Dienstag, 15. November 2016

COP22: Der deutsche Kohleschutzplan 2050

oder "Der, dessen Name nicht genannt werden darf"

Zumindest vor den Kameras der Nachrichtensender freute sich Frau Hendricks (SPD, Bundesumweltminsiterin), dass sie am 14.11.2016 nun doch noch mit einem "Kohleschutzplan 2050" nach Marakesch fliegen kann.

Das ist zwar nicht mehr "ihrer" und er hat mit ihrem ursprünglichen Klimaschutzplan kaum noch etwas gemein, aber immerhin werden darin erstmals - von Herrn Gabriel erfolgreich entschärfte - Vorgaben zu den "Treibhausgas-Emissionen" genannt, die in den einzelnen Wirtschaftssektoren eingesparen werden sollten.

Sozusagen "auf den letzten Drücker" ist der nun vorliegende - von Herr Gabriel (SPD, Bundeswirtschaftminister und Vizekanzler) als "gute und ausgewogene Lösung" bezeichnete - Entwurf im sogenannten Umlaufverfahren vom Kabinett verabschiedet werden. Das war gerade noch rechtzeitig, um Deutschland vor der finalen Blamage zu bewahren, die eingetreten wäre, wenn Frau Hendricks mit leeren Händen zum Klimagipfel hätte fliegen müssen.

Einem Bericht der Tagesschau vom 11.11.2016 zufolge hat der Sprecher von Frau Hendricks mitgeteilt, seine Chefin sei deshalb "froh und erleichtert". Vielleicht ist sie ja deshalb so erleichtert, weil sie mit dem von ihrem "lieben Parteikollegen" Herrn Gabriel zusammengestrichenen Kohleschutzplan nicht mehr so viel zu schleppen hat, wie es mit ihrem ursprünglichen Klimaschutzplan der Fall gewesen wäre. - Schwer zu tragen wird sie aber wohl trotzdem daran haben, wenn sie bei der Klimaschutzkonferenz in Marokko die klimaschädlichen Standpunkte des Wirtschafts-, des Landwirtschafts- und des Verkehrsministeriums vertreten soll, die sie vor sich selbst eigentlich nicht rechtfertigen können dürfte!


Kohleausstieg

Frau Hendricks hatte im Klimaschutzplan eine unabhängige "Kommission für Klimaschutz, Wachstum, Strukturwandel und Vollendendung der Energiewende" vorgesehen, die zeitnah ihre Arbeit hätte aufnehmen sollen. Unter dem Enfluss Herrn Gabriels ist diese inzwischen zu einer "Wachstums, Strukturwandel und Regionalentwicklungs"-Kommission mutiert, die erst nach der Bundestagswahl 2017 eingesetzt und seinem Wirtschaftsministerium unterstellt werden soll:

In Herrn Gabriels Kohleschutzplan ist kein Zeitpunkt mehr für einen Kohleausstieg vorgesehen. Ebenfalls nicht mehr darin enthalten sind das Neubauverbot für Kohlekraftwerke und das "Aus" für weitere Braunkohletagebaue[]. Stattdessen heißt es, die "bestehenden modernsten Kohlekraftwerke" hätten eine "wichtige Funktion .. als Übergangstechnologie" auf dem Weg zu einer klimaneutralen Stromversorgung. Bis dahin aber müsse es, Zitat,
".. vor allem gelingen, in den betroffenen Regionen konkrete Zukunftsperspektiven zu eröffnen, bevor konkrete Entscheidungen für den schrittweisen Rückzug aus der Braunkohlewirtschaft erfolgen können."
Und bis dahin läuft uns dann die Zeit davon!


Energieversorgung

Bis 2030 sollen die Stromkonzerne ihre CO2-Emissionen - bezogen auf 1990 - nur noch auf 175 bis 183 Millionen Tonnen Kohlendioxid senken. Das entspricht einer Verminderung um "bis zu 62 Prozent": Vorgesehen waren einmal "bis zu 64 Prozent". Wie es in einem Artikel vom 11.11.2016 auf der Internetseite von RP-Online heißt, soll diese Vorgabe aber noch mit den Sozialpartnern diskutiert und möglicherweise ab 2018 noch weiter gesenkt werden.


Industrie

Die Vorgabe für die energieintensiven Branchen zur Verminderung ihrer Emissionen klimarelevanter Gase wurde reduziert. Außerdem strich Herr Gabriel die von Frau Hendricks vorgesehene Verschärfung des Emissionshandels. Diese hatte auf einen Mindestpreis für die Verschmutzungsrechte gedrängt. Der Preis ist derzeit so niedrig, dass er für die Industrie kaum Anreize zum Klimaschutz bietet: Es ist billiger, Verschmutzungsrechte zu kaufen, als in innovative Technologien zur Verbesserung des Klimaschutzes zu investieren.


