"Der Wald ist unser. Ich bin der Wald."
Hajkaramykya, Awá
Mit ihrem Teilveto gegen die im April 2012 vom brasilianischen Parlament beschlossene Änderung des Waldgesetzes hatte Frau Rousseff (Brasilien, Präsidentin) einen Versuch unternommen, das Thema aus den "Rio +20"-Gesprächen herauszuhalten.
In der ursprünglichen Fassung wäre eine dramatische Aufweichung des bisherigen Waldgesetzes sowie eine Amnestie für illegale Kahlschläger festgeschrieben worden. Die zusätzliche Abholzung einer Fläche, die der zweifachen Größe Deutschlands entsprochen hätte, wäre legalisiert worden. Nach dem Teilveto (12 Artikel sind blockiert und 32 modifiziert) ist das neue Waldgesetz seit dem 28.05.2012 in einer vorläufigen Fassung in Kraft.
Umweltschutz- und andere Nichtregierungsorganisationen, sowie mehr als 2 Millionen Mitzeichner einer Petion hatten ein richtiges Veto gefordert. Das teilweise Veto Frau Roussefs gegen lediglich einige Punkte der von der Agrar- und Holzfällerlobby geprägten Neufassung des Waldgesetzes wird den Kahlschlag am Amazonas nicht stoppen.
Einem Bericht des östereichischen "Standards" vom 30.05.2012 zufolge soll es nun offiziell zwar keine Amnestie für Waldzerstörer geben, aber die ersten Schlupflöcher für Großfarmer seien bereits offenbart worden.
Von der Änderung des Waldgesetzes sollten im Wesentlichen kleinere Farmer profitieren, die künftig nur noch einen fünf bis zu fünfzehn Meter breiten Streifen zerstörten Waldes an Flussufern wieder aufzuforsten müssen.
Zur großen Freude der Agrarlobby
So weit der Plan. Die bisherige Vorschrift zur Wiederaufforstung eines 30 Meter breiten Streifens bei bis zu zehn Meter breiten Flüssen gilt weiterhin für Großfarmer. Die könnten sich aber möglicherweise aus der Affäre ziehen, indem sie ihre Grundstücke entsprechend aufteilen, so dass diese dann als "kleinere Farmen" durch die Schlupflöcher des Gesetzes fallen.
Frau Rousseff schätzt dem "Standard" zufolge die Landwirtschaft, auf die 37 Prozent aller Exporte entfallen, als Devisenbringer. Das dürfe die Sojafarmer und Viehzüchter im Amazonasgebiet ermutigen, ihre Angriffe auf das Waldgesetz ungebremst fortzusetzen.
"Der Standard" schreibt, bereits in vier Monaten bestehe die Möglichkeit, dass Frau Rousseff wieder vom Parlament überstimmt wird. Ein Abgeordneter habe sich darüber gefreut, dass Frau Rousseff vor einem kompletten Veto zurückgeschreckt ist. Die Verhandlungen könnten somit nach "Rio+20" in aller Ruhe weitergehen. Auch Frau Abreu (Senatorin und Vorsitzende des Großfarmerverbandes CNA) habe die patriotische Haltung Frau Rousseffs gelobt.
Gefährliche Patrioten und Völkermörder
Es sind die Patrioten dieser Welt, die ihren Verpflichtungen gegenüber der Zukunft der Menschheit nicht gerecht werden. Wenn man sie in Ruhe lässt, dann werden sie auch weiterhin ihre Interessen und diejenigen der jeweiligen Lobbys und Wirtschaftsverbände ihrer Länder über die Interessen der Menschheit stellen. Wenn ihnen kein Einhalt geboten wird, dann werden sie am Ende die Zerstörung der Lebensgrundlagen unseres Planeten auf dem Gewissen haben. Leider werden sie dann schon lange tot sein, so dass sie dafür nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden können.
