Mittwoch, 6. Juni 2012

Vier plus Eins gleich Vier

Nach der Wahl zur Bremischen Bürgerschaft hatten die Grünen und die SPD die Verlängerung der Legislaturperiode von vier auf fünf Jahre in den Koalitionsvertrag aufgenommen. Mit der Mehrheit der Bürgerschaftsfraktionen der beiden Parteien in der Brügerschaft folgte dazu im März 2012 der Beschluss.

Ende Mai forderten die Abgeordneten Frau Hoppe (Grüne, Sprecherin für Beirätepolitik und bürgerschaftliches Engagement, Sprecherin für Petitionsangelegenheiten) und Frau Möbius (SPD, Haushalts- und Finanzausschuss, Petitionsausschuss) einen Volksentscheid, über die Verlängerung der Legislaturperiode. Damit griffen sie einen Vorschlag auf, den schon Herr Güldner (Grüne, Fraktionsvorsitzender) im Frühjahr 2011 zur Diskussion gestellt hatte.

Auf der Internetseite von Frau Hoppe veröffentlichten Sie dazu am 29.05.2012 eine Pressemitteilung (Frau Hoppe, Zitat):
Hier eine Pressemitteilung, die Renate und ich heute rausgegeben haben. Wir erhoffen uns eine breite Diskussion zu dem Thema.

“Die Bürgerinnen und Bürger müssen beteiligt werden, wenn die Bremer Verfassung bezogen auf die Verlängerung der Wahlperiode von 4 Jahre auf 5 Jahre geändert werden soll”, so Marie Hoppe, MdBB Bündnis 90 die Grünen.

Sie unterstützt in ihrer Fraktion die Diskussion, um das “Für und Wider” einen Volksentscheid zu diesem Thema durch zu führen.

Bis 1994 sah dies die Landesverfassung auch vor. Bei Verfassungsänderungen, die nicht Einstimmig erfolgten, war ein obligatorischer Volksentscheid vorgesehen. Am 16. Oktober 1994 wurde dies geändert und die Bürgerschaft kann jetzt mit einer 2/3 Mehrheit eine Änderung an der Verfassung vornehmen.

„Bayern (1998) und Hessen(2002) haben gezeigt, dass eine Volksabstimmung bei einer solchen Frage funktioniert. In beiden Bundesländern gab es eine hohe Beteiligung am Volksentscheid und eine Entscheidung für die Verlängerung auf 5 Jahre. Aber die Entscheidung haben die Bürgerinnen und Bürger getroffen und nicht die Regierenden selbst.“, so Marie Hoppe. Weiter erklärt sie: „Mit einer einfachen Mehrheit im Parlament können wir einen Volksentscheid beschließen und die Bürgerinnen und Bürger selber entscheiden zu lassen. Damit könnten wir ein wichtiges Zeichen setzen.“

Die Regierungsfraktionen waren sich bereits einig, zukünftig die  Legislaturperioden  auf 5 Jahre zu verlängern.

“Die  Bürgerinnen und Bürger darüber entscheiden zu lassen, wie lange sie sich eine Wahlperiode ihrer Volksvertreterinnen und Volksvertreter  vorstellen könnten, erhöht  meiner Meinung nach auch die Akzeptanz gegenüber der Politik. Verfassungsrechtlich sind wir zwar auf der sicheren Seite, jedoch bemühen wir uns die ganze Zeit Bremen als aktive Bürgergesellschaft weiterzuentwickeln und es wäre ein falsches Signal, diese zentrale Frage des Wahlrechtes mit einer knappen Mehrheit zu entscheiden. Ich danke Marie Hoppe für ihre Initiative und werde mich auch in meiner Fraktion dafür einsetzen, dass dieses Thema noch einmal diskutiert wird“, so Renate Möbius MdBB  SPD.

Renate Möbius kämpft seit vielen Jahren für mehr Bürgerbeteiligung in Bremen. Dieses Ziel verfolgt auch Marie Hoppe, die mit dem Slogan “GEMEINSAM, die Stadt gestalten“ durch das neue Wahlrecht mit den Personenstimmen ins Parlament einzog. Beide sehen die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Politik und Bürgern als eine zentrale Aufgabe, die überparteilich verfolgt werden sollte.