Landwirtschaft

Die Landwirtschaft muss die Emissionen klimarelevanter Gase - bezogen auf 1990 - um 31 bis 34 Prozent auf 58 bis 61 Millionen Tonnen senken. Dabei wird es isnbesondere um die Reduzierung der Methan-Emissionen (CH4) aus der Tierhaltung gehen. Zur Erinnerung: Methan hat einen weitaus größeren Einfluss auf den Klimawandel, als CO2.


Verkehr

Das von Frau Hendricks geplante Verbot von Diesel- und Benzinmotoren für Neuwagen ab 2030 ist vom Tisch. Auch davon, dass alle Neuwagen grundsätzlich auch ohne fossile Kraftstoffe auskommen müssen, ist keine Rede mehr. Trotzdem sollen die verkehrsbedingten CO2-Emissionen bis 2030 im Vergleich zu 1990 um 40 bis 42 Prozent auf 95 bis 98 Millionen Tonnen sinken.

Effizientere Motoren und eine größere Anzahl mit Ökostrom betriebener Elektroautos sollen es richten. Davon, dass für den flächendeckenden Betrieb von Elektrofahrzeugen in den Städten zuvor Maßnahmen zum flächigen Aufbau einer Infrastruktur in Form von Ladesäulen im Bereich des öffentlichen Parkraums notwendig sind, ist weiterhin nicht die Rede.

Das ist gut für die Automobilhersteller, die nun weiter mit tonnenschweren SUVs und schnellen  Sportwagen protzen können. Die Produktion klimaschädlicher Statussymbole mit Verbrennungsmotoren darf auch weiterhin die Entwicklung von innovativen, klimaneutralen Antriebstechniken behindern.


Immobilienwirtschaft

Die auf den Betrieb von Immobilien zurückzuführenden Emissionen sollen - bezogen auf 1990 - um 66 bis 67 Prozent auf 70 bis 72 Millionen Tonnen CO2 gesenkt werden. Heizungen, die ohne fossile Brennstoffe auskommen, sollen stärker gefördert werden.

Ich beschäftige mich nun schon seit einigen Jahren mit den Auswirkungen von "verschleppten" Instandhaltungsmaßnahmen und Sanierungsstau im Zusammenhang mit privaten Immobilien und den Ursachen dafür. Oftmals mangelt es nicht an der Einsicht und am notwendigen Willen der Eigentümer, sondern schlicht an den dafür fehlenden finanziellen Mitteln. Ohne eine starke Unterstützung und Förderung wird sich eine bundesweite flächendeckende Wärmedämmung nicht umsetzen lassen.


Etappenziel 2030

In der Zusammenfassung sieht das, was die Bundesregierung bis zum Etappenziel 1930 zu erreichen gedenkt, so aus:



Wenn dieses Etappenziel tatsächlich erreicht werden soll, dann gehört der "Kohleschutzplan 2050" Herrn Gabriels in die Tonne. Ohne den Verzicht auf die Erschließung neuer Braukohletagebaue, ohne die Stillegung von Kohlekraftwerken, ohne eine drastische Reduzierung des Anteils der Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren und ohne eine Erhöhung der Energieeffizienz im Immobilienbereich wird das nicht möglich sein.


Der, dessen Name nicht genannt werden darf

Zauberlehrling Sigmar Potter hütet sich, seinen Namen zu nennen
Wenn die Bundesregierung verspricht, an ihrem Beitrag zum Klimaschutz festzuhalten, gleichzeitig aber nicht bereit ist, die für die notwendige Reduzierung der Emissionen klimarelevanter Gase notwendigen Maßnahmen zu ergreifen und umzusetzen, dann wäre das vielleicht in der Welt eines Harry Potter möglich:
  • Mit Zauberei

Im Gegensatz zu Harry Potter kann Sigmar Potter allerdings nicht zaubern
Aber ähnlich wie unsere von einer nicht mehr aufzuhaltenden globalen Erwärmung bedrohte Welt, lebt auch Harrys magische Welt unter der ständigen Bedrohung "desjenigen, dessen Name nicht genannt werden darf". Und ebenso, wie die Zauberer es nicht wagen, den Namen Lord Voldemorts auszusprechen, wagen es die dafür verantwortlichen Poliker nicht, die Konsequenzen aus ihrem Versprechen beim Namen zu nennen: Den Kohleausstieg!

