An der Wiege des Bremerhavener Schiffbaus
Im sechsten Teil meines Pfingstspaziergangs könnt ihr mich auf einem Rundgang zwischen der Alten Geestebrücke und der flussabwärts in Sichtweite liegenden Kennedybrücke begleiten. Auch wenn die Wegstrecke dieses Mal nur kurz ist, gibt es dort einige interessante Dinge zu sehen.
Zur Geschichte der Alten Geestebrücke von 1904 hatte ich ja am Ende der vorhergehenden Etappe schon etwas erzählt. Das Drachenboot, das am Anfang des Videos zu sehen ist, gehört dem Kanuverein Unterweser, dessen Steganlagen am linken Geesteufer direkt vor der Alten Geestebrücke liegen. Obwohl man die für Europa eigentlich immer noch sehr exotischen Drachenboote seit einigen Jahren während des ganzen Sommers auf der Geeste beobachten kann, werden die Teams jetzt wohl für den Drachenboot-Cup trainieren, der am 12. und 13. Juni 2010 zum zehnten Mal im Bremerhafener Fischereihafen ausgetragen wird. Große Beachtung finden dabei immer wieder die sogenannten Fun-Teams und die Schüler-Mannschaften, die nur einmal im Jahr beim Drachenboot-Cup gemeinsam zum Steckpaddel greifen. Mit ihren oft phantasievollen, eigenwilligen Team-Outfits und Mannschaftsnamen wie zum Beispiel "Narcotic Dragons" (ein Krankenhaus-Team), Schneewittchen und die 18 Zwerge (die 18 bezieht sich auf die Anzahl der Ruderer des Teams), "Zollmöpse" (Team des Bremerhavener Zolls) oder "Die heißen Nijsen" (gesprochen wir das wie "Neissen", eine Praxisgemeinschaft) treten sie aus reiner Spaß an der Freud gegeneinander an.
Wir wechseln von der rechten zur linken Seite der Geeste. Von der Alten Geestebrücke gleitet der Blick nach links entlang des gegenüberliegenden rechten Geesteufers. Das erste Haus hinter der Alten Geestebrücke zwischen dem Ufer und der Deichstraße, hinter den Bäumen am Ufer fast verborgen, ist die Seebeck Villa von 1908.
1871 war der Kupferschmied Georg Dietrich Seebeck aus Brake nach Geestemünde gekommen, wo er sich 1876 mit einer kleinen Schmiedewerkstatt selbstständig machte. Bald darauf begann er mit dem Bau kleinerer eiserner Boote und Barkassen. 1886 kaufte er er ein Grundstück am Geestemünder Querkanal und ab 1891 mehrere Werften in Geestemünde und Bremerhaven, deren Anlagen er für seine Zwecke weiternutzte. Eine dieser Werften war die Wencke Werft, auf deren Gelände seine mit Neubarock- und Jugendstil-Elementen geschmückte Villa entstand. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Villa stark beschädigt. Nach dem Wiederaufbau ist von ihrer ehemaligen Pracht leider nicht mehr sehr viel übrig geblieben.
Um seine auf viele kleine Standorte verteilten Aktivitäten zu bündeln errichtete Herr Seebeck zwischen 1906 und 1910 eine moderne Anlage am Geestemünder Handelshafen. 1988 fusionierte die ehemalige Seebeckwerft AG mit der Schichau Unterweser AG zur Schichau Seebeckwerft AG (SSW).
Von der Seebeck Villa blicken wir weiter nach links bis zur Einfahrt des ehemaligen Wencke Docks. Im Hintergrund ist der Richtfunkturm des Wasser- und Schiffahrtsamts zu sehen. Zwischen der Alten Geestebrücke und der Kennedybrücke lagen die Wurzeln der großen Zeit des Schiffbaus im heutigen Bremerhaven, die mit der Werftenkrise in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts zu Ende ging.
Mit dem zunehmenden internationalen Schiffsverkehr wurde um die Mitte des 19. Jahrhunderts auch die Reparatur von Schiffen zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor. Aus diesem Grunde entstanden in diesem Bereich an der Geeste die ersten Trockendocks. Nachdem ein Schiff in das Dock gefahren war, wurden die Einfahrtstore geschlossen und das Wasser aus dem Dock abgepumpt. Somit wurden Reparaturen an Schiffen unterhalb der Wasserlinie möglich. Das am besten erhaltene Dock aus dieser Zeit ist das Dock der ehemaligen Werft des Herrn Friedrich Wilhelm Wencke, die er im Jahre 1833 gegründet hatte. Die Anfänge des Docks gehen auf eine relativ einfache Holzkonstruktion aus der Zeit um 1845 zurück. Der Umbau zu einem gemauerten Dock wurde 1860 abgeschlossen.
