Montag, 9. März 2009

50. Jahrestag des Aufstands in Tibet

Morgen jährt sich der Tag des tibetischen Volksaufstands zum fünfzigsten Mal. Mehrere tausend Tibeter versammelten sich damals vor dem Palast des Dalai Lama in Lhasa, um ihn vor der drohenden Verhaftung durch die Chinesen zu schützen. Der tibetische Volksaufstand wurde innerhalb weniger Tage von der chinesischen Armee niedergeschlagen. 87000 Menschen sollen dabei getötet worden sein. Dem Dalai Lama gelang in den Wirren der Unruhen die Flucht ins indische Exil.

Vor einem Jahr war es in Tibet anlässlich des Jahrestags zu Demonstrationen gegen China gekommen, die sich nach dem brutalen Vorgehen chinesischer Sicherheitskräfte zu einem erneuten Aufstand gegen die chinesischen Besatzer ausdehnten. Den Chinesen werden die Bilder, die damals um die Welt gingen, sicher nicht gefallen haben. Schließlich standen die Olympischen Spiele in Peking vor der Tür. Da bedurfte es natürlich einer Korrektur der Berichte über Tibet. Um die Welt vom normalen, friedlichen Leben in Tibet zu überzeugen, transportierte die chinesische Regierung ausländische Journalisten mit Bussen in den Jokhantempel. Beim Versuch, der Welt ihre verzweifelte Lage zu schildern, umringten Mönche des Klosters die Kameras der angereisten internationalen Fernsehteams. Sie riskierten damit den Verlust ihrer Freiheit, sowie ihre körperliche und seelische Unversehrtheit. Ein Mönch rief in die Kameras:"Glaubt den Chinesen kein Wort, die legen Euch nur rein. Die Funktionäre lügen alle, sie betrügen das Volk."

Gestern zeigte der "Weltspiegel" erneut einen Filmbeitrag aus Tibet. Die chinesische Regierung hatte wieder einmal die schöne heile Welt in Tibet vorführen wollen. Nach den Erfahrungen des letzten Jahres ging die Regierung dieses Mal jedoch kein Risiko ein. Nur ausgewählte Mönche wurden vor die Kameras der Journalisten gelassen. Darunter war auch der gleiche Mönch aus dem Film vom letzten Jahr. In einer Filmsequenz sagte er den Journalisten bei diesem Besuch, die Mönche seien damals von bösen Menschen in die Irre geführt worden und hätten deshalb die Unwahrheit gesagt. Jetzt hätten die Mönche aber begriffen, dass das alles falsch gewesen sei.
  • Kennt ihr das Buch von George Orwell mit dem Titel "1984"? Als er es in den Jahren 1946 und 1947 schrieb lag das Jahr 1984 noch in der Zukunft. Die in England angesiedelte Geschichte vom Großen Bruder, der über alle Menschen im Staat wacht, alles beobachtet und alles sieht, war so etwas ein gruseliger Science Fiction Roman über eine mit perfiden Methoden unterdrückte Gesellschaft in einer nach außen hin heilen Welt. Einzelne Menschen, die an der Liebe des Großen Bruders zu seinem Volk zweifelten, wurden mit "speziellen Methoden" einer brutalen Gehirnwäsche unterzogen, um sie wieder auf Kurs zu bringen. Der chinesischen Führung scheint es gelungen zu sein, den totalen Überwachungsstaat und die kollektive Gehirnwäsche dieses riesigen Volkes in die Realität umzusetzen. Der Kommentar zu der Gegenüberstellung der Filme mit dem tibetischen Mönch vom letzten und von diesem Jahr fiel dann auch äußerst sarkastisch aus: "Reue und Selbstkritik, ganz nach dem Geschmack der chinesischen Propaganda."

Der Weltspiegel wäre allerdings nicht der Weltspiegel, wenn die für ihn arbeitenden Journalisten nicht unter der Oberfläche der schönen heilen Welt weiter recherchieren würden. Das während einer Fahrt in die Stadt Xiahe in der Provinz Gansu heimlich aufgenommene Filmmaterial zeigt gepanzerte Fahrzeuge auf einer mit Kontrollposten im Abstand von wenigen Kilometern lückenlos überwachten Straße. Ein Jahr nach den Unruhen waren die zahlreichen Sicherheitskräfte und die überall in Xiahe patrouillierenden Polizeieinheiten nicht zu übersehen. Das in den Weltspiegel Bericht hineingeschnittene Video eines Augenzeugen verdeutlicht das Ausmaß der Unruhen in der Stadt vor einem Jahr. Chinesische Millitär- oder Polizeieinheiten griffen damals demonstrierende Mönche mit Waffengewalt an. Wieviele Tibeter dabei verletzt oder umgebracht wurden ist nicht bekannt.

