ARD Wirtschaftsmagazin "Plusminus" vom 20.05.2015, TTIP-Themensendung
Herr Gabriel versucht uns ja gerne weiszumachen, dass internationale Schiedsgerichte (ISDS) in den Handelsverträgen CETA und TTIP für Deutschland und seine Bürger kein Problem darstellen. Ich sehe das anders.
Kämen nach Unterzeichnung der Verträge über die "Frei"-Handelsabkommen TTIP und CETA die darin enthaltenen internationalen Schiedsgerichte (ISDS - Investor-State Dispute Settlement) zum Einsatz, dann hätten internationale Konzerne das letzte Wort, wenn es um unsere Gesetzgegebung, etwa zum Schutz unserer Gesundheit, unserer Umwelt, unserer Nahrung, des Klimas und vieles mehr geht.
Aktuelle abschreckende Beispiele dafür gibt es bereits - auch ohne TTIP, CETA, TISA und Co. Warum das so ist, und welche Lawine von Klagen ausländischer Konzerne auf uns zukäme, sollte die Bundesregierung den sogenannten "Frei"-Handelsabkommen zustimmen, beleuchtet die Sendung des ARD-Wirtschaftsmagazins "Plusminus" vom 20.05.2015 in ihrem Film Beitrag, der im Video oben ab 15 Minuten und 48 Sekunden zu sehen ist.
Vattenfall gegen Deutschland
Der schwedische Atomkonzern Vattenfall ist Betreiber des Atomkraftwerks "Krümmel" und des Kohlekraftwerk-Neubaus "Hamburg-Moorburg".
Nach mehreren Störfallen war das Atomkraftwerk jahrelang außer Betrieb. Im Rahmen des schwarz-gelben Atommoratoriums nach dem Super-GAU in der japanischen Atomkraftanlage "Fukushima-I" verfügte die damalige Bundesregierung die endgültige Stilllegung. Dafür verklagt Vattenfall die Bundesrepublik vor einem internationalen Schiedsgericht auf 4,7 Milliarden Euro Schadenersatz.
Das Schiedsgericht, dem keine Richter angehören, sondern ausschließlich Rechtsanwälte, die von den Streit-Parteien selbst ernannt wurden, tagt im Geheimen in einem Gebäude der Weltbank in Washington. Seine Entscheidung ist endgültig. Eine Berufung gegen das Urteil ist nicht möglich.
Eine weitere Klage Vattenfalls im Falle des Kohlekraftwerks endete mit einem Vergleich. Vattenfall hatte vor einem internationalen Schiedsgericht gegen verschärfte Umweltauflagen Hamburgs hinsichtlich des anfallenden Kühlwassers geklagt. Die Auflagen zum Schutz der Umwelt hätten möglicherweise die erwarteten Gewinne des Konzerns beeinträchtigen können. Nachdem Hamburg die Umweltschutzauflagen zurückgenommen hatte wurde das Verfahren eingestellt.
Die Sache wird allerdings noch ein juristisches Nachspiel haben: Da die Auflagen für Vattenfalls Kohlekraftwerk jetzt unterhalb der Umweltstandards nach EU-Recht liegen, will nun die EU-Kommission gegen Deutschland auf Einhaltung der europäischen Umweltauflagen klagen.
Soviel also zu Herrn Gabriels Aussage, ISDS sei für Deutschland kein Problem ...
Konzerne mutieren zum Gesetzgeber
Sollte ISDS mit Ratifizierung der Handelsabkommen CETA und TTIP Realität werden, könnte das Beispiel des Kohlekraftwerks "Hamburg-Moorburg" in Deutschland noch viele Nachahmer finden - zulasten von uns Steuerzahlern. Anstelle von einzelnen Konzernen in einigen, wenigen Ländern würden dann plötzlich eine große Anzahl Konzerne aus vielen Ländern die Chance nutzen, demokratisch legitimierte Gesetze die möglicherweise ihren Profit mindern könnten, mithilfe von Schiedsgerichten außer Kraft zu setzen. Herr Efler (Mehr Demokratie e.V.) sagt dazu im Film (Zitat): "Die staatliche Gerichtsbarkeit wird umgangen. Dazu wird Druck ausgeübt auf demokratische Entscheidungsfindung. Manche Staaten trauen sich gar nicht mehr, entsprechende Gesetze zu machen, weil sie Angst vor Strafzahlungen haben." - Die Angst beschließt mit.
