ZDF-Heute vom 28.10.2017 (Ausschnitt, Filmbeitrag zum Thema Klimawandel)
Der Rückgang des grönländischen Eisschildes trägt in erheblichem Maße zum globalen Meeresspiegelanstieg bei. Der "79°-Nord Gletscher" im Nordosten Grönlands steht in direktem Kontakt mit warmem, in der Framstraße rezirkulierendem Atlantikwasser.
Die Mitte Oktober 2017 beendete Forschungsexpedition "Greenland ice sheet/ocean interaction" (GRISO) führte den Forschungseisbrecher "Polarstern" des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) in diesem Jahr in den Nordosten Grönlands. Die Expedition setzte die Arbeiten fort, die dort im Sommer 2016 im Rahmen einer vorangegangenen Expedition mit der "Polarstern" begonnen worden waren.
In dieser Region hat sich das Atlantikwasser während der letzten Jahrzehnte beträchtlich erwärmt. Gleichzeitig zeigt der "79°-Nord Gletscher" Anzeichen eines Rückzugs seiner "schwimmenden" Gletscherzunge. Die Wissenschaftler untersuchten die achtzig Kilometer lange "schwimmende" Eiszunge des Gletschers. Die Ergebnisse der Expedition tragen zur Erforschung der komplexen Wechselwirkungen zwischen dem Ozean und dem Eisschild in Nordostgrönland bei.
Warmes Meerwasser unter der Gletscherzunge taut das Eis von unten an. Es wird von der Unterseite her dünner. Irgendwann fehlt der Auftrieb durch das weggetaute Eis. Infolge seines Eigengewichts bricht das Eis ab und treibt als Eisberg mit den Meeresströmungen in wärmere Gebiete des Atlantiks, wo es endgültig schmilzt.
Das geht aus einem Filmbeitrag der ZDF "Heute"-Nachrichten vom 28.10.2017 hervor. Herr Kanzow (AWI, Leiter der GRISO-Expedition) sagt im Film (Zitat): "Am Anfang waren eigentlich nur die Regionan des südlichen und westlichen Eisschildes betroffen. Mittlerweile beginnt auch der Nordosten Grönlands seinen Beitrag zu leisten."
Seiner Kollegin Frau Humbert (AWI) zufolge wird der Verlust der schwimmenden Gletscherzunge bis zum Jahr 2100 mindestens zu einem Anstieg des Meeresspiegels um 6 bis 10 Zentimeter führen. In dieser Prognose seien aber einige der Prozesse, die zu dieser Beschleunigung des Rückgangs der Gletscher führen, noch nicht berücksichtigt. Im Kommentar zu Film heißt es diesbezüglich weiter, dass der Meeresspiegel noch schneller ansteigen wird, als bisher angenommen wurde.
Unwägbarkeiten
Diese Entwicklung und ihre Ursachen sind gutes Beispiel dafür, dass die Prognosen zum Klimawandel, die gemeinhin als "die schlimmsten zu erwartenden Folgen" beschrieben werden, unter Umständen eher die minimalen zu erwartenden Folgen abbilden, als das, was der Menschheit tatsächlich noch bevorstehen könnte. Die Regierungen der Länder, welche die größte Schuld am beschleunigten Anstieg der mittleren globalen Temperatur tragen, handeln daher in höchstem Maße fahrlässig, wenn sie in der Annahme, man könne die Atmosphäre unbesorgt bis zur berechneten Schmerzgrenze mit CO2-auffüllen, weiterhin dem Drängen der Konzerne nachgeben, deren Profite die fortgesetzte Verbrennung fossiler Energieträger voraussetzen. Nicht zuletzt trifft das auch auf die deutschen Bunderegierungen - insbesondere während der letzten zehn bis 15 Jahre - zu.
Folgerichtig fordert daher beispielsweise auch der "Sachverständigenrat für Umweltfragen" (SRU) in seiner im Oktober 2017 veröffentlichten Stellungnahme die kommende Bundesregierung auf, den Kohleausstieg unverzüglich einzuleiten. Die bevorstehende Legislaturperiode böte die letzte Chance, die Weichen für eine angemessene Umsetzung der Pariser Klimaziele in Deutschland zu stellen.
