... sowie der Verflechtung der Interessen von Politikern mit denen der der Atomkonzerne
Lemminge
Den possierlichen Lemmingen sagt man nach sie würden instinktiv blind ihrem Alphatier zu folgen. Sollte dieses über den Rand einer Klippe springen, würden alle anderen Lemminge sich ebenfalls in den Abgrund stürzen. Tatsächlich brechen Berglemminge wohl stressbedingt zu Massenzügen auf, wenn zu viele Tiere nach einer Bevölkerungsexplosion auf zu engem Raum leben. Innerhalb eines Tages können sie bis zu 15 Kilometer zurücklegen und überwinden dabei Hindernisse wie Seen und Flüsse mit hohen Verlusten.
Die CDU/CSU macht die Aufkündigung des Atomkonsenses zugunsten einer Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke in Deutschland zum Wahlkampfthema für die Bundestagswahl im September 2009. In Union und FDP sind sogar Stimmen zu hören, die sich für den Bau neuer Atomkraftwerke in Deutschland aussprechen.
Argumentiert wird im wesentlichen mit den Plänen für Atomkraftwerksneubauten in Finnland, Frankreich und Großbritannien und der Entscheidung der schwedischen Regierung, den Bau neuer Reaktoren zuzulassen. In Schweden wird damit das seit fast 30 Jahren geltende Verbot von Reaktorneubauten aufgehoben. Dieses war 1980 vom Reichstag nach der Entscheidung zu Schwedens Atomausstieg aufgrund einer Volksabstimmung eingeführt worden. Das Wahlkampfgeplapper von CDU, CSU und FDP zeigt erschreckende Parallelen mit dem Verhalten der eingangs erwähnten Berglemminge.
Ich bin ausgesprochen froh darüber, dass in Schweden, Finnland, Frankreich und Großbritannien nicht der kollektive Suizid der gesamten Bevölkerung geplant wurde und dass die Politiker dieser Staaten nicht beschlossen haben, die Umsetzung eines solchen Beschlusses auf Mittwoch den 13.03.2013 festzulegen. Möglicherweise hätten die CDU/CSU und die FDP einen solchen Beschluss sonst in Deutschland mit der Begründung: "Wenn die europäischen Nachbarn diesen Weg gehen, kann Deutschland nicht abseits stehen.", ebenfalls zum Wahlkampfthema gemacht.
Strauße
Dem Vogel Strauß sagt man nach, er stecke seinen Kopf in den Sand, wenn er mit einem Problem konfrontiert werde, für das er keine Lösung finden könne. Dann sei das Problem nicht mehr zu sehen, und folglich als gelöst zu betrachten.
Verwandte dieser großen Vögel, die zwar nicht fliegen, aber dafür sehr schnell laufen können, scheinen sich derzeit in den Reihen der Politiker aus der FDP, der CSU und der CDU mit atemberaubendem Tempo zu vermehren. Möglicherweise liegt das daran, dass ihre Vorbilder in der Atomlobby meinen, sie fänden gerade ausgezeichnete Lebensbedingungen vor, was sie dazu veranlasst haben könnte, besonders viele ihrer großen Eier in die Nester der Politik zu legen, auf denen sie sich dann auch gleich zum Brüten niederlassen. Eine Ursache für die ausgezeichnet günstigen Lebensbedingungen könnte unter anderem in der Mitgliedschaft vieler Politiker in den Aufsichtsräten der vier großen großen Unternehmen begründet sein, die den Energiemarkt in Deutschland mit über 80 Prozent der Stromerzeugung beherrschen (E.ON AG, RWE AG, Vattenfall AG, EnBW AG). Sehr aufschlussreich in diesem Zusammenhang ist das "Schwarzbuch Klimaschutzverhinderer", das Greenpeace im Februar 2007 veröffentlicht hat (Anhang 1, Aktive Politiker mit Verbindungen zur Energiewirtschaft).
