Samstag, 15. Januar 2011

Der Krieg des Agenten Orange


"Regen der Vernichtung - Das Erbe des Vietnamkriegs" (Teil 1/3, 2/3 und 3/3)
(Dokumentarfilm von James Pastouna aus dem Jahre 2006)

Mitte der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts fragten meine Eltern uns Kinder eines Tages, was wir lieber haben würden: Ein Fernsehgerät oder ein Auto. Meine Schwester und ich waren uns sofort darüber einig, dass wir lieber zuerst ein Fernsehgerät haben würden. So kam der große, schwere, würfelförmige Kasten mit seiner noch recht rundlichen Schwarz-Weiß-Bildröhre und seinem Trommel-Tuner zu uns, der uns den Empfang der Fernseh Programme von ARD und ZDF ermöglichte.

Tagsüber wurde "die Flimmerkiste" nur für uns Kinder in Betrieb genommen, damit wir die Sendungen der Kinderprogramme sehen konnten. Abends mussten wir damals ohnehin noch früh ins Bett. Nach dem allabendlichen Sandmännchen war Feierabend. Nur ich durfte irgendwann bis zum Ende der Tagesschau aufbleiben, da ich einige Jahre älter bin als meine Schwester.

An den Wochenenden stand die Auswahl des Vorabendprogramms unter der Hoheit meines Vaters: Die "Sportschau" und der "Weltspiegel" waren darin die festen Größen. Im Weltspiegel waren damals regelmäßig Filmberichte über den Krieg der US-Armee in Vietnam zu sehen. Ich muss zu dieser Zeit so um die zehn Jahre alt gewesen sein. Anfangs werden mich wohl nur die Bilder der "Filme" beeindruckt haben. Den feinen Unterschied zwischen Reportagen, Dokumentarfilmen und Spielfilmen habe ich wahrscheinlich erst später begriffen ...


Der Krieg des Agenten Orange

Wann genau mir bewusst wurde, was da in Vietnam vor sich ging, kann ich heute nicht mehr sagen. Sicher ist nur, dass die Berichte über diesen Krieg, mit dem die USA den Norden Vietnams "in die Steinzeit zurückbomben" wollten, die Fernsehberichte über die Demonstrationen der Kriegsgegner, sowie die Erzählungen meiner Großeltern mütterlicherseits mich später dazu veranlasst haben, meinen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer zu stellen.

Erst viele Jahre später, als ich mich nach dem Unfall in der Chemiefabrik "Icmesa" bei Seveso mit dem Thema "Dioxin" beschäftigte, fand ich heraus, dass mit dem Ende der Bombardements der US Air Force in Nordvietnam und dem zuletzt fluchtartigen Rückzug der letzten US-Amerikaner aus Vietnam im April 1975 der Krieg für die Menschen dort noch lange nicht zu Ende war. Er fordert auch heute, 35 Jahre nach seinem offiziellen Ende, immer noch neue Opfer.

Im Kriegsjahr 1965 begann die US Air Force damit, die Wälder in den Kriegsgebieten Nordvietnams großflächig mit Chemikalien zu besprühen. Das Ziel dieser Chemiewaffenangriffe war die Entlaubung der dichten Wälder, um den Soldaten Nordvietnams die Deckung zu nehmen und sie dann aus der Luft angreifen zu können. Dadurch sollten die drastischen Verluste unter den Bodentruppen der US-Army reduziert werden.

Das hauptsächlich von den US Chemieproduzenten "Dow Chemical" und "Monsanto" für die Armee hergestellte "Entlaubungsmittel", das später unter der militärischen Bezeichnung "Agent Orange" bekannt wurde, war zu einem großen Teil mit "2,3,7,8-Tetrachlordibenzoparadioxin" verunreinigt -jenem giftigsten Dioxin aus der Gruppe der Polychloriddibenzidioxine (PCDD), das seit dem Chemieunfall bei Seveso im Jahre 1976 unter der Bezeichnung "Seveso-Dioxin" international bekannt wurde. Die direkten Folgen für die Bevölkerung und die Soldaten Nordvietnams ähnelten denen der von den Folgen des Chemieunfalls in Italien betroffenen Bevölkerung. Die Menschen in Vietnam wurden jedoch nicht evakuiert, und der verseuchte Boden und alles was sich darauf befindet wurde auch nicht abgetragen und durch unbelastete Muttererde ersetzt, wie es in Italien der Fall gewesen war. Und anstelle eines einmaligen Unfalls wurden sie täglich aufs neue mit "Agent Orange" angegriffen:
"Mein Name ist Hai Tam (...) Ich möchte betonen, dass ich nur eines unter vielen tausend Opfern bin (...)

Ich bin mehrmals direkt von diesem Gift getroffen worden. Es war eine milchige Flüssigkeit. Sie traf mich insgesamt sechs Mal, und zwar so, dass ich am ganzen Körper völlig nass war. Ich und die vielen, die ebenfalls direkt getroffen wurden, bekamen nach diesen Einsätzen zunächst rot unterlaufene Augen, einige wurden ohnmächtig.

Die Flugzeuge kamen immer nur morgens von Sonnenaufgang bis etwa neun Uhr. Sie versprühten das Gift aus etwa hundert Metern Höhe. Viele von uns, die sich nicht gleich in Sicherheit bringen konnten, erlitten Verbrennungen, die Kehle trocknete ihnen aus, die Zunge brannte und die Lippen sprangen auf. Sie erbrachen Blut und starben nach kurzer Zeit (...)"

