Montag, 14. Februar 2011

Den Frieden hat es nicht überlebt

Stormstraße 44: Brandschaden vom Dezember 2007

Das Eckhaus ist nicht mehr zu retten

Gründerzeitliche Schmuckfassade
Von der deutschsprachigen Country-Band "Truck Stop" gibt es ein Lied, das von einem alten Baum handelt, der im Jahre 1870 auf einem Dorfplatz gepflanzt wurde. Zu Ehren des Baumes gab es schöne Reden, Freibier, Musik und Tanz und er wurde geliebt, gehegt und gepflegt.

In den Jahren 1870 und 1871 sah er während des Krieges zwischen Frankreich und Deutschland viele tote Soldaten. Er selbst überlebte den Krieg jedoch. Als viele Jahre später der Erste Weltkrieg begann, stand der Baum schon seit mehr als vierzig Jahren an seinem Platz auf dem Dorfplatz. Er war mächtig und groß, und überstand den ersten der beiden verheerenden Weltkriege. Auch als zwanzig Jahre später die braunen Kolonnen ins Land zogen und es mit Eisen und Blut überzogen konnte der neue Krieg dem Baum nichts anhaben. Als aber nach dem Zweiten Weltkrieg der Wiederaufbau begann, und die Menschen infolge des Fortschritts und des Wirtschaftswachstum dem Konsum und dem Wohlstand verfielen, begann der Leidensweg des alten Baums. Jetzt wurden Autos, Beton, Industrie und Chemie gehegt und gepflegt. "In allen drei Kriegen war er nicht zu besiegen, aber den Frieden hat er nicht überlebt: Denn es brauchte mehr, mehr, mehr, viel mehr, als Krieg für ihn, den Baum." ...


Wenn ich durch den Ortsteil "Goethestraße" im Süden des Bremerhavener Stadtteils Lehe gehe, dann fällt mein Blick inmitten vieler schöner Gründerzeitfassaden leider auch immer wieder auf einige der ungefähr 50 verwahrloste Immobilien, die es in Bremerhaven gibt ... - und mir kommt dabei auch immer wieder das Lied über den alten Baum in den Sinn.

Die Stadt Bremerhaven hat sich mit Hilfe eines neu erlassenen Ortsgesetzes inzwischen ein Vorkaufsrecht für sechzehn der im Volksmund "Schrottimmobilien" genannten Gebäude gesichert, von denen eine eigens dafür ins Leben gerufene Arbeitsgruppe unter Leitung des Stadtplanungsamts bisher zehn bearbeiten konnte. Für zwei der Gebäude müssen noch die Besitzer ermittelt werden. Im Leher Gründerzeitviertel mussten im letzten Jahr bereits zwei Häuser abgerissen werden, da sie bereits so weit verfallen waren, dass sie nicht mehr zu retten waren. Das erste davon war ein altes Gründerzeithaus in der Heinrichstraße 40. Nachbarn und ehemalige Bewohner hatten sich im April 2010 mit einer Straßenparty von dem alten Haus verabschiedet. Das gleiche Schicksal steht jetzt auch dem Haus in der Stormstraße 44 bevor. Die Vorarbeiten für den Abriss sollen heute beginnen.

Dass es überhaupt soweit kommen konnte, liegt in vielen Fällen an Immobilienspekulanten, die in meinen Augen nichts als kriminelle Betrüger sind, die ins Gefängenis gehören. Dort könnten sie dann keinen Schaden mehr anrichten. Als weiterer Faktor kommt aber noch die Leichtgläubigkeit einiger Käufer hinzu. Die Nordsee-Zeitung zitiert Herrn Holm (CDU, Baustadtrat) in ihrer Ausgabe vom 12.02.2010 mit den Worten: "Die kaufen Wohnungen, die sie noch nie gesehen haben." Über die Unwissenheit der oft geprellten Käufer wundere Herr Holm sich nicht mehr. Diese Leute wüssten gar nicht, welchen Wert das Kaufobjekt wirklich hat. Aus diversen Gesprächen mit Menschen, die beruflich damit zu tun haben, weiß ich inzwischen, dass die Opfer von Immobilienspekulanten die Gebäude weit über Wert kaufen, auf schöne bunte Bilder der Spekulanten hereinfallen, die ihnen hohe Mieteinnahmen und Erträge vorgaukeln, und dann einen Schock erleben, wenn sie ihr "Prachtstück" das erste Mal zu sehen bekommen.

Das gründerzeitlich geprägte Viertel im Süden Lehes ist eigentlich so etwas wie ein wertvoller Schatz, denn hier gibt es den wohl größten zusammenhängenden Bestand an gründerzeitlichen Altbauten Bremerhavens, der die alliierten Bombenangriffe im Kriegsjahr 1944 mehr oder weniger unbeschadet überstanden hat. Aber was den Zweiten Weltkrieg an historischer Bausubstanz überlebte fällt jetzt - mehr als 60 Jahre später - zum Teil den Spekulanten und den dadurch oft hoffnungslos überschuldeten Eigentümern zum Opfer. Den Krieg haben diese einstmals schönen Häuser mit ihren prachtvollen Schmuckfassaden überstanden. Den Frieden haben sie nicht überlebt ... - ähnlich wie der alte Baum in dem Lied von "Truck Stop" fielen sie der Gier nach dem schnellen Geld oder der Gleichgültigkeit ihrer Besitzer zum Opfer.



Stormstraße 44: Brand im Dezember 2007 (Ausschnitt aus einem Video der Nordsee-Zeitung)

Dem Eckhaus in der Stormstraße wurde allerdings zusätzlich noch ein Brand im Dezember 2007 zum Verhängnis. Das Feuer in der oberen Etage des Hauses griff auf den Dachstuhl über. Durch den Brand und das Löschwasser, das die darunterliegenden Wohnungen in Mitleidenschaft zog, wurde das Haus unbewohnbar und seitdem wurde nichts mehr zu seiner Erhaltung getan. Jetzt ist es nicht mehr zu retten.


(Quellen: Nordsee-Zeitung vom 12.02.2010)

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