© ARD Plusminus vom 23.7.2014
Um seine Haushaltskasse zu sanieren, verkaufte das Land Berlin 49,9 Prozent seiner kommunalen Wasserbetriebe an private Konzerne. Dann ..
- ... stiegen die Preise um 37 Prozent
- ... konnten sozial Schwache sich das Wasser kaum noch leisten
- ... gingen mehr als 3000 sozialversicherungspflichtige Arbeistplätze verloren
Dank der Initiative "Berliner Wassertisch" ist die Berliner Wasserversorgung inzwischen wieder komplett in öffentlicher Hand: 98 Prozent der Berliner Bürger stimmten für den Rückkauf.
Unter Umständen könnte eine solche demokratische Entscheidung zukünftig aber nicht mehr möglich sein. Das sogenannte "Trade in Investment Agreement" (TiSA, Dienstleistungsabkommen) würde dem entgegenstehen. Darüber berichtete das ARD Wirtschaftsmagazins "Plusminus" am 23.07.2014.
Die wirklich guten Freunde von Dienstleistungen
In einem Bericht der Zeitung "der Freitag" heißt es (Zitat): "TTIP ist in aller Munde während TiSA in seinem Schatten heranreift. Das Abkommen soll den Dienstleistungshandel liberalisieren, doch es ist ein Ausverkauf der Gemeingüter."
Aus den geheimen Verhandlungen um TTIP und CETA sind ja schon einige brisante Details durchgesickert und in die Offentlichkeit gelangt. Im Falle von TiSA seien die Geheimhaltungsbemühungen bisher jedoch sehr viel effektiver gewesen, heißt es in dem Filmbeitrag von "Plusminus". Demzufolge verhandeln die USA, die EU, sowie 21 weitere, überwiegend konservativ und liberal regierte Staaten seit Anfang 2012 in der australischen Botschaft in Genf hinter verschlossenen Türe über das Dienstleistungsabkommen. Verhandlungsgegenstand seien
- die Wasserversorgung
- die Energieversorgung
- das Transportwesen
- die Finanzen
- Kommunikationdienste
- die Post
- und das Gesundheitswesen
Herr Maly (Nürnberg, OB) befürchtet gravierende Folgen für die Kommunen. Wichtige Bereiche der Daseinsvorsorge könnten noch weiter liberalisiert und für den freien Markt geöffnet werden. Frisches Wasser jedoch sei kein Wirtschaftsgut, sondern ein existentielles Recht. Leistungen der kommunalen Daseinsvorsorge, welche derartige Grundbedürfnisse der Menschen betreffen könnten mit TiSA komplett privatisiert werden. Der "öffentlich rechtliche Schutzschirm" werde damit zerstört.
Herr Giegold (Bündnis '90 /Die Grünen) sagt in dem Filmbeitrag, dass es nur ganz wenigen Abgeordneten erlaubt ist, den Stand der Verhandlungen einsehen - in einer Geheimschutzstelle. Sprechen dürften sie dann aber mit niemandem darüber. Auch nach der Unterzeichnung sollen die Verträge unter Verschluss gehalten werden!
Damit werden die Parlamente und die Demokratie in den an den TiSA-Verhandlungen beteiligten Ländern und Staatengemeinschaften faktisch außer Kraft gesetzt - bis hinter auf die kommunale Ebene!
Die Verhandlungsführer würden sich selbst als "Die wirklich guten Freunde von Dienstleistungen" bezeichnen, heißt es im Filmbeitrag von "Plusminus". In Wirklichkeit ginge es ihnen aber darum, den Staaten bei der Regulierungen von Dienstleistungen Fesseln anzulegen. So werde unter anderem über sogenannte "Stillhalte- und Sperrklinkenklauseln" verhandelt - Im Klartext:
- Einmal durchgeführte Liberalisiserungen oder Privatisierungen dürfen nicht mehr rückgängig gemacht werden.
