So weit, so gut. Das war es dann aber auch schon. In dem Artikel steht irgendwie nicht wirklich das drin, was man anhand der Schlagzeile hätte erwarten können.
Gut die Hälfte des Textes ist nämlich ausschließlich den Skeptikern gewidmet, die wahrscheinlich wieder einmal viel Geld für die Studie ausgegeben haben - man will ja schließlich zeigen, dass man etwas dafür tut, um dem angestrebten Titel "Klimastadt" gerecht zu werden - aber die Ergebnisse am liebsten gleich in irgendeiner Schublade verschwinden lassen würden. Die Probleme im Leher Gründerzeitquartier sind aus einer Vielzahl aufreißerischer Negativ-Schlagzeilen der Boulevardpresse hinreichend bekannt. Wenn man es allerdings dabei belässt, oder wie mit dem Artikel in der Nordsee-Zeitung noch einmal kräftig in der eigenen Wunde bohrt, dann hat das mit Stadtentwicklung nicht viel zu tun. Wer die Probleme nicht offensiv angeht, der nimmt billigend in Kauf, dass ein bisheriges Problemviertel endgültig zu einem zukünftigen Slum-Viertel verkommt. Mit dem den in der Titelzeile des Artikels der Nordsee-Zeitung vollmundig angekündigten "Vorzeige-Stadtteil Lehe" wird es so jedenfalls nie etwas werden. Unter diesem Titel hätte ich eigentlich jede Menge gute Ideen und Lösungsansätze erwartet, mit denen aus Lehe in vielleicht 10 Jahren tatsächlich ein Vorzeige-Stadtteil entstehen könnte.
Abgesehen von der technischen Umsetzung, für die es aber Lösungen gibt, sowie dem Mangel an finanziellen Mitteln, beziehen sich die Bedenken im Kern auf die hohe Anzahl einzelner Eigentümer. Es sei sei schwierig, so viele Beteiligte für eine Idee zu gewinnen. Mit einer großen Eigentümer- oder Wohnungsbaugesellschaft sei so etwas leichter umsetzbar.
Dieser Einschätzung schließt sich Herr Bruns (Städtische Wohnungsgesellschaft Bremerhaven - Stäwog, Geschäftsführer) gerne an. Die Nordsee-Zeitung zitiert ihn mit den Worten: "Die Idee ist in Lehe unrealistisch. Das kriegt man nicht hin." Es fehle das Kapital zur ökologischen Sanierung. Bereits jetzt können oder wollen Eigentümer nicht investieren.
Klar: Das wird wohl schon so sein. Es hat aber auch niemand behauptet, dass "Stadtteilentwicklung in Lehe" der leichte Weg ist. Aber im Sinne der Zukunft Bremerhavens und der Bestandspflege in den Stadtteilen ist es ein notwendiger, wenn auch steiniger Weg.
Weitere Bedenken kommen aus dem Stadtplanungsamt:
- Lehe ist ein Problemstadtteil
- Hoher Immobilien Leerstand
- Schlechte Gebäudesubstanz
- Problematische Mieterstruktur
- Geringe Investitionsbereitschaft
- Vielfalt der Fassaden ist prägend für Leher Grunderzeitviertel
- d.h., Schmuckfassaden dürfen nicht "kaputtgedämmt" werden
Möglichkeiten gibt es aber bei Keller, Dach, Fenster, Heizung
- d.h., Schmuckfassaden dürfen nicht "kaputtgedämmt" werden
Wer mit offenen Augen durch den Leher Ortsteil Goethestraße geht, der sieht sowohl die genannten Schattenseiten wie auch die vielen von ihren Eigentümern liebevoll instand gehaltenen Gründerzeithäuser. Diese großen, privaten finanziellen Anstrengungen sind in Anbetracht der überwiegend negativen und damit abschreckenden Berichterstattung in der Presse, die neben anderen Faktoren ebenfalls zu den geringen Miteinnahmen beiträgt, besonders hervorzuheben.
Die in Bremerhaven tätigen Wohnungsbaugesellschaften wurden in der Vergangenheit mit finanziellen Mitteln unterstützt, die aus öffentlichen Töpfen akquiriert wurden (z.B. für Rückbaumaßnahmen in Leherheide, Grünhöfe etc.).
- Könnten solche Mittel nicht auch zur Unterstützung für die ökologische Sanierung privater Immobilien in einem ausgeweisenen "Öko-Altbau-Quartier Lehe/Mitte" akquiriert werden?
Den großen Wohnungsbaugesellschaften, die es bei der großen Anzahl ihrer Mieter auch schon mal verschmerzen können, wenn sich einige säumige Zahler darunter befinden, ist schon sehr mit öffentlichen Geldern geholfen worden. Das Gebäude eines privaten Immobilieneigentümers kann jedoch leicht zur Ruine verkommen, wenn es auch nur einen säumigen Zahler unter den Mietern gibt, oder wenn sich darunter ein Mietnomade befindet, der plötzlich verschwindet, und die Wohnung in total verwahrlostem Zusatend hinterlässt. Auch den einen oder anderen Leerstand können die Wohnungsbaugesellschaften leichter verkraften, als ein privater Immobilieneigentümer, in dessen Haus die Hälfte der Wohnungen nicht belegt ist.
