Dienstag, 13. Oktober 2015

Etwa eine viertel Million Demonstranten in Berlin


Impressionen vom Tag der Demonstration gegen TTIP in Berlin (10.10.2015)
mit Redebeiträgen - bzw. Ausschnitten daraus - zu den Kundgebungen

Gerechnet hatten die Organisatoren mit etwa fünfzig- bis sechzigtausend Demonstranten. Vorsichtshalber hatten sie einhunderttausend Teilnehmer für die Demonstration gegen TTIP und CETA angemeldet. Am Ende füllten etwa eine viertel Million Menschen die Straßen von Berlin.

Leider - rückblickend vielleicht aber auch glücklicherweise - waren wir mit etwa einer Stunde Verspätung in Berlin angekommen. Wären wir rechtzeitig zum Begin der Auftaktkundgebung auf dem Washingtonplatz gewesen, hätten wir das Gelände der Auftaktkundgebung möglicherweise bis zum Ende der Demonstration nicht mehr verlassen können. Die "Zeit" berichtet in einem Artikel auf ihrer Internetseite vom 10.10.2012 (Zitat): "Als im Tiergarten bereits die Abschlusskundgebung lief, harrten noch immer 50.000 Demonstranten am Hauptbahnhof aus."

Den letzten Redebeitrag der Auftaktkundgebung habe ich vom gegenüberliegenden Ufer der Spree aus gehört. Thilo Bode (Foodwatch) machte unter anderem darauf aufmerksam, dass CETA möglicherweise "vorläufig" (!) in Kraft gesetzt werden könnte, bevor die Parlamente überhaupt die Gelegenheit haben würden, sich dazu zu äußern.


Im Vorfeld der Demonstration hatte ich mich gefragt, wie  denn wohl fünfzig- bis sechzigtausend Menschen auf dem Stern, wo die Abschlusskundgebung stattfinden sollte, Platz finden sollten. Die Veranstalter hatten jedoch auf der Straße des 17. Juni zwischen dem Brandenburger Tor und dem Stern großflächige Video-Monitore und Lautsprechersäulen aufgestellt, so dass alle, die es bis dorthin geschafft hatten, die Chance hatten, etwas von der Abschlusskundgebung mitzubekommen.

Mein Video zeigt Impressionen vom Tag der Demonstration am 10. Oktober 2015 mit den Reden von Thilo Bode (Foodwatch), Hubert Weiger (BUND), Ben Beachy (Sierra Club, USA), Prof. Christian Höppner (Deutscher Kulturrat) und Dr. Ulrich Schneider (Paritätischer Gesamtverband).


Nett gemacht: Aber TTIP ist mehr, als nur ein Halloween-Spuk!
Herr Weiger war bereits angefangen zu reden, bevor ich einen halbwegs passenden Platz für meine Kamera und mich gefunden hatte. Zuvor hatte er in aller Deutlichkeit klar gestellt, dass unsere demokratischen Rechte, die von unseren Vorfahren - so manches Mal unter Gefährdung ihrer Freiheit, ihrer Gesundheit und ihres Lebens - hart erkämpft wurden, nun über die Hintertür internationaler Schiedsgerichte (Investor State Dispute Settlement, ISDS) ausgehebelt werden könnten.
  • Und: Viele unserer Vorfahren haben ihren Kampf mit ihrem Blut bezahlt!
Entsprechend hart ging er im weiteren Verlauf seiner Rede mit den politischen Verfechtern der sogenannten "Frei"-Handelsabkommen CETA und TTIP ins Gericht. Am Beispiel der Androhung der Klage des schwedischen Atom- und Energiekonzerns gegen Umweltauflagen der Hamburger Umweltbehörde, die dazu führte, dass diese für den Neubau eines Kohlekraftwerks außer Kraft gesetzt wurden, machte er deutlich, was mit CETA und TTIP noch auf uns zukommen könnte. Dann wären es nicht nur einzelne, sondern hunderte Konzerne, die unsere demokratisch legitimierte Gesetzgebung aus den Angeln heben könnten.

Herr Weiger stellte in diesem Zusammenhang die Frage, in was für einem Land wir denn leben, in dem international operierende Konzerne geltendes Recht zu ihren Gunsten außer Kraft einfach setzen können. Es könne ja wohl nicht angehen, dass sich in unserem Land nur noch die Bürger, nicht aber die Konzerne an die Gesetze halten müssen.