Alle Gegner des Atomausstiegs und Befürworter neuer Atomkraftwerke haben jedenfalls eines mit der dem Vogel Strauß nachgesagten Eigenschaft gemeinsam: Sie stecken kollektiv den Kopf in den Sand, wenn es um die unlösbare Frage geht, wie der Atommüll über Zeiträume von mehreren Millionen Jahren sicher gelagert werden kann.
Fahrlässige Nachbarn
- Schweden
- Schingerkurs, Hinhaltetaktik und Sabotage des Volkswillens
Die schwedische Bevölkerung hatte sich aufgrund der drohenden Kernschmelze im US-Atomkraftwerk Three Mile Island bei Harrisburg (Pennsylvania) 1979 in einer Volksabstimmung zum Ausstieg aus der Atomenergie entschieden. Das schwedische Parlament verkündete kurz darauf das Jahr 2010 als Ausstiegsdatum. Entgegen des Willens der Bevölkerung setzte die schwedische Regierung diesen Beschluss jedoch nur mangelhaft um. 1988 gab es einen Beschluss zur Abschaltung von zwei Reaktoren in den Jahren 1995 und 1996 der kurz darauf widerrufen wurde. Nachdem sich 1997 die Sozialdemokraten mit der Zentrumspartei und den Exkommunisten darauf geeinigt hatten, ist bisher lediglich das Atomkraftwerk "Barsebäck" bei Malmö mit zwei Reaktoren abgeschaltet worden. Schon damals entging den Atomgegnern nicht, dass das Enddatum 2010 nicht mehr erwähnt wurde. Die Laufzeiten der drei schwedischen Atomkraftwerke "Ringhals", "Forsmark" und "Oskarshamn" wurden immer wieder verlängert, und jetzt setzt sich die schwedische Regierung mit ihrer Absicht, den Bau neuer Atomkraftwerke zu erlauben, vollends über den Beschluss ihrer Bevölkerung hinweg.
Dabei ist sie blind gegenüber Problemen wie dem "Beinahe-GAU" im schwedischen Atomkraftwerk "Forsmark", der Ende Juli 2006 um ein Haar zu einer Kernschmelze und damit zu einem Super-GAU wie 1986 in Tschernobyl geführt hätte. Das Atomkraftwerk wird von der "Forsmark Kraftgrupp AB", einer Tochtergesellschaft von Vattenfall, betrieben. Ein Jahr später machte der schwedische Konzern auch in Deutschland von sich reden, als Ende Juni 2007 Transformatorbrände die von Vattenfall betriebenen Atomkraftwerke "Krümmel" und "Brunsbüttel" lahmlegten. Vertuschungsversuche schürten in der Folge Zweifel an der Zuverlässigkeit von Vattenfall.
Auch dass es nur vier Monate später im schwedischen Atomkraftwerk "Ringhals" am 14.11.2006 zu einem folgenschweren Brand kam, in dessen Folge ein Reaktor im Schnellverfahren abgeschaltet werden musste, scheint die für die schwedische Kehrtwende verantwortlichen Politiker nicht beeindruckt zu haben. Das Atomkraftwerk gehört zu 70,4 % der Vattenfall-Gruppe und zur 29,6 % dem deutschen E.ON Konzern. Heise.de berichtete damals, E.ON habe sich sofort beeilt zu versichern, dass zu keiner Zeit eine Gefahr bestanden habe. Das die Schnellabschaltung doch nicht so ganz problemlos von statten gegangen zu sein scheint, zeigt die Tatsache, dass dabei neben dem Ausfall einer von mehreren Kühlwasserpumpen auch vorübergehend die Positionskontrolle der Brennstäbe ausfiel, die zunächst nicht mit Strom versorgt wurde. Da wird sich E.ON sicher wieder einmal gedacht haben: "Was die Bevölkerung nicht weiß, dass macht die Bevölkerung nicht heiß."
