Mittwoch, 27. Januar 2010

Häppchen


Bremerhaven: Neuerhafen, Westseite (September 2008)

Am 22.01.2009 wurde in der Nordsee-Zeitung ein Kommentar von Herrn Donsbach (Nordsee-Zeitung, Redakteur) veröffentlicht. Es ging um die Ausstellung "Böse Orte und Oasen" im Timeport II und ein Stadtgespräch über die Zukunft am Alten und Neuen Hafen. Daran beteiligt gewesen seien unter anderem Herr Latz (Architekt und Landschaftsplaner) und Herr Pfarré (Lichtgestalter), die für ihre Freiraumgestaltung am Neuen Hafen bereits auf internationaler Ebene mit Preisen geehrt wurden.

Herr Donsbach hatte wohl den Eindruck gehabt, dass seitens der Bremerhavener Politik und hochrangiger Persönlichkeiten in leitenden Funktionen etwas mehr Interesse, eine gesunde Neugier und ein gewisses Maß Sachverständnis nicht geschadet hätten.



Bremerhaven: Kran der Kiesverladeanlage am Neuen Hafen (März 2009)

So habe sich Herr Lüneburg (Bremerhavener Entwicklungsgesellschaft Alter/Neuer Hafen (BEAN), Geschäftsführer) blamiert, als er die Frage in den Raum gestellt habe, was der schäbige Grube-Kran denn für einen Wert haben solle. In den vorangegangenen Stunden sei von den Herren Latz, Pfarré und von Herrn Heller (Auswandererhaus, Betreiber) jedoch ausführlich dargestellt worden, warum die letzten Zeugnisse der Arbeitswelt am Neuen Hafen erhaltenswert seien.

Herr Adelmann (Bremerhavener Gesellschaft für Investitionsförderung und Stadtentwicklung (BIS), Geschäftsführer) habe in seiner Rede zur Eröffnung der Ausstellung ausgeführt, die damalige Diskussion über die Rogge-Halle und weitere Hafenschuppen sei gottseidank vom Abrissbagger beendet worden (er habe in diesem Zusammenhang den Ausdruck "barackenähnliche Gebäude" verwendet).

Seit der Bremer Gründung des damaligen Hafenorts "Bremerhaven" im Bereich des heutigen Alten Hafens war diese Stadt historisch gesehen schon immer eine Hafenstadt. Das ist sie auch heute noch.

Wenn Bremerhaven zukünftig vom Tourismus als zusätzlichem wirtschaftlichen Standbein profitieren will, dann muss die Stadt den Touristen auch das bieten können, was diese erwarten, wenn sie ihren Urlaub oder ein verlängertes Wochenende in einer Hafenstadt verbringen wollen:

Einen Hafen mit dem Flair einer alten Hafenstadt.



Bremerhaven, Neuer Hafen: DEBEG-Halle (links) mit "Lloyds" (Oktober 2008)

Unter diesem Gesichtspunkt bin ich äußerst froh darüber, dass wenigstens die alte DEBEG-Halle (das ehemalige Proviantlager des Norddeutschen Lloyds) nicht das gleiche Schicksal erlitten hat, wie die "Kleine Rogge Halle" (eigentlich das ehemalige Magazin der alten Lloyd-Werft). Das Magazin der Lloyd-Werft am Neuen Hafen war keine Baracke, sondern ein solider Backsteinbau der Stein für Stein abgetragen wurde, und - so die damalige Planung - an anderer Stelle im Originalzustand wieder aufgebaut werden sollte, um die seit Jahren eingemottete Sammlung des Nordsee-Museums darin unterzubringen. Irgendwann waren angeblich die meisten der eingelagerten Backsteine verschwunden, dann war plötzlich das dafür vorgesehene Geld für etwas anderes ausgegeben worden.


Ehemaliges Proviantlager des Norddeutschen Lloyds ("Kleine Rogge-Halle")
Foto: © Peter Müller


Seitdem existiert die ehemalige Backstein-Halle nur noch in der Erinnerung einiger Zeitzeugen, und die wertvolle Sammlung des Nordsee-Museums ist immer noch eingemottet. Das Foto der Halle stammt von der Homepage "Werften und Stadtgeschichte Bremerhavens" von Peter Müller (Archiv, Tagebucheintrag zum 17. August 2005), der mir freundlicherweise erlaubt hat, es hier zu zeigen. Anhand der Gegenüberstellung mit der restaurierten DEBEG-Halle wird deutlich, was sich aus der "kleinen Rogge-Halle" noch hätte machen lassen, und dass es sich dabei ebensowenig um ein "barackenähnliches Gebäude" handelte, wie bei der glücklicherweise erhalten gebliebenen DEBEG-Halle.



Bremerhaven: Traditions-Segler der Schiffergilde vor der DEBEG-Halle (Aug. 2008)

Wer alles, was an die lange Geschichte des Kerns der Bremerhavener Seehäfen erinnert, einfach platt machen will, der demonstriert damit nicht nur einen großen Mangel an Geschichtsbewusstsein sondern zeigt auch ein fatales Desinteresse an wertvollen vorhanden touristischen "Schätzen", die man nur geschickt in eine neue Bebauung einbeziehen braucht. Das ist erstens reizvoller und authentischer, und zweitens billiger als klotzige Neubauten ohne jeglichen Bezug zum Thema "Havenwelten". Allerdings ist dafür wohl auch etwas mehr Phantasie und Kreativität gefragt, als es für die "plattmachen-und-neu-bauen"-Philosophie braucht. Zu den touristischen "Schätzen" am Neuen Hafen gehört, als eines der letzten überlebenden Zeugnisse der Hafengeschichte, unter anderem auch der Kran der Kiesverladeanlage der Firma Grube. Diesem kommt dort die gleiche Bedeutung zu, wie dem als Industriedenkmal zur Erinnerung an die Geschichte der Rickmerswerft erhalten gebliebenen Werftkran an der Geeste.

