Dass Herr Böhrnsen (SPD, Bremen, Bürgermeister) einmal der höchste Repräsentant der Bundesrepublik Deutschland sein würde, dass hätte er gestern Morgen, als er wie an jedem Tag ins Rathaus ging, sicher noch nicht für möglich gehalten. Zu verdanken hat er das dem sofortigen Rücktritt Herrn Köhlers (ehemaliger Bundespräsident), den dieser gestern am frühen Nachmittag auf einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz verkündet hatte, sowie dem Zufall, dass er zur Zeit das Amt des Bundesratspräsidenten innehat.
Der Bundesratspräsident ist gleichzeitig der Stellvertreter des Bundespräsidenten. Im Falle eines Ausfalls der Bundespräsidenten übernimmt der Bundesratspräsident kommissarisch dessen Aufgaben. Herr Köhler hatte Herrn Böhrnsen gestern vormittag telefonisch über seinen bevorstehenden Rücktritt informiert. Entsprechend der Verfassung muss jetzt innerhalb einer Frist von 30 Tagen ein neuer Bundespräsident gewählt werden.
Herr Köhler reagierte mit seinem Rücktritt auf die Kritik an seiner Einschätzung, Deutschland sei insgesamt in der Breite der Gesellschaft auf dem Wege zu verstehen, dass ein Land von der Größe der Bundesrepublik mit ihrer Außenhandelsabhängigkeit wissen müsse, dass manchmal auch militärische Mittel notwendig seien, um seine wirtschaftlichen Interessen zu wahren, und seine Handelswege zu sichern. Das hatte er am 21. Mai 2010 nach einem Besuch bei den deutschen Truppen in Afghanistan auf dem Rückflug nach Berlin in einem Interview gegenüber einem Deutschlandradio-Reporter geäußert.
Aus den Reihen der Politiker und in den Kommentaren der Fernsehnachrichten hörte man gestern starke Worte: Der Rücktritt von Herrn Köhler in diesen Zeiten wirtschaftlicher Krisen sei Verrat am Deutschen Volk. Diejenigen, die Herrn Köhler jetzt Verrat vorwerfen, machen es sich aus meiner Sicht etwas zu leicht.
Herr Köhler galt immer als volksnaher Bundespräsident. Er scheute auch nicht davor zurück, die Politiker der Bundesregierung hin und wieder an die Stimmung in der Bevölkerung zu erinnern. Dafür ist er von hochrangigen Politikern des öfteren angegriffen worden. Das alles hat er ausgehalten und hat sich den Diskussionen gestellt. Statt sich beleidigt in den Schmollwinkel zurückzuziehen, hat er für eine weitere Amtszeit als Bundespräsident kandidiert und ist für seine - gelegentlich auch unbequeme - Art und Weise, mit der er in der Öffentlichkeit auftrat, wiedergewählt worden.
Ich denke, er hätte auch gute Chancen auf eine Wiederwahl für eine weitere Amtsperiode gehabt, wenn die Bevölkerung darüber abgestimmt hätte. Jetzt hat er wohl erkennen müssen, dass sein Standpunkt in einer der zur Zeit drängendsten gesellschaftlichen Fragen nicht mit dem der Mehrheit der deutschen Bevölkerung vereinbar ist. Begründet hat er seinen Rücktritt in der Pressekonferenz allerdings mit dem - seiner Ansicht nach - mangelnden Respekt gegenüber dem Amt des Bundespräsidenten. Wenn es zur Rechtmäßigkeit der Beteiligung Deutschlands am Krieg in Afghanistan oder anderer Auslandseinsätze der Bundeswehr gegensätzliche Standpunkte gibt, dann kann aus meiner Sicht jedoch nicht von mangelndem Respekt gegenüber dem Amt des Bundespräsidenten die Rede sein, wenn dieser für seine Meinungsäußerungen kritisiert wird.
Der monatlichen repräsentativen Meinungsumfrage des ARD-Deutschlandtrends zufolge, nach der auch im Mai 2010 weiterhin 70 Prozent der Befragten die schnellstmögliche Rückkehr der deutschen Soldaten aus Afghanistan fordern, war sein Schritt eigentlich nur konsequent. Auch wenn ich die Meinung Herrn Köhlers kritisiere, Deutschland müsse seine Wirtschafts- und Handelsinteressen auch mit militärischen Mitteln wahren, so hat er doch meine Hochachtung für seine konsequente Reaktion auf die massive Kritik aus Politik und Gesellschaft an seinem Standpunkt. Er hätte seinen Standpunkt aufgrund der Argumente seiner Kritiker überdenken und revidieren können. Offensichtlich ist er bei seinen Überlegungen zu dem Ergebnis gekommen, dass die Kritik daran unberechtigt ist, und hat deshalb die persönlichen Konsequenzen gezogen.
Eigentlich müssten auch alle diejenigen Politiker dem Schritt Herrn Köhlers folgen, die ihn jetzt beschimpfen, nachdem sie ihn wegen seiner Meinungsäußerung vorher scharf kritisiert hatten und die statt dessen weiterhin gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung an der Beteiligung Deutschlands am Krieg in Afghanistan festhalten und sich dabei hinter der Behauptung verstecken, neben der Entwicklungshilfe für das afghanische Volk würden unsere "Wiederaufbauhelfer in Uniform", die inzwischen unaffällig zu ganz normalen Soldaten mutiert sind, und die in "kriegsähnlichen Situationen" neben afghanischen Widerstandskämpfern auch schon mal eine größere Anzahl Zivilisten umbringen, in Afghanistan unsere Freiheit verteidigen.
(Quellen: ARD-Tagesschau vom 01.06.2010, Spiegel Online von 27.05.2010)
2 Kommentare:
Hola juwi,
man hätte Köhlers Aussage ganz einfach mit dem Weißbuch zur Sicherpolitik 2006 begründen können.
Dort steht: "Die Sicherheitspolitik wird .. von dem Ziel geleitet,...den freien und ungehinderten Welthandel als Grundlage unseres Wohlstandes zu fördern." Das hätte Merkel nur unterstützen müssen und die Kuh wäre vom Eis gewesen. Dass aber so ein Schmutzfink wie Trittin sich erdreistet Köhler mit einem offensichtlich demenzerkrankten Lübke zu vergleichen, zeugt nicht nur von Unwissenheit (das gab er in der TV Sendung hart aber fair zu)und fehlendem Respekt (Das Wort Entschuldigung wollte er nicht aussprechen, sondern gab zu, dass er dies nicht noch einmal wiederholen würde), sondern von grenzenloser Dummheit , die er leider immer wieder mit der geschwätzigen und dummdreisten Künast unter Beweis stellt. Beide sollten schleunigst von der Politbühne abtreten und dann bei "Bauer sucht Frau" casten.
Herzlichst Lucki
@Lucki: Wer die jüngste Vergangenheit Deutschlands verfolgt hat, und somit auch über das Schicksal Herrn Lübckes informiert ist, der wird schon gewusst haben, was er von derartigen Vergleichen zu halten hat. Das militärische Säbelrasseln deutscher Politiker ist aber mindestens ebenso dumm, wie der Vergleich zwischen den Rücktritten Herrn Lübckes und Herrn Köhlers, und außerdem. Ich halte das außerdem in Anbetracht der jüngeren Geschichte Deutschlands für unangebracht und gefährlich.
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