Das "New safe Containment" in Bewegung (veröffentlicht auf YouTube am 30.11.2016)
Seit Ende November 2016 ist der Block 4 der der Atomkraftanlage "Tschernobyl" unter einer Bogenkonstruktion aus Stahl mit einer doppelten Hülle aus Edelstahl verschwunden. Ihre Erbauer gehen davon aus, dass sie die hochradioaktive Atom-Ruine für einen Zeitraum von einhundert Jahren sicher von der Umwelt isolieren wird.
Die neue 162 Meter lange, 108 Meter hohe und 36000 Tonnen schwere Hülle - das sogenannte "New safe Containment" ("Neue sichere Einhausung") - soll dafür sorgen, dass der alte, einsturzgefährdeten "Sarkophag", in dem sich die Trümmer des Reaktorgebäudes mit dem im Jahre 1986 explodierten Atomreaktor befinden, abgetragen und der radioaktive Müll geborgen und entsorgt werden kann, ohne dass weitere radioaktive Partikel in die Umwelt gelangen. Das 2,15 Milliarden Euro teure Bauwerk soll stabil genug sein, um einem Tornado standzuhalten zu können. An der Finanzierung waren neben der "Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung" (EBRD) 42 Staaten und die EU-Kommission.
Ein Etappenziel einer
internationalen Arbeitsgemeinschaft
Ohne fremde Hilfe wäre die Ukraine mit der finanziellen und konstruktiven Bewältigung des Projekts völlig überfordert gewesen. Während der Feierstunde am 29.11.2016 war davon keine Rede. Die Ingenieure, Herr Poroschenko (Ukraine, Präsident) und andere hochrangige Politiker der Ukraine, sowie Vertreter EBRD und der Geberländer feierten das "New safe Containment" als eine technische Meisterleistung und "den Anfang vom Ende eines dreißigjährigen Kampfes mit den Folgen des Super-GAUs vom 26.04.1986". Um die Arbeiter während der Bauzeit vor starker radioaktiver Strahlung zu schützen, war das "größte bewegliche Bauwerk, das jemals gebaut wurde" etwa 300 Meter entfernt vom alten Sarkophag errichtet und nach der Fertigstellung auf Schienen an seinen Bestimmungsort geschoben worden. Diese medienwirksam zur Schau gestellte Euphorie lenkt jedoch den Blick von der Tatsache ab, dass im November 2016 lediglich ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zur Fertigstellung eines weiteren Provisoriums erreicht wurde.
Die Probleme sind damit noch längst nicht gelöst. Die neue Hülle über der radioaktiven Hölle von Tschernobyl verschafft der Ukraine lediglich einen Aufschub von - wenn alles gut geht - vielleicht 100 Jahren die nun genutzt werden müssen, um die Trümmer abzutragen, das hochradioaktive Material zu bergen und alles zusammen in ein für viele hunderttausende Jahre sicheres Atommülllager zu transportieren, das es bisher gar nicht gibt ... - und das es eigentlich auch gar nicht geben kann (über die Problematik einer - nach menschlichen Maßstäben "für die Ewigkeit" - sicheren "End"-Lagerung von hochradioaktivem Atommüll habe ich in der Vergangenheit bereits mehrfach geschrieben).
- Der kleine Film, der oben zu sehen ist, zeugt somit von einer beeindruckenden technischen Leistung einer internationalen Arbeitsgemeinschaft, zeigt aber nicht mehr, als eine winzige Etappe auf dem Weg zu einem Ziel, das es erst noch zu erreichen gilt.
Bevor mit den eigentlichen Abrissarbeiten begonnen werden kann, wird es noch ungefähr ein weiteres Jahr dauern, bis die Arbeiten am "New safe Containment" abgeschlossen sein werden. Bis dahin muss die Stahlkonstruktion noch weitestgehend luftdicht mit dem Fundament verbunden werden. Ein Lüftungssystem, das einen leichten Unterduck gegenüber dem Außendruck erzeugen wird, soll später dafür sorgen, dass kein radioaktiver Staub durch verbleibende Spalten aus dem Inneren nach draußen gelangen kann. Erst dann wird es möglich sein, die Strahlung im inneren der Stahlkonstruktion von der Umwelt fernzuhalten.
Wie es im Einzelnen gelingen soll, den alten "Sarkophag" und die Atom-Ruine abzutragen, sowie die geschmolzenen Reste des Reaktorkerns aus dem havarierten Reaktor herauszuholen und zu bergen, ist bis heute völlig unklar. Die Zusammensetzung der Masse ist ebenso unbekannt wie die genaue Menge des hochradioaktiven Materials, das auch in 100 Jahren noch gefährlich strahlen wird.