Am Tag darauf gab die SPD in einer Pressemitteilung bekannte, sie stehe für eine Verlängerung der Legislaturperiode nicht mehr zur Verfügung. Die oppositionellen Parteien CDU und Linke hatten die Verlängerung zuvor abgelehnt. Die Presseerklärung zitiert Herrn Tschöpe (SPD, Vorsitzender der Bürgerschaftsfraktion) mit den Worten  (Zitat): "
"Die Verlängerung der Wahlperiode war und ist kein Kernanliegen der SPD und ich bin mir mit dem Landesvorsitzenden der SPD, Dr. Andreas Bovenschulte und dem Präsidenten des Senats, Jens Böhrnsen, völlig einig, dass eine Verlängerung der Legislaturperiode auf fünf Jahre eine möglichst breite Zustimmung der in der Bremischen Bürgerschaft vertretenen Parteien benötigt. Aus diesem Grunde haben wir als SPD den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen auf Änderung der Bremischen Verfassung, der uns seit November 2011 vorliegt, nicht in die Bürgerschaft eingebracht und das Gespräch mit den Oppositionsfraktionen gesucht. CDU und LINKE haben nun signalisiert, dass sie einer Verlängerung der Legislaturperiode nicht zustimmen werden.

Die SPD scheut keinen Volksentscheid. Sie sieht sich allerdings außerstande, der Bevölkerung einen Vorschlag zu unterbreiten, der nicht ihrer politischen Überzeugung entspricht. Die SPD steht daher für eine Verlängerung der Legislaturperiode nicht mehr zur Verfügung. Ich werde am kommenden Montag meiner Fraktion vorschlagen, die Zustimmung der SPD zur Gesetzesinitiative zur Änderung der Landesverfassung von Bündnis 90 / Die Grünen zurückzuziehen."

Das veranlasste die Grünen am 31.05.2012 ihrerseits dazu, die folgende Pressemitteilung zu veröffentlichen (Zitat):
Wir staunen. In der Vereinbarung zur Zusammenarbeit für die 18. Wahlperiode der Bremischen Bürgerschaft 2011–2015, von SPD und GRÜNEN unterschrieben, heißt es auf Seite 102: „Wir wollen, wie in 14 Bundesländern, dem Europaparlament und den meisten deutschen Kommunalparlamenten, die Wahlperiode der Beiräte und Bürgerschaft ab der 19. Wahlperiode auf 5 Jahre verlängern. Für die politische Sacharbeit soll ein längerer zusammenhängender Zeitraum zur Verfügung stehen.“ „Zu dieser Vereinbarung steht die Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unverändert und verlässlich, etwas anderes haben wir zu keinem Zeitpunkt gesagt“, erklärt Dr. Hermann Kuhn, Landesvorsitzender der Partei.

Die Verlängerung der Wahlperiode muss im Parlament beschlossen werden. In den letzten Tagen gab es einen Diskussionsanstoß von einzelnen GRÜNEN- und SPD-Abgeordneten, die Verfassungsänderung am Ende auch der Bevölkerung direkt zur Entscheidung vorzulegen. Dieser Vorstoß zum Verfahren hat eine öffentliche Diskussion hervorgerufen, der sich alle Parteien unvoreingenommen stellen sollten. „Ich verstehe nicht, dass die SPD mit Kurzschluss reagiert und sich von unserem gemeinsamen Vorhaben nun ganz verabschieden will. Ich möchte allen raten, noch einmal in Ruhe in den Fraktionen und Vorständen darüber zu reden. Die Grünen halten die Verlängerung der Wahlperiode, wie vereinbart, nach wie vor für sinnvoll und sind offen für die Diskussion um den besten Weg dahin“, sagt Hermann Kuhn abschließend.

Ich hatte bereits im August 2011 dargelegt, dass ich in der seitens der Landesregierung angekündigten Verlängerung der Legislaturperiode ganz klar eine deutliche Beschneidung der demokratischen Rechte der Bürger des Landes Bremen sehe. Das habe ich dann auch in einer E-Mail an die SPD und die Grünen in der Bürgerschaft klargestellt:
"Sehr geehrte Damen und Herren,

wie die Bremerhavener Nordsee-Zeitung am 05.08.2011 berichtete, beabsichtigen Sie, die Dauer der Legislaturperiode für die Bürgerschaft des Landes Bremen von vier auf fünf Jahre zu verlängern. Die angekündigte Verlängerung der Legislaturperiode ist ganz klar eine deutliche Beschneidung der demokratischen Rechte der Bürger des Landes Bremen.