Herr Beachy wies darauf hin, dass es - ebenso wie in Europa - auch in den USA große Widerstände gegen die geheimgehaltenen, zum Teil jedoch trotz alledem bekanntgewordenen Inhalte der TTIP-Verhandlungen gibt. Seine amerikanischen Landsleute, die sich dagegen zu Wehr setzen, seien deshalb aber ebensowenig "gegen Europa", wie wir hierzulande "gegen die USA" seien. Richtig sei hingegen, dass wir alle gemeinsam gegen TTIP sind und auf beiden Seiten des Atlantiks für den Erhalt unserer gemeinsamen grundlegenden demokratischen Rechte kämpfen.

Zu Beginn seiner Rede entschuldigte Herr Beachy sich dafür, dass er kein Deutsch spricht. Er würde aber langsam sprechen. Für alle, die der englischen Sprache nicht mächtig sind, fassten die Moderatoren die Inhalte seiner Rede im Anschluss aber noch einmal kurz zusammen.


Herr Höppner informierte in seiner Rede unter anderem darüber, dass mehr Menschen in der Kulturwirtschaft arbeiten, als beispielsweise in der Automoilindustrie oder in der chemischen Industrie. Er forderte die Politik auf, sich dementsprechend endlich auch für diesen Wirtschaftzweig einzusetzen. Mit TTIP würde die marktbeherrschende Stellung multinationaler Konzerne wie Google, Emmerson, Apple und Co. weiter gestärkt werden. Der Erhalt der Vielfalt unserer Kultur und unseres kulturellen Erbes, das Urheberrecht etc. dürften jedoch nicht den Interessen multinationaler Konzerne geopfert werden.


Herr Schneider zeigte sich äußerst erbost über einen Artikel auf der Internetseite des Spiegel, der die Teilnehmer an der Berliner Demonstration gegen TTIP pauschal in die "braune Ecke" stellt (Zitat): ".. Und es wird geradezu abartig und unerträglich, wenn wir heute auf  'Spiegel online' lesen müssen, wir, Gewerkschaften, Umweltverbände, Sozialverbände, würden Hand in Hand laufen mit Rechtsnationalisten. Das ist eine Schweinerei! .. Wenn hier tatsächlich braune und Rassisten unter uns sein sollten, dann sag' ich: 'Haut ab! Mit Braunen, mit Rechten und Rassisten haben wir, die Zivilgesellschaft, nichts zu tun!' .."

Ebenso deutlich ging er gegen Verunglimpfungsversuche aus den Reihen der Bundesregierung vor, die uns, die wir für unsere Demokratie kämpfen, unterstellten, wir seien "einfach strukturiert" und ließen uns vor den Karren einer "Empörungsindustrie" spannen, die letztlich doch nur auf Geld aus sei.


Im Gegensatz zu ihren Vorredern erntete Frau Schwan während ihrer Rede nicht nur Applaus. Nachdem im weiteren Verlauf ihrer Rede klar wurde, dass sie eine Paralleljustiz für Konzerne nicht grundsätzlich in Frage stellt, reagierten die Demonstranten mehr und mehr mit Unverständnis und Buh-Rufen.


... das erledigen stattdessen seine gewählten Volksverräter
Es macht Hoffnung, zu hören, dass die Menschen in den USA ebenso gegen TTIP und für ihre demokratischen Rechte kämpfen, wie wir in Europa. Diese Hoffnung ist wichtig, denn sie wird uns die notwendige Kraft und Ausdauer verleihen, die wir für den langen Weg benötigen, der noch vor uns liegt. Der Kampf ist noch längst nicht gewonnen. Aber seit dem letzten Wochenende sollte auch den letzten der Politkern "da oben" klar geworden sein, dass sie uns nicht mehr einfach ignorieren können.


Zitate
  • "I come here on behalf of the millions of people in the United States, who are not allowed to see, what our own Government is proposing for this deal, that will affect everything - from the food, we eat, to the air, we breathe."

    Ich bin hier, für die Millionen Menschen in den Vereinigten Staaten, denen nicht erlaubt ist, zu sehen, welche Vorschläge unsere eigene Regierung in diesen Deal einbringt, der alles beeinflussen wird - von der Nahrung, die wir essen, bis hin zu der Luft, die wir atmen.

    Ben Beachy (Sierra Club, USA)

  • Wo, in welchem Lande leben wir, dass letztendlich Vorschriften zum Schutze der Umwelt nur noch für die Bürger gelten und nicht für das Kapital.

