Donnerstag, 17. Februar 2011

Unerwünschte Atomsuppe in Lubmin

Atomkraft? Nein Danke!Am Nachmittag waren gestern nach einer Fahrraddemo in Bremen die Personalien von 10 Personen aufgenommen worden. Überhaupt fanden während des ganzen Tages sowohl an der Transportstrecke, wie auch an vielen anderen Orten zahlreiche Proteste in Form von "weniger spektakulären Aktionen", Mahnwachen, Info-Punkten etc. statt.

Gestern Abend stellten sich hinter Magdeburg gegen 21:00 Uhr fünf Aktivisten mit einer roten Stoppleuchte auf die Gleise. Das Fahrpersonal auf der Lok des Castor-Transports zeigte sich davon aber sichtlich unbeeindruckt, und fuhr einfach weiter.

Nun werden die Polizei und die Atomkraftbefürworter argumentieren, das Vorgehen der Atomkraftgegner sei ein unerlaubter Eingriff in den Bahnverkehr. Aber anstelle von Atomkraftgegnern, die mit ihrer Aktion erreichen wollten, dass der Zug seine Fahrt für einige weitere Minuten unterbrechen muss, hätte es sich genausogut um ein Warnsignal handeln können. Durch "höhere Gewalt" hätte zum Beispiel ein Baum auf die Gleise gestürzt sein können, oder es hätte sich um ein Warnsignal handeln können, mit dem die Atomkraftgegner auf an die Schienen gekettete Mitstreiter aufmerksam machen wollten. Hätte eines der beiden genannten - oder ein ähnliches - Beispiel zugetroffen, dann hätten unter Umständen Menschen unmittelbar zu Schaden kommen können. Möglicherweise hätte der Zug mit seiner gefährlichen, hochradioaktiven Fracht aber auch wegen Hindernissen auf den Schienen entgleisen können.

Auf jeden Fall ist das Ignorieren eines roten Notsignals eine unverantwortliche Missachtung der Betriebsordnung der Bahn, und ein weiteres Beispiel dafür, dass diese widersinnigen und rechtlich fragwürdigen Atommüll-Verschiebereien alles andere als sicher sind. Auch nach dem Vorfall mit dem missachteten Haltesignal setzte sich die unverantwortliche Fahrweise des Fahrpersonals nach Meldungen des Castor-Tickers weiterhin fort. Um 21:23 Uhr meldeten Beobachter aus dem Kreise der Atomkraftgegner, der Zug habe Angern Tangerhütte passiert und sei dort mit "hoher Geschwindigkeit" durchgefahren. Auch später sei noch beobachtet worden, dass der Atommülltransport seit Angern mit sehr hoher Geschwindigkeit fuhr, ohne dabei besondere Rücksicht auf Menschen an den Gleisen zu nehmen. Es würde mich nicht wundern, wenn neben Anzeigen gegen Atomkraftgegner, auch Anzeigen gegen das Personal des Castor-Transports und gegen die für den Atommülltransport Verantwortlichen noch die Gerichte beschäftigen würden.

Um 22:36 Uhr meldete der Castor-Ticker, auf der Höhe von Ludwigslust seien möglicherweise Leute an den Gleisen. Trotzdem passierte der Zug Ludwigslust eine viertel Stunde später mit weiterhin hoher Geschwindigkeit. Kurz vor 23 Uhr heiß es dann, hinter Ludwigslust seien sich Leute auf den Schienen. Wie sich dann herausstellte, handelte es sich dabei um eine aus 25 Menschen bestehende Schienenblockade unter dem Motto "Euer Nonsens ist kein Konsens" und der Castor-Ticker meldete, die Strecke sei gesperrt. Nach einer halben Stunde hatte die Polizei die Aktivisten von den Schienen geholt und in Gewahrsam genommen. Um 23:35 Uhr setzte sich der Castor-Transport langsam wieder in Bewegung.


Viele kleine Blockaden

Gegen Mitternacht meldete der Castor Ticker, in Schwerin-Medewege säßen 30 Atomkraftgegener auf den Schienen. Dieser Blockade gelang es, gleich zu Beginn des neuen Tages den Atommülltransport für vierzig Minuten aufzuhalten. Ein junger Mann hatte eine Gelegenheit genutzt, um auf dass Gleis zu springen und den langsam fahrenden Castor zu stoppen. Um halb eins stand der Castor dann in Sichtweite der Blockade in Schwerin-Medewege. Um zwanzig Minuten vor ein Uhr hatte die Polizei die Blockade geräumt, so dass Zug mit dem Atommüll seine Fahrt fortsetzen konnte.

Während dessen waren bei Rostock mehrere Gruppen mit insgesamt 100 Menschen entlang der Schienen unterwegs. In der Folge sperrte die Polizei den Osten der Stadt ab. Der Castor-Ticker meldete, sie sei dabei bisweilen rabiat vorgegangen: Um kurz nach zwei Uhr hieß es: "Kein Rauskommen aus Rostock ..."

