Sonntag, 7. November 2010
Gestern in Dannenberg
Das war eine friedliche, bunte und laute Demonstration, gestern in Dannenberg. Ich hatte gelesen, auf dem Kundgebungsgelände sei Platz für 40000 Menschen. Ich denke, die von den Organisatoren genannte Anzahl von 50000 Demonstranten wird eher zutreffen, als diejenige der Polizei, die von 25000 Demonstrationsteilnehmern gesprochen hatte. In Anbetracht des gut gefüllten Maisfeldes gehe ich davon aus, dass wir mit 40000 bis 50000 Leuten zusammen auf dem Maisfeld gegen den weiteren Betreib der Atomkraftwerke in Deutschland demonstriert haben.
Während der Hinfahrt hatte es noch in Strömem gegossen. Pünktlich zur Ankunft im Wendland war es mit dem Regen dann vorbei. Man hätte meinen können, der Liebe Gott stünde auf Seiten derer, die sich für den Schutz der Lebewesen auf seinem kleinen Planeten Erde einsetzen. Allerdings waren die Straßen so voll, dass es immer langsamer voranging, je näher wir unserem Ziel kamen. Die Busse mussten so weit vom Kundgebungsgelände entfernt parken, dass wir eineinhalb Stunden zu Fuß brauchten, um dort hinzukommen. Von der Kundgebung haben wir daher leider nur noch ungefähr ein Drittel mitbekommen. Und wir waren nicht die letzten: Immer wieder hieß es, weitere Menschen seien auf auf dem Weg zum Kundgebungsgelände.
Viel zur guten Stimmung beigetragen haben auch die häufigen Meldungen über die Blockaden des Castor-Transports auf seinem Weg nach Dannenberg. Das muss man sich einmal bildlich vorstellen: 1000 Leute sitzen auf den Gleisen, und veranlassen die "Atom-Spediteure", auf eine andere Strecke auszuweichen.
Aktuelle Nachrichten gibt es hier:
Atomkraft tötet: Heute schon!
Ob man das angekündigte Abräumen von Schottersteinen aus dem Gleisbett vor der Verladestation als "Gewalt" bezeichnen kann, halte ich für fragwürdig - auch wenn es sich dabei zugegebenermaßen nach dem Text im Gesetzbuch um eine Straftat handelt. Da die Leute ihre Aktionen ja lange genug vorher angekündigt hatten müsste der Zug aber nur rechtzeitig vor dem Gleis der Verladeanlage anhalten, und niemand müsste zu Schaden kommen.
Massenhaftes friedliches Sitzen auf öffentlichen Verkehrswegen ist - soweit mir bekannt ist - jedenfalls keine Gewalt, sondern eine Ordnungswidrigkeit. Wenn alle besonnen und geduldig mitaneinander umgingen, dann müsste auch dabei niemand zu Schaden kommen.
In einem Video von Graswurzel.TV ist jedoch zu sehen, wie ein Polizist einem neben den Gleisen am Boden liegenden Demonstranten mehrfach ins Gesicht schlägt, bis ein Sanitäter dem Opfer polizeilicher Gewalt zu Hilfe kommt, es von seinem Peiniger erlöst und erste Hilfe leistet. Andere Polizisten attackieren weitere Demonstranten massiv mit Pfefferspray. Je nach Dosis kann auch das zu ernsthaften Verletzungen führen. Pfefferspray-Attacken gegen gewaltfreie unbewaffnete Menschen einzusetzen ist in meinen Augen ebenso "Gewalt", wir das hemmungslose Einprügen auf gewaltfreie, wehrlose und unbewaffnete Demonstranten, die der Schlagstöcken nicht entgegenzusetzen haben, als orangefarbene Kunststoffbeutel mit einer weichen Füllung.
