Dafür sind Subventionen in dreistelliger Milliardenhöhe notwendig. Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ist der Neubau und spätere Betrieb von "Hinkley Point C" - wie man in England sagen würde - "absolute nonsense" (absoluter Unsinn!). Mit Blick auf das bei der Kernspaltung im Atomreaktor entstehende Plutonium, das für den Bau von Atomwaffen verwendet werden kann, wären derart hohe staatliche Subventionen allenfalls unter militärischen Gesichtspunkten nachvollziehbar. Für die Deckung von sieben Prozent des britischen Strombedarfs wären Investitionen in Windkraft- oder Fotovoltaik-Anlagen jedenfalls die mit Abstand günstigere - und (ebenfalls mit Abstand!) umweltverträglichere - Alternative.
Im Falle eines Super-GAUs wäre potentiell auch Deutschland durch radioaktiven Fallout gefährdet. Im Rahmen des Beteiligungsverfahrens an der grenzüberschreitenden Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) haben deshalb auch alle Bürger in Deutschland die Möglichkeit, Stellungnahmen, Einwände oder Forderungen zum AKW-Neubau-Projekt an das zuständige britische Ministerium zu senden. Das Umweltinstitut München hat dafür einen Text für eine Stellungnahme vorbereitet, der online unterzeichnet und an das zuständige britische Ministerium gesendet werden kann.
Die britische Regierung hatte den Neubau des Atomkraftwerks - ohne die Nachbarstaaten beteiligt zu haben(!) - bereits genehmigt. Sie hatte "einfach mal eben so" für sich entschieden, dass grenzüberschreitende negative Auswirkungen bei diesem Projekt nicht zu erwarten sind. Vom Standort der Atomkraftanlage "Tschernobyl" in der Ukraine bis zur deutschen Grenze bei Bayern sind es etwa 1200 Kilometer Luftlinie. Nachdem dort im April 1986 der Aromreaktor des Blocks 4 explodiert war, waren die Folgen überall in Europa schnell messbar. Seitdem sind mehr als 30 Jahre vergangen. Wildschweine und Pilze sind in Bayern auch heute noch radioaktiv kontaminiert. Von der deutschen Grenze bis zur Atomkraftanlage "Hinkley Point" ist es nur halb so weit wie bis nach "Tschernobyl".
Grenzüberschreitende UVP
Dass eine grenzüberschreitende UVP und die Beteiligung der Bürger aber in jedem Fall notwendig sind, ist sowohl im "UNECE Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (Aarhus Convention)" wie auch im "UNECE Übereinkömmen über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) im grenzüberschreitenden Rahmen (Espoo-Konvention)" festgeschrieben. Die Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa hatte deshalb im März 2017 darauf bestanden, dass die Arbeiten an der Baustelle unverzüglich einzustellen sind, damit die Nachbarländer doch noch von ihrem Recht Gebrauch machen können, eine Stellungnahme zu potentiellen Auswirkungen auf ihr Territorium einzureichen. Die Frist dafür läuft allerdings bereits am 20.10.2017 aus. Die vorbereitete Stellungnahme auf der Internetseite des Umweltinstituts München lautet (Zitat):
Stellungnahme zum geplanten AKW Hinkley Point C, Großbritannien
Sehr geehrte Damen und Herren,
im Rahmen des grenzüberschreitenden UVP-Beteiligungsverfahrens „Neubau eines Kernkraftwerkes (Hinkley Point C) in Somerset, Großbritannien" nehme ich wie folgt Stellung:
Ich lehne das AKW-Bauvorhaben ab. Der geplante AKW-Neubau bedroht nicht nur die BewohnerInnen in Großbritannien, sondern auch in Nachbarländern, darunter auch Deutschland. Im Fall eines Unfalls mit radioaktiver Freisetzung ist eine hohe Verseuchung meiner Umgebung möglich und meine Gesundheit sowie die meiner Nachkommen in großer Gefahr.
+ Keine Betriebserfahrung mit dem geplanten Reaktortyp
Zwei Europäische Druckwasserreaktoren EPR der Generation III+ sind vorgesehen. Reaktoren dieses Typs sind noch nirgends auf der Welt in Betrieb. Bei den in Bau befindlichen EPR-Projekten in Finnland und Frankreich haben sich Bauzeit und Kosten aufgrund von Pfusch und Schlampereien und infolgedessen mehreren Sicherheitsnachforderungen bereits vervielfacht. Eine 100-prozentige Sicherheit ist auch bei Reaktoren der neuen Generation nicht gegeben.
+ Unfallszenarien nicht ausreichend
Es wird behauptet, dass es keine negativen grenzüberschreitenden Auswirkungen geben kann, infolgedessen wurden auch keine derartigen Szenarien betrachtet. Ein Nachweis dafür wird nicht erbracht, dieser muss aber zwingend geführt werden. Denn auch bei Reaktoren der neuen Generation können auslegungsüberschreitende Unfälle mit radioaktiven Freisetzungen nicht ausgeschlossen werden. Da Radioaktivität keine Grenzen kennt, kann auch ich massiv betroffen sein.
+ Entsorgung nicht gesichert
Weltweit gibt es kein betriebsbereites Endlager für hochradioaktive Abfälle. Auch Großbritannien hat gerade erst mit einem Standortsuchverfahren begonnen. Vor Ende des Jahrhunderts ist mit einer Fertigstellung nicht zu rechnen. Eine sichere und proliferationsresistente Zwischenlagerung ist über diesen langen Zeitraum nicht gewährleistet.