Solange Politiker und leitende Persönlichkeiten mit einer solchen ignoranten Einstellung gegenüber den wenigen verbliebenen historischen Zeugnissen Bremerhavens das Sagen haben, müssen wir uns ernsthaft Sorgen um die Erhaltung der nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs ohnehin nicht gerade üppig gesäten historischen Gebäude und Ensembles machen. Da ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass das inzwischen vom Landesamt für Denkmalpflege des Landes Bremen als erhaltenswertes Industriedenkmal eingestufte Kalksandsteinwerk der Firma Kistner in Lehe schon so lange ein - für die Bausubstanz nicht gerade förderliches - Dornröschendasein fristet.


Bremerhaven: Blick von der Klappbrücke über den Neuen Hafen (September 2008)

Mit seinem kritischen Kommentar hat Herr Donsbach aber wohl einen empfindlichen Nerv des kritisierten Personenkreises getroffen. Herr Donsbach hatte in seinem mit dem Titel "Häppchen verpasst" überschriebenen Kommentar auch das durch Nichtanwesenheit demonstierte Desinteresse Bremerhavener Politiker kritisiert, und seine Ausführungen mit der ironischen Bemerkung, die Veranstalter hätten wohl vergessen zu erwähnen, dass in der Pause Häppchen und Getränke spendiert werden, abgeschlossen.

In ihrer Ausgabe vom 26.01.2010 schrieb die Nordsee-Zeitung, der Vorstand der Stadtverordnetenversammlung habe sich über den Kommentar von Herrn Donsbach sehr empört. Der von Herrn Donsbach kritisierte Herr Lüneburg habe unter anderem gemeint, die Kulturbeflissenen, wie Herr Donsbach, würden sich ständig nur für den Schutz erhaltenswerter Objekte interessieren, aber immer die damit verbundenen Erhaltungskosten außer Acht lassen. Ob der Herr Lüneburg denn wohl auch bedacht hat, was die vielen schönen neuen Gebäude in den Havenwelten einmal an Folgekosten verursachen werden? Ich könnte mir gut vorstellen, dass die Erhaltungskosten für den Grube-Kran dagegen verschwindend gering ausfallen würden.
  • Meine Meinung:
    Der Kommentar von Herrn Donsbach war aus meiner Sicht seit langer Zeit einmal wieder eine jener von mir oft vermissten kritischen Stimmen über die Realitäten in Bremerhaven, die ich gerne des öfteren einmal in der Nordsee-Zeitung lesen würde. Wenn die von ihm kritisierten Personen nicht in der Lage sind, sein "winziges Häppchen" Ironie augenzwinkernd wegzustecken, dann ist das wohl kaum die Schuld des Herrn Donsbach.

(Update 28.01.2010: Text Rogge-Halle/Lloyd-Magazin, Fotos)
(Update 01.02.2010:
Text Rogge-Halle/Foto "Kleine Rogge-Halle",
mit freundlicherGenehmigung von Herrn Peter Müller)


6 Kommentare:

Weserkrabbe hat gesagt…

Sehr gute Artikel und Recht hast Du Jürgen wie meistens. Ich fand den Artikel von Herrn Donsbach auch sehr gut, brachte er es doch endlich einmal wieder auf den Punkt. Und Deine Fotos sind Spitze.

lieben Gruß
Brigitte

Wasserfrau hat gesagt…

Hallo Juwi

Dazu kann ich nichts sagen, da ich nicht weiss wie das bei Euch so läuft mit alten Gebäuden. So viel ich weiss haben wir bei uns so etwas wie den "Heimatschutz", also gewisse Gebäude dürfen nicht einfach abgerissen werden, die sind von Gesetzes wegen geschützt.

Deine Bilder sind klasse, Bremerhaven bei Nacht sieht zauberhaft aus. Wunderbar wie sich die Lichter im Wasser spiegeln!

So ein Hafenkran passt gut in Euer Stadtbild, doch stell Dir vor, bei uns wollten sie so einen Hafenkran aufstellen am Fluss der durch die Stadt fliesst, von Hafen keine Spur weder damals noch heute, einfach so als "Attraktion".

Hätte nach meiner Ansicht das Stadtbild verschandelt, viele andere dachten gleich, glücklicherweise ist er dem Sparstift zum Opfer gefallen.
Liebe Grüsse und schönes Wochenende
Elfe

juwi hat gesagt…

@Brigitte: Hoffentlich war das Echo auf seine Kritik ein Ansporn für Herrn Donsbach und kein Dämpfer. Im Gegensatz zum Fall des Herrn Kolze wurde Herrn Donsbach glücklicherweise seitens der Nordsee-Zeitung der Rücken gestärkt.

@Elfe: Die Kräne gehören ebenso zum Hafenbild wie die Schiffe. Wenn der Kran der Kiesverladeanlage erhalten bleibt, dann wird er einmal ein authentisches Zeugnis der Geschichte unserer Stadt sein. Das wäre im bei euch in Zürich natürlich nicht der Fall gewesen. Schon allein deshalb wäre ein Hafenkran an eurem Fluss (eine Abzweigung vom Rhein?) wohl fehl am Platze gewesen.

Wasserfrau hat gesagt…

@Juwi
Nein das ist die Limmat. Sie tritt bei Zürich aus dem Zürichsee und mündet nach 34 km zwischen Turgi und Untersiggenthal in die Aare.
Liebe Grüsse
Elfe

juwi hat gesagt…

@Elfe: Danke für die Info.

Unknown hat gesagt…

Netter Beitrag über die Debeg Halle. Saniert wurde die Außenfassade von mir.

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