Freitag, 21. Februar 2014

Putin wird euch lehren, euer Mutterland zu lieben

Putin's Russland: "disliked"

Auf die Frage: "Haben die Olympischen Spiele politisch nicht auch etwas Gutes? Immerhin sind Michail Chodorkowski und Pussy Riot vorher freigekommen.", antwortete die russisch-französische Journalistin Elena Servettaz in einem am 12.02.2014 in der "Zeit" veröffentlichten Interview (Zitat):
"Das machen autoritäre Regime ja immer. Mich erinnert das an die Spiele 2008 in China. Es gab ein kleines Tauwetter. Aber ich glaube keine Sekunde, dass das in Russland von Dauer ist. Denn gleichzeitig versucht man gerade, den einzigen unabhängigen Fernsehkanal, TV Doschd, zuzumachen. Das Tauwetter ist für mich vorübergehend."

Das von Frau Servettaz vorhergesagte Ende des Tauwetters - oder zutreffender: des "Tauwetterchens" - ist bereits eingetreten, bevor Putin's Olympia überhaupt vorüber ist ... - und zwar nicht abseits, irgendwo in Moskau oder an irgendeinem anderen Ort in Russland, sondern mitten in Sotschi: Am 18.02.2014 meldeten die Medien weltweit, am Rande der Olympischen Winterspiele in Sotschi seien Mitglieder der systemkritischen Punkband Pussy Riot, der Menschenrechtler Semjon Simonow, sowie einige Journalisten von der Polizei verhaftet worden.

Die internationale Menschenrechtsorganisation "Amnesty International" zeigte sich empört: Die russischen Behörden müssten die neu im Zentrum Sotschies festgenommen Menschen - einschließlich der Aktivistinnen und der Journalisten - umgehend auf freien Fuß setzen.

Frau Tolokonnikova und Frau Alyokhina (Pussy Riot) hätten sich darüber beklagt, dass sie bereits zum dritten Mal innerhalb weniger Tage verhaftet worden sind. Dieses Mal sei ihnen Diebstahl in dem Hotel, in dem sie sich derzeit aufhalten, vorgeworfen worden. Sie vermuten, die Übergriffe auf sie stünden im Zusammenhang mit ihrem Vorhaben, ein Musik-Video mit dem Titel "Putin wird euch lehren, wie ihr euer Mutterland zu lieben habt" aufzunehmen.

Herr Dalhuisen (Amnesty International, Bereich Europa und Zentral Asien, Direktor) brachte den Skandal auf den Punkt (Zitat):
"Die Sicherheitsbehörden in Putin's Russland haben die Olympischen Ringe - ein weltweites Symbol der Hoffnung und des Strebens nach dem Besten des menschlichen Geistes - in Handschellen verwandelt um die Freiheit des künstlerischen Ausdrucks zu fesseln."

Die Nordsee-Zeitung schrieb am 19.02.2014, Frau Aljochina habe den russischen Sicherheitskräften vorgeworfen, dass diese brutal und grundlos im Zentrum Sotschies zugegriffen hätten. Frau Tolokonnikowa habe gesagt, sie sei mit dem Gesicht über das Parkett gezerrt worden.

Nach dem Verhör seien die Festgenommen wieder freigelassen worden. Die offenbar aus der Luft gegriffenen, konstruierten Vorwürfe hätten sich als haltlos herausgestellt. Das wurde später auch durch eine Mitteilung des russischen Innenministeriums bestätigt. Gegen die Beschuldigten liege nichts vor. Herr Dalhuisen sagte zu den willkürlichen Verhaftungen in Sotschi (Zitat):
"Das ist empörend. Nahezu täglich gibt es Berichte über Inhaftierungen von Aktivisten in Sotschi und in der Umgebung der Olympischen Spiele. Das Internationale Olympische Kommittee muss diese und alle anderen Verhaftungen von Aktivisten in Sotschi entschieden verurteilen. Die Menschen geraten ins Fadenkreuz, nur weil sie friedlich ihre Meinung äußern. Die russischen Behörden müssen die Abwärtsspirale der Menschenrechtsverletzungen rund um die Olympischen Spiele beenden."


Drei Jahre Lagerhaft für ein Protestplakat

Unter den am 16. Februar von der Polizei und Beamtem in Zivil Festgenommenen waren Semjon Simonow  (Menschenrechtsorganisation "Memorial"), Journalisten von "Radio Free Europe" und der unabhängigen, russischen "Novaya Gazeta", sowie der lokale Bürgerrechtsaktivist David Hakim. Einer der Gründe für die Verhaftung Herrn Hakims war seine Ein-Mann-Mahnwache aus Solidarität mit dem inhaftierten Umweltschützer Jewgeni Witischko. Herr Witischko war an einem Bericht über die Umweltschäden durch die Bauarbeiten für die Winterspiele in Sotschi beteiligt und hatte Zerstörungen durch die Winterspiele in Sotschi angeprangert.

