Mittwoch, 11. Februar 2009

Herr Müller möchte umziehen

Die meisten unter euch kennen sicher die Sendung mit der Maus, und viele haben inzwischen wohl auch schon einmal die schöne Geschichte von Herrn Müller gehört. Einige werden sie in einer E-Mail zugeschickt bekommen haben, und andere haben sie vielleicht auf einer der vielen Seiten im Internet gelesen. Aber weil einige von euch sie vielleicht doch noch nicht kennen, und weil es eine Fortsetzung gibt, schreibe ich die Geschichte hier noch einmal für euch auf:

Der Herr Müller kommt aus Aretsried, das liegt in Bayern, also ganz im Süden.

Der Herr Müller ist ein Unternehmer und das, was in den Fabriken von Herrn Müller hergestellt wird, habt ihr sicher alle schon mal gesehen, wenn ihr im Supermarkt wart.

Der Herr Müller stellt nämlich lauter Sachen her, die aus Milch gemacht werden.

Naja, eigentlich stellen die Kühe die Milch her, aber der Herr Müller verpackt sie schön und sorgt dafür, dass die in den Supermarkt kommen, wo ihr sie dann kaufen könnt.

Die Sachen, die der Herr Müller herstellt sind so gut, dass sogar der Herr Bohlen dafür Werbung gemacht hat.

Weil der Herr Müller ein Unternehmer ist, hat er sich gedacht, er unternimmt mal was und baut eine neue Fabrik. Und zwar baut er sie in Sachsen, das ist ganz im Osten.

Eigentlich braucht niemand eine neue Milchfabrik, weil es schon viel zu viele davon gibt, und diese viel zu viele Milchprodukte produzieren, aber der Herr Müller hat sie trotzdem gebaut.

Und weil die Leute in Sachsen ganz arm sind und keine Arbeitsplätze haben, unterstützt der Staat den Bau neuer Fabriken mit Geld. Arbeitsplätze hat man nämlich im Gegensatz zu Milchprodukten nie genug.

Also hat der Herr Müller einen Antrag ausgefüllt, ihn zur Post gebracht und abgeschickt. Ein paar Tage später haben ihm dann das Land Sachsen und die Herren von der Europäischen Union in Brüssel einen Scheck über 70 Millionen Euro geschickt.

70 Millionen, das ist eine Zahl mit sieben Nullen, also ganz viel Geld. Viel mehr, als in euer Sparschwein passt.

Der Herr Müller hat also seine neue Fabrik gebaut und 158 Leute eingestellt.

Hurra, Herr Müller!

Nachdem die neue Fabrik von Herrn Müller nun ganz viele Milchprodukte hergestellt hat, hat er gemerkt, dass er sie gar nicht verkaufen kann, denn es gibt ja viel zu viele Fabriken und Milchprodukte.

Naja, eigentlich hat er das schon vorher gewusst, auch die Herren vom Land Sachsen und der Europäischen Union haben das gewusst, es ist nämlich kein Geheimnis. Das Geld haben sie ihm trotzdem gegeben.

Ist ja nicht ihr Geld, sondern eures. Klingt komisch, ist aber so.

Also was hat er gemacht, der Herr Müller? In Niedersachsen, das ist ziemlich weit im Norden, hat der Herr Müller auch eine Fabrik. Die steht da schon seit 85 Jahren und irgendwann hatte der Herr Müller sie gekauft.

Weil er jetzt die schöne neue Fabrik in Sachsen hatte, hat der Herr Müller die alte Fabrik in Niedersachsen nicht mehr gebraucht, er hat sie geschlossen und 175 Menschen haben ihre Arbeit verloren.

Wenn ihr in der Schule gut aufgepasst habt, dann habt ihr sicher schon gemerkt, dass der Herr Müller 17 Arbeitsplätze weniger geschaffen habt, als er abgebaut hat. Dafür hat er 70 Millionen Euro bekommen.

Wenn ihr jetzt die 70 Millionen durch 17 teilt, dafür könnt ihr ruhig einen Taschenrechner nehmen, dann wisst ihr, dass der Herr Müller für jeden vernichteten Arbeitsplatz über 4 Millionen Euro bekommen hat.

Da lacht er, der Herr Müller. (Natürlich nur, wenn niemand hinsieht.)

Ansonsten guckt er ganz traurig und erzählt jedem, wie schlecht es ihm geht.

