Sonntag, 21. Februar 2010

Von heißen Rädern und kühlen Reifen

Als damals die Schuhe meiner Freunde und die meiner Schulkameraden, ebenso wie meine eigenen Schuhe, etwas länger passten und wir den Kinderschuhen so langsam entwachsen waren, da verwendeten wir den Ausdruck "heiß" wenn wir ausdrücken wollten, dass wir von einer Sache absolut begeistert waren. "Könnt ihr nicht mal wie normale Menschen reden?" Sicher wird sich die eine oder der andere noch gut daran erinnern, dass man diese oder ähnliche Fragen oder Vorwürfe des öfteren von den Eltern oder Großeltern hörte.

Heute sagen unsere Kinder "cool", wenn sie "heiß" meinen. Da meine Großmutter kein Englisch verstand, wäre ihr kaum aufgefallen, dass "cool" - also "kühl" - das absolute Gegenteil von "heiß" bedeutet. Sie beschwerte sich damals immer über das Radioprogramm: "Immer nur Poop-Musik (sprich: "Pop" mit langgezogenem "O" wie in "Zoo")! Können die keine deutschen Lieder mehr singen?"

Zu der Zeit standen die Mädchen auf spindeldürre Barbies und bei den Jungs waren die kleinen Autos mit den "heißen Rädern" der Renner. Wenn Meine Großmutter "Hot Wheels" in der Fernseh-Werbung hörte, und dazu die kleinen, in allen Tönen des Grau-Spektrums schillernden Sportkarossen auf ihren schwarz-weißen Rennstrecken über die Mattscheibe ihres Schwarz-Weiß-Fernsehgerätes flitzen sah, dann war das für sie nichts weiter, als ein weiterer englischer Markenname, der den Verfall der deutschen Sprache weiter vorantrieb.

Bei den heutigen Väter-Generationen sind die "Hot Wheels" Kult. Man kann sie also nicht mehr einfach umbenennen und als etwas neues verkaufen. Wenn es die "Hot Wheels" damals aber nicht gegeben hätte, und erst heute jemand auf die gleiche Idee gekommen wäre, dann hätten die "Heißen Räder" heute wohl eher kühle Reifen, also "Cool Tires", geheißen.


Technische Revolutionen

Das, was heute der MP3-Player beziehungsweise der iPod ist, das war bei uns damals der Walkman (ein tragbares Tonband-Cassettenabspielgerät). Heute kaum noch vorstellbar: Die meisten meiner Freunde hatten zu Hause einen Plattenspieler und einen Cassettenrekorder anstelle eines CD-Players (wobei der CD-Player inzwischen ja auch schon fast den ausgestorbenen Spezies technischer Neutentwicklungen zugeordnet werden muss). Schallplatte und Tonbandkassette waren eben nicht kompatibel zueinander ... - kein Vergleich mit den heutigen Allesfressern, die sich weiterhin verharmlosend "DVD-Player" nennen. Bei mir zuhause gab es noch eine richtige Tonbandmaschine. Erst lange nachdem mit Hilfe aufwändiger technischer Tricks die Tonqualität der Cassetenrekorder annähernd an die eines Tonbandgerätes heranreichte, entschloss ich mich zum Kauf eines Cassetenrekorders - auch weil mein heiß geliebtes Uher "Royal" so langsam den Geist aufgab und keine Ersatzteile mehr dafür zu bekommen waren.


Was beim Tonbandgerät nie ein größeres Problem war, hat mich dann beim Cassetenrekorder so manchen Nerv und etliche schlaflose Nächte gekostet:

Der Bandsalat!


Hat schon mal jemanden aus der "Generation iPod" (meine Großmutter hätte mit Sicherheit "Ei-Pott" verstanden, und sich gefragt, wo denn wohl bei einem dieser neumodischen Eierkocher die Musik 'rauskommen soll) die Frage gestellt, was Bandsalat ist? Wahrscheinlich bekäme man eine Antwort in der Art: "Keine Ahnung? Grüner Salat mit Bandnudeln?". Dass dieses mechanisch bedingte Phänomen so manches historisches Ton-Dokument gnadenlos für alle Zeiten ausgelöscht hat, das kann man heutzutage keinem stolzen Besitzer eines dieser kleinen tönenden MP3-Flachmänner mehr begreiflich machen.

