ARD Magazin Monitor vom 09.09.2010: Etikettenschwindel Laufzeitverlängerung
Als Frau Merkel (CDU, Bundeskanzlerin) am 06.09.2010 verkündete: "... dass die Unternehmen auch in den nächsten Jahren noch erhebliche Summen in die Sicherheit investieren müssen. Denn Sicherheit geht vor und wir haben heute schon die sichersten Kernkraftwerke der Welt.", da hat sie - wie sich jetzt herausstellt - wohl "etwas geflunkert".
Ich bin schockiert über die Dreistigkeit, mit der die Bundesregierung einerseits von der Sicherheit der deutschen Atomkraftwerke schwafelt, wie sie uns weismachen will, dass die Sicherheitsauflagen noch drastisch verschärft werden sollen, und damit die geplante Verlängerung der Atomkraftwerke begründet, hintenherum aber den Atomkonzernen das Leben noch mehr erleichtert, gerade auch in Bezug auf die Sicherheit der Atomkraftwerke, als es ohnehin schon war! Das ARD Politmagazin "Monitor" berichtete gestern Abend über ein der Reaktion vorliegendes Schreiben, das die Inhalte der Verhandlungen über Laufzeitverlängerungen im Kanzleramt vom Sonntag, 05.09.2010 dokumentiert. Was dabei jetzt zutage kommt, dass setzt dem Atomfass die Krone auf!
Bei der Verkündung des Abschlusses des Atomkompromisses am Sonntag sprach Frau Merkel von einer energiepolitischen "Revolution". Als ich das hörte, da hatte ich schon die schlimmsten Befürchtungen. Die Offenbarungen über die wirkliche Tragweite dessen, was sie da in den höchsten Tönen lobte, übertreffen meine Befürchtungen noch bei weitem: Diese Revolution der politischen Handlanger der Atomkonzerne richtet sich gegen die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland!
Die sichersten Atomkraftwerke der Welt
Keines der 17 deutschen Atomkraftwerke
- bietet baulichen Schutz vor Terroranschlägen mit Passagierflugzeugen.
- bietet im Falle einer Kernschmelze Schutz vor der Verstrahlung der Umwelt.
- wäre nach dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik genehmigungsfähig.
Um die Atomkraftwerke auch nur annähernd auf den aktuellen Stand zu bringen, wären - selbst nach Berechnungen des Bundesumweltministeriums - Investitionen in Höhe von 20 Milliarden Euro notwendig. Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) hat Störfälle in den deutschen Atomanlagen untersucht. Die Erkenntnis aus diesen Untersuchungen ist erschreckend: Der Anteil der Störfälle, der auf auf die Ermüdung und den Verschleiß von Komponenten und Bauteilen zurückzuführen ist nimmt in den letzten Jahren rasant zu. Für den Fall, dass uns nicht über kurz oder lang eines der sichersten Kernkraftwerke der Welt um die Ohren fliegt, werden wir nur von großem Glück reden können.
Für die Bundesregierung ist das aber alles wohl kein Problem. Die Laufzeit der Atomkraftwerke werde - ohne Abstriche bei der Sicherheit (?!) - verlängert. Dafür habe man bereits vorgesorgt ...
Der Ausverkauf an Sicherheit
Aha, man hat also bereits Vorsorge getroffen. Herr Renneberg (ehem. Abteilungsleiter Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium) beurteilt die sicherheitsrelevanten Anforderungen, die in dem Schreiben, das Monitor vorliegt, genannt werden weitaus weniger optimistisch: "Hier werden als kurzfristige Maßnahmen nur solche vorgeschlagen, die sehr einfach zu machen sind, die sowieso aufsichtlich, unabhängig von der Laufzeitverlängerung, zum Geschäft der Atomaufsicht gehören. Dabei werden die grundlegenden Maßnahmen auf die lange Bank geschoben und nicht weiterverfolgt. Und das finde ich skandalös."
- Für die Atomkonzerne ergibt sich daraus ein Milliarden-Geschenk.
- Für die Menschen in diesem Land verschlechtert sich die Sicherheit vor einer Atomkatastrophe noch einmal erheblich.
Bereits mit dem "Atomkonsens" wurden die Atomkonzerne - mit Blick auf die ohnehin nur noch kurzen Betriebszeiten (!) - von der Pflicht befreit, dringend notwendige Nachrüstungen an den Uralt Atommeilern vorzunehmen. Da laut der Bund-Länder-Liste wichtige Nachrüstungen erst mittel- bis langfristig erfolgen müssen, und die Uralt-Reaktoren nach dem Willen der Bundesregierung weitere acht Jahre laufen dürfen, werden dringend notwendige Nachrüstungen weiterhin verschoben!
Das ist nicht zu fassen! Mit der Aufkündigung des Atomkonsens verliert die Begründung für die ohnehin viel zu laschen Sicherheitsvorschriften für die alten Atommeiler - die nur noch kurzen Laufzeiten - jegliche Grundlage. Diese sind deshalb nach meinem Verständnis unverzüglich entsprechend des Stands von Wissenschaft und Technik aufzurüsten ... - oder aber - besser noch - sofort stillzulegen!
Aber das Gegenteil ist der Fall. Auf irgendwann einmal verschoben wurde
- die Vergrößerung der Flutbehälter. Das ist eine wichtige Maßnahme für den Fall, dass das Kühlsystem des Reaktors ausfällt.
