Sonntag, 9. Oktober 2011

Der letzte Henker Europas

Oberst Oleg Alkajew, Leiter eines Erschießungskommandos (1996-2001, Minsk, Belarus)

Am 19. März 2010 wollte Frau Sviatlana Zhuk im Gefängnis von Minsk (Belarus, "Weißrussland") ein Paket mit Lebensmitteln für ihren Sohn Andrei Zhuk abgeben. Die Beamten wiesen sie ab und teilten ihr mit, ihr zum Tode verurteilter Sohn sei "verlegt" worden. Man wies sie an, ihren Sohn nicht mehr zu besuchen. Drei Tage später erfuhr sie von Gefängnismitarbeitern, dass ihr Sohn erschossen wurde.

Das berichtet die internationale Menschenrechtsorganisation "Amnesty International" auf ihrer Internetseite. Weiter heißt es dort, Todeskandidaten würden erst direkt vor der Hinrichtung darüber informiert. Bis dahin müssten sie ständig damit rechnen, zur Hinrichtung abgeholt zu werden. Nach Verkündung des Hinrichtungsbefehls werde dem Betroffenen eine Augenbinde angelegt und das Todesurteil unverzüglich durch einen Pistolenschuss in den Hinterkopf vollstreckt. Manchmal seien dafür auch mehrere Schüsse erforderlich.

Zu der ohnehin gegen die Menschenrechte verstoßenden Todesstrafe kommt in Belarus noch der grausame Umgang mit den Familien der zum Tode verurteilten Gefangenen  hinzu. Die Familien haben keine Möglichkeit, Abschied von ihrem Angehörigen zu nehmen.

Von seiner Exekution erfahren sie erst nach seinem Tod - oft erst auf Nachfrage und mit verharmlosenden Worten. Der Gefangene "habe das Gefängnis verlassen" heißt es dann zum Beispiel (Oberst Oleg Alkajew, Leiter eines Erschießungskommandos, in einem Video von Amnesty International). Wenn man es nicht besser wüsste, dann könnte man aus einer solchen Anwort schließen, dem Gefangenen sei die Flucht gelungen oder er sei überraschenderweise aufgrund guter Führung aus dem Gefängnis entlassen worden. Belarus, der letzte Henker Europas, ist auch noch zu feige, den Angehörigen die ganze Wahrheit zu sagen. Nicht einmal der Leichnam des Toten wird der Familie übergeben und selbst Angaben über den Bestattungsort werden ihnen vorenthalten..

Belarus ist das letzte Land Europas, in dem Todesurteile verhängt und auch vollstreckt werden. Informationen über die Todesstrafe behandeln die Behörden in Belarus als Staatsgeheimnis. Laut Amnesty International sollen dort seit der Unabhängigkeit im Jahr 1991 rund 400 Menschen zum Tode verurteilt und exekutiert worden sein. Verlässliche Daten über die Anzahl der Todesurteile und Hinrichtungen sind aufgrund der Geheimhaltung jedoch nicht verfügbar.

Da das Justizsystem von Belarus schwere Mängel aufweise, sei das Risiko, dass Unschuldige hingerichtet werden, in diesem Land besonders hoch, schreibt Amnesty International. Prozesse fänden oft unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und "Geständnisse" seien teilweise auf Zwang durch Folter und Misshandlungen zurückzuführen.


Internationaler Tag gegen die Todesstrafe 2011

Amnesty International zum internationalen Tag gegen die Todesstrafe 2011

Anlässlich des morgigen internationalen Tages gegen die Todesstrafe appelliert Amnesty International an Herrn Lukaschenko (Belarus, Präsident):
Sehr geehrter Präsident Lukaschenko,

Belarus ist das letzte Land in Europa und der ehemaligen Sowjetunion, das die Todesstrafe noch vollzieht. Im Justizsystem kommt es immer wieder zu Fehlern, internationale Standards für faire Gerichtsverfahren werden nicht eingehalten: „Geständnisse“ werden zum Teil unter Folter erzwungen, die Gefangenen haben oftmals keinen Zugang zu effektiven Berufungs- und Beschwerdeinstanzen. In der Regel erfahren sie den Hinrichtungstermin erst direkt vor der Vollstreckung.

Amnesty International, das nichtstaatliche belarussische Menschenrechtszentrum „Viasna“ sowie das belarussische „Helsinki Komitee“ lehnen die Todesstrafe ohne Ausnahme ab, denn sie verletzt das Recht auf Leben und ist eine grausame, unmenschliche und erniedrigende Strafe.