Aber der Herr Müller sitzt nicht nur rum, sondern er sorgt auch dafür, dass es ihm besser geht. Er ist nämlich sparsam, der Herr Müller.

Sicher kennt ihr die Becher, in denen früher die Milch von Herrn Müller verkauft wurden. Die schmecken gut und es passten 500 ml rein, das ist ein halber Liter.

Seit einiger Zeit verkauft der Herr Müller seine Milch aber in lustigen Flaschen, nicht mehr in Bechern.

Die sind praktisch, weil man sie wieder verschließen kann und sehen hübsch aus.

Allerdings sind nur noch 400 ml drin, sie kosten aber dasselbe. Da spart er was, der Herr Müller.

Und sparen ist eine Tugend, das wissen wir alle.

Wenn ihr jetzt fragt, warum solche ekelhaften Schmarotzer wie der Herr Müller nicht einfach an den nächsten Baum gehängt werden, dann muss ich euch sagen, dass man so etwas einfach nicht tut.

Wenn ihr aber das nächste mal im Supermarkt seid, dann lasst doch einfach die Sachen vom Herrn Müller im Regal stehen und kauft die Sachen, die daneben stehen. Die schmecken genauso gut, sind meistens billiger und werden vielleicht von einem Unternehmer hergestellt, für den der Begriff “soziale Verantwortung” noch eine Bedeutung hat.

Früher war die Geschichte von Herrn Müller und seiner Milch hier immer zu Ende. Später gab es aber doch noch etwas zu erzählen, und weil die Geschichte von Herrn Müller einmal ganz zu Ende sein wird, gibt es jetzt eine Fortsetzung.


Damit ihr das verstehen könnt, muss ich euch erst einmal etwas anderes erklären:

Wenn man etwas erbt, dann bekommt man etwas, das vorher jemandem gehört hat, der gestorben ist. Meistens ist das etwas, das einen an den Verstorbenen erinnert, wenn man es anschaut. Dann erinnert man sich an die schöne Zeit mit ihm und ist nicht mehr ganz so traurig. Manchmal kann es aber auch etwas Geld sein, das der Verstorbene noch auf seinem Sparbuch hatte, oder vielleicht auch das Haus in dem er gewohnt hat.

Alle Leute, die in Deutschland etwas erben, das ganz viel wert ist - also mehr als ein Andenken an den Verstorbenen, oder ein paar übriggebliebene Euro vom Sparbuch - müssen dafür Steuern bezahlen. Jeder Mensch in Deutschland muss auch für andere Dinge dauernd Steuern bezahlen. "Steuern" sind das Geld, das wir alle in eine gemeinsame Kasse einzahlen und von dem unsere Bundesregierung, neue Straßen, Schulen, Kindergärten, Spielplätze und solche Sachen bezahlt. Und weil wir alle dauernd Steuern in unsere gemeinsame Kasse einzahlen, bezahlen wir alle eigentlich diese ganzen tollen Sachen selbst von unserem Geld.

Wenn der Herr Müller einmal so alt geworden sein wird, dass seine Zeit gekommen ist und er sterben muss, dann will er, dass die Menschen, die seine Fabriken mit der Milch und sein ganzes Geld erben werden, alles für sich behalten und keine Steuern dafür bezahlen müssen. Das kann ich zwar gut verstehen, aber schließlich sind die Menschen, die sein ganzes Geld erben werden ja nicht die einzigen, denen es so geht. Schließlich müssen ja auch immer wieder Spielplätze, Straßen, Kindergärten oder Schulen und solche Sachen bezahlt werden.

Weil Herr Müller zwar gerne ganz viel Geld aus unserer Steuerkasse nimmt, damit er eine neue Fabrik bauen und Leute entlassen kann, aber selbst lieber keine Steuern bezahlen will, von denen dann neue Straßen, Schulen, Kindergärten, Spielplätze und solche tollen Sachen gebaut werden können, hat er sich überlegt, wie er es anstellen kann, dass er das viele Geld für sich behalten kann und in Deutschland keine Steuern mehr bezahlen muss.

