Montag, 8. März 2010
Discounter Wildwuchs bedroht Innenstadt
Bremerhaven, Fußgängerzone: Karstadt am nördlichen Ende des Columbus-Centers
Seit Jahren fordert der Bremerhavener Einzelhandel ein Einzelhandelskonzept für die Stadt. Bereits 2007 schlug die Industrie- und Handelskammer Bremerhaven (IHK) als Vertreterin des Bremerhavener Einzelhandels der Großen Koalition aus CDU und SPD vor, ein solches Einzelhandelsgutachten gemeinsam in Auftrag zu geben. Dabei geht es der IHK darum, dass später weder die Politik dem Bremerhavener Einzelhandel, noch die Einzelhändler der Politik vorwerfen können, das Gutachten sei nicht objektiv. Seit dem wurde die Auftragsvergabe für ein Einzelhandelsgutachten von der Großen Koalition blockiert.
Herr Teiser (CDU, Bürgermeister, Kämmerer) tat sich im Kampf gegen ein Einzelhandelsgutachten besonders hervor. Es waren auch Herr Teiser und seine CDU, die der SPD vorwarfen, sie setze den Fortbestand der Großen Koalition auf's Spiel, sollte sie sich gegen die Ansiedlung eines "Kaufland"-Vollsortimenters auf dem Phillips-Field entscheiden. Diese Ansiedlung wurde von Beginn an von den Bürgern und Einzelhändlern im Bereich der Hafenstraße bekämpft, da sie das Ende des Einzelhandels in dem historisch gewachsenen Geschäftszenmtrum Hafenstraße bedeuten würde. Nachdem der Streit darüber, auch innerhalb der Großen Koalition, immer weiter eskaliert war, verabredeten die CDU und die SPD, die Kaufland-Pläne für den Rest der aktuellen Legislaturperiode auf Eis zu legen - nicht ohne vorher noch schnell die Änderung des Bebauungsplans abzuschließen. Die SPD stimmte als Gegenleistung für den "Waffenstillstand" in der Großen Koalition dem Bau eines OBI-Baumarkts auf dem Wilhelm-Kaisen-Platz zu. Kurze Zeit später erfolgte dann folgerichtig die Ankündigung Herrn Teisers, die CDU werde das Thema "Kaufland auf dem Phillips-Field" im Anschluss an die nächste Wahl zur Stadtverordnetenversammlung wieder aus der Schublade holen.
Ein Teiser-Gutachten
Nachdem bis heute die Rufe nach einem Einzelhandelsgutachten nicht abrissen, weiterhin überall im Stadtgebiet weitere Supermärkte und Discounter entstanden - auch in nächster Nähe zum Columbus-Center und der Fußgängerzone an der Stresemannstraße - und der Druck der Öffentlichkeit nicht nachließ, entschloss sich Herr Teiser jetzt doch endlich dazu, selbst ein Einzelhandelsgutachten in Auftrag zu geben. Da er dabei aber die IHK und die Einzelhändler außen vor lässt, kann er sich die Vergabe besser gleich sparen. Das dafür notwendige Geld könnte dann an anderer Stelle sinnvoller investiert werden. Schon jetzt wird Herrn Teiser von allen Seiten vorgeworfen, das Gutachten werde seine Interessen und die der CDU berücksichtigen, nicht aber diejenigen des Bremerhavener Einzelhandels und der dort Beschäftigten. Da schon jetzt deutlich wird, dass das Gutachten nicht von allen Betroffenen als gemeinsame Planungsbasis akzeptiert werden wird, wird es nicht das Papier wert sein, auf dem es geschrieben werden wird.