Auszug aus dem Buch: "Als mein Kind geboren wurde, war ich sehr traurig" (Lenos Verlag, Basel)

Viel weitreichender sind die Folgen der "Agent Orange"-Angriffe jedoch für die nachfolgenden Generationen der Menschen in Vietnam, die im Krieg mit dem Dioxin vergiftet wurden und deren Erbgut davon geschädigt wurde. Unzählige Kinder kamen tot oder mit schwerwiegenden körperlichen und geistigen Behinderungen zur Welt. Während aber die Vietnam-Veteranen der US-Army, die dem Gift ebenso ausgesetzt waren, wie diejenigen die es eigentlich treffen sollte, immerhin einen außergerichtlichen Vergleich in Höhe von rund 200 Millionen Dollar abschließen konnten, hatten die vietnamesischen Opfer vor Gerichten in den USA bisher keinen Erfolg mit ihren Klagen.

Die Anwälte der Chemiehersteller argumentierten, es gebe keine Beweise für einen direkten Zusammenhang zwischen Agent Orange und Gesundheitsproblemen. Wie aus der Film Dokumentation "Gift im Angebot - Die Erfolgsstory des US-Multis Monsanto" von Manfed Ladwig aus dem Jahre 2007 hervorgeht, untermauerten sie ihre Behauptungen mit gefälschten Statistiken. Gegen diese Behauptungen sprechen jedoch sowohl im Film erwähnte Dokumente, die inzwischen aufgetaucht sind, wie auch eine lange Reihe epidemiologischer Untersuchungen in Vietnam. Aber die mittellosen Opfer in Vietnam werden bis heute ebenso von der Völkergemeinschaft im Stich gelassen, wie auch von denen, die ihnen all das angetan haben. Für diese Menschen ist der Krieg, der seine Opfer inzwischen bis in die dritte Generation fordert, auch 35 Jahre nach seinem offiziellen Ende noch lange nicht vorbei:
"Kriege enden nicht, wenn keine Bomben mehr fallen und die Kämpfe aufgehört haben. Die Zerstörungen dauern viel länger an, in der Landschaft ebenso wie im Gedächtnis und in den Körpern der Menschen."

Zitat aus dem "Stockholmer Appell zu den Langzeitfolgen des Krieges in Laos, Kambodscha und Vietnam" im Juli 2002

Kriegsschäden in Kanada

Wenig bekannt ist auch, dass die US-Army  ihre Giftstoffe, die sie in Vietnam zum Einsatz bringen wollte, vorher auf der Militärbasis Gagetown in Kanada testete. Im Jahre 1964 trugen heftige Winde die versprühten Chemikalien in die Wohngegenden von Upper Gagetown und Sheffield, woraufhin die kanadische Regierung mehrere Gärtnereien mit etwa 250000 US-Dollar für ausgefallene Ernten entschädigte. Während einer Informationsveranstaltung wurde bekannt, daß die Regierung über die Gefahren der eingesetzten Gifte informiert war. Aufgrund der Dioxingefahr - hieß es - sei der Einsatz nach 1964 eingestellt worden.

Allerdings ist inzwischen belegt, dass das kanadische Verteidigungsministerium diese Stoffe in den Jahren 1966 und 1967 bei acht weiteren Tests in Gagetown verwendete. Dokumente belegen, daß auf der Gagetown Basis von 1956 bis 1984 auf über 181000 acres mehr als 1,3 Millionen Liter flüssige- und zwei Millionen lbs trockene hexachlorbezen- und dioxinhaltige Herbizide eingesetzt wurden. Das ist einem Referat zu entnehmen, welches Art Conolly (Agent Orange Association of Canada, Vizepräsident) am 28. und 29. Mai 2006 während der internationalen Opferkonferenz Hanoi hielt.


Alles, was mir über "Agent Orange" bereits bekannt war und alles was ich bei meinen Recherchen zu diesem Artikel zusätzlich zutage befördert habe, bestärkt mich erneut in meiner Auffassung darüber, dass man Regierungen und Militärangehörigen nichts glauben darf, wenn es um ihre Aussagen über Kriege geht. Außerdem zeigt der Dokumentarfilm "Gift im Angebot - Die Erfolgsstory des US-Multis Monsanto" einmal mehr, mit welcher lebensverachtenden Arroganz international operierende Konzerne daran arbeiten, ihre ohnehin schon üppigen Gewinne immer weiter zu steigern. Das Geld, dass sie für die Bezahlung skrupelloser Anwälte benötigen, ist dabei locker übrig. Wenn sie aber doch einmal zu Strafen in Millionenhöhe verurteilt werden, dann zahlen sie die mal eben aus der Portokasse und machen weiter wie bisher.
 
  • Medien:
    Monsanto - Gift im Angebot (Teil 1/3, 2/3 und 3/3)
    2007, Dokumentarfilm von Manfred Ladwig



(Quellen: Agent Orange, Spiegel vom 06.02.2010, Vereinigung Schweiz - Vietnam, Freundschaftsgesellschaft Vietnam über Agent Orange, Art Conolly - Agent Orange Association of Canada, VAVA, VVA, VVAA, Wikipedia)

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