Herr Witischko befindet sich nach Angaben seiner Organisation "Ökologische Wacht im Nordkaukasus" (Ecologicheskaya Vakhta po Severnomu Kavkazu /Environmental Watch on North Caucasus, EWNC) im Hungerstreik, nachdem ein Berufungsgericht ihn Mitte der letzten Woche zu einer dreijährigen Lagerhaft verurteilt hatte. Seitdem verweigere er die Nahrungsaufnahme. Darüber berichtete die ARD-Tagesschau am 17.02.2013.

Unter anderem auch im Spiegel war gestern zu lesen, dass dem Umweltschützer vorsätzliche Beschädigung fremden Eigentums vorgeworfen worden sei, weil er Protestplakate an einem Zaun in einem Waldschutzgebiet angebracht hatte, der Angaben der ENWC zufolge eine illegal errichtete Luxusvilla des Gouverneurs der Region Krasnodar umschließt.

Den "Deutsch Russischen Nachrichten" vom 17.02.2014 zufolge hatten die Umweltschützer ursprünglich dokumentieren wollen, dass dafür seltene und unter Naturschutz stehende Bäume gefällt wurden. Deswegen war Herr Witischko anfangs zu drei Jahren Lagerhaft verurteilt worden, die aber zur Bewährung auf zwei Jahre ausgesetzt worden war. Amnesty International hat eine Petition an die russische Staatsanwaltschaft mit folgendem Wortlaut verfasst:
Sehr geehrter Herr Generalstaatsanwalt,

während der Olympischen Winterspiele hat das Regionalgericht von Krasnodar am 12. Februar 2014 entschieden, dass der Umweltaktivist Jewgeni Witischko eine ursprünglich zur Bewährung ausgesetzte dreijährige Haftstrafe verbüßen muss. Im Juni 2012 hatte ihn ein Gericht in erster Instanz wegen der Beschädigung eines Zaunes zu dieser Freiheitsstrafe verurteilt. Nach Auffassung von Amnesty International beruht das Urteil auf einem unfairen Verfahren; wichtigen Fragen ging das Gericht nicht nach. Zu diesem Schluss kam am 21. Oktober 2013 auch das Oberste Gericht der Russischen Föderation. Amnesty International hält das Urteil zudem für völlig unverhältnismäßig und betrachtet Jewgeni Witischko als gewaltlosen politischen Gefangenen, der sich allein deshalb in Haft befindet, weil er sich öffentlich und kritisch zu Umweltschäden in der Region Krasnodar geäußert hat. Er setzt sich seit langem gegen Umweltzerstörung in der Region ein, in der auch der Olympia-Austragungsort Sotschi liegt.

ICH FORDERE SIE DAHER AUF:

• sich dafür einzusetzen, dass Jewgeni Witischko unverzüglich und bedingungslos freigelassen wird;

• die Verfolgung von zivilgesellschaftlich engagierten Personen einzustellen, sofern gegen sie keine strafrechtlichen Vorwürfe geltend gemacht werden können;

• sicherzustellen, dass Jewgeni Witischko die erforderliche medizinische Behandlung erhält.

Die Petition kann auf der Internetseite von Amnesty International online unterzeichnet werden.


"In Putin’s Russia, the authorities have turned the Olympic rings – a worldwide symbol of hope and striving for the best of the human spirit – into handcuffs to shackle freedom of expression"

John Dalhuisen (Amnesty International)



(Quellen: Nordsee-Zeitung vom 19.02.2014, Amnesty International vom 18.02.2014, - englisch und deutsch, Greenpeace vom 18.02.2014, Spiegel vom 18.02.2014, Deutsche Welle vom 18.02.2014, Tagesschau vom 18.02.2014, The Guardian [Großbritanien, engl.] vom 18.02.2014, Kurier [Österreich] vom 18.02.2014, Die Presse [Österreich] vom 18.02.2014, RP-Online vom 18.02.2014, Die Zeit vom 18.02.2014 - Bericht 1 und Bericht 2, Süddeutsche Zeitung vom 18.02.2014, Berliner Tagesspiegel vom 18.02.2014, Deutschlandfunk vom 18.02.2014, Neue Züricher Zeitung vom 18.02.2014, Deutsch-Russische Nachrichten vom 17.02.2014, Spiegel vom 20.02.2013, Tagesschau vom 17.02.2013, Wikipedia)

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