Von der flussaufwärts liegenden Seite der Dockeinfahrt geht es einmal im Uhrzeigersinn um das Dock herum, das im hinteren Bereich nach dem Zweiten Weltkrieg mit Trümmern der ausgebombten Häuser verfüllt worden ist. Zwischen 1977 und 1979 hat man die oberen Lagen der Kaimauern wieder frei gelegt, so dass die Dimensionen der 86 Meter langen Anlage mit ihrer 15 Meter breiten Einfahrt heute wieder gut zu erkennen sind.
Nach der Umrundung des Wencke Docks stehen wir auf der flussaufwärts liegenden Seite der Dockeinfahrt und blicken entlang des linken Geesteufers von der Alten Geestebrücke bis zur Kennedybrücke. Das Bild am Ufer der Geeste wird hier vom Gebäude des Historischen Museums Bremerhaven geprägt, dessen eigene Geschichte mit der Gründung des "Städtischen Morgenstern-Museums" von 1906 begann. Dieses bestand Anfangs hauptsächlich aus der Sammlung des Heimatvereins "Männer vom Morgenstern", die im Jahre 1902 von der Stadt Geestemünde erworben worden war. Seit dem Umzug in den Neubau am Geesteufer im Jahre 1991 trägt das Museum den Namen "Historisches Museum Bremerhaven/Morgenstern-Museum". Der Name "Morgenstern" geht auf eine Burg des Erzbischofs von Bremen bei Weddewarden zurück. In Weddewarden befand sich damals der Tagungsort des Heimatvereins der "Männer vom Morgenstern".
Zwischen dem Wencke Dock und der Kennedybrücke ist jetzt auf der rechten Seite des Flusses die Einfahrt eines weiteren ehemaligen Docks zu sehen, die von der linken Geesteseite aus noch besser zu erkennen ist. Dabei handelt es sich um die Reste des Docks des Herrn Johann Lange, das in der Zeit um 1860 bis 1865 enstand. Es ist leider nicht mehr so gut zu erkennen wie das Wencke-Dock. Erhalten geblieben ist davon im wesentlichen nur der ehemalige Torbereich. Die roten Backsteingebäude mit den blauen Fensterrahmen, die vom linken Geesteufer aus hinter den Bäumen am gegenüberliegenden Ufer zu sehen sind, gehören zur Hochschule Bremerhaven.
Weiter geht es hinauf auf die Kennedybrücke. Von dort geht der Blick noch einmal flussabwärts entlang des linken Geestufers, wobei der lange, durchgehender Schwimmsteg auffällt, der für Gäste angelegt wurde, die Bremerhaven mit dem Motorboot besuchen. Von dort aus kann man unter der Kennedybrücke hindurch die auf der anderen Seite der Brücke vor dem Tonnenhof liegenden Schiffe sehen. Bei ablaufendem Wasser ist anhand des Algenbewuchses am Brückensockel sehr gut der Unterschied des Tidepegels zwischen Ebbe und Flut zu erkennen. Bei Sturmflut läuft das Hochwasser jedoch oft noch erheblich höher auf.
Neben den Deichen an der Weser ist das im September 1961 fertiggestellte Sturmflutsperrwerk unter der Kennedybrücke, dessen zurückgeklappte schwarze Stahltore an den Wänden unter der Brücke zu erkennen sind, der wichtigste Sturmflutschutz Bremerhavens. Wenn erwartet wird, dass die Flut einen Pegel vom mehr als einem Meter über dem mittlerem Hochwasser erreichen wird, werden die Stemmtore geschlossen.
Bereits 5 Monate später bestand das neue Sturmflutsperrwerk seinen Härtetest. Am Abend des 16. Februar 1962 erlebte die Stadt Bremerhaven die höchste Sturmflut ihrer Geschichte. Der Sturmflutpegel lag 5,35 Meter über Normalnull. Ohne das Sperrwerk wäre das in die Geeste auflaufende Wasser über die Geestedeiche hinweg ins Stadtgebiet eingedrungen und hätte 80 Prozent des Stadtgebiets überschwemmt. Die Stadtmitte hätte ohne das gerade fertig gestellte Sperrwerk ungefähr drei Meter hoch unter Wasser gestanden.
Die Geeste
- An der Schiffdorfer Stauschleuse
- Von der Schiffdorfer Stauschleuse zur Autobahn
- Von der Autobahn zur Franzosenbrücke
- Von der Franzosenbrücke zur Achgelisbrücke
- Von der Achgelisbrücke zur Alten Geestebrücke
- Von der Alten Geestebrücke zur Kennedybrücke
- Von der Kennedybrücke zur Mündung
(Quellen: Seebeck Villa, Wencke Dock, Historisches Museum, Strumflusperrwerk)
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