- die Trennung von Sicherheitssystemen, die im Notfall unabhängig voneinander funktionieren müssen.
- der Austausch der Rohrleitungen.
Die Rohrleitungen: Dass die mehr verkörpern, als nur ein paar Meter Stahl, das stellte gestern Herr Renneberg in dem Monitor-Beitrag klar: "Die Rohrleitungen sind ganz entscheidend für die Störfallvermeidung. Sie müssen halten. Sie müssen aus dem bestmöglichen und stabilsten Stahl aufgebaut sein. Das sind sie bei den alten Anlagen aber nicht. Da haben die alten Anlagen einen großen Nachholbedarf. Deswegen muss das jetzt ausgetauscht werden. Soll aber nicht passieren, sondern erst mittel- bis langfristig. ... Nach diesem Papier mit diesen Fristen fallen diese hohen Nachrüstungskosten praktisch für die alten Anlagen nicht an. Die alten Anlagen werden weiter betrieben, so wie bisher. Ganz wesentlich so wie bisher, ohne dass die wesentlichen Nachrüstungen durchgeführt werden."
Aber selbst dort, wo sie um Nachrüstungen nicht herumkommen, haben die Atomkonzerne sich in der Vereinbarung mit der Bundesregierung weitreichende Schutzklauseln zusichern lassen. Die Kosten für mögliche Nachrüstungen werden zum Beispiel auf 500 Millionen Euro pro Atomkraftwerk begrenzt. Alles was darüber liegt, wird mit den Steuern und Abgaben verrechnet. Die Zahlungen der Konzerne für den neuen Ökostrom-Fonds reduzieren sich, wenn eine künftige Regierung die 2016 auslaufende Atomsteuer verlängern oder erhöhen will.
Woher der Wind weht
Die Vorlage für eine Novellierung des Atomgesetzes, die der Umweltminister in den höchsten Tönen preist, stammt nach Auskunft von Monitor aus der Abteilung des Herrn Hennenhöfer, der jahrelang als Spitzenmanager für die Atomindustrie gearbeitet habe, und der jetzt Herrn Röttgens Mann für die Reaktorsicherheit sei. Er sei auch mitverantwortlich für die Bund-Länder-Liste. Im Entwurf zur Novellierung des Atomgesetzes, gibt es laut Monitor den neuen Paragraphen 7d - "Weitere Vorsorgen gegen Risiken". Darin sind einige Ungeheuerlichkeiten zu finden:
- Ursprünglich sollten die deutschen Meiler gegen Terrorangriffe aus der Luft geschützt werden. Dieser Passus wurde laut Monitor aus dem aktuellen Entwurf gestrichen. Der Schutz der Bürger vor dieser Strahlengefahr hätte Milliarden gekostet. Aus meiner Sicht ist das russisches Roulette mit dem Atomrevolver - nur dass es dabei zu erheblich mehr als einem Opfer kommt, falls die Kammer mit dem Atomrekator vor dem Abzug liegt.
- Die Rechte der Bundesbürger werden in drastischer Weise beschnitten. Sollte der Paragrapen 7d jemals in Kraft treten, dann werden bestimmte sicherheitsrelevante Nachrüstungen nicht mehr vor Gericht einklagbar sein. Das würde für sämtliche Bereiche gelten, die künftig dem sogenannten "Restrisiko" zugerechnet werden sollen, wie zum Beispiel der Schutz vor Flugzeugabstürzen.
- Während bis heute alle Nachrüstungen nach dem "Stand von Wissenschaft und Technik" erfolgen müssen, soll für einige sicherheitsrelevante Bereiche zukünftig nur noch eine "Sorgepflicht" der Betreiber gelten.
Im Zusammenhang mit Kriegen habe ich schon des öfteren auf den Missbrauch der Sprache hingewiesen, wenn es darum geht, wie Militär und Politik versuchen, die Dinge zu verharmlosen. Für diejenigen unter uns, die damit nicht vertraut sind, kann im Zusammenhang mit den Pflichten für die Betreiber der Atomkraftwerke auch die Verwendung der Begriffe "nach Stand von Wissenschaft und Technik" und "Sorgepflicht" zu falschen Schlussfolgerungen führen (auch wenn ich in diesem Falle aufgrund meiner bisherigen Erkenntisse keinen vorsätzlichen Missbrauch unterstellen will). Herr Roßnagel (Universität Kassel, Atomrecht) erklärte den Begriff "Sorgepflicht" im Monitor-Beitrag folgendermaßen: "Die Sorgepflicht begründet nur die Verpflichtung, sich zu bemühen. Sie verpflichtet nicht zu einem Erfolg. Das heißt, erste Aktivitäten reichen aus, um diese Pflicht zu erfüllen."
Im Anschluss an den Filmbeitrag sagte Frau Mikich (Monitor, Moderatorin), das Umweltministerium habe auf die Schlagzeilen von gestern mit einem Schreiben reagiert: Der geschilderte Sachverhalt sei komplett falsch und die bisherigen gesetzlichen Pflichten würden vollständig unangetastet bleiben. Frau Mikich schlug vor, der Herr Röttgen sollte die Dokumente doch vielleicht einmal Zeile für Zeile selbst prüfen.
Zum Weiterlesen:
(Quelle: Monitor vom 09.09.2010, Tagesschau vom 09.09.2010)
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