sandsteinmauer an der Schlachte in Bremen). Mit Einschränkungen bezüglich der Höhe sei auch ein erweiterter Schutz durch eine Spundwand auf der Deichkrone möglich. Zu hoch auflaufende Wellen prallen dann gegen die Spundwand und es schwappt ein geringerer Anteil der auflaufenden Wellen über die Deichkrone.

Im weiteren Gesprächsverlauf kamen wir auf das Abschmelzen des Grönlandeises und die im Dokumentarfilm "eine unbequeme Wahrheit" von Al Gore dargestellten Erkenntisse zu sprechen. Herr Schirmer sagte, man sei bis vor kurzem davon ausgegangen, dass das Eis an der Oberseite nicht abnehme, sondern wie bisher durch Schneefall weiter anwachse. Man habe jetzt aber erkannt, dass die Eismassen nicht nur am Sockel, sondern ebenso auch an allen Oberflächen abnehmen. Man weiß seit 2004, dass jährlich 240 km³ des Grönlandeises durch abschmelzen verloren gehen.


zum Weiterlesen:

Das Klima und "juwi's welt"
Küstenschutz - Kampf um die Deiche (Spiegel online)
Ein schwerer Klumpen (taz)
Deiche noch 50 Jahre sicher (Radio Bremen)
Deichhauptmann warnt vor Weservertiefung (Radio Bremen)
Dr. Michael Schirmer - Kurzbiographie
Dr. Michael Schirmer - Klimafolgen und Klimafolgenanpassung

Das Klima jenseits des Tellerrandes
Nordost- und Nordwestpassage erstmals gleichzeitig eisfrei (Spiegel online)
Grönland (Wikipedia)
Der Klimapräsident (Die Zeit)

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