Sonntag, 10. April 2011

Nachwachsende Schrottimmobilien

Bremerhaven: Eckhaus Hafenstraße, Werftstraße
Dieses prachtvolle Gründerzeithaus an der Hafenstraße, Ecke Werftstraße vermittelt auf den ersten Blick einen imposanten Eindruck. Erst auf den zweiten Blick fallen darin die leer stehenden Wohnungen auf.

Wie die Nordsee-Zeitung am 29.03.2011 berichtete, interessierte sich die "Eigentümerstandortgemeinschaft Lehe" (ESG-Lehe) für das Haus, weil es eine geeignete Immobilie für deren Start-Projekt "Wächterhäuser" gewesen wäre. Die Idee, ein Haus, das - aus welchen Gründen auch immer - leer steht, als Wächterhaus zu nutzen, stammt aus Leipzig. Der dort ansässige Verein "Haushalten e.V." hat mit seinem eigentlich recht simplen Konzept schon so manches Haus vor dem Abrissbagger bewahren können:
Ein Hauseigentümer, dem die Mittel für die Finanzierung einer grundlegenden Sanierung seiner leer stehenden Immobilie fehlen, stellt das Gebäude für eine gewisse Zeit mietfrei zur Verfügung. Dabei geht es in erster Linie um Existenzgründer, Kunst- und Kulturschaffende und ähnliche Nutzungen. Die Nutzer der Räumlichkeiten verpflichten sich im Gegenzug im Rahmen eines Vertrages, das Gebäude zu pflegen und regelmäßig nach dem Rechten zu sehen. Sie übernehmen damit sozusagen die Funktion eines Wächters für das Haus.

Damit wird der größten Gefahr für ein leer stehende Gebäude ein Riegel vorgeschoben: Vandalismus! Wenn erst Türen aufgebrochen und Fensterscheiben zu Bruch gegangen sind, Tauben sich einnisten und Regen und Schnee ihre Schäden in den Holzfußböden, den Balkendecken etc. hinterlassen haben, dann ist ein solches Haus dem Verfall preisgegeben. Was folgt sind Zwangsversteigerungen, Spekulation, weiterer Verfall ... - Irgendwann gibt es immer einen letzten Besitzer, der auf einem vermeintlichen Schnäppchen finanziell ruiniert sitzen bleibt.

Bremerhaven: Ehemaliges Kalksandsteinwerk Kistner (Eckhaus links im Bild)
Dieses Schicksal droht jetzt auch dem Eckhaus an der Einmündung der Werftstraße in die Hafenstraße. Der ursprüngliche Besitzer hatte sich davon getrennt, weil sich der Niedergang auf dem gegenüberliegenden ehemaligen Fabrikgelände nachteilig auf die Mietsituation in seinem Haus auszuwirken begann. Der neue Besitzer führte einige oberflächliche Renovierungen durch und verkaufte es nach kurzer Zeit weit über Wert an den jetzigen Besitzer. Dieser wollte es über die vom Verkäufer angepriesenen hohen Mieteinnahmen rückfinanzieren. Daraufhin dauerte es nicht mehr lange, bis das Gebäude leer stand und die erhofften saftigen Mieteinnahmen ausblieben. Der letzte Eigentümer ist inzwischen bankrott, und hat keinerlei Interesse mehr an der Immobilie, die jetzt nur noch mit einem hohen Wert die Bücher irgendeiner Bank schönt.

Von anderen, ähnlich gelagerten Fällen ist bekannt, dass die Banken daran interessiert sind, es möglichst lange dabei zu belassen. Je länger dieser Zustand andauert, desto besser ist das für die Bücher: Wertlose Schrottimmobilien täuschen dann über die wahren Kapital- und Deckungsverhältnisse der Bank hinweg. Damit hatte sich die Idee der ESG-Lehe, das Haus als Wächterhaus zu nutzen, erledigt. Inzwischen gibt es bereits erste Schäden durch Vandalismus im Gebäude. Wenn nicht noch ganz schnell ein Wunder geschieht, dann wird es irgendwann unweigerlich dem Abrissbagger zum Opfer fallen.


Gegen kriminelle Machenschaften ...
Infektionsherd mit bröckelnder Fassade nach Not-Amputation: abgeschlagene Erker
Nach meinem Verständnis ist derartiges Handeln bzw. Nichthandeln kriminell. Da verdienen sich Leute auf Kosten der Allgemeinheit und um den Preis des Niedergangs ganzer Wohnquartiere eine goldene Nase. Einige alte Gründerzeithäuser, die am Ende nicht mehr zu retten waren, mussten in Bremerhaven inzwischen bereits abgerissen werden. Einige weitere auf einer Liste des Stadtplanungsamtes werden noch folgen. In der Zwischenzeit setzt bei den nächsten, bis dahin noch intakten, Spekulationsruinen der Verfall ein, die dann irgendwann zwangsläufig unten an die Liste der abzureißenden Häuser angefügt werden müssen.

