Donnerstag, 13. Januar 2011

Dioxin - heute in aller Munde


Gambit - Dokumentarfilm aus dem Jahre 2005 von Sabine Gisiger (Trailer)

Der "Bosco delle Querce di Seveso e Meda" ist ein Regionalpark in der Lombardei (Italien), der im Jahre 2005 eröffnet wurde. Im Unterschied zu anderen Nationalparks, Landschaftsschutzgebieten oder Reservaten, wie sie in vielen Ländern der Welt für den Schutz wertvoller Naturschätze oder ganzer Landschaftsräume eingerichtet werden, gibt es im "Bosco delle Querce" eigentlich so gut wie nichts, was natürlichen Ursprungs ist.

In diesem ungefähr 20 Kilometer nördlich von Mailand gelegenen Park wurde alles ganz genau geplant. Zuerst wurden die oberen Schichten des Erdreichs abgetragen und abtransportiert. Man ersetzte es durch Mutterboden den man aus anderen Landesteilen herbeigeschafft hatte. Dann pflanzte man Bäume und Gebüsch, legte Wiesen und Feuchtbiotope an. Erst die abschließende Gestaltung des 43 Hektar großen Geländes überließ man der Natur ...


Rückblende ...

Bis 1976 gab es auf dem Gelände des heutigen Parks Häuser. Menschen lebten dort und gingen ihren täglichen Geschäften nach. Viele von ihnen arbeiteten in der Chemiefabrik "Icmesa" bei Meda in der Nähe von Mailand. So auch am Samstag, dem 10. Juli 1976, als bei "Icmesa" der Reaktor für das Wochenende heruntergefahren wurde.

Am Nachmittag des 9. Juli 1976 hatten die Mitarbeiter der Fabrik mit dem Füllen eines Reaktionskessels für die Produktion von Trichlorphenol begonnen. Nach Beendigung der Vorbereitungen fuhren sie die Temperatur des Reaktors herauf, so dass er gegen Abend zu arbeiten begann. In den frühen Morgenstunden des darauf folgenden Tages war die Reaktion des Kesselinhalts beendet.

Um 6 Uhr endete die Nachtschicht und ein Mitarbeiter schaltete das Rührwerk des Reaktorkessels ab. Zu diesem Zeitpunkt war die Temperatur im Reaktor noch zu hoch. Da der Kesselinhalt jetzt nicht mehr ständig umgeschichtet wurde kam es zu einem Wärmestau, woraufhin um die Mittagszeit des 10. Juli 1976 eine chemische Reaktion einsetzte, in deren Folge es im Reaktor zu einem schnellem Druck- und Temperaturanstieg kam, der schließlich zu einer Explosion führte. Ein Sicherheitsventil öffnete sich automatisch und der unter Überdruck stehende Reaktor entlud sich eine halbe Stunde lang über eine Abblasstation in die Umwelt.

Die sich ausbreitende Wolke trieb über das dicht bevölkerte Gebiet der benachbarten Gemeinden Seveso, Meda, Desio und Cesano Maderno. Den Behörden der betroffenen Gemeinden wurde mitgeteilt, es bestehe keinerlei Gefahr für die Bevölkerung.

Der Betrieb in der Chemiefabrik wurde noch eine ganze Woche lang wie gewohnt fortgesetzt. Irgendwann in den ersten Tagen nach dem Unfall tauchten dann die ersten Mütter mit ihren Kindern in den Arztpraxen von Seveso auf. Die Kinder litten unter Hautverätzungen und Ausschlag. Schnell wurden es immer mehr Menschen, die unter solchen Symptomen litten und auf den Feldern verdorrten die Pflanzen. Unzählige Tiere starben. Die Verantwortlichen von "Icmesa" hüllten sich in Schweigen.