    Hubert Weiger (BUND)

  • Zieht diese Abkommen zurück, damit die Welt eine friedliche Zukunft hat. Und hört auf mit einem Export, der letztendlich Lebensgrundlagen vernichtet und damit die Ursache auch für Krieg, Not und Elend und am Ende für Flüchtlinge ist.

    Hubert Weiger (BUND)

  • Mit TTIP hätten Chevron und Exxon Mobile die Macht, Gesetze gegen den Klimawandel auf eurer Seite des Atlantiks anzugreifen, es würde Shell und BP ermächtigen, sie auf meiner Seite anzugreifen.

    Ben Beachy (Sierra Club, USA)

  • Wir knüpfen unsere eigenen transatlantischen Bündnisse. Euer Kampf ist mein Kampf. Euer Sieg ist mein Sieg. Wir gewinnen gemeinsam.

    Ben Beachy (Sierra Club, USA)

  • 250000 hier an der Siegessäule und Millionen Menschen in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union machen eines ganz deutlich:
    Unser Bürgerprotest ist nicht das Ergebnis einer Betroffenheitsindustrie, wie so manche TTIP-Demagogen weismachen wollen, sondern das Resultat von Geheimverhandlungen und der Aushebelung demokratischer Mitwirkungsrechte.

    Christian Höppner (Deutscher Kulturrat)

  • Es ist doch grotesk, dass die Urheber mit TTIP weiter ins digitale Abseits geraten. Es ist doch grotesk, dass die öffentliche Förderung von Bildung, Kultur und Wissenschaft mit dem Argument der Marktverzerrung faktisch vielerorts nicht mehr möglich sein wird. Es ist doch grotesk, dass die völkerrechtlich verbindliche UNESCO-Konvention für kulturelle Vielfalt keine Rolle bei den TTIP-Verhandlungen spielt, weil die USA sie ablehnen. Und es ist doch grotesk, dass eine Sondergerichtsbarkeit das hohe Gut des Rechtsstaats in Frage stellt.

    Christian Höppner (Deutscher Kulturrat)

  • Bildung, Kultur und Wissenschaft stehen überwiegend in der Verantwortung der Bundesländer. Ich appelliere deshalb an die Ministerpräsidenten: Nehmen Sie Ihre Verantwortung für ein selbstbestimmtes Bildungs-, Wissenschafts- und Kulturleben wahr und stoppen Sie TTIP und CETA, sonst können Sie Ihre Kulturhoheit in der Pfeife rauchen.
    Christian Höppner (Deutscher Kulturrat)

  • Es geht ganz grundsetzlich - und deshalb sind wir hier - ganz grundsetzlich um die Frage wer eigentlich hier das Sagen haben soll. Wer soll künftig eigentlich bestimmen, wie wir landwirtschaft betreiben wollen, wie wir Umweltschutz machen wollen, welche Arbeitnehmerrechte wir durchsetzen wollen und welche sozialen Standards wir haben wollen. Sollen das noch die Menschen sein, oder sollen es nur noch Konzerne sein, mit ihren Profitinterressen.

    Ulrich Schneider (paritätischer Gesamtverband)

  • Diese Land, dieses Europa und diese Welt gehöhrt allen Menschen, allen Menschen, und nur multinationalen Konzernen. Wir haben deshalb keine Lust zuzusehen, wie unsere Errungenschaften in der Kultur, im Umweltschutz, in der Landwirtschaft, bei den Gewerkschaften aber auch gerade im Sozialen, geopfert werden sollen auf dem Altar der Profitinteressen von Großkonzernen.

    Ulrich Schneider (paritätischer Gesamtverband)

  • Es scheint mir, dass sich einige Dinge geändert haben seit den Rebellionen seit 1848, aber in Wahrheit gehen die Auseinandersetzungen und Kriege überall auf der Welt weiter. Und die Frage: "Wessen Welt ist das?", ist sehr relevant in Bezug auf TTIP.

    David Rovics


Am Ende meines Videos ist David Rovics aus den USA mit seinem Lied "Landlord" zu sehen und zu hören. Der Text des Liedes ist auf seiner Internetseite zu finden.