Für den Fall, dass Sie Ihren Plan, die Legislaturperiode von vier auf fünf Jahre zu verlängern, tatsächlich in die Tat umsetzen sollten, versichere ich Ihnen hiermit, dass weder die SPD noch die Grünen bei der nächsten Wahl zur Bremer Bürgerschaft noch einmal mit auch nur einer meiner fünf Stimmen rechnen können!"

Von der SPD hatte ich daraufhin die folgende Antwort bekommen:
".. Es ist richtig, dass wir uns im Rahmen der Koalitionsverhandlungen mit unserem Grünen Koalitionspartner darauf verständigt haben, in dieser neuen Legislaturperiode darüber zu entscheiden, ob die Legislaturperiode zukünftig auch in Bremen von vier auf fünf Jahre verlängert werden soll. Die Gründe sind folgende:

In Deutschland haben bereits 14 Bundesländer eine Wahlperiode von fünf Jahren, daneben auch das Europaparlament und die meisten deutschen Kommunalparlamente. Bremen würde sich also diesem Rhythmus der meisten deutschen Bundesländer anpassen. Wir gehen dabei aktuell davon aus, dass der politischen Sacharbeit ein längerer zusammenhängender Arbeitszeitraum gut tun würde, weil jede neue Legislaturperiode eine Einarbeitungsphase für Parlament und Regierung benötigt und jede anstehende Wahl ebenfalls Zeit der Vorbereitung benötigt, die z.T. dann für die Sachentscheidungsarbeit fehlt. Eine Verlängerung der Wahlperiode würde also jeweils die Zeit verlängern, in der konzentriert und mit der notwendigen Erfahrung die politische Sacharbeit in Bremen gemacht werden könnte. Zudem werden für die Durchführung von Wahlen auch eine Menge finanzielle Mittel und Personal benötigt. Da Bremen dringend sparen muss, spricht auch dies dafür die Wahlperiode zu verlängern.

Neben diesem Vorhaben planen wir aber gleichzeitig eine Vielzahl von Maßnahmen, um die Bremerinnen und Bremer viel stärker als bisher bei für Bremen wichtigen Entscheidungen mit einzubeziehen. Beispiele für diese Maßnahmen sind:

- Bei allen Planungsvorhaben soll regelmäßig und verbindlich geprüft werden, ob und ggf. in welcher Form eine Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an den jeweiligen Planungen stattfinden kann.

Hierbei sollen neue Beteiligungsverfahren erprobt werden, z.B.:
- Bürgerhaushalte,
- Bürgerpanels,
- Zukunftskonferenzen,
- Mediationsverfahren und moderierte Adhoc-Beteiligungsverfahren.

Darüber hinaus wollen wir:

- In der Landesverfassung festschreiben, dass über die Veräußerung von wesentlichen Teilen der öffentlichen Daseinsvorsorge ein Volksentscheid durchgeführt werden muss.
- Die Hürden für den Bürgerantrag sollen gesenkt werden: Das Quorum der Unterschriftenmenge soll auf deutlich unter 2 % der Wahlberechtigten gesenkt werden.
- Um die Unterschriftensammlung für Volksbegehren und Bürgeranträge zu erleichtern, soll  geprüft werden, ob eine elektronische Unterzeichnung über das Internet erfolgen kann.
- Über den Bundesrat soll sich für die Verankerung von Volksbegehren und Volksentscheiden auf Bundesebene eingesetzt werden.

Unser Ziel ist es also nicht, die demokratischen Rechte der Bürger des Landes Bremen zu beschneiden und ich hoffe ich konnte Ihnen dieses mit meinen Ausführungen glaubhaft machen. Darüber hinaus kann ich Ihnen versichern, dass wir Ihre Bedenken, bei unseren Beratungen über die Frage, ob es zu einer Verlängerung der Wahlperiode kommen wird, einbeziehen werden."

