Mittwoch, 29. September 2010

Ein peinliches Bild

Am 25.09.2010 berichtete die Nordsee-Zeitung, Herr Rosche (SPD, Fraktionsvorsitzender) halte es für noch für "zu früh", zum Thema Bürgerbeteiligung Stellung zu beziehen. Erst wenn der Abschlussbericht eines Unterausschusses, der sich schon seit etlichen Monaten damit beschäftige, wie die Bürger mehr als bisher an kommunalpolitischen Entscheidungen beteiligt werden können vorliege und dieser "mit Fraktion und Partei abgestimmt" sei, wolle Herr Rosche sich dazu äußern.

Das Sprecherteam der Stadtteilkonferenz Lehe hatte die Diskussion um die Nutzung des Zollinlandplatzes zum Anlass genommen, das Thema Bürgerbeteiligung auf die Tagesordnung zu setzen. Herrn Rosche habe ich dort gestern Abend zwar nicht gesehen, aber Vertreter der Linken, der CDU, vom Bündnis 90 /Die Grünen und auch von der SPD meldeten sich in der Diskussion zu Wort. Das wirkte zwar zum Teil wie ein vorweggenommener Auftakt zum Wahlkampf zur nächsten Stadtverordnetenversammlung, war aber recht aufschlussreich bezüglich der Arbeitsweise des Unterausschusses, der sich - wie Herr Rosche es gegenüber der Nordsee-Zeitung dargestellt hatte - "schon seit etlichen Monaten" mit dem Thema Bürgerbeteiliung beschäftigt.

Frau Niehaus (Stadtteilkonferenz Lehe, Sprecherin) stellte die Frage, warum die Sprecher der Bremerhavener Stadtteilkonferenzen nicht im Ausschuss "Bürgerbeteiligung" vertreten sind. Herr Haase (SPD) entschuldigte sich dafür, dass man daran wohl schlicht nicht gedacht habe, womit er sich prompt den Vorwurf einhandelte, der Unterausschuss nähme das Thema Bürgerbeteiligung wohl nicht sehr ernst, wenn seine Mitglieder nicht mal auf den naheliegenden Gedanken kommen, diejenigen, um die es schließlich geht, auch daran zu beteiligen.

Herr Kaminiarz (Bündnis 90 /Die Grünen) stellte daraufhin jedoch richtig, dass seine Partei im Unterausschuss bereits im Jahre 2007 vorgeschlagen habe, Vertreter der Stadtteilkonferenzen in den Unterausschuss zu berufen. Der Vorschlag sei jedoch seitens der Ausschussmitglieder der SPD und der CDU strikt abgewiesen worden. Weiterhin stellte er klar, auch über den Umfang und die inhaltliche Ausgestaltung von Bürgerbeteiligung gäbe es erhebliche Differenzen zwischen der Großen Koalition und den in der Opposition vertretenen Parteien. Parteien wie Bündnis 90 /Die Grünen oder die Linke würden es begrüßen, wenn die Bürger weitgehende Beteiligungsbefugnisse im Rahmen freiwilliger Bürgerbeteiligungen erhielten, während CDU und SPD eine Minimal-Lösung entsprechend der gesetzlich vorgeschriebenen Beteiligung (formelle Beteiligung) auf dem geringst möglichen Level anstrebten.

Im Verlauf des Abends kristallisierte es sich dann immer mehr heraus, dass der Unterausschuss seine Arbeit bereits 2007, also schon zu Beginn der aktuellen Legislatur-Periode, aufgenommen hatte. Herr Kaminiarz berichtete, die letzte Sitzung in diesem Jahr habe im April stattgefunden. Der Ausschussvorsitzende habe seit dem zu keiner weiteren Sitzung eingeladen. Herr Haase stellte aber in Aussicht, der Abschlussbericht solle "möglichst noch in diesem Jahr" - als Termin nannte er "die Dezembersitzung" - vorgestellt werden. Wenn ich einfach einmal voraussetze, dass der Unterausschuss sich dafür vorher noch einmal kurz zusammensetzen wird, dann hätte er sich in diesem Jahr sage und schreibe zwei ganze Male mit dem Thema Bürgerbeteiligung beschäftigt. Und er beschäftigt sich nicht erst seit "etlichen Monaten", sondern bereits seit gut drei Jahren damit (was bei einer ähnlichen Anzahl von Sitzungen wie in diesem Jahr allerdings auch nicht gerade auf eine kontinuierlichen Arbeit schließen lassen würde).