Karstadt und die City
Ebenfalls seit Jahren fordern Karstadt, die IHK, die Gewerkschaft "Ver.di" und die im Einzelhandel Beschäftigten von der Großen Koalition, sie solle dem Wildwuchs der Discounter und Supermärkte in Bremerhaven endlich einen Riegel vorzuschieben. Karstadt belegt mit seiner Bremerhavener Filiale die größte Fläche am nördlichen Ende der Einkaufspassage "Obere Bürger" im Columbus-Center. Dass es um die Zukunft Karstadts in letzter Zeit nicht gut bestellt war, sollte allgemein bekannt sein. Einige Filialen in anderen Städten fielen schon den Sparmaßnahmen des Mutterkonzerns und des Insolvenzkonzepts zum Opfer. Bremerhaven blieb bisher davon verschont. Würde Karstadt seine Bremerhavener Filiale schließen, dann würde schlagartig eine riesige Fläche am nördlichen Eingang zum Columbus-Center leerstehen. Jeder Tourist, der diesen Eingang benutzt, um von der Fußgängerzone über die gläserne Brücke zum Touristik-Zentrum Havenwelten zu gelangen, würde mit diesem Leerstand konfrontiert werden. Karstadt ist das letzte verbliebene große Kaufhaus in der City. Bremerhavener, die heute "in die Stadt" zu Karstadt zum Einkauf fahren, und anschließend als Laufkundschaft noch das eine oder andere aus den anderen Geschäften in der "Oberen Bürger" mitnehmen, würden sich den Weg "in die Stadt" sparen, wenn es Karstadt dort nicht mehr gäbe. Es wäre dann nur noch eine Frage der Zeit, bis die "Obere Bürger" nach und nach ausbluten würde. Allein von gelegentlichen Einkäufen der Touristen werden die Geschäfte dort auf Dauer nicht existieren können.
Die Situation ist bitterernst
Dass dieses Szenario durchaus noch zur bitteren Realität werden könnte, verdeutlicht ein Artikel in der Nordsee-Zeitung vom letzten Freitag. Die Zeitung zitiert darin Frau Coordes (Karstadt, Betriebsrätin) mit den Worten: "Unsere Situation ist mehr als ernst, sie ist bitterernst. ... Wir haben mit allen Parteien gesprochen und deutlich gemacht, dass solche Projekte unsere Arbeitsplätze gefährden. Die nicken dann immer ganz verständig, aber es ändert sich nichts." Mit den neuesten Ansiedlungsplänen in Leherheide, Wulsdorf und an der Langener Landstraße sei das Fass jetzt zum Überlaufen gebracht worden. Der Karstadt-Betriebsrat mache vor allem Herrn Teiser dafür verantwortlich, dass die für Karstadt und die City bedrohlichen Ansiedlungen nicht aufhören. Herr Teiser sei es gewesen, der das dringend nötige Einzelhandelskonzept jahrelang bekämpft habe. Dass er nun die Vergabe eines Einzelhandelsgutachtens an sich gezogen habe, verheiße nichts Gutes. Da könne er es auch gleich selbst verfassen. Er suche lediglich nach einer Möglichkeit, Kaufland wider aller Vernunft doch noch auf dem Phillips-Field anzusiedeln. Frau Coordes in der Nordsee-Zeitung vom 05.03.2010: "Er ist dieser eine Mann, der meinen Kollegen die Zukunft kaputt macht."
Herr Neumann (Karstadt, Filialleiter) sagte in dem gleichen Artikel: "Wir warnen seit Jahren vor dem Wildwuchs im Einzelhandel. Die Kaufkraft geht zurück, die Einwohnerzahlen sinken, und hier werden immer noch munter neue Märkte eröffnet." Nicht nur große Fachmarktzentren und Discounter würden zur Gefahr für die City, sondern auch die vielen kleineren Supermärkte mit Verkaufsflächen um die 800 Quadratmeter. Diese böten bis zu 40 Prozent aus dem Nicht-Lebensmittel-Bereich an. Die Politik habe die Innenstadt erfolgreich abgemauert. Er sei zwar zuversichtlich, bis Ende April aus der Insolvenz heraus zu sein, doch bevor von einer gesicherten Zukunft für Karstadt gesprochen werden kann, müssten dann erst einmal Investoren für die 120 im gesamten Bundesgebiet verbliebenen Karstadt-Filialen gefunden werden. Wie dabei letztlich die Zukunfsaussichten für die Bremerhavener Filiale aussehen, wird nicht zuletzt vom Einzelhandelskonzept der Großen Koalition abhängen. Ein solches Konzept existiert jedoch nicht, und Frau Coordes meint, mögliche Investoren würden von der unseligen Ansiedlungspolitik in Bremerhaven nur abgeschreckt.
Ähnlich äußerte sich auch Herr Johannsen (IHK, Geschäftsführer) in dem Artikel der Nordsee-Zeitung: "Wir brauchen dringend ein verlässliches Entwicklungskonzept für den Einzelhandel." Mit Super- und Baumärkten könne man in Bremerhaven schon die Straßen pflastern.