Bis zur vollständigen Abschaffung der Todesstrafe in Belarus fordern wir einen sofortigen Hinrichtungsstopp. Alle anhängigen Todesurteile müssen in Haftstrafen umgewandelt werden.

Jeder, der sich dem Appell an Herrn Lukaschenko anschließen möchte, kann ihn auf der Internetseite von Amnesty International online unterzeichnen.


Ein Job wie jeder andere auch?

Herr Alkajew berichtet in einem Interview von seiner früheren "Arbeit" ...
Anfangs fühlte ich mich nicht wohl. Dann merkte ich, dass es ein Job war wie jeder andere und es ging.


Ich sagte dem Verurteilten, dass er hingerichtet würde. Ich sagte ihm nur absichtlich nicht, dass er sofort hingerichtet würde, sondern, dass man ihn an einen anderen Ort brächte. Der Verurteilte behielt die Hoffnung, dass ihm noch etwas Zeit blieb. In Wirklichkeit sollte er in den nächsten Minuten hingerichtet werden. Er verließ den Raum voller Hoffnung. Ich glaube, ich habe ihm das Sterben erleichtert.

Ein Mann kämpft um jede Sekunde seines Lebens.


Von den Angehörigen kommen meistens die Mütter und gewöhnlich ist es ein großer Schock für sie. Sie werden hysterisch, denn sie alle hoffen auf ... - ich weiß nicht worauf sie hoffen.

Ich habe viel Leid gesehen, das ist nicht schön.


Wenn man ihnen sagt, dass ihr Sohn oder Verwandter "gemäß dem Urteil gegangen ist", gehen sie alle zum Chef, zu mir, um sicherzustellen, dass das stimmt. Ich wiederhole, dass er nicht mehr im Gefängnis ist, aber ich sage nicht, dass er erschossen wurde. Das durfte ich nicht. Er hat "das Gefängnis verlassen", das ist alles. Wir sagten nicht wann, wie und wo. Ich verstehe ihr Leiden.

Das war das schwerste an meiner Arbeit.


Viele Angehörige begriffen, dass ihre Lieben hingerichtet worden waren. Sie fragten mich, wo sie beerdigt würden und wie sie an den Leichnam kämen und warum man ihnen den Leichnam nicht übergäbe.


Ich konnte diese Fragen nicht beantworten.

Oberst Oleg Alkajew war von 1996 bis 2001 Leiter des Erschießungskommandos in einem Gefängnis in Minsk. Wenn Mörder töten, dann ist das ein Verbrechen ... - aus meiner Sicht das schwerste Verbrechen, dass ein Mensch begehen kann. Wenn Staatsangestellte das gleiche tun, dann ist das eine Arbeit, wie jede andere auch? Nach meinem Verständnis spricht daraus die ganze perverse Menschenverachtung der Justiz eines Staates, der sich das Recht anmaßt, über Leben oder Tod eines Angeklagten zu entscheiden und sich damit auf die gleiche Stufe mit jedem x-beliebigen gemeinen Mörder stellt.


  • "Warum kann ich nicht zum Grab meines Sohnes? Angehörige werden sehr grausam behandelt."
    Sviatlana Zhuk, Mutter von Andrei Zhuk

  • "Unsere Söhne teilten sich das Brot. Vielleicht liegen sie im selben Grab. Wie soll sich eine Mutter fühlen? Mein Herz ist schwer ... Ich hätte mit ihm zusammen sterben wollen."
    Varvara Yuzepchuk, Mutter von Vasily Yuzepchuk

  • "Todeskandidaten hassen Türen. Solange die Türen verschlossen sind, leben sie. Der Tod wartet immer hinter der Tür."
    Oleg Alkajew, ehem. Leiter des Untersuchungsgefängnisses in Minsk, Belarus.

  • "Sie haben mich drei Tage pausenlos geschlagen, und dann habe ich ein Geständnis unterschrieben."
    Amnesty International: Ein junger Mann unter Mordanklage, Oktober 2008 

  • "Staaten können nicht gleichzeitig die Menschenrechte achten und die Todesstrafe verhängen und vollstrecken."
    Amnesty International


Zum Weiterlesen


(Quelle: Amnesty International - gegen die Todesstrafe)

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