Noch bevor die Klimakatastrophe das Leben auf der Erde, so wie wir es kennen, radikal verändern wird, geht es den indigenen Völkern in den Wäldern Amazoniens an den Kragen. Die tropischen Wälder, die den verbrecherischen Machenschaften der Waldzerstörer im Wege stehen, sind nämlich nicht nur ein wesentlicher Bestandteil der "grünen Lunge unserer Welt", sondern darüber hinaus auch die angestammte Heimat vieler indigener Völker, deren Überleben von einer intakten Umwelt - mit der sie sich seit hunderten von Jahren arrangiert haben - abhängig ist.
Die Yanomami, die Kayapó und die Technik
Weltweit bekannt geworden ist Herr Davi Kopenawa (Yanomami, Schamane und ein Anführer seines Volkes), der sich seit Mitte der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts dafür einsetzt, dass die weitläufigen Gebiete der Yanomami in den Bundesstaaten Roraima und Amazonas als deren Grundbesitz anerkannt werden.
In dieser Zeit waren Goldgräber in die Heimat der Yanomami eingedrungen. Viele Yanomami starben daraufhin an eingeschleppten Infektionskrankheiten, mit denen sie nie zuvor in Berührung gekommen waren, weshalb sie keine Abwehrkräfte dagegen besaßen. Um eine Chance gegen die weißen Eindringlinge zu haben, mussten sie neben den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln auch zu modernen technischen Mitteln des 20. Jahrhunderts zurückgreifen. So erlernten sie zum Beispiel den Umgang mit Funkgeräten, um Kontakt untereinander und zu Unterstützern in anderen Ländern zu halten. Heute nutzen sie Digitalkameras und das Internet, um die Regierung und NGOs ständig mit den neuesten Beweisen für illegale Invasionen ihres Lebensraums durch weiße Farmer oder Goldsucher zu dokumentieren.
Auch die Kayapó haben bei ihrem Kampf gegen ein Staudammprojekt, bei dem ihre Heimatregionen am Oberlauf des Río Xingú überflutet worden wären die internationale Öffentlichkeit gesucht. Zu ihren Unterstützern gehöt unter anderem auch der Sänger "Sting", der ein Buch über den Regenwald und seine Bewohner geschrieben hat. Um eine Basis für eine langfristige Unterstützung indigener Völker in den Regenwaldgebieten zu schaffen gründete er später die "Rainforest Foundation".
Infolge der Ausdehnung der Aktivitäten der Yanomami oder der Kayapó über die Grenzen ihrer Welt hinaus stand die bis dahin gängige Praxis der Vertreibung und des Völkermords in den tropischen Regenwäldern Brasiliens plötzlich im Rampenlicht einer breiten internationalen Öffentlichkeit. Trotzdem ist der Kampf der Kayapó noch nicht gewonnen, wie mit der Entlassung von Megaron Txucarramãe, einem Angehörigen der Kayapó, aus der FUNAI (Brasiliens Regierungsbehörde für indigene Völker) deutlich wurde. Seinen Angaben zufolge wurde er entlassen, weil er immer wieder gegen den Bau des Belo Monte-Staudamms am Río Xingú eingetreten sei.
Das bedrohteste Volk der Welt
Heute setzt sich Herr Kopenawa nicht nur für die Rechte seines eigenen Volks, die Yanomami ein, sondern darüberhinaus für diejenigen aller Indigenen Völker in den Wäldern Amazoniens. Im Rahmen der internationalen Konferenz "Rio +20" forderte er jetzt von den Regierungen der dort vertretenen Nationen sich für den Schutz des - wie die Menschen- und Völkerrechtsorganisation "Survival International" es ausdrückt - "bedrohtesten Volkes der Welt" einzusetzen. Sie müssten Brasilien drängen, die illegale Abholzung auf dem Land der "Awá" zu stoppen.
Der Schutz der Landrechte der Awá sei der einzige Weg, das Überleben des indigenen Volkes zu sichern. In einem Artikel vom 19.06.2012 zitiert "Latina Press" Herrn Kopenawa mit den Worten (Zitat): "Die Awá müssen mit ansehen wie ihr Wald abgeholzt wird – schneller als jeder andere im Amazonasgebiet. Wie viel länger will die Regierung noch warten, um die illegalen Siedler, Viehzüchter und Holzfäller auszuweisen und das Gebiet der Awá endlich effektiv zu schützen?" Für sein Engagement ist Davi Kopenawa mit internationalen Auszeichnungen geehrt worden.