(Quellen: Spiegel vom 10.10.2015, Spiegel vom 10.10.2015, Die Zeit vom 10.10.2015, Handelsblatt vom 10.10.2015, nrc.nl vom 10.10.2015 [niederländisch], ORF vom 10.10.2015, rbb vom 10.10.2015, Reuters vom 10.10.2015, Spiegel vom 10.10.2015, Stern vom 10.10.2015, Tagesschau vom 10.10.2015, Tagesspiegel vom 10.10.2015, taz vom 10.10.2015, ZDF-Heute vom 10.10.2015, Campact Blog vom 11.10.2015, Deutsche Wirtschafts Nachrichten vom 11.10.2015, MDR vom 11.10.2015 )

Mittwoch, 7. Oktober 2015

3,26 Mio. Unterschriften und 23 erfüllte Länderquoren

Stop TTIP: Mehr als 3,26 Mio. Bürger gegen TTIP und CETA -
genug, um eine Menschnkette von Gibraltar bis Riga zu bilden.
Am Ende der einjährigen Sammelphase für die selbstorganisierte Europäische Bürgerinitiative "Stop TTIP!" (sEBI), die entsprechend der Regeln für eine Europäische Bürgerinitiative (EBI) in der Nacht vom 06. auf den 07.10.2015 um Mitternacht endete, wird das Länderquorum in 23 der 28 EU-Mitgliedsländer überschritten - teilweise um ein Vielfaches der jeweils benötigten Stimmen! Zum Abschluss der Unterschriftensammlung zeigte der Zähler auf der Internetseite von "Stop TTIP!" mehr als 3,26 Millionen Unterschriften - notwendig gewesen wäre "nur" eine Million.

Nicht erreicht wurde das Länderquorum in den drei baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland, sowie in Malta und Zypern. Für eine Überraschung sorgte Estland, das mit einem Endspurt innerhalb der letzten Stunden immerhin noch 64 Prozent der benötigten Unterschriften für sein Länderquorum erreichte. Bis zum August dümpelte der Zähler dort gerade einmal bei 25 Prozent.


Unterschriften und Quoren in 24 EU-Staaten

Dargestellt sind EU-Staaten, deren Länderquorum zu mindestens 50 Prozent erfüllt ist
Stand: Ende der Unterschriftensammlung (06.10.2015, 24:00 Uhr)

Mit dem Mauszeiger über den Balken werden die absoluten Zahlen angezeigt
Alternative Darstellung: Auswahl der Option "Anzahl der Unterschriften" (oben)



Wenn die EU-Kommission das demokratische Mitbestimmungsinstrument "Europäische Bürgerinitiative" ernst nehmen würde, dann täte sie gut daran, ein solches Ergebnis einer Europäischen Bürgerinitiative zu respektieren und das beanstandete Gesetzesvorhaben - wie schon im Falle der ersten erfolgreichen EBI "Right2Water" (1,7 Millionen Unterschriften) - zu stoppen bzw. entsprechend der Forderungen der EBI nachzubessern. Im Falle der selbstorganisierten Bürgerinitiative "Stop TTIP" handelt es sich nach dem Verständnis der EU-Kommission und der TTIP-Verfechter unter den Politikern der EU-Mitgliedsstaaten allerdings nicht um eine "offizielle" Europäische Bürgerinitiative.

Da aber neben dem mehrfachen Erfolg der sEBI außerdem auch noch eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen die Weigerung der EU-Kommission, "Stop TTIP!" nicht als Europäische Bürgerinitiative zu registrien, anhängig ist, täte die Kommission gut daran, die Verhandlungen mit den USA bis zu einem Urteil des EuGH zumindest zu unterbrechen und das bereits fertig ausgehandelte CETA-Vertragswerk bis dahin nicht zu unterzeichen. Ansonsten könnte sie riskieren, den sozialen Frieden in der Europäischen Union zu gefährden.

Am kommenden Wochenende werden bei Demonstrationen in mehreren großen Städten europaweit mehrere tausend Menschen noch einmal mit Nachdruck klarstellen, dass sie es Ernst mit den von "Stop TTIP!" formulierten Forderungen meinen. Ich werde deswegen am Samstag, 10.Oktober, zur Demonstration nach Berlin fahren.

Für diejenigen, die sich der Demonstration noch kurzentschlossen anschließen möchten, gibt es auf der Internetseite "TTIP-Demo" eine Mitfahrbörse. Dort sind inzwischen unter anderem mehr als zweihundert Einträge für Mitfahrgelegenheiten Bussen aus nahezu dem gesamten Bundesgebiet zu finden. Außerdem stellen die Organisatoren der Demonstration mehrere Sonderzüge für die Fahrt zur Demonstration in Berlin zur Verfügung.