Es dauerte noch zwei weitere Wochen, bevor offiziell bekannt wurde, dass in der angeblich harmlosen Gaswolke ein bis drei Kilogramm Dioxin enthalten waren, und die ersten Menschen aus dem betroffenen Gebiet evakuiert wurden. Sie mussten ihr gesamtes Eigentum zurücklassen. Ebenso wie die Chemiefabrik wurden auch viele ihrer Häuser abgerissen. Die oberen Schichten des Bodens wurden abgetragen. 800 Menschen hatten ihr Zuhause und ihre gesamtes Eigentum verloren.

Insgesamt waren rund 37000 Menschen von den Folgen des Chemieunfalls betroffen. Einige mussten wegen schwerer Chlorakne behandelt werden und sind für ihr Leben entstellt. In den folgenden zehn Jahren stieg die Zahl der Leukämiefälle auf das Doppelte. Nach Informationen von Greenpeace soll sich die Zahl der Gehirntumore verdreifacht haben. Wie viele Opfer die Katastrophe tatsächlich forderte, wisse bis heute niemand ...


Dioxin - heute in aller Munde

Wenn heute allgemein die Rede von Dioxin ist, dann ist in der Regel eigentlich eine ganz bestimmte chemische Verbindung gemeint: Das "Seveso Dioxin" bzw. "Seveso TCDD". Entsprechend seiner chemischen Schreibweise "2, 3, 7, 8-Tetrachlor-dibenzo-p-dioxin" heißt es eigentlich "zwei drei sieben acht tetrachlor/dibenzo/para/dioxin" (abgekürzt: TCDD). Es ist dir giftigste Substanz von insgesamt 75 verschiedenen Isomeren aus der Gruppe der Polychloriddibenzidioxine (abgekürzt: PCDD).

Bis zum Juli 1976 hatte kaum ein Mensch jemals etwas von einer chemischen Substanz namens "Dioxin" gehört. Mit dem Chemieunfall in der bei Seveso gelegenen Fabrik "Icmesa" wurde es innerhalb kürzester Zeit auf tragische Weise berühmt, und heute ist es in aller Munde.
Wie uns hier in Deutschland mit dem im Dezember
2010 bekannt gewordenen Futtermittelskandal erneut
in Erinnerung gerufen wurde, muss man das leider
immer wieder auch wörtlich nehmen.

Ein prominentes Opfer einer Dioxinvergiftung ist der ehemalige Präsident der Ukraine, Viktor Juschtschenko. Im Jahre 2004 wurde ein Dioxin-Giftanschlag auf ihn verübt. Als man dahinter gekommen war, was mit ihm passiert war, wurden bei ihm 100 ppb Dioxin pro Kilogramm Körpergewicht festgestellt.

Dioxine entstehen unter anderem als unerwünschte Nebenprodukte bei der Verbrennung von organischen Verbindungen in Gegenwart von Clor verbindungen im Temperaturbereich zwischen etwa 300 und 600 Grad Celsius ("Dioxin-Fenster"). Neben technisch-industriellen Prozessen war bis in die achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts die Müllverbrennung eine der Hauptursachen für die Entstehung von Dioxinen.

Sie sind sehr langlebig und werden in der Umwelt kaum abgebaut. Spuren von polychlorierten Dioxinen sind heute selbs in den entlegensten Gegenden der Welt anzutreffen. Da sie sehr gut fettlöslich sind, reichern Dioxine sich über die Nahrungskette vor allem in tierischen Lebensmitteln wie Eiern, Fleisch oder Milchprodukten an.

Zum Weiterlesen:


(Quellen: Spiegel vom 12.01.2011, Greenpeace 10.07.2006, Spiegel ''Kalenderblatt 10.7.1976'', Zeit vom 10.07.2006, Focus vom 29.11.1993, Wikipedia, ''Dioxin'' - Verlag Kölner Volksblatt 1984)

1 Kommentar:

Frau Momo hat gesagt…

Danke, das Du an Seveso erinnerst... wir haben hier vor Jahrzehnten einen Kampf gegen Boehringer geführt, die einen ganzen Stadtteil hier vergiftet haben.
Und die Lebensmittelskandale werden munter weiter gehen. Da bin ich mir leider sicher, solange sich nicht auch das Verbraucherverhalten ändert.

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