- Finland:
- Pfusch am Bau
Der finnische Atomreaktor "Olkiluoto 3" ist der erste europäische Neubau einer Atomkraftanlage, die nach dem Super-GAU 1986 in Tschernobyl in Auftrag gegebenen worden ist und ist damit sozusagen das Prestige Projekt der Atomlobby. Die beiden bereits bestehenden Reaktoren des Atomkraftwerks "Olkiluoto 3" werden von der finnischen Firma Teollisuuden Voima Oyj (TVO) betrieben.
Im August 2008 wurden schwere Sicherheitsmängel bekannt. Nach Informationen von Greenpeace und dem Politmagazin "Ajankohtainen Kakkonen" des finnischen Fernsehensenders YLE ist beim Bau des Skeletts des Fundaments offenbar in skandalöser Weise gepfuscht worden.
Die vom AKW-Konsortium Areva-Siemens beauftragte französische Firma Bouygues hat demnach in den Jahren 2005 und 2006 Schweißarbeiten ohne irgendwelche Anweisungen für die Arbeiter durchführen lassen und die Arbeiten weder kontrolliert noch dokumentiert. Es habe keinerlei Möglichkeit gegeben, die Arbeiten nachträglich zu überprüfen, da diese bereits mit Beton übergossen worden waren. Laut Greenpeace soll Areva-Siemens die Arbeiten sogar abgenommen haben, obwohl es rechtzeitig Hinweise darauf gab, dass die erforderlichen Vorschriften nicht eingehalten worden waren. Greenpeace fordert deshalb, sowie unter Hinweis auf eine lange Reihe weiterer Verstöße gegen Bauvorschriften und Sicherheitsmängel, einen unmittelbaren Baustopp. Die Mängelliste der Überwachungsbehörde des finnischen Strahlenschutzamtes umfasste im August 2008 bereits 2200 Punkte.
Die TAZ schrieb am 15. August 2008, mittlerweile spreche sich eine Mehrheit der finnischen Bevölkerung gegen den weiteren Ausbau der Atomkraft in Finnland aus.
Der Atomsicherheitsexperte Helmut Hirsch spreche nach Kenntnisnahme vom Inhalt der Dokumente über mangelhafte Schweißarbeiten von "deutlichen Hinweisen auf unzureichende Arbeiten, welche auf eine schlechte Sicherheitskultur hinweisen". Man müsse "ernstlich besorgt sein über die Haltbarkeit des Reaktorgebäudes", vor allem bei Erdbeben oder einem Terrorangriff. Im finnischen Fernsehen vertrat Prof. Jukka Martikainen eine ähnliche Einschätzung: Fehlerhaft ausgeführte Schweißarbeiten könnten erheblichen Einfluss auf die Standfestigkeit eines Bauwerks haben, das 40 bis 50 Jahre lang extremer Hitze, Druck und Strahlung ausgesetzt werden solle. Offenbar sei es dem Konsortium darum gegangen, Bauverzögerungen zu vermeiden.
"Olkiluoto" ist ein warnendes Beispiel dafür, wohin der desperate Versuch der Atomkraftindustrie führt, wenn es darum geht zu beweisen, dass man Atomkraftwerke schnell und billig bauen kann.
Wenn die bekannt gewordenen Informationen den Tatsachen entsprechen schließe ich mich der Forderung von Greenpeace nach einem sofortigen Baustopp an. In diesem Falle muss der bisher fertiggestellte Bau wieder abgerissen werden. Firmen, die derart fahrlässig mit einer der gefährlichsten bekannten Techniken umgehen, sollte verboten werden, weiterhin Arbeiten auf diesem Gebiet auszuführen. Laut Wikipedia wird in Finnland jedoch bereits über einen vierten Reaktor für das Atomkraftwerk "Olkiluoto" diskutiert.
Fazit
Die hohen Verluste an Individuen beim Massenexodus einer großen Gruppe sichern immerhin den Fortbestand der verbleibenden Population im ursprünglichen Siedlungsgebiet der Berglemminge. Die Vogel Strauß Politik der Atomkraftlobby, die uns weismachen will, das Problem der Endlagerung des hochradioaktiven Mülls aus Atomkraftwerken sei gelöst, und stelle somit kein Problem für die Zukunft dar, wird hingegen mehr und mehr zu einer Bedrohung für uns und unsere Nachkommen.
