Mittwoch, 23. Februar 2011

Verdrängung bedroht Familien


Wilhelm-Kaisen-Platz, Baumärkte und Umgebung auf einer größeren Karte anzeigen

In ihrem Bericht mit dem Titel "Verwaltung sagt 86 Mal nein" vom 22.02.2011 über den ignoranten Umgang von Politik und Verwaltung mit den Bedenken und Einwänden der Bürger Bremerhavens schrieb die Nordsee-Zeitung, die IHK halte die Ansiedlung eines Bau- und Gartencenters auf dem Kaisen-Platz für überflüssig und fürchte, der neue Markt werde lediglich zur Verdrängung von Mitbewerbern führen.

Das erste Opfer dieses Kuhhandels zwischen der CDU und der SPD wird wohl der seit vielen Jahren auf der gegenüberliegenden Straßenseite der Stresemannstraße ansässige Baumarkt "Max Bahr" werden. Die Distanz zwischen den Grundstücken der beiden Baumärkte wird nur ungefähr 200 Meter betragen! Auch der 1000 Meter entfernt auf der Geestemünder Seite der Geeste gelegene "Bauhaus"- Baumarkt mit Gartencenter könnte durch den neuen OBI-Baumarkt mit Gartencenter auf dem Wilhelm-Kaisen-Platz in Mitleidenschaft gezogen werden. In beiden Baumärkten werden aufgrund der Entscheidung der Großen Koalition bewusst existierende Arbeitsplätze gefährdet. Von jedem einzelnen dieser Arbeitsplätze hängt die wirtschaftliche Existenz ganzer Familien ab.

Dem Artikel der Nordsee-Zeitung ist zu entnehmen, dass der Verwaltung dazu nichts Besseres einfällt, als dass Wettbewerb "systemtypisch für das Wirtschaftssystem der Bundesrepublik" sei. Verdrängung sei deswegen nicht von vornherein unerwünscht*). Unzulässig werde Verdrängung erst dann, wenn intakte Versorgungsstrukturen beeinträchtigt werden.


Verdrängung kontra Wettbewerb

Hallo? Hat da jemand etwas vielleicht nicht richtig mitbekommen? Wettbewerb ist ja wohl etwas völlig anderes als Verdrängung. Wer Verdrängung nicht aktiv eindämmt und statt dessen auch noch fördert, der unterdrückt damit den gesunden Wettbewerb, wie er nicht nur "für das Wirtschaftssystem der Bundesrepublik", sondern vor allem auch für eine gesunde Einzelhandelsstruktur in Bremerhaven wünschenswert wäre.

Das gilt erst recht dann, wenn die Verdrängung aufgrund politischer Einflussnahme bewusst provoziert wird. Da mir die nötigen Informationen über die möglichen Gründe dafür fehlen kann ich das zwar nicht ganz nachvollziehen, aber irgendwie drängt sich mir doch der Verdacht auf, die SPD und die CDU hätten eine Möglichkeit gesucht und gefunden, sich des Baumarkts "Max Bahr" zu entledigen. Dafür spräche jedenfalls, dass "Max Bahr" im Jahre 2006 seinerseits den Wunsch geäußert hatte, in ein neu zu errichtendes größeres Gebäude auf dem Wilhelm-Kaisen-Platz umzuziehen. Der Wunsch war damals von der Großen Koalition abgelehnt worden.

Die SPD forderte in ihrem Papier "Für ein lebenswertes Lehe" bereits am 24.08.2004: "... Für den Wilhelm-Kaisen-Platz ist eine Gestaltung zu entwickeln, die nicht nur die Funktionsfähigkeit des Areals stärkt, sondern auch die besondere Eingangssituation zum Stadtteil Lehe berücksichtigt. Auch nach der Umgestaltung des Platzes bleiben die traditionsreichen Freimärkte, die untrennbar mit dem Stadtteil Lehe verbunden sind, an diesem Standort erhalten. ...". Eineinhalb Jahre später, am 27.02.2006, bekräftigte die CDU in einer Pressemitteilung: "... Die CDU-Stadtverordnetenfraktion hat mehrfach erklärt, dass sie einer Bebauung des Wilhelm-Kaisen-Platzes nicht zustimmen wird. Der Platz wird auch weiterhin als zentraler Veranstaltungsort in Bremerhaven benötigt. Für das von der Politik zugesicherte Eisstadion und die Stadthalle müssen Stellplätze für bis zu 8000 Besucher vorgehalten werden. ...". Heute wissen wir, dass die Ankündigungen und Versprechungen der beiden "großen Volksparteien" nichts als Schall und Rauch sind.