Gestern  habe ich an einer Führung unter der Leitung von Herrn Bruns (StäWog, Geschäftsführer) durch den Leher Ortsteil "Goethestraße" teilgenommen. Er hatte sowohl eine beeindruckende Vielfalt an Geschichten über einzelne Gebäude, wie auch über die Entwicklung des Quartiers seit der Mitte der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts im allgemeinen zu erzählen. Daran, und an der Art wie er darüber sprach, konnte man merken, dass sein Herzblut an diesem gründerzeitlich geprägten Viertel hängt. Trotzdem sagte er aber auch mit aller Deutlichkeit: Die von ihren Eigentümern dem Verfall preisgegebenen Spekulationsruinen bzw. Schrottimmobilien müssen - wenn sie nicht mehr zu retten sind - abgerissen werden. Ansonsten bestünde sozusagen Infektionsgefahr für die gesamte Umgebung!

Im Zeitraum von 1977 bis 1992 war das Leher Gründerzeitviertel offizielles Sanierungsgebiet. Wie Herr Bruns gestern während der Führung erklärte, gab es während dieser Zeit die Möglichkeit, Hauseigentümern, denen die Mittel für notwendige Instandhaltungs- und Sicherungsmaßnahmen an den Fassaden ihrer Immobilien fehlten, auch mit öffentlichen Mitteln unter die Arme zu greifen, und seitens der Behörden sei laufend darauf geachtet worden, dass entstehende Schäden schnell behoben wurden. Nachdem die Projektphase "Sanierungsgebiet" abgeschlossen war, hätte jedoch bald wieder eine Abwärtsentwicklung eingesetzt, die sich aufgrund der nicht mehr tätigen "Kümmerer" und begünstigt durch Spekulanten, sowie auch infolge der damaligen gesamtwirtschaftlichen Situation Bremerhavens, fortgesetzt habe.


... helfen offenbar nur neue Gesetze

Die bisherigen Gesetze taugen offenbar bestenfalls dazu einer Kommune - dann wenn bereits alles zu spät ist! - die Rechtsmittel in die Hand zu geben, die den Abriss von Schrottimmobilien ermöglichen. Aus meiner Sicht ist es jedoch dringend notwendig, Gesetze zu schaffen, die den Kommunen rechtzeitig präventiv wirkende Mittel zur Verfügung stellen, um die Spekulationsspirale zu durchbrechen und den drohenden Verfall von leer stehenden Gebäuden zu stoppen. Ich denke da einerseits an so etwas wie behördliche Vormundschaften oder - wenn sonst gar nichts mehr geht - notfalls auch an Enteignungen sowie andererseits unterstützende Fördermöglichkeiten oder zinslose Darlehen, damit auch Hilfe zur Selbsthilfe, ähnlich wie während der Jahre von 1977 bis 1992 wieder möglich wird.
  • Anderenfalls, so befürchte ich, wird sich das Problem mit den "nachwachsenden Schrottimmobilien" nicht in den Griff bekommen lassen.

Aus meiner Sicht sollte in historisch gewachsenen Stadtvierteln, wie dem gründerzeitlich geprägten Leher Ortsteil "Goethestraße", unter Gesichtspunkten des Denkmalschutzes außerdem die Renovierung und Instandsetzung bestehender Gebäude absoluten Vorrang vor Neubauten haben. Andernfalls verlieren die gewachsenen Wohnquartiere irgendwann ihre jeweils individuelle Identität. Weiterhin muss bei der Vergabe von Baugenehmigungen darauf geachtet werden, dass sich Neubauten, die Abrisslücken in Gebäudezeilen einer gründerzeitlich geprägten Umgebung füllen sollen, architektonisch in die umliegende Bebauung einpassen.


(Quellen: Nordsee-Zeitung am 29.03.201)

2 Kommentare:

Wasserfrau hat gesagt…

Hallo Juwi

Das ist wirklich schade für das schmucke Haus, wenn das draufgeht. Irgendwie müsste es da schon Gesetze geben, die das Spekulieren damit verhindern.

Ich weiss gar nicht, wie das bei uns ist, auf jeden Fall sehe ich selten so verlassene Häuser. Hin und wieder ist mal, in der letzten Zeit weniger, etwas zu lesen von einer Hausbesetzung. Da wohnen dann einfach die Besetzer gratis in dem leerstehenden Haus bis dann der Konflikt mit dem Besitzer ausbricht.

Gerade gestern habe ich einen Artikel über einen Bauingenieur gelesen, der hier in der Stadt historisch wertvolle Liegenschaften kauft, um sie vor dem Abbruch zu retten. Auch in unserem Quartier hat er ein altes Restaurant, das Haus war in grässlichem Zustand und den alten Bahnhof gekauft.

Bemerkenswert sei, dass er mit diesen Häusern nicht um jeden Preis und auch nicht in erster Linie die Maximalrendite erreichen will. Hoffentlich findet er da und dort Nachahmer.

Die vorherige Spelunke ist nun eine gefragte kleine Quartierbeiz geworden, wo sich viele junge und auch ältere Quartierbewohner treffen.

Leider ist der gestrige Artikel nicht online, hier ein älterer über die renovierte Quartierbeiz
http://nordbruecke.ch/fileadmin/pdf/nb_zueritipp_06032008.pdf

Guten Start in die neue Woche und liebe Grüsse
Elfe

efcwesersturm@yahoo.de hat gesagt…

Leider werden diese Häuser teilweise nicht bzw viel zu spät zum Verkauf angeboten. Ich bin grade auf der Suche nach einer Möglichkeit mit den Eigentümern in Kontakt zu kommen und habe bereits ein schönes Objekt gefunden wenn es nun innen nicht total feucht ist würde ich es gern selbst kaufen sowie selbst renovieren.

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