In einem Blog-Artikel des demokratischen Netzwerks "Campact" vom 06.07.2015 heißt es (Zitat): "Die Verhandlungen finden unter strenger Geheimhaltung statt. Sogar fünf Jahre nach Abschluss der Verhandlungen - egal, ob erfolgreich oder nicht - sollen alle Dokumente geheim bleiben. Das Kalkül: Wenn die Folgen von TISA spürbar werden, sollen die Verantwortlichen politisch nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden können."
"Plusminus" zeigt im Film einen Ausschnitt aus der Internetseite des "Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie" (BMWi). Im Kommentar dazu heißt es, das BMWi wiegele ab und verweise auf seine Internetseite dort heiße es (Zitat): "Öffentliche Daseinsvorsorge und Audiovisuelle Dienste sind für die EU ausgenommen".
Prof. Dr. Markus Krajewski (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Experte für Wirtschaftsvölkerrecht, insbesondere dem WTO-Recht und dem internationalen Investitionsschutzrecht) sieht darin keinen Grund für eine Entwarnung. Grundsätzlich sei die Daseinsvorsorge erst einmal ein fester Bestandteil des geplanten Abkommens. Die Rede sei von Mechanismen, mit denen einzelne Bereiche von der Liberalisierungsverpflichtung ausgenommen werden sollen. Was damit gemint ist bleibe unklar.
Sicher ausgenommen seien nur solche öffentliche Dienste, die 'weder zu kommerziellen Zwecken, noch im Wettbewerb mit einem oder mehrern Dienstleistern erbracht werden'. Diese Einschränkung treffe heute nur noch auf einige wenige hoheitliche Aufgaben - wie etwa auf die Polizei oder auf den Strafvollzug - zu. Sofern die EU sie nicht explizid im Abkommen ausschließe, würden die in TiSA verabredeten Regeln für alle Dienstleistungen gelten.
Herrn Giegold zufolge birgt eine "Negativliste" enorme Risiken für die Zukunft der kommunalen Daseinsvorsorge (Zitat): "Alles, was nicht auf dieser Liste geschützt ist, ist per se erst mal liberalisiert und privatisiert. Dabei erfinden wir ja ständig neue Dinge. Zum Beispiel das Internet. Breitbandversorgung für alle. Mobilfunkversorgung für alle." Das alles seien eigentlich Bereiche, die auch als Rechte für alle geöffnet werden könnten. Da sie aber heute nicht auf der "Negativliste" stehen und grundsätzlich jeder Sektor dem freien Wettbewerb ausgesetzt werden müsste, wäre das dann nicht mehr möglich. Das sei die Hauptgefahr bei TiSA.
Vieles bleibt aber Spekulation, heißt es abschließend im Plusminus-Fombeitrag. Nur wenige wüssten, was im Einzelnen wirklichverhandelt wird. Je größer aber die öffentliche Aufmerksamkeit sei, desto besser sei die Chance auf mehr Transparenz. Der neue Präsident der EU-Kommission, Herr Junker, habe dem EU Parlament diesbezüglich bereits ein Entgegenkommen signalisiert. Die Daseinsvorsorge sei ein Menschenrecht und gehöre dem Volk.
Die Transparenz einer Milchglasscheibe
Auch auf der Internetseite des BMWi ist man offensichtlich bestrebt, einen Anschein erhöhter Transparenz zu vermitteln. Die im Film von "Plusminus" gezeigte Internetseite unterscheidet sich im Titel und in der Aufteilung des Layouts von den aktuellen Seiten ("TiSA: Inhalte und Themen" und "TiSA: Verhandlungen und Akteure").
Auf der Seite "TiSA: Verhandlungen und Akteure" heißt es (Zitat): "Die Verhandlungen zu TiSA finden nicht geheim statt: Das BMWi informiert in regelmäßigen Gesprächen mit Vertretern der Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft über die laufenden TiSA-Verhandlungenund beantwortet Fragen."
