Freitag, 6. Oktober 2017

fiktive "Partei der Nichtwähler" ist drittstärkste Kraft

Mit der Bundestagswahl am 24.09.2017 wird die Bundesregierung erstmals seit 1961 wieder aus drei Parteien bestehen. Nach den erheblichen Verlusten der bisherigen schwarz-roten Regierungskoalition verliert die Union (CDU/CSU) ihr Machtmonopol innerhalb der nächsten Bundesregierung. Die SPD geht in die Opposition. Mit der national-konservativen AfD zieht als drittstärkster Fraktion eine Partei in den Bundestag ein, unter deren Politiker einige offen rechtsnationale Standpunkte vertreten.

In der Legislaturperiode 2017-2021 sitzen 6 Parteien im Bundestag (Union [32,9], SPD [20,5 Prozent], AfD [12,6 Prozent], FDP [10,7 Prozent], Linke [9,2 Prozent] und Grüne [8,9 Prozent]). Das sind zwei Parteien mehr als in der vorangegangenen Legislaturperiode (Union [41,5 Prozent], SPD [25,7 Prozent], Linke [8,6 Prozent] und Grüne [8,4 Prozent]). Bei der Bundestagswahl im September 2013 waren die AfD [4,7 Prozent] und die FDP [4,8 Prozent] an der "5-Prozent-Hürde" gescheitert. 6,3 Prozent der abgegebenen Stimmen entfielen damals auf die "Sonstigen Parteien". Bei der Bundstagswahl 2017 kamen diese Parteien auf 5 Prozent der abgegebenen Stimmen.

Die FDP gewann gegenüber der Bundestagswahl 2013 5,9 Prozent der abgegebenen Stimmen hinzu und zieht damit wieder in den Bundestag ein. Die stärkste Zunahme verzeichnet die AfD [+7,9 Prozent] und ist mit 12,6 Prozent der abgegebenen Stimmen erstmals im Bundestag vertreten. Als drittstärkste Fraktion liegt sie damit noch vor der FDP. Die Linke und die Grünen blieben gegenüber der Bundestagswahl 2013 bei leichten Hinzugewinnen stabil [Linke +0,6 Prozent /Grüne +0,5 Prozent].


Kurs auf Jamaika

Die beiden größten Fraktionen (Union und SPD), die Deutschland in der vorangegangenen Legislaurperiode als Große Koalition regierten, sind trotz starker Verluste [Union -8,6 Prozent /SPD -5,2 Prozent] weiterhin als stärkste Fraktionen im Bundestag vertreten. Angesichts der herben Verluste verkündete die SPD jedoch bereits am Wahlabend, dass sie in die Opposition gehen wird. Die Große Kolalition aus Union und SPD ist damit Vergangenheit. Die AfD hatte bereits vor der Bundestagswahl 2017 erklärt, sie stünde für eine Beteiligung an der Bundesregierung nicht zur Verfügung und geht somit ebenfalls in die Opposition. Da die Union eine Zusammenarbeit mit der Linken weiterhin ablehnt, wird die Linke wohl die dritte Partei in der Opposition sein.

Am wahrscheinlichsten wird die neue Bundesregierung also wohl aus einer Koalition zwischen der Union, der FDP und den Grünen bestehen. Das wäre dann eine nach den Farben der Nationalflagge von Jamaika benannte "Jamaika-Koalition".

Aufgrund der hohen Anzahl von Überhangmandaten wird der neue Bundestag aus 709 Sitzen bestehen. Eine stabile Regierungskoalition müsste demzufolge auf mehr als 355 Sitze kommen. Eine "Jamaika-Koalition" hätte 393 Sitze.

Ich denke, "Jamaika" wäre nicht das schlechteste Ergebnis der Bundestagswahl. Im Gegensatz zu den vorangegangenen zwölf Jahren mit zwei-Parteien-Koalitionen unter Führung der dominanten CDU/CSU wird es in einer drei-Parteien-Koalition, in der die CDU/CSU nicht mehr die absolute Mehrheit hat, wieder echte politische Auseinandersetzungen geben müssen. Für die Demokratie in unserem Land kann das nur gut sein.