Die Komplexität der Zusammhänge zwischen den Abläufen in den Klimasystemen der Erde lässt sich mit der fortschreitenden Genauigkeit der Klimasimulationen immer besser darstellen. Trotzdem verbleiben - eben wegen der komplexen Zusammenhänge - immer noch zu viele Unwägbarkeiten, um eine berechnete Belastungsgrenze tatsächlich als "unbedenklich" zu definieren.
Die Klimaforscher haben dem Rechnung getragen, indem sie aufgrund neuerer Erkenntnisse die ursprünglich benannte "plus 2°C Grenze" um 0,5 auf 1,5°C nach unten korrigiert haben. Mit dem Klimaschutz-Abkommen von Paris und der Formulierung, 'man strebe an, den Anstieg der globalen Erwärmung auf 2 Grad, möglichst aber auf 1,5 Grad zu begrenzen', sind diese neuen Erkenntnisse endlich auch von den Regierungen der an dem Abkommen beteiligten Länder weitestgehend anerkannt worden.
Quelle: Klima schützen – Kohle stoppen! |
Aufgrund der zuvor erwähnten Unwägbarkeiten wäre es jedoch vernünftig, wenn die Menschheit sich auf einen maximalen Anstieg der mittleren globalen Temperatur verständigen würde, der deutlich unterhalb der "plus 1,5°C-Grenze" liegt. Ein große Problem sehe ich aber bereits darin, dass in vielen Ländern - darunter auch Deutschland(!) - nicht einmal die im Klimaschutz-Abkommen von Paris formulierte Absicht mit den dafür notwendigen Maßnahmen untermauert wird.
- Und: Je länger damit noch gewartet wird, desto weniger Zeit bleibt, um die CO2-Emissionen noch rechtzeitig auf Null reduzieren zu können. - Und je weniger Zeit dafür bleibt, desto schmerzhafter werden die damit verbundenen Maßnahmen für die Gesellschaften in den betroffenen Ländern ausfallen.
Die Ursachen für den beschleunigten Klimawandel, die damit einhergehende globale Erwärmung und die zu erwartenden Folgen waren im Wesentlichen bereits vor 20 Jahren bekannt und abzusehen. Heute wissen wir, dass der Klimawandel in der Vergangenheit in der Regel immer schneller vorangeschritten ist, als zuvor angenommen worden war und dass die damit verbundenen - in einigen Regionen der Welt bereits seit Jahren schmerzhaft spürbaren(!) - Folgen entsprechend früher eingetreten sind. Wäre bereits vor zwanzig Jahren mit dem weltweiten Umbau der Energieversorgung und der Entwicklung und Einführung CO2-neutraler Antriebstechnologien begonnen worden, dann hätten wir das Ziel - bei gleichbleibendem oder sogar höherem Lebensstandard - problemlos erreichen können.
Eine nicht verhandelbare Eigenschaft des Klimasystems
Diese Zusammenhänge beschreibt auf anschauliche Weise auch Herr Rahmstorf (Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung - PIK, Klimatologe) in einem Artikel vom 17.10.2017, den er in seinem Blog "Klima Lounge" veröffentlicht hat.
Der SRU habe ein großzügig bemessenes Weltbudget von 850 Gigatonnen (Gt) angenommen - was jedoch die große Gefahr in sich berge, dass die globale Erwärmung über 2 °C steigen könnte - und Deutschland daher - entsprechend des Anteils seiner Bevölkerung an der Weltbevölkerung - ab Anfang 2015 ein Restbudget in Höhe von 9,4 Gt zugebilligt. Abzüglich der Emissionen aus den Jahren 2015, 2016 und 2017 würden demnach ab 2018 7 Gt verblieben.
Angesichts der aktuellen Emissionen in Höhe von jährlich 0,8 Gt würden die 7 Gt noch neun Jahre reichen. Das heißt, bereits im Jahr 2036 müssten sie auf "Null" zurückgegangen sein!