"Eigentum verpflichtet", heißt es. Geschädigten Eigentümern fehlt aber schlicht und einfach das Geld aus den Miet-Einnahmen, um ihre Häuser auch nur notdürfig instandzuhalten oder gar zu sanieren. Ihnen pauschal vorzuwerfen, sie würden ihre Häuser aus reinem Desinteresse verkommen lassen, ist zu kurz gegriffen. Fortschreitende Verwahrlosung führt dann irgendwann zum Auszug der noch verbliebenen Mieter, die mit den sich verschlechternden Zuständen immer unzufriedener werden. Die Immobilie verkommt immer mehr. An eine Neuvermietung ist dann irgendwann gar nicht zu denken. Ein gesundes Quartier lebt von der Vielfalt seiner Bewohner aus allen sozialen Schichten unserer Gesellschaft. Wer aber unter dem beschriebenen Druck "billig" vermietet, der trägt damit dazu bei, die Basis für die vom Stadtplanungsamt genannte "Problematische Mieterstruktur" zu legen und zu fördern. Darunter leidet dann auch das Umfeld des verfallenden Gebäudes. Wer - abgesehen von denen, die keine andere Wahl mehr haben - wohnt schon gerne in direkter Nachbarschaft zu einer verwahrlosten Ruine?
Wenn private Immobilienbesitzer aufgrund derartiger Probleme in finanzielle Schieflage geraten, dann wäre es unter dem Gesichtspunkt der Gleichberechtigung fair, wenn diese, ebenso wie die Wohnungsbaugesellschaften, auf öffentliche finanzielle Unterstützung zurückgreifen könnten. Die Immobilien würden nicht verwahrlosen, und sanierte Wohnungen, die in gutem Zustand sind, lassen sich auch für angemessene Mietpreise wieder vermieten. Das würde sich dann auf die Dauer auch in einer höheren Wohnqualität niederschlagen. So manches Gründerzeithaus, das aufgrund von Schädigungen der Eigentümer durch zahlungsunwillige bzw. zahlungsunfähige Mieter oder durch Immobilienspekulationen inzwischen auf der "roten Liste" des Stadtplanungsamtes steht, und das jetzt nicht mehr zu retten ist, wäre erhalten geblieben, wenn die Immobilieneigentümer mit den unverschuldeten Problemen nicht jahrelang allein gelassen worden wären.
Die Probleme vor Augen zu haben, aber die Hände in den Schoß zu legen, und zu sagen: "Lehe ist eh nicht mehr zu helfen.", löst die Probleme nicht! Ebenso kontraproduktiv ist es, wenn ständig nur die Schattenseiten des Quartiers in der Öffentlichkeit breitgetreten werden. Trotz nicht zu übersehender Probleme ist das Leben im Leher Ortsteil "Goethestraße" lebenswert!
Eigentümerstandortgemeinschaft Lehe
Seit dem 1. September 2009 gibt es im Leher Ortsteil "Goethestraße" die "Eigentümerstandortgemeinschaft Lehe" (ESG-Lehe). Diese wird über die Idee "Öko-Altbau-Quartier" mit Sicherheit diskutieren. In den zehn Monaten ihres Bestehens haben die Mitglieder der ESG-Lehe schon einige öffentliche Veranstaltungen zu Themen rund um die Instandhaltung und Sanierung von Altbauten abgehalten. Arbeitsgruppen beschäftigen sich mit verschiedenen Themen, die irgendwann einmal zur Aufwertung des Viertels beitragen sollen.
Eines der am weitesten gediehenen Starter-Projekte der ESG-Lehe ist die Einrichtung eines Altstadtrundweges, der dabei helfen soll, nicht im Ortsteil ansässigen Mitbürgern und Gästen aus anderen Gegenden Deutschlands auch die schönen und die interessanten Seiten des Quartiers nahezubringen. Für die Entwicklung des Viertels ist es wichtig, dass die Leute wissen, was von den Negativ-Schlagzeilen in der Presse zu halten ist.
Am 17. September wird die ESG-Lehe zur Einführung ein Auftaktfest entlang des zukünftigen Altstadtrundweges veranstalten.
Nach dem baldigen Abschluss der Planungsphase werden die vorgesehenen Installationen nach und nach verwirklicht werden.
Viele kleine Schritte führen auch zum Ziel
Ebenso, wie die ESG-Lehe ihre Projekte aufgrund beschränkter Resourcen nur Schritt für Schritt voranbringen kann, könnte auch die Stadt Bremerhaven mit kleinen Schritten nach und nach die ökologische Sanierung der bisherigen Problemstadtteile hin zu einem intakten und angesagten "Öko-Altbau-Quartier Lehe/Mitte" unterstützen und fördern. Wenn sich der Erfolg erster Maßnahmen herumsprechen würde, ehemals leerstehende, hochwertig sanierte Wohnungen wieder vermietet würden und wieder Geld ins Quartier flösse, dann würde die öffentliche finanzielle Unterstützung mit Sicherheit irgendwann nicht mehr notwendig sein.
Dass Bedarf für hochwertigen Wohnraum in Altbauquartieren vorhanden ist, wird in dem Artikel der Nordsee-Zeitung als positiver Aspekt für die Entwicklung der Altbauquartiere hervorgehoben.
Vor allem höhere Bildungsschichten würden Altbauten bevorzugen, die deren ökologischen Bewusstsein entsprächen. Wenn allerdings die Windenergiebranche, die Hochschule, das Alfred-Wegener-Institut und andere wissenschaftlich/technische Institutionen weiter wüchsen dann hätte Bremerhaven dafür kein entsprechendes Wohnungsangebot vorzuweisen. Allein aus diesem Grund wäre es unvernünftig, das Leher Gründerzeitviertel weiterhin dem Siechtum preiszugeben.
(Quelle: Nordsee-Zeitung vom 20.07.2010)
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