Dass internationale Schiedsgerichte ursprünglich eine deutsche Erfindung sind, über die seitens der verantwortlichen Politiker in der Öffentlichkeit allerdings nicht so gerne geredet wurde, macht die Sache heute nicht besser. Damals ging es darum, Investoren gegen Enteignungen oder Vertragsbruch zu schützen. Heute klagen Konzerne jedoch immer häufiger, weil sie aufgrund von Gesetzesänderungen oder neuer Gesetze Gewinneinbußen befürchten.
Als weiteres aktuelles Beispiel dafür verweist "Plusminus" auf die Klage des deutschen Energie-Konzerns RWE gegen Spanien. Dort gab es - ebenso wie in Deutschland - hohe Einspeisevergütungen für Strom aus erneuerbaren Energiequellen. In der Hoffnung auf große Gewinne hatte RWE in Spanien große Solaranlagen gebaut. Während der Finanzkrise kappte Spanien die Förderung. Dafür fordern RWE und weitere deutsche Firmen, die ebenfalls auf große Gewinne mit Solarkraftwerken in Spanien spekuliert hatten, jetzt hunderte Millionen Schadenersatz von Spanien. Das bisherige unternehmerische Risiko wird so zulasten der rechtsstaatlichen, demokratischen Gesetzgebung zur finanziellen Belastung der Steuerzahler - nicht nur in Deutschland.
Hochrangige Warnung vor TTIP
Eine weitere Bestätigung für meine eingangs erneut geäußerten Befürchtungen bezüglich ISDS in TTIP liefert ein Bericht der britische Zeitung "The Guardian". Am 04.06.2015 schrieb die Zeitung auf ihrer Internetseite, Herr de Zayas (UN-Sonderberichterstatter für Förderung einer demokratischen und gerechten internationalen Ordnung) habe vor der Implementierung von Schiedsgerichten (ISDS) in den aktuell verhandelten Handelsabkommen TTIP und TPP (Trans Pacific Partnership) gewarnt. Der Zeitung gegenüber habe er geäußert, aus anderen Handelsabkommen rund um die Welt könne man lernen, dass bedeutende Konzerne mithilfe geheimer Schiedsgerichtsverfahren, die außerhalb des Rechtssystems der staatlichen Gerichtsbarkeit operieren, erfolgreich politische Entscheidungen von Regierungen blockiert haben. (Zitat: "The lesson from other trade agreements around the world was that major corporations had succeeded in blocking government policies with the support of secret arbitration tribunals that operated outside the jurisdiction of domestic courts.")
Die Einführung eines seperaten Rechtssytems zum Vorteil multinationaler Konzerne sei eine Bedrohung grundlegender Menschenrechte. Der Guardian zitiert Herrn de Zayas dazu mit den Worten (Zitat): "We don’t want a dystopian future in which corporations and not democratically elected governments call the shots. We don’t want an international order akin to post-democracy or post-law. .. The bottom line is that these agreements must be revised, modified or terminated." ("Wir wollen keine dystopische Zukunft, in der Konzerne und nicht mehr demokratisch gewählte Regierungen das Sagen haben. Wir wollen keine internationale Ordnung ähnlich einer Postdemokratie oder ohne [rechtsstaatliche] Gesetzgebung. .. Die Quintessenz ist, dass diese Abkommen überarbeitet, geändert oder beendet werden müssen.")
Auch das "Schweiz Magazin" berichtet in einem Beitrag auf seiner Internetseite vom 06.05.2015 über die Warnung Herrn de Zayas'. Dort heißt es unter anderem (Zitat): "Regelungen der Arbeitsbedingungen und der Umwelt, sowie der Produktsicherheit, einschliesslich giftiger Nahrungsmittel und giftiger Luft und andere Verbraucherfragen, würden in die Hände von Gremien gelegt werden deren Mitglieder von internationalen Grossunternehmen ernannt werden. Ihre Entscheidungen würden die Macht demokratisch gewählter Regierungen, die diese Dinge bisher unter Kontrolle hatten, beseitigen. Gewählte nationale Regierungen würden quasi entfernt und von den internationalen Mega-Unternehmen ersetzt werden."
(Quellen: Plusminus vom 20.05.2015, The Guardian vom 04.05.2015, Schweiz Magazin vom 06.05.2015, Wikipedia )
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