In der Nähe von Xiahe liegt das Labrang Kloster, dessen Mönche sich vor einem Jahr ebenfalls gegenüber ausländischen Journalisten über die Unterdrückung durch die chinesische Führung beklagt hatten. Anstatt den tibetischen Neujahrstag zu feiern, werden sie in diesem Jahr demonstrativ für die Opfer des Aufstands beten. Die Aufnahmen des Weltspiegels zeigen Fotos vom Dalai Lama auf dem Altar des Klosters. Der Kommentator spricht vom ungebrochenen Widerstandswillen der Geistlichen. Ein Mönch des Klosters sagt in dem Bericht des Weltspiegels, die chinesische Regierung behaupte die tibetischen Mönche seien schuld an den Problemen zwischen Tibetern und Chinesen, weil diese, anstatt sich unterzuordnen, an ihrer Religion festhielten.


Die chinesische "Wahrheit"

Währenddessen wird den Chinesen in Peking dieser Tage im Rahmen einer Tibet-Ausstellung gezeigt, wie glücklich die Tibeter seien, seit ihr Land vor 50 Jahren von chinesischen Soldaten besetzt, und so aus der brutalen Knechtschaft des Dalai Lama befreit worden sei. Nachdem sie soweit "aufgeklärt" wurden, bekommen die Besucher der Ausstellung Gewalttaten von Tibetern gegen Chinesen zu sehen. Bilder vom brutalen Vorgehen bewaffneter chinesischer Einheiten gegen unbewaffnete, friedlich demonstrierende tibetische Mönche, werden ihnen natürlich vorenthalten. Chinesische Täter werden mit keinem Wort erwähnt. Stattdessen werden diese als Opfer dargestellt. Im Kommentar zu diesen Filmsequenzen wird der Vortrag einer Ausstellungsführerin an eine Besuchergruppe übersetzt. Diese kläre die Besucher darüber auf, dass die gezeigten tibetischen Gewalttaten gegen Chinesen von westlichen Ausländern und dem Dalai Lama mit dem Ziel, den alten Gottesstaat und die Leibeigenschaft wieder einzuführen, gesteuert würden.

So verwundert es dann auch nicht, wenn sich chinesische Besucher am Ausgang der Ausstellung davon überzeugt zeigen, dass die Menschenrechte in Tibet früher mit Füßen getreten worden seien. Weil in China das Volk regiere, würden sie, seit das Land von China befreit worden sei, jedoch auch in Tibet geachtet.

Der Große Bruder lässt schön grüßen.


Die westliche Wahrnehmung

Unter den Mitgliedern der Regierungen der westlichen Demokratien scheint so etwas wie eine "partielle Blindheit" immer mehr um sich zu greifen. Sobald deren Blick in Richtung China fällt, nehmen sie die dortigen gesellschaftlichen Missstände wie Korruption, Zensur, massive Umweltzerstörung, Gewalttaten gegen das eigene Volk oder die Missachtung der Menschenrechte einfach nicht mehr wahr.

Als Bürger Deutschlands schäme ich mich dafür, dass die chinesischen Machthaber immer wieder von Politikern der Bundesregierung hofiert werden, weil deutsche Unternehmen in China den schnellen Euro wittern. Wenn es um die Gewinnmaximierung international operierender Wirtschaftsunternehmen geht, dann scheint es offensichtlich nicht mehr besonders anrüchig zu sein, wenn Freiheit, Recht und Menschenrechte unter den Teppich gekehrt werden. Nur dann, wenn das eine oder andere Unternehmen einmal seine Produktion komplett nach China verlegen sollte, wird das Geschrei aufgrund des Abbaus von Arbeitsplätzen hierzulande wieder groß sein.

Als positives Ereignis möchte ich an dieser Stelle aber auch den Empfang des Dalai Lama in Berlin im Jahre 2007 durch Frau Merkel hervorheben. Sie hatte im Jahre 2007 trotz der Drohungen seitens der chinesischen Regierung an dem Gespräch im Kanzleramt festgehalten. Dafür hatte sie auch aus den Reihen der Opposition erhalten.


Zum Weiterlesen:
Tibet, das Dach der Welt (ein Reisebericht)
- Der Jokhang Tempel




(Quelle: Weltspiegel vom 08.03.2009, Tibet Initiative Deutschland e.V., Tagesschau vom 14.11.2007)

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Danke für den tollen Tibet-Artikel lieber Juwi. Big Brother is watching you wird wahrscheinlich auch über das World Wide Web immer realer. Ich führe einen kleinen politischen Tibet-Blog, der nicht viele Besucher hat, wer interessiert sich schon dafür. Doch jedes Mal, wenn ich einen Beitrag mit einem "sensiblen" Titel, herausgebe habe ich in MINUTEN von weltweit Besucher!!! Das gibt mir sehr zu denken, ich habe schon einiges gelesen über die chinesische Webpräsenz und anscheinend stimmt das alles. Mich beunruhigt das, auf was für Zeiten wir da wohl entgegengehen? Ein Weltstaat der totalen Macht? Ich hoffe es nicht und wünsche mir von Herzen, dass die massgebenden Politiker rechtzeitig erwachen.
Liebe Grüsse
Elfe

Anonym hat gesagt…

Hallo Juwi,
der Artikel ist sehr interessant, vieles wusste ich gar nicht - Danke Dir dafür!

Das Video mit Cleo ist ja zu niedlich - ich liebe, wenn Hunde rennen und ausgelassen sind, da ist so viel Lebensfreude dabei!

Liebe Grüße an Dich
Katinka

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