Ich habe eingangs von der friedlichen Demonstration geschrieben. Allerdings war die grundsätzlich gewaltfreie Grundeinstellung wohl eher einseitig auf seiten der Demonstranten anzutreffen. Anhand von Durchsagen auf der Bühne und von Gesprächen auf der Rückfahrt im Bus, habe ich erfahren, dass es auch am Rande der angemeldeten Demonstration Provokationen seitens der Polizei gegeben hat. Mitreisende schilderten, wie eine Gruppe von ca. zwanzig mit Helmen, Schilden und Schlagstöcken bewaffneter Polizisten plötzlich im Laufschritt auf die Menschen auf dem Gelände bei den Sanitären Anlagen zugerannt sei. Ein Sprecher auf der Bühne hatte gegen Abend die Polizei ermahnt, sich vom Gelände der angemeldeten Demonstration fernzuhalten, und damit aufzuhören, immer wieder zu versuchen, vereinzelte Demonstraten am Rande der Veranstaltung einzukreisen.
Der Betrieb der Atomkraftwerke in Deutschland lässt sich gegen den mehrheitlichen Willen der Bundesbürger offensichtlich nur mit massiver körperlicher Gewalt seitens des Staates durchsetzen. Wenn die Argumente nicht mehr ausreichen, dann werden Menschen zu Schlägern. Auch wenn es uns wütend macht, immer öfter mit derartigen Bildern konfrontiert zu werden, so dürfen wir eines dabei nicht vergessen: Wir sehen Polizisten, die Gewalttaten verüben. Wir erfahren etwas über Polizisten, die "gewalttätiger Demonstrant" spielen, um ihren Kollegen einen Vorwand für einen Angriff auf friedliche Demonstranten zu liefern. Es sind jedoch unsere sogenannten "Volksvertreter", die den Polizisten den Auftrag erteilen, mit Intrigen und körperlicher Gewalt gegen uns vorzugehen. Wir, das Volk, haben unsere Volksvertreter gewählt, damit diese unsere Interessen vertreten. Wir haben sie nicht gewählt, damit sie unserer Gesellschaft - ebenso wie allen nachfolgenden Generationen! - Schaden zufügen indem sie mit den Atomkonzernen Geheimverträge aushandeln, die ausschließlich den Atomkonzernen nützen. Wir haben unsere "Volksvertreter" nicht gewählt, damit sie uns von Polizisten verprügeln lassen, wenn wir uns ihrer gefährlichen Politik gewaltfrei widersetzen!
Obwohl den Demonstranten bewusst ist, dass sie der staatlichen Gewalt wehrlos ausgesetzt sind, setzen sie sich trotzdem immer wieder auf Straßen und Schienen. Sie leisten gewaltfreien Widerstand gegen den verantwortungslosen und grob fahrlässigen Umgang der Atomkonzerne und ihrer politischen Handlanger mit der Millionen von Jahren währenden radioaktiven Gefahr.
Nachtrag 21:00 Uhr:
Ich habe gerade im TAZ-Ticker von dem Brandangriff mit einer brennbaren Flüssigkeit gelesen, den Unbekannte gegen einen Räumpanzer unternommen haben. Es befanden sich Menschen im Fahrzeug! Schade, dass die Angreifer entkommen sind. Mit den Aktionen und Mitteln der Anti-Atomkraft Bewegung hat das nichts zu tun. Im Gegenteil: Solche Gewalttäter schaden damit der großen Masse friedlicher Atomkraftgegner! In meinen Augen sind die um nichts besser, als gewalttätige Polizisten.
Update 08.11.2010:
Text, letzter und vorletzter Absatz (Korrekturen, Ergänzungen).
Zum Thema Gewalt gibt es einen Kommentar von der Frau eines Polizisten, den ich trotz "Anonymität" veröffentlicht habe, damit das Thema auch aus der Sicht "der anderen Seite" zur Sprache kommt. Bei der Gelegenheit bitte ich noch einmal alle Kommentatoren in "juwi's welt", einen Namen - und sei es auch nur ein Nickname - zu hinterlassen.