OBI kontra "Intakte Versorgungsstrukturen"

Zwei seit vielen Jahren auf beiden Seiten der Geeste nebeneinander existierende Baumärkte sind ja wohl schon mehr als eine "intakte Versorgungsstruktur". Da es noch weitere Baumärkte im Norden (Spaden) und Süden Bremerhavens (Bohmsiel) gibt, könnte man im Falle der Stadtteile Lehe (Max Bahr, nördlich der Geeste) und Geestemünde (Bauhaus, südlich der Geeste) schon fast von einer Überversorgung sprechen. Dass diese "intakte Versorgungsstruktur" durch die Neuansiedlung des gegenüber "Max Bahr" flächenmäßig bedeutend größeren OBI-Baumarkts beeinträchtigt werden wird, ist ja wohl vorprogrammiert ... - und zwar samt der der bisher "intakten Versorgungsstruktur" der Familien der dort beschäftigten Mitarbeiter.

Das zukünftige "OBI-Gartencenter" ist aufgrund des bereits auf der Geestemünder Seite der Geeste vorhandenen Bauhaus-Gartencenters so überflüssig wie ein Kropf. Außerdem besteht die Gefahr, dass es die Stände der Gärtnereibetriebe vom Leher Wochenmarkt auf dem benachbarten Ernst-Reuter-Platz verdrängen wird. Auch die Existenz des Blumenladens auf der dem Ernst-Reuter-Platz gegenüberliegenden Straßenseite der Hafenstraße ist dadurch möglicherweise gefährdet.


Einzelhändler, ihre Mitarbeiter und Kunden: Alles Wähler!

Wäre ich in einem der beiden existierenden Baumärkte beschäftigt, und außerdem auch noch gewohnheitsmäßiger CDU- oder SPD-Wähler, dann hätten sich meine diesbezüglichen Gewohnheiten mit der Wahl zur Stadtverordnetenversammlung am 22. Mai 2011 ein für allemal erledigt.

Ich mache zwar - sozusagen gewohnheitsmäßig - bei jeder Wahl von meinem Wahlrecht Gebrauch, gehöre aber nicht zu den Gewohnheitswählern. Wenn ich einer Partei einmal meine Stimme gegeben habe, dann muss sie sich mein Vertrauen mit ihrer Politik während der jeweiligen Legislaturperiode schon verdienen, wenn sie auch bei späteren Wahlen Wert auf meine Stimme legt. Der Baumarkt in dem ich immer gut beraten werde, mein Gärtner auf dem Wochenmarkt, bei dem ich meine Pflanzen für das Familiengrab und für meinen Garten kaufe, eine lebendige Geschäfts- und Einkaufswelt in der Hafenstraße in der Nähe meiner Wohnung, ...: All das ist für mich ein Stück Lebensqualität. Wer meine Lebensqualität grundlos beschneidet und die Hafenstraße weiter schwächt, anstatt alles dafür zu tun, sie wirtschaftlich aufzuwerten, der hat meine Stimme nicht verdient.

Ich hoffe, dass die von der Politik frustrierten gewohnheitsmäßigen Nichtwähler bei der Wahl am 22. Mai die Chancen erkennen und nutzen, die das neue Bremerhavener Wahlrecht bietet. Anstelle eines einzelnen Kreuzchens auf dem Wahlzettel für die Kandidatenliste einer einzigen Partei, haben wir zukünftig die Möglichkeit fünf Stimmen auf mehrere Parteien oder/und Personen zu verteilen.

Wer bei seiner Wahlentscheidung vielleicht zwischen zwei Parteien schwankt, der kann ab sofort beide berücksichtigen, und außerdem seine Wahlentscheidung anhand der Anzahl der jeweils angekreuzten Kandidaten der beiden Parteien unterschiedlich gewichten. Den Kombinationsmöglichkeiten sind bei der Verteilung der fünf Stimmen keine Grenzen gesetzt.