Im Herbst 2003 hatten die Zeitungen geschrieben, dass Herr Müller die Absicht hat, in die Schweiz auszuwandern. Die Schweiz ist ein anderes Land im Süden von Deutschland. Das ist sogar noch weiter im Süden als Bayern. Wer in der Schweiz wohnt, aber dort nicht arbeitet, zahlt dort nämlich nur einen frei aushandelbaren Pauschalsteuerbetrag. Das nennen die Leute in der Schweiz "Steuerprivileg". Und weil Herr Müller wohl so gut verhandelt hat, dass er in der Schweiz nur ganz wenig Steuern bezahlen muss, ist er nicht nur mit seinen Möbeln und seinen ganzen anderen Sachen aus seinem Haus in Deutschland in die Schweiz umgezogen, sondern hat auch noch Teile der Chefetage seiner Milch-Firma in die Schweiz mitgenommen.

In der Schweiz hat Herr Müller dann einige Jahre mitsamt seinem schönen Steuerprivileg gelebt und noch mehr Geld mit seiner Milch verdient - bis jetzt jedenfalls.


In der Schweiz, im Kanton Zürich, haben die Menschen am letzten Sonntag darüber abgestimmt, dass es keine Steuerprivilegien für reiche Ausländer mehr geben soll. Die "Kantone" sind in der Schweiz ungefähr das, was in Deutschland die Bundesländer sind. Die Menschen im Kanton Zürich haben es jedenfalls wohl auch nicht mehr eingesehen, dass sie ganz viel Steuern von ihren paar Schweizer Franken - so heißt das Geld in der Schweiz - bezahlen sollen, während einige wenige stinkreiche Einwanderer nur ganz wenig Steuern zahlen brauchen.

Aus der "Nordsee-Zeitung" - das ist eine Zeitung, in der man bei uns in Bremerhaven Geschichten aus unserer Stadt, aber auch welche aus Deutschland und aus anderen Ländern lesen kann - habe ich gestern erfahren, dass nach der Abschaffung des Steuerprivilegs auch der Herr Müller genauso viel Steuern bezahlen soll, wie alle anderen Menschen in der Schweiz. Die Nordsee-Zeitung schrieb, der Herr Müller habe gedroht, er würde den Kanton Zürich verlassen und einfach wieder umziehen, wenn er dort jetzt genauso viele Steuern bezahlen soll, wie alle anderen auch. Wohin er umziehen will hat er aber noch nicht gesagt. Vielleicht wandert er ja nach China aus - das ist ja zur Zeit groß in Mode - oder dahin wo der Pfeffer wächst ...

Wenn die Menschen in allen Ländern, die auch nicht mehr Geld im Portemonnaie haben als du und ich, es genauso ungerecht finden wie die Menschen im Kanton Zürich, dass sie dauernd ganz viel Steuern bezahlen müssen, während einige wenige Millionäre und Milliardäre, die so viel Geld haben, das sie es gar nicht alles ausgeben können, keine Steuern bezahlen müssen, dann wird es bald ganz eng in der Welt für den Herrn Müller.


Ich bin schon ganz doll gespannt darauf, wie die Geschichte von Herrn Müller wohl weitergehen wird.


Zum weiterlesen:
Stern: ...die weckt, was in dir steckt
Hamburger Abendblatt: Müller-Milch sauer
Stern: In der Schweiz erbt es sich billiger
Wirtschafts Woche: Schröder ruft zur gesellschaftlichen Ächtung prominenter Steuerflüchtlinge auf

(Quelle: Nordsee-Zeitung)

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Schön, wie du die Geschichte weitergesponnen hast. Ähnlich habe ich auch gedacht, als ich die neuesten Kapriolen des Herrn Müller gelesen habe. Du schreibst mir aus der Seele!

Kommentar veröffentlichen



Eigene Meinungen, konstruktive Kritik, Anregungen etc. sind jederzeit willkommen.

Nettikette
Bitte achtet auf den »guten« Ton.
Beschimpfungen und ähnliches werden im Papierkorb veröffentlicht.


Anonyme Kommentare:
Wenn ihr "Anonym" bei "Kommentar schreiben als" auswählt, dann lasst mich und die anderen Leser bitte wissen, wer ihr seid.

Um faire Diskussionen zu gewährleisten, werde ich Kommentare ohne "Identität" in Form einer E-Mail-Adresse, einem Namen oder zumindest einem Nicknamen nicht veröffentlichen!

Zum Schutz vor Spammern müssen die Kommentare erst von mir freigeschaltet werden. Ich bitte dafür um euer Verständnis.