Freitag, 6. Mai 2011

Ich habe die Robben singen gehört

Bremerhaven: Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung
Wenn man das Gebäude des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) durch den Haupteingang betritt, dann fallen zuerst einmal die Ausstellungsstücke auf: Modelle des ersten deutschen Polarforschungsschiffs "Grönland" oder des Forschungseisbrechers "Polarstern", ein alter, großer Material-Transportschlitten und vieles mehr. eine Treppe führt von dort hinauf in die oberen Stockwerke. Am Beginn der Treppe ist der Hörsaal ausgeschildert ...

Der "wORTwechsel" fand jedoch nicht im Hörsaal des AWI statt, sondern im "Zwischendeck", wie Frau Treffeisen (AWI, Klimabüro, Leiterin) die Halle am Ende des ersten Treppenabschnitts, die sich über das erste und zweite Obergeschoss erstreckt, aus ihrer persönlichen Sicht bezeichnet. In Anbetracht der Architektur des Gebäudes, dessen Anblick von außen an ein Schiff mit Relings, Gangways, Brückendeck und mit den Schornsteinen eines "Ozeanriesen" erinnert, ist das ein durchaus treffendes Bild dieses Raumes, von dem aus man in andere Räume des Gebäudes gelangt.

Nachdem sie bei ihrem ersten Besuch im AWI aus dem Treppenaufgang in die helle, weite Halle gelangte, empfand Frau Schridde (Pauluskirche, Pastorin) den Raum wie eine freie Weite, von der aus der Weg aufwärts zum Hörsaal - in die Welt, in der das Wissen der Wissenschaftler Forscher vermittelt wird - ebenso offensteht, wie der in alle anderen Richtungen ... - auch der Weg zurück nach unten in die Unwissenheit. Jeder sei frei in seiner Entscheidung, welchen Weg er von diesem Ort aus einschlage, sagte Frau Schridde.


Eine ungewöhnliche Lesung ...

Nach der Begrüßung und einigen einleitenden Worten, übergaben die beiden Gastgeberinnen das Wort an die drei Leser. Diese zitierten Textstellen aus der Schöpfungsgeschichte, der Geschichte mit der Frucht vom Baum der Erkenntnis und der fatalen Dreierbeziehung zwischen Eva, der Schlange und Adam, sowie über die Verbitterung Gottes über das Böse in den Menschen, die er geschaffen hatte, und darüber wie er sie deshalb alle - bis auf Noah und seine Familie, sowie ein Paar jedes Tieres aus seiner Schöpfung - in einer großen Sintflut ertränkte.

Was ich mich schon immer gefragt habe ist, warum an Bord der Arche kein Platz für "die Bäume, die Gräser und die Früchte des Feldes" war, und wie es kommt, dass diese die Sintflut überleben konnten. Aber wie auch immer: Das hat man ja alles schon dutzende Male gehört, im Konfirmandenunterricht hin und her durchgekaut, und glauben tut seit Darwin und dem Wissen um die Evolution eh niemand mehr daran ... - nicht einmal die Christen ... - könnte man meinen. Ich habe gestern zu meiner Überraschung eine völlig andere Erfahrung gemacht.

Zu Beginn der Veranstaltung wurde das helle Deckenlicht ausgeschaltet und Frau Gertrud Schwan begann, im Dämmerlicht vor dem Publikum sitzend, mit der Lesung. Als sie zu der Stelle kam, an der es in der Schöpfungsgeschichte heißt: "Und Gott sprach: ...", übernahm Herr Böttger, der vom Balkongang des zweiten Obergeschosses die Stellen vortrug, in denen Gott sprach, in dem er sagte: "Es werde Licht." Das wieder aufleuchtende Deckenlicht über der Weite des "Zwischendecks" unterstrich seine Worte, und Frau Susanne Schwan fuhr von der gegenüberliegenden Seite des Balkongangs fort: "Und es ward Licht." Die Lesung war alles andere, als die bekannten, oft einschläfernden Rezitierungen von Bibeltexten während eines Gottesdienstes. Die Art und Weise, wie Susanne Schwan, Gertrud Schwan und Dirk Böttger die "Lesung" gestalteten und in der sie die Texte vortrugen war eine künstlerische Darbietung - eher eine Mischung aus Hörspiel und Theater als eine simple Lesung. Ich weiß nicht, wie ich es besser beschreiben könnte. Man muss das wohl selbst erlebt haben.


... mit aufschlussreichen Unterbrechungen

"Die Mietsache ist schonend zu behandeln ..."
(Foto: NASA, Public Domain)

Die Lesung wurde immer wieder unterbrochen, indem Frau Treffeisen und Frau Schridde, den Bezug zum Jetzt und zum "wirklichen Leben" herstellten. Frau Findeisen sprach über ihre Arbeit und über die ihrer Kollegen, über die bizarre Schönheit der Eisformationen in der weiten stillen Einsamkeit der Polarlandschaften, über das Zusammenwirken der Vorgänge in den Ozeanen, des Eises, der Atmosphäre und der Biosphäre, sowie darüber, welche Einflüsse sich daraus auf das Klimageschehen unseres Planeten ergeben. Sie verdeutlichte die fragilen Strukturen, die das Klima im Gleichgewicht hielten, bevor "der Mensch" es durch sein Einwirken aus dem Gleichgewicht brachte. Dazu hatte sie ein von Klaus Staeck entworfenes Poster aus ihrem Büro mitgebracht, auf dem ein Blick auf unseren Planeten aus dem All zu sehen ist. Darunter steht ein Text, wie ihn die meisten unter uns wohl aus ihrem Mietvertrag kennen:


Sehr bildhaft und mit anderen Worten drückt das Poster meine Vorstellung vom Dasein der Menschen und aller anderen Lebewesen auf der Erde aus:
Während der kurzen Zeitspanne unseres Lebens sind wir zu Gast auf diesem Planeten, der von unseren Eltern, Großeltern und den Vorfahren aller vorhergehenden Generationen mit all seiner Schönheit und allem, was für unser Leben notwendig ist, an uns weitergegeben wurde. Wäre es anders gewesen, dann würden wir heute nicht auf der Erde leben. Deshalb haben auch wir die Pflicht, die Erde für unsere Kinder, Enkel und alle nachfolgenden Generationen in einem bewohnbaren Zustand zu hinterlassen, wenn wir sie am Ende unseres Weges durch das Leben eines Tages wieder verlassen.
Frau Schridde stellte im Dialog mit Frau Treffeisen immer wieder den Bezug zwischen den Schilderungen der Wissenschaftlerin zu den gerade zuvor vorgetragenen Texten aus der Schöpfungsgeschichte her. Dabei ging sie auch auf den Auftrag Gottes an die Menschen: ".. Macht euch die Erde untertan ...". Dieser sei nicht als Aufforderung an einen Despoten zu verstehen, seine Untertanen und sein Königreich nach Belieben auszubeuten, sondern als Auftrag, die Erde und alles was darauf lebt, verantwortungsbewusst zu verwalten und und zu erhalten.


Der Gesang der Robben

Zur Überbrückung größerer Zeitsprünge zwischen den Texten der Lesung, die aber im Zusammenhang zu sehen waren, gab es Ausschnitte aus einem "Konzert der besonderen Art" zu hören. Unter dem Schelfeis in der Nähe der "Neumayer-Station III" des AWI in der Antarktis, wurden vor einigen Jahren Hydrophone installiert. Das Eis ist an der Stelle ca. 100 Meter dick. Die Hydrophone befinden sich noch einmal 80 Meter tiefer im freien Wasser darunter. Ein Hydrophon ist ein Mikrophon, mit dem Tonaufnahmen unter Wasser möglich sind.

Die Hydrophone zeichnen Tag für Tag und rund um die Uhr ein ewiges Konzert auf, das bisher nur wenige Menschen gehört haben. Der wissenschaftliche Hintergrund ist natürlich nicht, Tonmaterial für eine gigantische Musik-CD zusammenzustellen. Die Tonaufnahmen eröffnen den Wissenschaftlern die Möglichkeit, Erkenntnisse über die Vorgänge unter dem Eis zu erlangen und über lange Zeiträume hinweg - und zwar auch im Winter - die Aktivitäten der Weddellrobben zu beobachten, und Rückschlüsse auf das Wachstum oder den Rückgang der Robbenpopulation zu erlangen. Im Zusammenhang mit den Daten der Geowissenschaftler und der Klimaforscher lassen sich daraus Tendenzen der lokalen Auswirkungen des Klimawandels ablesen.

Den großen Rahmen dieser "Musik" bildet das Orchester des Eises mit Geräuschen, die entstehen, wenn Spannungen im Eis zu Rissen führen, wenn neue Eisberge "geboren werden" oder sich am Schelf reiben ... - Dazu erklingt ein bezaubernder Gesang eines Chores sowie diverser Solisten, denen ich niemals zugetraut hätte, dass sie in der Lage sind solche Klangwelten zu erschaffen. Diese vor den Ohren der Menschen verborgenene, meditative Weltmusik ist im wahrsten Sinne des Wortes "unbeschreiblich" schön. Man muss es einfach einmal gehört haben. Wenn ich einen Vergleich nennen sollte, dann fiele mir eigentlich nur der Gesang der Buckelwale ein.

Alleine schon dafür, dass ich gemeinsam mit den anderen Gästen des ersten "wORTwechsels" die seltene Gelegenheit hatte, die Robben singen zu hören, hat sich der Besuch gestern im AWI gelohnt. Einen kleinen Einblick in die Klangwelten des Südpolarmeers bieten einige kurze Tonaufnahmen auf einer Internetseite des AWI.


(Quellen: Klaus Staeck, AWI, Bremerhaven.de)

1 Kommentar:

Der Geestendorfer hat gesagt…

Hallo Jürgen,

das AWI ist immer ein Besuch wert. Danke für die Schilderung der Veranstaltung "wORTwechsel". Das wär auch was für mich gewesen. Im Spätsommer 2009 hatte ich mit meinem Squaredance-Club "Port Promenaders" eine private Führung durchs Awi. Dr. Rainer Sieger zeigte uns, wo die Bohrkerne aus der Antarktis ausgewertet wurden. Zehntausende von Jahren Klimageschichte unseres Planeten. Wir waren in den beiden Kältekammern des AWI (minus 8 und minus 20 Grad). Und schließlich zeigte Rainer uns die Bibliothek vom AWI. Von der Fläche her ist sie so groß wie die Stadtbibliothek Bremerhaven.
(Dr. Rainer Sieger ist der Ehemann von Frauke. Sie ist Tänzerin bei den "Port Promenaders".)

Tschüss
Holger

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