Auch der Spruch: "Ich geh' nicht zur Wahl, weil meine Partei ja eh keine Chance hat, über die Fünf Prozent Hürde zu kommen." hat in Bremerhaven ab sofort als Ausrede ausgedient. Mit dem neuen Wahlgesetz für die Bremerhavener Kommunalwahlen wurde die "Fünf Prozent Hürde" abgeschafft. Nach der nächsten Wahl wird sich das gesamte Stimmungsspektrum der Bremerhavener Bürger - inklusive der bisher anonymen "Sonstigen"! - auch in der Stadtverordnetenversammlung wiederfinden. Die Stimmen der bisherigen Nichtwähler, die sich entgegen ihrer bisherigen Gewohnheit am 22. Mai dazu entschließen können, ihre Stimmen auf die "sonstigen" Parteien zu verteilen, weil sie den "etablierten Parteien" nicht vertrauen, werden auf jeden Fall die Stimmenanteile der "Großen Volks-Ignoranten" SPD und CDU schmälern, und die ihre gewählten Politiker werden in der nächsten Stadtverordnetenversammlung auf jeden Fall zu Wort kommen.


*) "Verdrängung nicht unerwünscht?! - Unglaublich: Das ist ja wohl der Gifpel der Arroganz gegenüber den Existenzängsten der in den existierenden Baumärkten Beschäftigten !!!

Nebenbei bemerkt:
In einer nicht repräsentativen Online Umfrage stellte die Nordsee-Zeitung gestern die Frage: "Was halten Sie von den Plänen, einen Baumarkt auf dem Kaisenplatz zu bauen?" 90 Prozent der Teilnehmer an der Umfrage beantworteten die Frage mit "Schlecht". Nur sieben Prozent halten das für eine gute Idee, und drei Prozent der Umfrageteilnehmer gaben an, die Zukunft des Wilhelm-Kaisen-Platzes sei ihnen egal ...

Keine weiteren Märkte in Lehe!


(Quelle: Nordsee-Zeitung vom 22.02.2011)

2 Kommentare:

Der Geestendorfer hat gesagt…

Hallo Jürgen,

was da in Lehe abläuft, ist verdammt undemokratisch. Bremerhaven hat genug Baumärkte. Meine Verschwörungstheorie: Weil Herr Theiser und seine CDU dem holländischen Investor nicht den Kaufland auf dem Phillippsfield auf's Tablett servieren konnte, wird jetzt der OBI-Markt von den Niederländern gebaut (Ich werde nicht behaupten, dass Schmiergelder geflossen sind). Und meine "Sozis" winken das durch. Ich bin verzweifelt (Nur zur Info: ich bin seit 2000 kein SPD-Mitglied mehr, aber bei den letzten Wahlen "kritischer Wähler" mit Bauchschmerzen). Gott sei dank kann ich bei der nächsten Wahl fünf Stimmen abgeben-

Tschüss
Holger

juwi hat gesagt…

@Holger: Stimmt. Lehe und Geestemünde teilen sich in dem Areal dann gleich drei davon. Vorübergehend zumindest. OBI auf dem Wilhelm-Kaisen-Platz geht wohl leider auf das Konto der SPD, und ex. (oder im Prinzip auch noch?) OB Schulz war ein großer Befürworter davon, wie ich Mittwoch auf der Stadtteilkonferenz Lehe erfahren habe. Herr Dieckhöner (CDU, Schatzmeister), auf das Wahlprogramm angesprochen ("Der Wilhelm-Kaisen-Platz wird nicht bebaut!") meinte, ein Wahlprogramm sei ja nichts als ein Rahmenprogramm, von dem man jederzeit abrücken könne. Ich hoffe du vergibst keine deiner 5 Stimmen aufgrund irgendeines Wahlprogramms - schon gar nicht aufgrund desjenigen der CDU. Bezüglich des ignoranten Umgangs von Politik und Verwaltung mit den "beteiligten Bürgern" in Sachen Bebauung des Wilhelm-Kaisen-Platzes, meinte er nur, wir leben ja in einer Demokratie, und deshalb habe die Große Koalition das so beschlossen. Ich habe mich daraufhin zu Wort gemeldet, ihn auf seine Worte hingewiesen, und bemerkt, dass in Bremerhaven leider immer nur die einen demokratischen Stimmen gehört, und die anderen ignoriert werden, und dass deshalb ein großer Frust im Quartier herrscht. Ich hörte, wie er "Das ist ja nicht wahr." sagte, und bekräftigte, das sei sehr wohl wahr. Er solle doch einmal im Saal herumfragen. - Das hat er dann aber wohl lieber unterlassen.

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