Die Entscheidung der SPD, in die Opposition zu gehen, war konsequent und richtig. Der Partei bleiben vier Jahre Zeit, in der sie sich auf ihre Werte zurückbesinnen und ihr sozialdemokratisches Profil schärfen kann. Vielleicht gelingt es ihr dann im Wahlkampf zur Bundestagswahl 2021 deutlich zu machen, was sie von der Union unterscheidet.

Von einer Bundesregierung unter Beteiligung der Grünen erhoffe ich mir eine grundlegende Korrektur der verfehlten Energie- und Klimapolitik der bisherigen Großen Koalition. Die offene Unterstützung der Braunkohleförderung und Verbrennung bei gleichzeitiger Drosselung des Ausbaus der regenerativen Energiequellen ist nicht zuletzt auf dem Mist von Herrn Gabriel (SPD, bisher Wirtschaftsminister und Vizekanzler) gewachsen. Wenn Deutschland die in Paris zugesagten Ziele für unseren Beitrag im Kampf gegen die drohende Klimakatastrophe noch erreichen will, ist eine schnelle und konsequente Kurskorrektur - weg von der Atomkraft und der Verbrennung fossiler Energieträger, hin zu einem vielseitigen, nachhaltigen Mix aus regenerativen Energiequellen - dringend notwendig.


Die Union

Die größten Verluste hat die Union zu verzeichnen [-8,6 Prozent]. Für den größeren Anteil an den gemeinsamen Verlusten der CDU/CSU ist die CDU verantwortlich:

Tabelle:
Verluste der Union bezogen auf das Wahlergebnis
der Bundestagswahl 2013 (Anteile der CDU und der CSU)


2013 2017 Verlustanteil
CDU 34,1 Prozent 26,8 Prozent 21,4 Prozent
CSU 7,4 Prozent 6,2 Prozent 16,2 Prozent

Quellen:
2013: Wikipedia
2017: Bundestagswahl 2017.com  (Stand: 03.10.2017)

Bezogen auf das Ergebnis der Bundestagswahl 2017 in Bayern lassen sich die Verluste der CSU (38,8 Prozent /-10,5) jedoch ebenfalls als dramatisch bezeichnen. Das gilt insbesondere angesichts der Gewinne der AfD in Bayern (12,4 Prozent /+8,1). Dass die CSU mit ihrer Flüchtlingspolitik Positionen vertreten hat, die denen der AfD bedenklich nahe kommen, mag manche ihrer Wähler abgeschreckt haben, während andere möglicherweise gleich das Original gewählt haben werden. Genützt hat der CSU ihre Forderung nach einer Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen jedenfalls offenbar nichts. Trotzdem beharrt sie auch nach der Wahl weiterhin auf einer Obergrenze. Wenn die CSU die AfD in Bayern wieder loswerden will, wird sie sich allerdings etwas anderes einfallen lassen müssen. Und wäre das Ergebnis der Bundestagswahl 2017 in Bayern das Ergebnis der im kommenden Jahr anstehenden Landttagswahl gewesen, dann wäre es mit der Alleinherrlichkeit der CSU im Freistaat Bayern vorbei gewesen.


Keine Alternative für Deutschland, ...

... für Europa und für den Rest der Welt, ist die AfD. Abgesehen von den rechtsextremen Exzessen (→ Zitate am Ende dieses Beitrags) führender AfD Politiker, verharmlost die Partei in ihrem Wahlprogramm die Folgen der Atomkraft und will die Atomkraftwerke in Deutschland bis "zum Ende ihrer Nutzungsdauer" - will heißen "bis zum St. Nimmerleinstag" - weiterbetreiben (sofern nicht vorher der eine oder andere Super-GAU dazwischen kommen sollte!). Auch dass der Weg vom Uranabbau bis hin zur unlösbaren sicheren(!) Lagerung des Atommülls über Zeiträume von mehreren hunderttausend und Millionen von Jahren eine Einbahnstraße ist, hat sich bei der AfD noch nicht herumgesprochen. Im ihrem Wahlprogramm heißt es (Zitat): "Die verwertbaren Kernkraftwerk-Reststoffe müssen für das Recycling rückholbar gelagert werden."