Drei Generationen - von meiner Großmutter bis zu meinen Kindern - die davon überzeugt waren beziehungsweise sind, perfekt deutsch zu sprechen, besitzen in Wirklichkeit nur einen gemeinsamen Grundwortschatz. Sprache lebt. Sie entwickelt sich weiter. Jede neue Erfindung braucht einen neuen Namen. Aufgrund der immer mehr vernetzten "globalen Welt" fließen in viele Sprachen Einflüsse aus anderen Sprachen ein.

Die Globalisiereung begann Anfang des letzten Jahrhunderts mit Telefon, Radio und Fernsehgerät. Damals waren nur wenige Menschen die "Macher". Die Masse der Menschheit musste sich mit der Konsumentenrolle begnügen. Im Zeitalter des Internets ist diese Schranke aufgehoben. Jeder Medien-Konsument hat die Möglichkeit, selbst Einfluss zu nehmen, und somit selbst zum "Macher" zu werden. Diese Entwicklung fand innerhalb von drei Generationen statt. Eine solche Fülle von Neuheiten in einem so kurzen Zeitraum hatte es bis dahin in der Menschheitsgeschichte noch nicht gegeben. Es ist also eigentlich kein Wunder, wenn meine Großmutter von dieser Entwicklung förmlich überrannt wurde und ihr hilflos ausgeliefert war.


Tag der Muttersprache

Den heutigen Tag hat die UNESCO zum internationalen "Tag der Muttersprache" erklärt. Die Organisation schätzt, dass es noch 6000 Sprachen auf der Welt gibt, von denen alle zwei Wochen eine ausstirbt. Mit jeder verloren gegangenen Sprache reißt der rote Faden der davon betroffenen Menschen zu ihren Wurzeln und zu ihrer Kultur. Der Verlust einer Sprache bedeutet also immer auch den Verlust einer Kultur.

In der Umgebung von Bremerhaven ist "Plattdeutsch" noch eine lebendige Sprache. Ich kann jeder plattdeutschen Unterhaltung problemlos folgen, aber ich bin nicht mit "Platt" aufgewachsen. Daher habe ich Schwierigkeiten, mit den Leuten platt zu schnacken, und versuche es daher meistens gar nicht erst. Ich mag aber plattdeutsche Musik, und singe selbst plattdeutsche Lieder. Plattdeutsch ist eine liebenswerte Sprache. Auf Platt kann man mit Worten Dinge liebevoll ausdrücken, für die man Schläge riskieren würde, wenn man das gleiche auf hochdeutsch sagen würde. Wenn die nette Tante von nebenan den kleinen Sohn ihrer Nachbarin auf vertraute Art und Weise mit "Na min lütten Schietbüddel." begrüßt, dann werden sich der Kleine und seine Mutter geschmeichelt fühlen. Ich würde aber vorsichtshalber niemals auf die Idee kommen, zum kleinen Sohn unserer Nachbarn "Hallo mein kleiner Scheißbeutel." zu sagen.

Die Welt lebt von der Vielfalt der Menschen und ihrer Kulturen. Mit jedem Aussterben einer Sprache wird die Welt deshalb ärmer. Wenn "Globalisierung" dazu führen sollte, dass die Menschheit am Ende der Entwicklung irgendwann einmal nur noch Spanisch oder Englisch (oder sonst irgendeine einzige Sprache) spricht, dann könnte es passieren, dass sie aufhört sich weiterzuentwickeln. Die heutigen Gesellschaften profitieren voneinander, weil sich ihre kulturellen Eigenheiten gegenseitig beeinflussen. In einer zusammenwachsenden globalen Welt ist es vielleicht sinnvoll, dass sich jeder Mensch mit einem anderen Menschen in einer gemeinsamen "Weltsprache" verständigen kann. Dabei ist es aus meiner Sicht jedoch ebenso wichtig, dass jede Gesellschaft gleichzeitig ihre kulturelle Identität und Sprache bewahrt. Nur so bewahren wir alle zusammen die sich entwickelnde "Globale Welt" vor einer uniformen Zukunft.

In dissen Sinne: Een gooden Dag all tohoop.


(Quellen: Tagesschau vom 21.02.2010, Nordsee-Zeitung vom 20.02.2010, Wikipedia)

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