Im Gegensatz den Politikern findet Herr Bauchmüller in seinem Beitrag vom 11.11.2016 auf der Internetseite der Süddeutschen Zeitung deutliche Worte (Zitat):
Wenn etwa auf deutschen Straßen bis 2030 um die 40 Prozent weniger Kohlendioxid anfallen sollen, dann läuft das nicht über die weitere Optimierung von Dieselmotoren, dann müssen echte Alternativen her.

Wenn hierzulande Gebäude binnen zwölf Jahren insgesamt 50 Millionen Tonnen weniger CO₂ ausstoßen sollen, dann braucht es mehr Förderung für die Dämmung, aber auch einen Abschied von herkömmlichen Öl- oder Gasheizungen.

Und wenn die Industrie noch mal so viel an Emissionen einsparen soll, dann erfordert das eine Energieeffizienz, von der viele Unternehmen stets gerne sprachen, sie aber viel zu selten umsetzten.

All diese Wahrheiten stehen nicht im Klimaschutzplan, und doch kommt keine künftige Regierung mehr daran vorbei. Mit Blick auf die kleine Tabelle so wenig wie angesichts der deutschen Zusagen für den Klimaschutz. Und in Anbetracht einer voranschreitenden Erderwärmung schon gar nicht.

Dem ist nichts hinzuzufügen ...


Die Uhr tickt!
Interaktiver CO2-Timer des MCC
Klimawandel: Interaktiver CO2-Timer des MCC

... - abgesehen davon vielleicht, dass im Zusammenhang mit dem deutschen Klimaschutzplan von Frau Hendricks bis 2050 lediglich eine "weitgehende" Klimaneutralität erreicht werden sollte. Selbst der ursprüngliche Klimaschutzplan in der Version vom März 2016 war also nicht für eine "treibhausgasfreie" Klimaneutralität ausgelegt und hätte vielleicht gerade gereicht dass Deutschland möglicherweise seinen Beitrag zur Stabilisierung der globalen Erwärmung unterhalb der "maximal plus 2 Grad Grenze" hätte leisten können.

Von der Einhaltung der im "Übereinkommen von Paris" genannten "maximal plus 1,5 Grad Grenze" ist bei alledem aber noch nicht die einmal Rede. Weltweit werden aktuell Jahr für Jahr rund 40 Gigatonnen CO2 in die Atmosphäre geblasen. Das entspricht ungefähr 1450 Tonnen pro Sekunde, Tendenz leicht steigend. Das verbleibende "CO2-Budget" geht daher mit hoher Geschwindigkeit zur Neige.

Das "Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change" (MCC) hat drei Szenarien mit unterschiedlich schnellen CO2-Reduktionen erstellt. Dem günstigsten Fall zufolge - wenn also alle Beteiligten ihre Emissionen klimarelevanter Gase schnellstmöglich auf "Null" reduzieren würden - blieben der Menschheit für die Einhaltung der "maximal plus 1,5 Grad Grenze" aktuell noch etwa vier Jahre und sieben Monate (Szenario 1,5 Grad, upper estimate).

Danach, dass die Weltgemeinschaft die dafür notwendigen Schritte einleiten wird, sieht es derzeit allerdings eher nicht aus. Und solange die Lobbys diverser Branchen mit tatkräftiger Unterstützung durch Politiker wie Herrn Gabriel weiterhin wirksame Maßnahmen zum Klimaschutz blockieren, kann man derartige Ambitionen für Deutschland mit Sicherheit ausschließen.

Selbst für die Einhaltung der "maximal plus 2 Grad Grenze" verbleiben der Menschheit - ausgehend von einer "normalen" Reduzierung der weltweiten CO2-Emissionen (Szenario 2 Grad, medium estimate) - unter den derzeitigen Voraussetzungen noch etwa 16 Jahre. Diese Zeit wäre 2032 abgelaufen. Im günstigsten Fall (Szenario 2 Grad, upper estimate) bliebe noch Zeit bis 2036, bis die Klimaneutralität worden sein muss. 2050 wird es dafür zu spät sein!


  • Zitat:
    "Klimaschutz ohne Kohleausstieg
      ist wie Blumengießen ohne Wasser"


    Annalena Baerbock
    (Die Grünen)


(Quellen: RP-online vom 12.11.2016, Tagesschau vom 11.11.2016, Süddeutsche Zeitung vom 11.11.2016 - Bericht 1 und Bericht 2, Spiegel vom 11.11.2015, Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change, Umweltbundesamt )

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