+ Unerlaubte Förderung
2014 hatte die EU-Kommission entgegen ihrer eigenen Richtlinien Subventionen für Hinkley Point C genehmigt. Damit wird den Investoren, dem französischen Staatskonzern EdF und dem chinesischen Partner China General Nuclear Corporation über 35 Jahre Einnahmensicherheit durch eine hohe Preisgarantie gewährt – eine gigantische Wettbewerbsverzerrung in Europa.
+ Betrachtung von Alternativen
Die Alternativen-Betrachtung bezieht sich lediglich auf Standort, Kühlung und die Lagerung der abgebrannten Brennelemente. Dies genügt den Anforderungen einer UVP nicht. Alternative Energiesysteme, insbesondere basierend auf erneuerbaren Energien, werden überhaupt nicht betrachtet. Dabei sind diese nicht nur erheblich günstiger als die Atomkraft, die noch immer subventioniert werden muss, sondern auch deutlich risikoärmer.
+ Keine Notwendigkeit
Eine energiepolitische Notwendigkeit für neue Atomkraftwerke ist nicht gegeben. Im Gegenteil: Dadurch würde der Ausbau der zukunftsweisenden erneuerbaren Energien nachhaltig behindert und enorme Finanzkraft auf Jahrzehnte gebunden. Atomkraft ist hoch riskant und kann keinen sinnvollen Beitrag zum Klimaschutz leisten.
Statt die riskante und teure Atomkraft auszubauen, sollte besser in Entwicklung und Ausbau der erneuerbaren Energien investiert werden. Ich fordere deshalb die britische Regierung auf, die Pläne für AKW-Neubauten aufzugeben und stattdessen ein umwelt- und menschenfreundliches Energiesystem auf Basis der Erneuerbaren aufzubauen. Nur damit kann eine länderübergreifende radioaktive Verseuchung sicher ausgeschlossen werden.
Ich bitte um Beachtung aller Punkte und behalte mir eine Ergänzung bei der Erörterung vor.
Mit freundlichen Grüßen
...
- Die Stellungnahme kann auf der Internetseite des Umweltinstituts München online mitgezeichnet werden.
Klagen vor dem EuGH
Parallel zur grenzüberscheitenden UVP hat gerade die Verhandlung vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) über die britischen Staatsbeihilfen für den AKW-Neubau Hinkley Point C begonnen. Geklagt hatten Österreich und Luxemburg, weil die EU-Kommission die Genehmigung für die Subventionen für den Bau und den Betrieb des geplanten Atomkraftwerks erteilt hatte.
Die britischen Regierung hatte dem Betreiber "Électricité de France SA" (EDF) zugesagt, dass er über einen Zeitraum von 35 Jahren umgerechnet rund 10,5 Cent/kWh - inklusive zusätzlicher Anpassungen an die Infaltionsrate(!) - erhalten würde. EDF ist ein staatlich kontrolliertes Unternehmen, an dem der französische Staat zu 84,8 Prozent beteiligt ist. In einer Studie, die "Energy Brainpool" im Juni 2015 im Auftrag von "Greenpeace Energy" erstellt hatte, wird die gesamte Subventionssumme für "Hinkley Point C" mit etwa 108 Milliarden Euro angegeben. Darüber hinaus war Ende Oktober 2016 bekannt geworden, dass die Regierung in London den Betreibern eine unbekannte Obergrenze für die Entsorgungskosten am Ende der Betriebszeit zugesichert hat. Eventuell höhere Kosten werde der Staat übernehmen. Diese Zusicherung war der Öffentlichkeit etwa ein Jahr lang vorenthalten worden.
Aufgrund der astronomischen Subvention für den Atomkraftwerksneubau weist "Greenpeace Energy" auf drohende Verzerrungen der europäischen Strommärkte hin und klagt deshalb ebenfalls vor dem EuGH. In seiner Klage stellt das Unternehmen ausdrücklich seine eigene Betroffenheit fest. Infolge des grenzüberschreitenden Einflusses von "Hinkley Point C" werde sich der wirtschaftliche Nachteil für "Greenpeace Energy" jährlich auf bis zu sechstellige Eurobeträge summieren. Diese Belastung werde sich darüberhinaus noch vervielfachen, wenn das Subventionsschema von "Hinkley Point C" zum Vorbild für andere Atomkraft-Projekte in Europa werden würde.
Ein Urteil des EuGH wird Mitte 2018 erwartet.
- Nebenbei bemerkt:
Wenn das Plutonium, das nach einer immer noch möglichen Fertigstellung des Atomreaktors "Hinkley Point C" im laufenden Betrieb anfallen würde, zu Atombomben verarbeitet werden würde, dann wären im Falle militärisch ausgetragener Konflikte direkte "grenzüberschreitende Auswirkungen" denkbar, die weit über die Grenzen Europas hinausgehen würden. Das weltweite Atomwaffenarsenal ist auch heute immer noch groß genug, um das Leben auf der Erde mehr als nur einmal zu vernichten. Allein aus diesem Grund muss der Neubau von "Hinkley Point C" verhindert werden.
(Quellen: Bayerischer Rundfunk vom 26.09.2017, WeltN24 vom 24.04.2016, Umweltbundesamt, Umweltinstitut München, Klimaretter.info, Aarhus Konvention - Vertragstext, Espoo-Konvention- Vertragstext, Greenpeace-Energy, Energy Brainpool - Studie, Wikipedia )
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