Donnerstag, 17. Juni 2010

Die da oben & Die da unten


Bremerhaven-Lehe, Ernst-Reuter-Platz: Die Lessingsschule

Ist das Ergebnis eines neuen Namens für eine alte Schule eine neue Schule? Darüber wurde während der Stadtteilkonferenz Lehe am 11. Februar 2010 in der neuen Mensa der nicht mehr ganz so neuen "Integrierten Stadtteilschule Lehe" (ISL, Arbeitstitel), die mit Beginn des nächsten Schuljahres die Lessingschule komplett übernehmen wird, zum Teil sehr kontrovers diskutiert.

Die Befürworter einer Namensänderung wollten der Lessingschule mit dem Ende der bisherigen Schulform auch namentlich eine neue Identität verpassen. Die Gegner traten überwiegend für die Beibehaltung des Namens "Lessingschule" ein. Letztlich stellte Herr Frost (ISL, Schulleitung) jedoch klar, dass die neue Schulleitung bereits bei ihrer Einstellung von politischer Seite die Vorgabe erhalten hatte, einen neuen Namen für die Schule zu finden. Egal, wie sie in Zukunft heißen würde, habe sie diese Vorgabe zu erfüllen. Eine ergebnisoffene Diskussion könne unter anderem natürlich auch dahin führen, dass es bei dem Namensgeber "G. E. Lessing" bleibe.


Verschaukelt

Gestern berichtete die Nordsee-Zeitung, die Lessingschule solle nach dem Willen von Schülern, Eltern und Lehrern künftig „Schule-am-Ernst-Reuter-Platz“ heißen, doch die Politik wolle davon nichts wissen. Die CDU dränge jetzt darauf, es bei dem alten Namen Lessingschule zu belassen, die SPD hülle sich in Schweigen und die Betroffenen würden sich von der Politik verschaukelt fühlen.

Das kann ich denen nicht verdenken. Bürgerbeteiligung predigen, so tun als ob ... - um dann die Bürger - in diesem Falle die Schüler - kalt im Regen stehen zu lassen und die eigenen Pläne durchzuboxen: Das ist symptomatisch für die politische "Kultur" der Großen Koalition in Bremerhaven.


Irritationen

Allerdings halte auch ich es für vernünftig, den für alle Generationen Bremerhavener Bürger geläufigen Namen der Schule beizubehalten. Namensänderungen führen nämlich im Allgemeinen dazu, dass bekannte Schulen, an denen oft drei Generationen einer Familie ihre Schulzeit verbrachten, plötzlich zu Irritationen in Gesprächen - zum Beispiel zwischen Schülern und Großeltern - führen.
  • Opa: "Du wirst in der Astrid-Lindgren-Schule eingeschult? Die kenne ich gar nicht. Wo ist die denn?"
  • Enkel: "In Lehe. Körnerstraße."
  • Mutter: "Früher hieß die mal Körnerschule."
  • Opa: "Oh, da bin ich doch auch schon zur Schule gegangen ..."
Ich habe im Zusammenhang mit der Körner-/Astrid-Lindgren-Schule bei "den Alten" bisher überwiegend verständnislose Reaktionen erlebt. Mit der Umbenennung der Schule wurde ihnen quasi ein Teil der Identität ihrer Kindheit genommen. Bis der neue Name einer alten Schule sich bei den Bürgern der Eltern- und Großelterngeneration etabliert hat können Jahre ins Land gehen.


Gelebte Demokratie ...

Schüler, Eltern, Lehrer und Leher Bürger denken seit dem Winter 2009 intensiv über das für und wider einer Namensänderung nach. Laut Auskunft von Herrn Frost gegenüber der Nordsee-Zeitung, sind nach einem öffentlichen Aufruf mehr als 20 Vorschläge bei der Schulleitung eingegangen und diskutiert worden. Darunter befänden sich auch Namensgeber wie Lale Andersen und die verstorbene Bremerhavener Senatorin Hilde Adolf. Am Ende habe jedoch das Votum der Schülerinnen und Schüler den Ausschlag gegeben, die sich für die Bezeichnung Schule am Ernst-Reuter-Platz ausgesprochen haben. Auch der Elternbeirat und die Schulkonferenz hätten sich darauf geeinigt.

Für mein Gefühl klingt "Schule-am-Ernst-Reuter-Platz" allerdings ebenso holperig wie "Integrierte Stadtteilschule Lehe". "Ernst-Reuter-Schule" wäre wohl zu einfach gewesen. Der Konsens der Schülerinnen und Schüler würde allerdings immerhin einen engen Bezug der Schule zum Stadtteil ausdrücken. Wenn die Große Koalition sich jetzt mit ihrer Ignoranz gegenüber Schülern, Lehrern und Eltern wieder einmal unbeliebt macht, dann hat sie das einmal mehr sich selbst zuzuschreiben.


... und Politikverdrossenheit

Mit einem neuen Namen lassen sich unschöne Ereignisse, wie die, mit denen die Lessingschule vor einigen Jahren in die Schlagzeilen der Lokalpresse geriet, nicht ungeschehen machen. Der Name Gotthold Ephraim Lessings steht jedoch genau für das Gegenteil dessen, was sich damals an der Schule ereignet hatte. Es wäre also von Anfang an das Vernünftigste gewesen, genau die Tugenden in den Vordergrund zu rücken, die für den Namensgeber der Schule stehen. Das ganze Gezerre um einen neuen Namen für die Lessingschule war aus meiner Sicht so überflüssig, wie ein Kropf.

Nachdem sich das jetzt aber nicht mehr ungeschehen machen lässt, wäre es klüger, das Votum der Schüler ernst zu nehmen, als die nächste Generation von Nichtwählern heranzuzüchten, die sich von Beginn an den Gang zur Wahlurne sparen, "weil die da oben" ja ohnehin machen, was sie wollen. Aber eine ausgeprägte Sensibilität gegenüber "denen da unten" kann man "denen da oben" in Bremerhaven ja nun wirklich nicht nachsagen.


(Quelle: Nordsee-Zeitung vom 16.06.2010)


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