Zum Verständnis: Beim radioaktiven Zerfall entstehen aus vorhandenen Radionukliden neue Radionuklide mit anderen radioaktiven Eigenschaften, die wieder in neue Radionuklide zerfallen, ... Erst am Ende einer solchen Zerfallsreihe[https://de.wikipedia.org/wiki/Zerfallsreihe] entsteht ein "Endnuklid", das nicht mehr weiter zerfällt. Von einem Kreislauf kann also keine Rede sein. Ein wirkliches "Recycling" wäre in diesem Zusammenhang bestenfalls denkbar, wenn es gelänge jedes einzelne Radionuklid aus der vorangegangenen Zerfallsreihe mittels Kernfusion in sein jeweiliges Vorgängernuklid zurückzuführen - bis hin zum Ausgangnuklid Uran. Abgesehen vom damit verbundenen technischen Aufwand wäre das nur mit einem enormen Energieaufwand möglich, der auch wirtschaftlich absolut untragbar wäre. Schließlich bekäme man bei einer anschließenden Kernspaltung nicht mehr Energie heraus, als man vorher für die Kernfusion aufgewendet hätte.

Außerdem leugnet die AfD den menschlichen Beitrag zum Klimawandel, will den Klimaschutzplan 2050 der Bundesregierung aufheben und das Pariser Klimaabkommen vom 12.12.2015 kündigen. Stattdessen will sie - neben der Nuztzung der Atomkraft - zurück zur uneingeschränkten Nutzung fossiler Energieträger.

Die ernergie- und klimapolitischen Absichten der AfD sind nicht nur für die Zukunft der infolge eines beschleunigten Klimawandels veränderten Lebensbedingungen der Menschheit auf der Erde eine Katastrophe. Sie würden außerdem den technischen Fortschritt in Richtung hin zu einer nachhaltigen, von der weiteren Ausbeutung der begrenzten Rohstoffe unseres Planeten unabhängigen Wirtschaft zunichte machen. Deutschland würde damit den Anschluss an den technologischen Fortschritt in der Welt verlieren.

Wichtig ist jetzt, dass die anderen Fraktionen im Bundestag nicht dem Irrglauben zu verfallen, sie könnten das Problem durch Ingnoranz lösen. Wenn sie sich nicht - wie von Herrn Gauland (AfD) am Wahlabend angekündigt - von der AfD jagen lassen wollen, werden sie sich schon aktiv und offensiv mit ihm und der AfD auseinandersetzen müssen.

Direkt nach der Wahl zogen führende Mitglieder der AfD die Konsequenzen aus dem Machtkampf mit dem rechten Flügel innerhalb der ohnehin schon im Bereich des äußersten Randes des Parteienspeltrums angesiedelten Partei.

Marcus Pretzell (AfD, Nordrhein-Westfalen, ehemaliger Partei- und Fraktionsvorsitzender) und seine Ehefrau Frauke Petry (AfD, ehemalige Sprecherin des Bundesvorstandes und ehemalige Fraktionsvorsitzende der AfD im Landtag von Sachsen), hatten nach der Bundestagswahl angekündigt, ihre Ämter niederzulegen und aus der AfD auszutreten. Das Handelsblatt schreibt in einem Bericht vom 27.09.2017, Frau Petry habe das mit der "Radikalisierung" der Partei begründet. Zusammen mit Frau Petry traten Ende September auch die ebenfalls in den Bundestag gewählten AfD Miglieder Kirsten Muster (AfD, ehemalige stellvertretende Fraktionsvorsitzende) und Uwe Wurlitzer (AfD, parlamentarischen Geschäftsführer) aus der Partei aus. Damit gewinnt der rechte Flügel der AfD um Alexander Gauland und Alice Weidel weiter an Bedeutung sodass die AfD noch weiter nach rechts außen rückt.

Ich glaube, wenn ich die AfD gewählt hätte, insbesondere dann, wenn ich in Sachsen wohnen würde und Frau Petry auch noch mit meiner Erststimme zum Einzug in den Bundestag verholfen hätte, dann würde ich mich jetzt ganz schön verschaukelt fühlen.


Was wäre wenn ...

... alle Wahlberechtigten ihre Stimme zur Bundestagswahl 2017 abgegeben hätten? Die Wahlbeteiligung lag mit 76,2 Prozent etwas höher als diejenige zur vorangegangenen Bundestagswahl im Jahre 2013 [71,5 Prozent]. Ich hätte mir jedoch (wieder einmal) eine deutlich höhere Wahlbeteiligung gewünscht.