Dies sei jedoch keineswegs das Ziel der Bundesregierung. Diesbezüglich müsse deshalb in den gerade stattfindenden Koalitionsverhandlungen dringend nachgebessert werden. Dass Deutschland seine CO2-Emissionen jetzt bereits bis 2036 auf Null reduzieren muss, sei auf die ungenügende Energie- und Klimapolitik der letzten Bundesregierungen zurückzuführen. Wenn früher mit der Reduzierung der Emissionen begonnen worden wäre, dann gäbe es heute noch viel mehr Spielräume.
Die entscheidende Eigenschaft eines begrenzten Budgets sei, dass man das, was man bereits ausgegeben hat, später nicht noch einmal ausgeben kann. Ein begrenztes Budget bestrafe Abwarten wesentlich härter als ein festes Enddatum. Das begrenzte Budget sei eine Folge der Langlebigkeit von CO2 in der Atmosphäre, ...
- ... eine Eigenschaft des Klimasystems,
die nicht verhandelbar ist!
Der SRU teile das Gesamtbudget von 9,4 Gt ab 2015 außerdem auf einzelne Sektoren auf. Demzufolge würden 3 Gt auf die Energiewirtschaft entfallen. Maximal 2 Gt davon verblieben für die Kohleverstromung. Die CO2-Emissionen der deutschen Kohlekraftwerke lägen aktuell bei 0,25 Gt pro Jahr. Sollte sich daran nichts ändern, so würde das Emissionsbudget für die Kohleverstromung ab 2015 also maximal noch für 8 Jahre reichen - ab 2018 blieben dann also nur noch 5 Jahre.
Daraus schließe ich, dass der Kohleausstieg in diesem Fall bis 2023 mit der unverzüglichen Stillegung sämtlicher deutschen Kohlekraftwerke abgeschlossen werden müsste. Die dafür notwendigen Maßnahmen müssten jetzt im Rahmen der Verhandlungen über die Bildung einer Regierungskoalition festgelegt werden.
Wenn hingegen bereits im kommenden Jahr mit einer kontinuierlichen Stillegung der Kohlenmeiler begonnen werden würde, dann würden die CO2-Emissionen bereits früher sinken, sodass insgesamt eine etwas längere Frist bis zur Stillegung des letzten Kohlekraftwerks verbliebe. Aber auch über die dafür notwendigen Schritte, welche die Stillegung der ersten Kohlekraftwerke im kommenden Jahr vorsehen müssten, müsste jetzt entschieden werden.
Je später mit der Stillegung der Kohlekraftwerke begonnen werde, schreibt Herr Rahmstorf weiter, desto früher müsse der Ausstieg aus der Kohleverstromung beendet sein. Deutschland habe mit seiner Energiewende vergleichsweise schon viel erreicht. Die Anteil der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien übersteige inzwischen denjenigen aus der Kohleverstromung. Der trotzdem weiterhin aufrechterhaltene Betrieb der Kohlekraftwerke, der riesige Exportüberschüsse zur Folge habe, untergrabe jedoch den Klimaschutz. Deshalb müsse die Kohleverstromung jetzt umso rascher auf "Null" heruntergefahren werden.
Zum Weiterlesen:
Alfred-Wegener-Institut
Wochenberichte der GRISO-Expedition der "Polarstern"
- 12.09. bis 17.09.2017
- Die Vorboten Grönlands
- 18.09. bis 24.09.2017
- Am 79°-Nord Gletscher
- 25.09. bis 01.10.2017
- Zwischen Ile-de-France und Norske Oer
- 02.10. bis 08.10.2017
- Am äußeren Schelf
KlimaLounge
- Stefan Rahmstorf:
- Die Koalitionsgespräche
und das deutsche Emissionsbudget
Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU)
(Quellen: ZDF-Heute vom 28.10.2017 - Filmbeitrag ab 9 Minuten und 57 Sekunden, KlimaLounge - Stefan Rahmstorf vom 17.10.2017, Süddeutsche Zeitung vom 11.12.2017, Spiegel vom 28.09.2017, AWI, Sachverständigenrat für Umweltfragen - Stellungnahme vom Oktober 2017 )
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