Diese aktuelle Aussage steht allerdings im krassen Gegensatz zu den Darstellungen von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Medienberichten oder der Aussage Herr Giegolds im Film von "Plusminus". Da die NGOs als "Vertreter der Zivilgesellschaft" und die Gewerkschaften offenbar aber eben nicht so umfassend informiert werden, wie es der Internetseite des BMWi zufolge den Anschein hat, stellt sich mir die Frage, ob das BMWi möglicherweise in einer völlig anderen Welt lebt. - Oder sollten sich die Türen der TiSA-Verhandlungen in der australischen Botschaft in Genf seit dem Juli letzten Jahres tatsächlich so weit geöffnet haben, wie es die Internetseite des BMWi vermuten lassen könnte?
Auf meine diesbezügliche Anfrage an mehrere NGOs erhielt ich leider nur von Frau Strasser (Campact, Campaignerin) eine Antwort (Zitat):
..Die spärlichen Informationen des BMWi über die TISA-Verhandlungen ersetzen keinen Einblick in die Verhandlungsdokumente selbst, denn die Probleme des Abkommens finden sich im Kleingedruckten. Die Bürger/innen haben ein Recht zu erfahren, was die von ihnen gewählten Regierungen dort auf den Verhandlungstisch legen. Das verlangen wir von der EU-Kommission und vom BMWi: Wir wollen das Verhandlungsmandat sehen, die Verhandlungsangebote der EU, die bisherigen Entwürfe für Verhandlungskapitel einschließlich der noch umstrittenen oder offenen Punkte. Nur das wäre volle Transparenz.
Es ist deshalb unverzichtbar, weil nur so die Bürger/innen die Vorschläge diskutieren können, so lange sie noch nicht endgültig entschieden sind. Echte demokratische Teilhabe kann nur im Lauf der Verhandlungen stattfinden, nicht am Ende, wenn nur noch ja oder nein gesagt werden kann. ..
Die Transparenz des BMWi in dieser Angelegenheit gleicht demnach eher einer trüben Milchglasscheibe, als einer frisch geputzten Klarglasscheibe, die wirklich vollumfänglichen Einblick in den jeweils aktuellen Stand der Verhandlungen gewähren würde. Insbesondere dem zweiten Absatz der Antwort Frau Strassers stimme ich deshalb uneingeschränkt zu.
TTIP - ein neues Leck
Derweil hat Anfang Februar in Brüssel zwischen der EU und den USA die 8. Verhandlungsrunde zum geplanten Freihandelsabkommen TTIP stattgefunden. Dem Verein "Mehr Demokratie" wurden jetzt - wie es auf der Internetseite vom "Mehr Demokratie e.V." heißt - von einer vertrauenswürdigen Person, die anonym bleiben will" Inhalte zum aktuellen Stand der Verhandlungen zugespielt. Bereits jetzt sei klar: Die Verhandlungen geraten immer mehr ins Stocken. Offenbar gibt es zwischen der EU und den USA noch erhebliche Differenzen.
Gleichzeitig bestätigen die Aussagen der "vertrauenswürdigen Person" aber auch die Befürchtungen über den drohenden Ausverkauf grundlegende demokratischer Rechte, der Rechtsstaatlichkeit oder der Verbraucherrechte. Details dazu finden sich auf der Internetseite von "Mehr Demokratie" ...
Petitionen
Die selbstorganisierte Europäische Bürgerinitiative (sEBI) "Stop TTIP!" ist inzwischen von mehr als 1,5 Millionen EU-Bürgern unterzeichnet worden. Es dürfen aber gerne auch 2 Millionan werden. Wer seine Stimme gegen den Ausverkauf der Demokratie zugunsten der Profitorientierten Interessen multinationaler Konzerne erheben will, der hat dazu auf der Internetseite der sEBI "Stop TTIP!" die Gelegenheit ...
Wer gegen TiSA aktiv werden möchte, kann die Petition des internationalen demokratischen Netzwerks AVAAZ unterzeichnen. Ein Online-Formular dafür gibt es hier ...
Zum Weiterlesen
(Quellen: Der Freitag vom 16.02.2015, ARD Plusminus vom 23.07.2014, Sven Giegold, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Campact - E-Mail Antwort vom 26.02.2015, Mehr Demokratie e.V., attac)
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