Samstag, 10. April 2010
Die "Welle"
April 2010: Die "Welle" an einer Kaje im Bremerhavener Fischereihafen ...
Freud und Leid liegen manchmal dicht beieinander - in diesem Falle kann man das durchaus sowohl wörtlich, als auch örtlich verstehen. Gestern hatte ich etwas über den traurigen Rest der "Wappen von Hamburg" erzählt. Einen Steinwurf vom Heck des ehemaligen Flaggschiffs der Seebäderflotte entfernt liegt an einer Kaje der 1915 vom Stapel gelaufene Dampfer "Welle", um den es vor noch nicht allzulanger Zeit noch viel schlimmer bestellt gewesen war ...
Die Häfen in der Stadt Bremen drohten Ende des vorletzten Jahrhunderts aufgrund der immer größer werdenden Schiffe und durch Veränderungen des Fahrwassers irgendwann von der Handelsschifffahrt abgeschnitten zu werden. Um das zu verhindern wurde die Weser seit dem mehrfach begradigt und vertieft. Für diese Aufgabe war das Anfang des letzten Jahrhunderts dafür geschaffene "Amt für die Weserkorrektion" zuständig, das 1914 den Bau der "Welle" als Bereisungsschiff für Fahrten auf der Weser zur Kontrolle des Fahrwassers bei den Bremer Atlas Werken in Auftrag gab.
... einen Steinwurf entfernt vom Heck der "Wappen von Hamburg"
Nachdem die "Welle" im Oktober 1915 in Dienst gestellt worden war, übernahm sie bis zu ihrer Außerdienststellung im Januar 1975 in harten Wintern zusätzlich die Aufgabe eines Hilfseisbrechers auf der Weser. Im Zweiten Weltkrieg war sie zeitweise der Kriegsmarine unterstellt. Sie arbeitete ebenso als Schlepper wie auch als Ausflugsdampfer, als zum Beispiel im März 1950 hoher Besuch an Bord zu Gast war: Die Welle machte eine Hafenrundfahrt für den damaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss.
Im April 1975 wurde die "Welle" an einen Bremer Gastronomen verkauft, der sie innen völlig entkernte und die Aufbauten des ehemaligen Behördenschiffes durch solche im Stil eines Musikdampfers ersetzen ließ. So habe ich die "Welle" das erste Mal an ihrem Liegeplatz an der Schlachte in Bremen gesehen. Sie war ein kunterbuntes schwimmendes Restaurant. Niemals wäre ich auf die Idee gekommen, dass das Schiff vorher 60 Jahre lang als klassisches Dampfschiff im Dienste Bremer Behörden unterwegs gewesen war.
Nachdem ich meine Frau kennen gelernt hatte, musste sie einmal für einige Wochen nach Bremen, wo ich sie des öfteren nach Feierabend besuchte. Einmal führte uns der Weg während eines abendlichen Spaziergangs an die Schlachte, und wir beschlossen auf der "Welle" einen Kaffee zu trinken. Wir waren die einzigen Gäste und wurden gleich nachdem wir Platz genommen hatten nach unseren Wünschen gefragt. Wir bestellten ein Kännchen Kaffee. Ihr wisst schon was ich meine? - diese kleinen Kaffeekännchen, in die ziemlich genau zwei Tassen Kaffee hineinpassen. Eigentlich gäbe es nur Kaffee in Tassen im Angebot, erhielten wir zur Antwort, aber man wolle sehen, was sich bezüglich unseres Wunsches nach einem Kännchen machen ließe. Nach kurzer Zeit wurde uns das größte "Kännchen" Kaffee serviert, das wir jemals erhalten hatten: Es war eine ausgewachsenen Kaffeekanne, die bis an den Rand mit Kaffee gefüllt war - zum Preis eines normalen Kännchens Kaffee. Nach diesem Erlebnis war die Welle so etwas wie "unser Schiff" ...
So kam es, dass ich ziemlich traurig war, als ich hörte, es habe auf der Welle gebrannt. Der Schaden konnte damals aber behoben werden. Zwei Jahre später brannte es jedoch erneut auf der "Welle" und 1994 versank "unser Schiff" an seinem Liegeplatz an der Schlachte in Bremen.
Buten & Binnen 1994: Die spektakuläre Bergung der "Welle"
Später machte die "Welle" dann noch einmal Schlagzeilen, als sie sich - wie der "Buten & Binnen" Moderator Andreas Hoetzel es damals ausdrückte - drei Tage lang mit Bug und Heck gegen ihre Bergung wehrte. Das Bremer Regional-Fernsehmagazin berichtete damals mehrfach über die spektakuläre Bergung. Ein Zusammenschnitt davon ist in dem Video zu sehen.
Nachdem die Bergung letztlich doch gelungen war, wurde die "Welle" in den Betriebshafen des Wasser-und Schiffahrtsamts geschleppt und geriet wieder in Vergessenheit ...
Bremerhaven, Fischereihafen: Die Welle im November 2008
... bis sie 1989 wiederentdeckt wurde. Es gründete sich ein Verein, der den noch vorhandenen Rest der Welle - im wesentlichen der leere Rumpf mit einer Ballastfüllung aus Beton im Kielraum - für den symbolischen Wert von einer D-Mark kaufte, um sie zu restaurieren und dabei in den ursprünglichen Zustand von 1915 zurückzuversetzen. Dazu ließ der Verein den Rumpf der Welle im Jahre 2000 nach Bremerhaven schleppen und gegenüber der Doppelschleuse im Fischereihafen an Land heben. Da habe ich "unser Schiff" dann wiedergesehen. Bis die "Welle" allerdings so weit wiederhergestellt war, dass sie wieder zurück in ihr eigentliches Element konnte, ging eine erheblich längere Zeit ins Land, als die Mitglieder des Vereins ursprünglich einmal erwartet hatten.
Jetzt scheint es so, als ob meine Frau und ich nach langer Zeit bald einmal wieder an Bord der "Welle" gehen könnten: "Unser Schiff" ist in der Liste der Schiffe aufgeführt, die im August zur Sail 2010 erwartet werden. Daran, dass wir dort noch einmal so ein "Kännchen" Kaffee, wie damals an der Schlachte in Bremen, serviert bekommen, habe ich allerdings ernsthafte Zweifel.
(Quellen: Verein Dampfer Welle, Werften & Stadtgeschichte Bremerhavens, Jan-Maat sien Homepage, Sail Bremerhaven 2010, Weser Kurier vom 21.07.2000, Nordsee-Zeitung vom 30.08.2000)
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3 Kommentare:
Alle Achtung - ein Schiff mit Geschichte und Charakter. ;)
Eine nette Geschichte und schön, wenn ihr 'die Welle' noch einmal wiedersehen könnt, wenn auch in veränderter Funktion.- Auf dem Rhein gibt es auch einige schiffe mit Restauration; allerdings haben wir noch keines davon ausprobiert.
@Daniel: Alte Schiffe mit Geschichte gibt es einige in Bremerhaven. Die "Welle" ist jedoch zusätzlich ein Teil unserer Geschichte. Das macht sie für uns zu etwas ganz besonderem.
@April: So geht es wohl den meisten Leuten. Im Urlaub schaut man sich alles mögliche an. Die Attraktionen zu Hause überlässt man den Touristen ...
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