Ungefähr zur gleichen Zeit ging die Polizei in Kemnitz mit Pfefferspray hart gegen Menschen vor, die versucht hatten, in Richtung Schiene zu gelangen, kesselte die Mahnwachen ein, und hielt jeden fest, der ihr entlang der Strecke über den Weg lief. Auch 20 Atomkraftgegner, die bei Kemnitz auf den Schienen saßen waren der Gewalt und den Pfefferspray-Angriffen ausgesetzt. Etwas später meldete der Castor-Ticker, die Presse werde nicht zur Gleisblockade bei Kemnitz durchgelassen. Gab es da vielleicht etwas zu verbergen?

Trotz alledem war es den Atomkraftgegnern bei Kemmnitz und Kemmnitzerhagen am Ende gelungen, drei Sitzblockaden aus insgesamt ca. 120 Menschen aufzubauen und die Polizei hatte Kemnitzerhagen so eingekesselt, dass dort niemand mehr hinkam. Bei den anderen Mahnwachen in Stilow, Brünzow und Kräpelin sei es aber ruhig geblieben. Ungefähr zwischen halb sieben und halb acht Uhr meldete der Castor-Ticker dann, die Blockaden würden geräumt.

Um zehn Minuten vor drei Uhr war der Zug vorher für 10 Minuten mit einer Blockade von 30 Menschen vor dem Riekdheler Kreuz aufgehalten worden. Nach Angaben des Castor-Tickers seien dort Polizeibeamte aggressiv mit Hunden und Pfefferspray gegen die Demonstranten vorgegangen.

Zwischen viertel nach vier und 10 Minuten vor fünf Uhr stand der Castor eneut vor einer Sitzblockade auf den Gleisen zwischen Ribnitz und Damgarten und bei fünf Uhr herum musste die Polizei bei Altenwillershagen erst einmal Aktivisten von den Gleisen lösen, die sich dort angekettet hatten, bevor der Zug fünfzehn Minuten nach fünf Uhr weiterfahren konnte.

Um zwanzig Minuten vor sechs Uhr hatten sich bei Brünzow 40 Menschen auf dem Weg zu den Gleisen gemacht. Sie wurden promt von der Polizei eingekesselt, bevor sie das Gleis erreichen konnten. Eine dreiviertel Stunde später hieß es dann, die 40 Blockierenden seien jetzt eine angemeldete Versammlung und würden sich sich in Richtung Stilow bewegen.

Um 10 Minuten vor sechs Uhr befanden sich zwischen Stralsund Hbf und Andershof Leute auf den Gleisen. Um viertel nach sechs Uhr meldete der Castor Ticker, der Zug stünde zwei Kilometer südlich des Hauptbahnhofs bei Stralsund-Andershof. Es dauerte vierzig Minuten, bevor er sich wieder in Bewegung setzen konnte.

Den letzten unfreiwilligen Halt musste der Zug mit der Karlsruher Atomsuppe aufgrund einer "Wuselblockade" in Kemnitz um dreißig Minuten vor acht Uhr zwischen Guest und Kemnitz bei Diedrichshagen einlegen. Dort stand er bis ungefähr 10 Minuten vor acht Uhr im Diedrichshäger Forst.

Nach gut 28 Stunden erreichte der Transport mit der hochradioaktiven, in Glas eingeschmolzen Atomsuppe kurz nach 8 Uhr das Atommülllager Nord in der Lubminer Heide. Das waren 3 Stunden und 42 Minuten später, als ursprünglich von den Verantwortlichen für den Transport angesetzt worden waren.

Mit viele kleinen Aktionen entlang der gesamten Transportstrecke hatten die Atomkraftgener erneut ihren Unmut gegen den atompolitischen Blindflug der Bundesregierung deutlich zum Ausdruck gebracht. Anhand der im Gegensatz zu den vorhergehenden Atommüll-Transporten im November/Dezember 2010 häufigen Castor-Ticker Meldungen über Pfefferspray Attacken der Polizei, könnte man auf eine Überlastung, und damit auf stressbedingte Überreaktionen der Polizisten schließen, an denen die Politiker in Berlin und der Landesregierung in Baden-Würtemberg sowie Teile der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern sicher nicht unschuldig sind.