Von der Formulierung des Auftrags für ein Gutachten hängt es ab, wie das Ergebnis später ausfällt. Deshalb fordert Herr Johannsen, die IHK müsse an der Aufgabenstellung für ein Gutachten beteiligt werden. Aufgrund des bisherigen Verhaltens von Herrn Teiser halte ich es jedoch eher für unwahrscheinlich, dass er sich das Ergebnis seines schönen Gutachtens in letzter Sekunde noch kaputtmachen lassen wird, indem er freiwillig die IHK mit ins Boot holt. Mit Vernunft hat das alles schon lange nichts mehr zu tun.
(Quelle: Nordsee-Zeitung vom 05.09.2009 und vom 05.03.2010)
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2 Kommentare:
Ich kann mich nicht zum Thema direkt äußern ... aber wir haben in Berlin ganz ähnliche Probleme. In der Stadt und drumherum wuchern Supermärkte und, Elektronik-, Bau- und Möbelmärkte wie Krebsgeschwüre mit den selben Folgen für Infrastruktur und Einzelhandel wie bei Euch. Das Grundproblem ist meiner Meinung nach die Lokalpolitik, die inzwischen genauso verkommen und korrupt ist wie "die da oben". Mitte der 90-er Jahre lernte ich Wolfgang Hochheim aus Kiel kennen, der 12 Jahre lang als Bürgermeister (CDU) die Geschicke der Stadt wesentlich mitbestimmte. Er verabschiedete sich aus der Kommunalpolitik, als es ein Miteiander der Parteien nicht mehr gab. Zu seiner Zeit war es üblich, dass zum Beispiel die CDU einen Park anlegen wollte, und dann meldeten sich die anderen zu Wort und sagten: Ja, aber... Sie lehnten den Vorschlag nicht ab, weil er von der CDU kam, aber sie wollten mit eigenen Ideen das Projekt ergänzen. Und Lösungen wurden immer gefunden. Als er hinschmiss, da war es dann so, dass also die CDU (um bei dem Beispiel zu bleiben) einen Park anlegen wollte ... und alle anderen waren strikt dagegen ... nicht, weil sie was gegen den Park hatten, sondern weil der Vorschlag durch die CDU eingebracht wurde.
Und ich glaube, dass darin das ganze Problem liegt. Es geht nicht um das Wohl des Landes, der Stadt oder der Gemeinde ... es geht um die Profilierung der Partei und um die Abgrenzung zu den anderen. Und es treibt mich in den Wahnsinn, dass diese Form der Profilneurose auf allen politischen Ebenen ununterbrochen stattfindet. Und der Schaden, der damit angerichtet wird, ist nicht wieder gutzumachen. Auf Bundesebene nicht, in Berlin nicht ... und in Bremerhaven auch nicht. Was tun...? Ich hab schon alle Parteien (außer rechts) gewählt ... und wurde immer getäuscht ... getreu dem Ausspruch von Adenauer "Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?". Es ist schon spät geworden heute ... also dann: Gute Nacht ... Deutschland
Hallo Jürgen,
verdammt, Du hast ja so recht. Was soll unsere Stadt von etwas über 110.000 EinwohnerInnen mit so viel Discountläden. Die Kaufland-Ansiedlung in Lehe ist ja seit längerer Zeit ein Thema. Du hast ja schon mal darüber geschrieben. Und wie damals wiederhole ich meine Vermutung: so wie der Bürgermeister Teiser agiert, riecht das verdammt nach Korruption (*). Sein zögerliches Handeln wegen der künftigen Nutzung des Kistner-Grundstücks ist für mich ein weiteres Indiz. Das Einzelhandelsgutachten, das er in Auftrag geben muss, wird von uns Bremerhavener Steuerzahler bezahlt. Was hat dieser Herr Teiser gegen die Bremerhavener Industrie- und Handelskammer, das er sie an der Finanzierung nicht beteiligen will? Ganz einfach: der hat sich schon festgelegt. Das wird ein Gefälligkeitsgutachten.
Mit Interesse habe ich Frank Frenzels Kommentar gelesen. Tja, dieses Gemauschel findet wohl fast in jeder deutschen Gemeinde statt. Aber das gab es schon immer. Von 1980 bis 2000 war ich in der SPD, und war auch im Bremerhavener Unterbezirk. Damals wurde auch ordentlich gekungelt.
(*) zum Thema Korruption: Wie jedes Jahr, musste ich auch dieses Jahr als niedersächsischer Finanzbeamter das Faltblatt über Korruption durchlesen und mit voller Unterschrift gegenzeichnen. Ich darf keinerlei Geld- oder Sachgeschenke annehmen. Noch nicht einmal eine Tafel Schokolade.
Die Welt ist sooo ungerecht!
Gruß
Holger
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