(Quellen: Stop TTIP!, Süddeutsche Zeitung vom 17.02.2014, TTIP-Demo)

Samstag, 3. Oktober 2015

CETA: EU-Verhandlungsmandat geleakt



Nachdem eine Veröffentlichung von offizieller Seite abgelehnt wurde, wurden der Verbraucherorganisation "Foodwatch" insgesamt drei CETA-Dokumente zugespielt, die Aufschluss über das Kapitel ISDS in der Chronologie des Verhandlungsmandats geben.

"Foodwatch" wertet das CETA-Leak als Erfolg einer E-Mail-Aktion, mit der die Veröffentlichung des CETA-Verhandlungsmandats gefordert wurde und die von 24.000 Bürgern unterzeichnet wurde. Zwar sei eine "offizielle" Publikation des Mandats nicht erreicht worden, aber der Aktion und der Berichterstattung darüber sei der Kontakt mit der Quelle der geleakten, seit vielen Jahren unter Verschluss gehaltenen Dokumente zu verdanken.

Im ersten der drei Dokumente, dem Verhandlungsmandat mit Datum vom 24.04.2009, sind die Ausgangs-Positionen, Ziele und Wünsche der EU festgehalten, die bei den Verhandlungen mit Kanada durchgesetzt werden sollten. Interessant ist hier insbesondere, dass zu Beginn von den demokratiefeindlichen Sonderrechten für multinationale Konzerne in Form von internationalen Schiedsgerichten ("Investor-State Dispute Settlement", ISDS) überhaupt noch keine Rede war. Europäische und deutsche Politiker haben diesen Punkt in der öffentlichen Auseinandersetzung bisher jedoch immer als grundlegende und unabdingbare Forderung Kanadas dargestellt, ohne die CETA nicht verhandelbar sei.

Wäre das der Fall, dann hätte ISDS auch von Beginn an Bestandteil des Verhandlungsmandats sein müssen - war es aber nicht.


Dem zweiten geleakten Dokument - einem Entwurf zur Änderung des CETA-Verhandlungsmandat - ist zu entnehmen, dass erst im Dezember 2010 eine allgemein gehaltene "Empfehlung der Kommission an den Rat zur Änderung der Verhandlungsrichtlinien für ein Abkommen mit Kanada über die wirtschaftliche Integration" formuliert wurde, mit dem die EU-Kommission ermächtigt werden sollte, im Namen der EU über Investitionen zu verhandeln. Zur Begründung heißt es einleitend (Zitat):
.. Unter Titel 3 "Dienstleistungsverkehr und Niederlassungsrecht" der vorgenannten Verhandlungsrichtlinien ist vorgesehen, dass "(die Vertragsparteien) unter Beachtung der Zuständigkeiten der Europäischen Gemeinschaft bzw. ihrer Mitgliedstaaten (übereinkommen), einen Rahmen für die Niederlassung (festzulegen), der sich auf die Grundsätze Transparenz, Diskriminierungsverbot, Marktzugang und Stabilität sowie auf die allgeıneinen Schutzprinzipien und auf die Mindestvorschriften für Investitionen bei EU-Freihandelsabkommen stützt, wie sie im Rahmen des Ausschusses "Artikel 133" vereinbart wurden (Dok. St 7242/09)". ..
In der Formulierung der Empfehlung ist im weiteren von unter Ausschluss der Öffentlichkeit tagenden, privaten Schiedsgerichten à la ISDS aber immer noch keine Rede. Im Gegenteil: Unter Punkt 8 der Empfehlung heißt es (Zitat):
.. Durchsetzung: Das Abkommen soll darauf abzielen, dass neben der Streitbeilegung zwischen Staaten auch eine Streitbeilegung zwischen Investor und Staat festgelegt wird. Für das Schiedsverfahren sollen Transparenzanforderungen gelten, und zwar gleich zu Beginn für die Einleitung der Verfahren, für das Verfahren an sich, bis hin zur Veröffentlichung des endgültigen Schiedsspruchs. Ziel der Verhandlungen soll es sein, dass die Schiedsrichter aus einer im Vorfeld erstellten Liste benannt werden, oder dass andere Verfahren festgelegt werden, die so gestaltet sind, dass für die Entscheidungsfindung Kontinuität gewährleistet ist. ..