Nervosität und Überreaktionen bei den Sicherheitskräften wurden auch anhand von Behinderungen der Presse und von unabhängigen Beobachtern der Proteste deutlich. Dazu zählen zum Beipiel die Weigerung in den frühen Morgenstunden, die Presse zur Gleisblockade bei Kemnitz durchzulassen, oder dass eine Pressesprecherin des Anti-Atom-Bündnisses NordOst von 08:26 bis 08:51 vor dem Atommülllager Nord festgehalten worden war, als der Castor-Transport sein Ziel bereits erreicht hatte. Außerdem waren laut einer Meldung des Castor-Tickers von 07:56 Uhr Beobachter und Beobachterinnen vom "Arbeitskreis kritischer JuristInnen (AKJ)" in Gewahrsam genommen worden. Auf ihrer Internetseite schildern die Beobachter der AKJ ihre ersten Eindrücke vom Castor-Transport aus der Nacht vom 16. auf den 17. Februar 2011 zwischen Greifswald und Lubmin folgendermaßen (Zitat):
  • Die von der Mahnwache Kemnitz in Richtung Schiene gehenden Aktivist_innen wurden von einem Teil der eingesetzten Polizeikräften mit massiver Gewalt gestoppt. Über das “normale” Schubsen hinaus wurden den Castorgegner_innen durch heftige Tritte von hinten in die Beine oder gezielte Schläge gegen den Kehlkopf zu Fall gebracht. Ein Aktivist blutete nach Schlägen heftig aus der Nase.
  • Diejenigen, die zur Mahnwache zurückgingen, wurden dort eingekesselt. Für einige Zeit kam niemand (auch nicht als Einzelperson) heraus, obwohl es sich um eine angemeldete Versammlung handelte
  • Der Gewalteinsatz der Polizei gegen eine von Brünzow losgehende Gruppe war angemessen. Allerdings wurde die Gruppe eingekesselt und verkündet, ihr werde die Freiheit entzogen. Erst nach einigen Minute gab ein Polizist zu erkennen, dass es sich wohl um eine Versammlung handele und wieder einige Minuten später wurde bekannt gegeben, dass die Gruppe auch zu einer Mahnwache gehen dürfe
  • Von der Räumung der Sitzblockade der Kemnitzhäger Gruppe wurden keine Probleme gemeldet
  • Die Polizei hielt Aktivist_innen nach Durchfahrt des Castortransportes noch 30  Minuten in Gewahrsam, obwohl sie unverzüglich hätten freigelassen werden müssen
  • Bei Kemnitzerhagen wurde ein Sanitäter festgesetzt und erst auf Intervention des AKJ und hinzukommen der Presse freigelassen
  • Die Polizei war teilweise schlecht informiert: mehrfach behaupteten Beamt_innen, es geben ein Versammlungsverbot entlang der Schiene (was nicht stimmt!)
  • Von Ingewahrsamgenommen bei Stilow wurde – obwohl sie keine Ordnungswidrigkeiten begangen hatten – die Identität festgestellt und selbst bei Vorliegen des Personalausweises die Gesichter fotografiert


Fazit

Dieser Atommülltransport von Karlsruhe in das Atommülllager Nord, dessen Fracht zu ungefähr drei Vierteln aus den Rückständen der Aufbereitung kommerzieller Brennstäbe aus westdeutschen Atomkraftwerken stammt, hat in der Lubminer Heide nichts zu suchen. Dagegen, und gegen die weitere Produktion großer Mengen von Atommüll infolge der Verlängerungen der Betriebsgenehmigungen für die deutschen Atomkraftwerke, für dessen sichere Lagerung über Zeiträume von vielen hundert Millionen Jahren es ebenfalls keine sichere Lösung gibt, haben die Menschen mit vielen dezentralen Protesten und Aktionen entlang der Transportstrecke eindrucksvoll demonstriert.

Es wird höchste Zeit, dass die Atomkonzerne und ihre politischen Handlanger endlich begreifen, dass die Menschen in Deutschland die Nase voll haben von den atomaren Mauscheleien. Um zu verhindern, dass der bereits angerichtete Schaden noch größer wird, müssen die verbliebenen 17 Atomkraftwerke umgehend abgeschaltet werden. Die durch den Betrieb der Atomkraftwerke und deren Folgen verursachten Kosten müssen nach dem Verursacherprinzip von den Atommüllproduzenten getragen werden.

Es muss endlich Schluss damit sein, dass wir Steuerzahler für die Subvention dieses gefährlichen Unsinns zur Kasse gebeten werden. Die dadurch frei werdenden Mittel müssen statt dessen dringend in die Förderung des zügigen Umbaus der Energieerzeugung mit regenerativen und CO2-neutralen Energiequellen investiert werden. Wenn das nicht innerhalb kürzester Zeit gelingen sollte, dann werden die Folgen des globalen Anstiegs der Temperatur aufgrund des Klimawandels nicht mehr in den Griff zu bekommen sein. Es geht bei diesem ganzen Themenkomplex also nicht nur um den notwendigen Ausstieg aus der Atomenergie, sondern um nichts weniger, als um die Zukunft aller nachfolgenden Generationen der Menschheit, ihrer Mitgeschöpfe und die ihrer gemeinsamem Heimat: Den Planeten Erde.


Lubmin niX da!


(Quellen: Stern vom 17.02.2010, Focus vom 17.02.2011, NDR 1 Radio Mecklenburg-Vorpommern vom 17.02.2011, Spiegel vom 17.02.2011 und vom 16.02.2011, Der Standard vom 16.02.2011, Mitteldeutsche Zeitung vom 16.02.2011, ARD-Tagesschau vom 16.02.2011, ZDF-Heute vom 16.02.2011, Die Welt vom 16.02.2011, Neues Deutschland vom 16.02.2011, TAZ vom 15.02.2011, Castor-Ticker, AKJ-Greifswald)

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