Mit Hightech gegen die tödliche Strahlung
Mit Hilfe von Kränen und einer noch nicht entwickelten Robotertechnologie soll irgendwann der eigentliche Abriss des Reaktors realisiert werden. Dafür wurde an der Decke des "New safe Containments" ein an Schienen hängendes Kransystem installiert. An den Längsschienen hängen zwei 96 Meter lange fahrbare Querbrücken. Daran sind drei fahrbare Kräne installiert, die jeweils 50 Tonnen Gewicht tragen können. An einem der Kräne ist eine Werkzeug-Plattform mit einen Roboter-Arm montiert mit dessen Hilfe die Abbruchwerkzeuge und ein Zehn-Tonnen-Staubsauger an die Arbeitsorte gefahren werden sollen. Das gesamte Kran- und Werkzeugsystem soll später von außerhalb des "New safe Containments" ferngesteuert werden. Auf diese Weise soll die Strahlenbelastung der Arbeiter "im Rahmen gehalten" werden. Trotzdem werden aber auch weiterhin Arbeiter das Innere der Hülle und auch die geringer strahlenden Bereiche des alten Sarkophags betreten müssen.
Ob die aufwändige Technik aber überhaupt in der Lage sein wird, den Sarkophag und die Trümmer des Reaktorblocks 4 weitestgehend ferngesteuert abzutragen, ist derzeit noch völlig unklar.
- Als der Betreiber der havarierten Atomkraftanlage "Fukushima-I" (Tepco, Japan) im Jahre 2015 versucht hatte, die Lage im Reaktorgebäude 1 mithilfe von mit Kameras ausgerüsteten Robotern zu erkunden, fielen die Geräte aufgrund der hohen Radioaktivität in der Nähe des geschmolzenen Reaktorkerns bereits nach wenigen Minuten aus.
Eile ist weiterhin geboten
Der Großteil des radioaktiven Materials befindet sich immer noch im Sarkophag: Als geschmolzene Masse in Form radioaktiver Staubpartikel und den Resten der Brennelemente. Im Verhältnis zu der Menge an radioaktivem Material die zum Zeitpunkt der Explosion vorhanden war, ist nur ein geringer Teil der Radioaktivität - im Wesentlichen radioaktive Gase und Stäube - in die Umwelt geschleudert worden. Davon ausgehend, dass bei der Explosion etwa fünf Prozent der 190 bis 200 Tonnen Uran und dessen Spaltprodukte freigesetzt wurden, sind also noch etwa 180 bis 190 Tonnen radioaktives Material in der Ruine verteilt. Für die Bergung gibt es bisher die finanziellen Mittel, noch ein Konzept. Daher ist damit zu rechnen, dass mit der eigentlichen Sanierung der Atomruine irgendwann in der Zukunft begonnen werden wird.
Deutschland Radio Kultur zitiert dazu Herrn Münchmeyer (Greenpeace, stellvertretender Leiter der Politischen Vertretung) - Zitat:
"..Aber innerhalb dieser 100 Jahre oder innerhalb der nächsten Jahre eigentlich sogar muss hier sehr viel passieren. .. Der Atommüll, der unter der alten, maroden Hülle ist, der muss geborgen werden und der muss zwischengelagert werden und der muss irgendwann auch irgendwo endgelagert werden. .. Und um diese Bergung überhaupt in Angriff zu nehmen, muss man verhindern, dass dieser alte Sarkophag nun auseinanderbricht und die Strahlenfracht, also vor allem den radioaktiven Staub freigibt. Der hätte sich, wenn man gar nichts getan hätte, dann eben über weite, weite Teile der Ukraine verteilen können."
Die eigentlichen Probleme sind also nach wie vor ungelöst: Auch unter der neuen Hülle bleibt die radioaktive Hölle von Tschernobyl ein Mahnmal für das tödliche Risiko und die Unbeherrschbarkeit der Atomkraft.
Bleibt zu hoffen, dass Mahner wie Herr Münchmeyer bei den Verantwortlichen Gehör finden und Forschung und Entwicklung schnellstmöglich die für den Abtrag der Atomruine und für die Bergung und Langzeitlagerung des hochradioaktiven Atommülls notwendigen Verfahren entwickeln, damit ohne weitere große Verzögerungen zumindest mit dem Rückbau des Sakophags begonnen werden kann - bevor dieser tatsächlich einstürzt und damit die zukünftigen Arbeiten innerhalb des "New safe Containment" zusätzlich erschwert.
(Quellen: Deutschlandradio Kultur vom 29.11.2016, ZDF-Heute vom 29.11.2016, Südwestdeuter Rundfunk vom 29.11.2016, Der Tagesspiegel vom 29.11.2016, Süddeutsche Zeitung vom 29.11.2016, Heise de vom 21.11.2016, Tagesschau vom 14.11.2016, Die Zeit vom 13.11.2016 )
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