Die übliche Darstellung der Wahlergebnisse bezieht sich immer auf die Zahl der abgegebenen Stimmen. Die Nichtwähler bleiben dabei unberücksichtigt. Wenn man die für eine Partei abgegebenen Stimmen in Relation zur Zahl der Wahlberechtigten setzt ergibt sich ein realistischeres Bild für den tatsächlichen Rückhalt der Parteien in der Bevölkerung. Die "fiktive Partei der Nichtwähler" läge dann nahezu gleichauf mit der Union, deren Stimmanteil mit 25,1 Prozent geringer ausfiele, als derjenige der CDU bezogen auf die Anzahl der abgegebenen Stimmen [26,8 Prozent]:

Tabelle:
Vergleich des Ergebnisses der Bundestagswahl

Partei Wahlergebnis
Union 32,9 Prozent*) 25,1 Prozent**)
Nichtwähler --/-- 23,8 Prozent**)
SPD 20,5 Prozent*) 15,6 Prozent**)
AfD 12,6 Prozent*) 9,6 Prozent**)
FDP 10,7 Prozent*) 8,2 Prozent**)
Linke 9,2 Prozent*) 7 Prozent**)
Grüne 8,9 Prozent*) 6,8 Prozent**)
Sonstige 5,0 Prozent*) 3,8 Prozent**)

*) bezogen auf Anzahl der abgegebenen Stimmen
**) bezogen auf Anzahl der Wahlberechtigten


(Quelle: Bundestagswahl 2017.com)



Die SPD läge deutlich unter 20 Prozent und die AfD wäre bei einem gerade noch im einstelligen Bereich liegenden Stimmenanteil nur noch die vierstärkste Fraktion. Die Stimmanteile der anderen drei Parteien - auch derjenige der FDP - lägen bereits deutlich im einstelligen Bereich.

Aber leider haben die auffallend häufigen Aufrufe der Fernsehprominenz, die Aufrufe in den sozialen Medien im Internet und die "überparteilichen" Aufrufe der Politprominenz nicht mehr erreichen können, als einen - immerhin - leichten Anstieg der Wahlbeteiligung.


"Wenn die Franzosen zurecht stolz auf ihren Kaiser sind, und die Briten auf Nelson und Churchill, haben wir das Recht, stolz zu sein auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen."

( Alexander Gauland am 2. September in einer Rede vor AfD-Anhängern bei einem "Kyffhäuser-Treffen" der AfD in Thüringen )

"Wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat."

( Björn Höcke über das Holocaust-Denkmal in Berlin, Jan. 2017, Dresden )

"Sigmar Gabriel, dieser Volksverderber, anders kann ich ihn nicht nennen."

( Björn Höcke auf einer Demo, März 2016, Erfurt - Den Begriff 'Volksverderber' verwendete Adolf Hitler in "Mein Kampf" )

"Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben."

( Alexander Gauland über Herrn Boateng in einem Gespräch mit Journalisten der FAZ kurz vor der EM, Mai 2016 )

"Wir werden Frau Merkel oder wen auch immer jagen. Und wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen."

( Alexander Gauland in der Sendung zur Bundestagswahl der ARD am 24.09.2017 )

  • Ich lege Wert auf die Feststellung, dass ich nicht zu 'dem Volk' der AfD gehöre, von dem sie meint, dass sie es sich zurückholen muss. Mich muss niemand zurückholen. Ich bin nämlich schon vor langer Zeit in Deutschland in Europa und in der Welt angekommen. Zum Kreis meiner Freunde und Bekannten und zum Kreis meiner Kollegen gehören Menschen aus Deutschland, aus Europa und dem Rest der Welt, die ich sehr schätze. Das rechtsnationale Gedankengut der AfD schätze ich hingegen überhaupt nicht. Und ich bin auch nicht stolz auf die " 'Leistungen' deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen", die Millionen von Menschen das Leben gekostet und große Teile Europas in Schutt und Asche gelegt haben.



(Quellen: Stern vom 15.09.2017, BuzzFeedNews vom 14.09.2017, Zeitgeschichte online vom 01.04.2017 [Fußnote 50], Spiegel vom 18.01.2017, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 29.05.2016, Bundestagswahl 2017 com, Deutscher Bundestag, Wahlprogramm der AfD, Wikipedia)

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