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5 Kommentare:
Ich gebe zu, das ich anfangs gegen das Schottern war, inzwischen ärgere ich mich, das ich gestern nicht dageblieben bin und heute zumindest mit blockiert habe.
Die Randale gestern haben wir zum Teil mitbekommen...da haben Leute die Straße unterhöhlt und daraufhin ist die Polizei eingeschritten. Wir standen selber in der Tränengaswolke.
Tränengas gegen Schäufelchen.... nun ja.
Heute sitz ich schon den ganzen Tag am Ticker und gucke auch Bilder bei PubliXviewinG. Lohnt sich!
Immerwieder wird in solchen Texten gegen die Polizei geschimft. Ich bin eine der Frauen die zu Hause hofft das Ihr Mann heil vom Einsatz wieder nach Hause kommt. Er hat sich nicht für diesen Beruf entschieden um einen Castor zu bewachen, aber das gehört nunmal dazu. Im übrigen ist er nun seit mehr als 24 Stunden durchgehend im Einsatz, sollte man nach so einer Zeit mal etwas Agressiv rüberkommen, kann ich das mehr als verstehen, auch wenn ich das für meinen Mann ausschließen kann!!!
@ Anonym (07.11.2010, 19:46): Ich veröffentliche normalerweise keine anonymen Kommentare. Ich halte es aber für wichtig, dass bei diesem brisanten Thema alle zu Wort kommen. Kurz bevor ich deinen Kommentar gelesen hatte, habe ich meinen Text um die Feststellung ergänzt, dass wir bei gewaltlosem Widerstand und bürgerlichem Ungehorsam Polizisten sehen, wie sie gewaltsam gegen friedliche und wehrlose Demonstranten vorgehen, dass es aber die politisch Verantwortlichen sind, die ihnen den Auftrag dazu erteilen. Damit das klar wird: Ich verurteile nicht "Die Polizei", sondern jeden einzelnen Polizisten, der sich zur Gewalt hinreißen lässt, weil er sich nicht beherrschen kann, oder sogar Spaß daran hat, die ihm "gegebene" Macht hemmungslos auszuleben. Wenn jemand wehrlos am Boden liegt, dann schlägt man ihm nicht immer und immer wieder ins Gesicht. Wenn Polizisten 24 Stunden oder länger im Einsatz sein müssen, dann ist das ebenso skandalös, wie wenn Ärzte in Krankenhäusern so lange im Dienst sind. Das beide genannten Berufsgruppen unter chronischem Personalmangel leiden ist inzwischen ja hinlänglich bekannt. Aber auch daran sind die politisch Verantwortlichen Schuld. Auch wenn ich wenig Hoffnung habe, wünsche ich Dir, deinem Mann und den Demonstranten, die noch vor Ort sind, dass es zu keinen gewaltsamen Konfrontationen mehr kommt, und alle heil und gesund wieder nach Hause kommen. Wenn du wieder einmal schreiben solltest, nenne bitte einen Namen (siehe Text über dem Kommentarfeld).
Frau Momo@: "Schottern" (doofer Begriff) steht bisher nicht auf der Liste der Mittel, die ich einsetzen würde. Wenn die politisch Verantwortlichen jedoch noch lange so verantwortungslos mit radioaktivem Material "umgehen lassen", uns mit Geheimverträgen der Willkür der Atomkonzerne aussetzen und unseren Argumenten nichts anderes entgegen zu setzen haben, als die Schlagstöcke, das Pfefferspray und die Wasserwerfer der Polizei, dann werde auch ich mich mit Sicherheit bald wieder zu den anderen auf die Straße setzen.
Der Castor hängt in Dahlenburg fest und wird gerade für die Nacht mit Natodraht umwickelt..... das ist doch ein Erfolg.
Ich bin auch bisher gegen das Schottern gewesen, aber bei mir kippt das, wenn ich höre, was Herr Röttgen da heute im TV abgesondert hat.
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