Ah ja: Eine schöne neue Welt wäre das, wenn es das alles schon gäbe - ohne Vorbedingungen und  zusätzlich zur vierjährigen Legislaturperiode. Aber so haben die sich das natürlich nicht gedacht: Erst einmal wird die Legislaturperiode verlängert, und dann sehen wir mal weiter, was von den schönen Dingen, die sich bürgerliche Interessengemeinschaften jedesmal auf's neue erkämpfen müssten, noch übrig bleibt. Ach ja, nebenbei bemerkt: "..In Deutschland haben bereits 14 Bundesländer eine Wahlperiode von fünf Jahren..". Meine Oma hat bei solchen Aussagen immer gesagt: "Wenn Heini in den Brunnen springt, dann springe ich noch lange nicht gleich hinterher."

Aber wie auch immer: Dass die Verlängerung der Wahlperiode kein Kernanliegen der SPD ist, geht aus der Antwort der SPD auf meine E-Mail nun wirklich nicht gerade sehr deutlich hervor. Aber ich vermute, dass auch andere E-Mail- und Briefeschreiber so lange ähnliche Standardantworten bekommen haben, bis es irgendwann genug waren, um die SPD zur Notbremsung zu veranlassen. Aber ich will mich gar nicht beklagen. Ich habe mich ja schon darüber gefreut, dass ich überhaupt eine Antwort bekommen habe. Zur Auslösung der SPD-Notbremse hat sicher auch die Arbeit der Initiative "Mehr Demokratie e.V." einiges begetragen.

Nach den Erfahrungen mit der CDU in Bremen und Bremerhaven, insbesondere aber in den acht Jahren der Großen Koalition aus CDU und SPD in Bremerhaven, kann ich es kaum glauben, dass es jetzt die CDU in der Opposition der bremischen Bürgerschaft ist, die angekündigt hat, sie wolle in der ersten Juniwoche den Vorschlag, obligatorische Volksentscheide einzuführen, in die Bürgerschaftsversammlung einbringen. In Bremerhaven hatte sich die CDU immer durch erfolgreiches Ignorieren der Bürger hervorgetan. Bestenfalls waren deren Anliegen mit arroganten Plattheiten à la ".. Der Supermarkt wird zum Anlass genommen, um einer allgemeinen Unzufriedenheit Ausdruck zu verleihen. Der normale Leher Durchschnittsbürger, der statt zu Stadtteilkonferenzen zu gehen zu Hause vor dem Fernseher sitzt, der hat gar keinen Grund gegen Kaufland zu sein. .." (Originalton Herr Teiser - CDU, Bürgermeister - in einem Artikel auf Seite 17 der "Nordsee-Zeitung" vom 24.11.2007) vom Tisch gefegt worden.

"Mehr Demokratie" meint, es sei schade, dass es nach dem Rückzieher der SPD offenbar keine Abstimmung über die grundlegende Frage der Dauer der Legislaturperiode geben wird. Gerade für den Fall, dass es Dissens zwischen zwei Koalitionspartnern gebe, wäre ein Volksentscheid eine gute Lösung. Dass dies funktioniert, habe man z.B. im Fall "Stuttgart 21" gesehen. Auf seiner Internetseite schreibt "Mehr Demokratie" am 01.06.2012 (Zitat): "Den Vorschlag, obligatorische Volksentscheide einzuführen, begrüßen wir: die Diskussion, ob abgestimmt werden soll, hätte es dann gar nicht gegeben, sondern es wäre um die Sache gegangen. Die Diskussion um das Pro und Contra der Wahlperiodenverlängerung ist nämlich bisher fast komplett ausgeblieben."

So ist es!


(Quellen: Mehr Demokratie e.V. vom 01.06.2012 und Pressemitteilung vom 30.05.2012, Pressemitteilung der SPD vom 31.05.2012, Pressemitteilung der Grünen vom 31.05.2012, Pressemitteilung der Linken vom 31.05.2012, Radio Bremen vom 31.05.2012, 30.05.2012, 17.04.2012 und 19.03.2012, Nordsee-Zeitung vom 01.06.2012 und 31.05.2012, Weser-Kurier vom 31.05.2012, 31.05.2012, und 20.03.2012, Pressemitteilung Marie Hoppe vom 29.05.2012)

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