Nachdem sich Vertreter der anwesenden Parteien zu Wort gemeldet hatten, ergriff auch Herr Raschen (CDU, Fraktionsgeschäftsführer) das Wort. Nachdem er einleitend einen polemischen Seitenhieb gegen den anwesenden Herrn Müller (Die Linke) austeilte, der irgendwie nichts zur Sache beitrug und für den ich absolut keinen Anlass erkennen konnte, lobte er den Umgang der Großen Koalition mit der Bürgerbeteiligung in Bremerhaven, stellte mehrmals fest, man sei in Sachen Bürgerbeteiligung auf einem sehr guten Weg (von Bürgerbeteiligung sei ja sogar in der Koalitionsvereinbarung die Rede), und bis zum Ende der Legislaturperiode werde auch der Abschlussbericht des Unterausschusses vorliegen.

Das provozierte postwendend die Nachfrage eines Besuchers der Stadtteilkonferenz, wann denn nun tatsächlich mit dem Abschlussbericht zu rechnen sei. Der Vorredner von der SPD habe doch von Dezember 2010 gesprochen. "Dazwischen liegen gerade einmal fünf Monate" erhielt er sinngemäß Herrn Raschen zur Antwort.

Aus meiner Sicht ist es ein peinliches Bild, das sich im Laufe des Abends vor den Besuchern der Stadtteilkonferenz entwickelte.
  • Das alles zeigt deutlich welchen Stellenwert "Bürgerbeteiligung" bei den beiden in der Großen Koalition in Bremerhaven vertretenen Parteien tatsächlich einnimmt!

Am Ende wird sich dann wohl ein Unterausschuss während der kompletten Dauer dieser Legislaturperiode hinter verschlossenen Türen und unter Ausschluss der Bürger mit "Bürgerbeteiligung" beschäfigt haben, ohne das die Bürger ein einziges Mal an Entscheidungen entsprechend der immer noch ausstehenden Vorschläge des Unterausschusses beteilgt gewesen wären.


Ein Besucher der Stadtteilkonferenz, der sich beruflich unter anderem auch als Berater und Mediator mit dem Themenkreis "Bürgerbeteiligung", "Bürgerbegehren/Bürgerentscheid" etc. auseinandersetzt brachte es auf den Punkt: Je mehr die Bürger an den Entscheidungen ihres Gemeinwesens beteiligt seien, desto größer sei die Akzeptanz der getroffenen politischen Entscheidungen. Als Beispiel nannte er die Beteiligung der Bürger einer brasilianischen Großstadt, die nahezu jede finanzielle Entscheidung in ihrer Stadt mitentscheiden. Dort habe man schon vor langer Zeit erkannt, dass die Bürger, die tagtäglich mit den Problemen in ihren Stadtteilen konfrontiert sind, weitaus besser in der Lage sind, die besten Lösungsansätze dafür erarbeiten können, als irgendwelche davon nicht betroffenen Politiker in den Stadtparlamenten. Aber man brauche gar nicht bis nach Brasilien zu schauen. Auch in deutschen Städten und Gemeinden gäbe es eine ausreichende Anzahl guter Beispiele für eine weitgehende freiwillige Beteiligung der Bürger an gesellschaftlichen und politischen Entscheidungen (auch an solchen finanzieller Art). Die Bürger seien sehr wohl in der Lage zu erkennen, was machbar und finanzierbar ist und was nicht.


(Quellen: Wikipedia )

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