An dieser Tatsache ändert auch das blinde Vertrauen der Atomkraftwerksbetreiber und -befürworter in unseren europäischen Nachbarstaaten nichts. Der Betrieb der Atomkraftwerke in Schweden, Finnland, Frankreich und Großbritannien und die nicht lösbare sichere Lagerung des dort ebenfalls anfallenden Atommülls stellen für uns ebenso eine Bedrohung dar wie unsere deutschen Atomkraftwerke mit ihren strahlenden Hinterlassenschaften.
Die Atomkonzerne sind inzwischen grenzüberschreitend miteinander verflochten. So betreibt z.B. der schwedische Konzern Vattenfall zwei Atomkraftwerke in Deutschland ("Krümmel" und "Brunsbüttel"), während der deutsche Energiekonzern E.ON unter anderem an den Atomkraftwerken "Oskarshamn" und "Ringhals" in Schweden beteiligt ist. Sollte es trotz Pfusch am Bau beim Prestige-Neubauprojekt der Atomlobby, dem finnischen Atomreaktor "Olkiluoto 3", an dem der deutsche Konzern Siemens beteiligt ist, zur Inbetriebnahme kommen, könnte uns bei "günstigen" Windbedingungen eines Tages als Bumerang eine radioaktive Wolke um die Ohren wehen.
Dass in die Atmosphäre gelangtes radioaktives Material bei seiner Ausbreitung mit dem Wind keine Rücksicht auf Staatsgrenzen nimmt, sollte eigentlich seit dem Super-GAU 1986 in Tschernobyl jedem bewusst sein. Im Falle eines Super-GAUs in einem Atomkraftwerk eines unserer europäischen Nachbarn oder in einem deutschen Atomkraftwerk wären wir direkt betroffen - mit allen langfristigen Konsequenzen, die aus dem Super-GAU in der Ukraine bekannt sind.
Ich werde mich auf keinen Fall den Atom-Lemmingen anschließen, und auch angesichts der ungelösten Entsorgungsprobleme nicht den Kopf in den Sand stecken. Im Klartext: Ich werde im September bei der Bundestagswahl meine Stimme nur einer Partei geben, die sich eindeutig gegen die Nutzung der Atomkraft ausspricht und am Ausstieg aus der Atomkraft festhält. Gleichzeitig muss diese Partei ein klares Konzept für einen kurzfristigen, durchdachten Umstieg auf eine CO2 neutrale Energieerzeugung sowie ein CO2 neutrales Verkehrskonzept für den deutschen Beitrag zur Eindämmung der Klimaerwärmung vorweisen können.
Wer im vollen Bewusstsein der Bedeutung des Amtseids geschworen hat, dass er seine Kraft dem "Wohle des deutschen Volkes" widmen und "Schaden von ihm wenden" will, der kann aus meiner Sicht in Kenntnis der der oben genannten Fakten unmöglich den Weiterbetrieb der deutschen Atomkraftwerke befürworten. Politische Parteien und diejenigen ihrer Mitglieder, die trotz alledem weiterhin für die Fortsetzung der Nutzung der Atomkraft in Deutschland eintreten, sind aus meiner Sicht als Vertreter der Interessen unserer Gesellschaft nicht tragbar !
Zum Weiterlesen:
- contrAtom.de: Schweden - Die Mär der AKW-Renaissance
- Campact e.V.: Den Ausstieg aus dem Ausstieg stoppen!
- Greenpeace: Schwarzbuch Klimaschutzverhinderer
- Verflechtungen zwischen Politik und Energiewirtschaft
Quellen:
- WWF: Der Todeszug der Lemminge
- Die Welt: Unionspolitiker plädieren für Neubau von Atomkraftwerken
- Heise: Forsmark ist der Normalfall
- TAZ: Brüchiges Skelett bei AKW-Neubau
- Greenpeace Schwarzbuch Klimaschutzverhinderer
- Wikipedia
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