Erst im dritten Dokument vom Juli 2011 empfiehlt die EU-Kommissionm das Thema "Investor-State Dispute Settlement" in die Verhandlungsleitlinien aufzunehmmen (Zitat).
.. 26d. Durchsetzung: Das Abkommen muss einen wirksamen und dem aktuellen Stand entsprechenden Mechanismus für die Streitbeilegung zwischen Investor und Staat vorsehen. Die Streitbeilegung zwischen Staaten wird auch aufgenommen, wird aber nicht das Recht der Investoren beeinträchtigen, den Mechanismus für die Streitbeilegung zwischen Investor und Staat in Anspruch zu nehmen. Es sollte eine breite Palette von Schiedsforen für die Investoren vorsehen, wie sie derzeit gemäß den bilateralen Investitionsabkommen der Mitgliedstaaten bestehen. ..
Und Bestandteil eben dieser "breiten Palette" ist auch ISDS. Darüber dürfen wir uns spätestens seit der Klagen des schwedischen Atom- und Kohlekonzerns "Vattenfall" gegen Hamburg (Umweltschutzauflagen für ein neues Kohlekraftwerk) und die Bundesrepublik ("Atomausstieg") keinen Illusionen mehr hingeben. Darüberhinaus soll das Kapitel des Abkommens über Investitionsschutz auch noch rückwirkend gelten (Seite 3 des dritten Dokuments, 26b. Geltungsbereich, Zitat): ".. unabhängig davon, ob die Investitionen vor oder nach dem Inkrafttreten des Abkommens getätigt wurden. .."!

Das öffnet weiteren Konzernklagen gegen Umweltauflagen, Gesetze zum Klimaschutz etc., für die es in der Vergangenheit keine Handhabe gab, Tür und Tor.

Nach einer Forderung für eine transparente Gerichtsbarkeit sucht man in diesem Dokument hingegen vergeblich. Ganz im Gegenteil wird hier eine Paralleljustiz formuliert: Nicht die Streitbeilegung zwischen den Verhandlungsparteien, den beteiligten Staaten, ist mehr vorragngig, sondern das Sonderrecht der Investoren, "den Mechanismus für die Streitbeilegung zwischen Investor und Staat in Anspruch zu nehmen" wird davon in keiner Weise beeinträchtigt!
  • Will heißen: Wenn Kanada und ein Mitgliedsland der EU in einem Streitfall zu einer Einigung kommen sollten, könnte sich ein interinationaler operierender Konzern via ISDS-Entscheidung einfach darüber hinwegsetzen.


Fazit

Eine Paralleljustiz für Konzerne war keinesfalls "schon immer" ein unverzichtbarer Bestandteil von CETA. Erst zwei Jahre nach Beginn der Verhandlungen mit Kanada wurde das Verhandlungsmandat entsprechend ergänzt - und zwar auf den ausdrücklichen Wunsch der EU-Kommission! Die EU-Kommission, ebenso wie auch Politiker der Bundesregierung, haben uns diesbezüglich seit langer Zeit immer wieder belogen. Mit der versprochenen "Transparenz" hat das alles absolut nichts zu tun. Was mich betrifft, hat die Politik in Sachen CETA, TTIP, TISA etc. jedenfalls ihre letztes bischen Glaubwürdigkeit verspielt.


Stop TTIP!

Ich bin wieder einmal empört über dieses Maß an Verlogenheit. Wenn ich nicht schon längst die Forderungen der selbstorganisierten Bürgerinitiative (sEBI) "Stop TTIP!" unterzeichnet hätte, dann wäre spätestens jetzt, nach der Veröffentlichung der geleakten Dokumente, der Zeitpunkt gewesen, mich deren Forderungen anzuschließen. Bis Dienstag kommender Woche ist noch Zeit, die sEBI auf der Internetseite von "Stop TTIP!" online zu unterzeichnen. Danach endet die Unterschriftensammung entsprechend der Regeln für eine Europäische Bürgerinitiative.


Demonstration

Am kommenden Samstag, 10. Oktober, geht es nach Berlin. Im Zentrum der deutschen Politik werden dort tausende Menschen gegen CETA und TTIP, sowie für einem fairen Welthandel demonstrieren!

Für alle. die sich der Demonstration noch kurzentschlossen anschließen möchten, gibt es auf der Internetseite "TTIP-Demo" eine Mitfahrbörse. Dort sind inzwischen unter anderem mehr als zweihundert Einträge für Mitfahrgelegenheiten Bussen aus nahezu dem gesamten Bundesgebiet zu finden. Außerdem stellen die Organisatoren der Demonstration mehrere Sonderzüge für die Fahrt zur Demonstration in Berlin zur Verfügung.






(Quellen: Foodwatch - Mitteilung vom 01.10.2015, Stop TTIP!, TTIP Demo )