Deshalb tun sie nichts
Im August 2011 war Davi Kopenawa zu Besuch in Deutschland, um hier auf neue Probleme der Yanomami mit Goldgräbern aufmerksam zu machen und um Unterstützung für sein bedrängtes Volk zu werben. Auf die Frage eines Journalisten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), wie es ihm in München gefalle, antwortete Herr Kopenawa, egal ob Sao Paulo, Rio de Janeiro oder München: Alle Städte sähen für ihn gleich aus. In München sei er spazieren gegangen und habe sich die Bäume angesehen, die wenigen, die es dort gebe. Denn immerhin seien sie anders als die Bäume im Wald bei den Yanomami. Sie hätten andere Blätter und Stämme, und es mache ihm Spaß, sie zu vergleichen. Auf die Probleme der Yanomami mit den Goldgräbern angesprochen sagte Herr Kopenawa (Zitat):
"Sie haben sich flussaufwärts niedergelassen und verseuchen dort das Wasser mit ihrem Quecksilber. Wir haben kein Trinkwasser mehr und können auch den Fisch nicht mehr essen. Sie arbeiten mit großen Maschinen, die so laut sind, dass sie alle Tiere verscheuchen. Wir haben schon mit vielen Politikern darüber gesprochen, weil es illegal ist, dass sie auf unser Gebiet kommen, aber die hören uns gar nicht. In unserem Bundesstaat Roraima gibt es viele Politiker, die Freunde der Goldgräber sind. Deshalb tun sie nichts."
Ich denke, es ist eines der größten Hindernisse für Fortschritte bezüglich der Erhaltung einer lebenswerten Umwelt, der Beendigung des Atomzeitalters oder beim Kampf gegen die drohende Klimakatastrophe, dass es überall in der Welt viele Politiker gibt, die sich die falschen Freunde aussuchen, weil sie hoffen, dass es bei denen etwas zu holen gibt. Diese Politiker sind ihren "Freunden" hörig, hören aber nicht mehr auf die Menschen, von denen sie gewählt wurden und denen allein sie verpflichtet sind. Das ist hier bei uns in Deutschland nicht anders, als in Brasilien oder im Wald bei den Yanomami - oder bei den Awá, die mit Unterstützung durch "Survival International" jetzt auch zu technischen Mitteln greifen, um die Welt mit Hilferufen per Video auf ihre gefährliche Lage aufmerksam zu machen:
"Was ihr tut ist sehr wichtig. Helft uns so schnell ihr könnt.
Der Wald ist unser. Ich bin der Wald.
Wir wollen nicht, dass die Holzfäller den Wald zerstören.
Schickt sie fort.
Wir wollen, dass das Land nur uns gehört, wir es nutzen können. Ich bitte Euch viele Nachrichten an den Justizminister zu senden, um zu fordern, die illegalen Holzfäller von unserem Land zu vertreiben. Ich hoffe die Lösungen des Ministers brauchen nicht zu lange.
Der Regen hat aufgehört und die Holzfäller kommen zurück und zerstören alles.
Sendet viele Nachrichten.
Fordert, die Holzfäller sofort aus unserem Wald zu verweisen."
Hajkaramykya, Awá
Zum Weiterlesen:
Das gesamte Interview mit Herrn Kopenawa kann man auf der Internetseite der FAZ nachlesen:
- Davi Kopenawa
- "Der Himmel wird herunterfallen" -
- Wolfgang Schwarz
- "Der tropische Regenwald" -
(Quellen: Latina Press vom 19.06.2012, Survival International vom 19.06.2012, Der Standard vom 30.05.2012, FAZ vom 08.08.2011, Wikipedia, AVAAZ, Greenpeace, WWF, Wolfgang Schwarz - Der tropische Regenwald)
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