Montag, 19. Januar 2009

Demokratur

Eine anonyme Schreiberin oder ein anonymer Schreiber hatte einen Kommentar zu meinem Artikel "Der König ist tot ..." hinterlassen. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einmal darauf aufmerksam machen, dass ich keine namenlosen Kommentare veröffentliche; siehe Text im Kopf des Kommentarformulars. Ich nehme den Kommentar in diesem Falle aber einmal als Beispiel für das, was meiner Ansicht nach das große Problem der vieler Parteien ist. In dem Kommentar wird die Zukunft der Bremerhavener CDU auf Führungspersonen reduziert, während ich der Meinung bin, dass eine Fixierung auf Personen nichts mit Demokratie zu tun hat. Es wird die Meinung vertreten, das Verhalten der CDU täte Herrn Ugurcu gut, da dieser so für das anstehende Wahldebakel nicht verantwortlich gemacht werden könne, und dass der Lack von Herrn Bödeker ab sei, aber niemand in der CDU das verstünde.

Dass den Parteien nichts besseres mehr einfällt, als "die Alten" wieder aus der Mottenkiste zu holen (SPD Bundesregierung/Herr Müntefering) oder gar nicht erst fähig für einen Wandel sind (CDU Bremerhaven/Herr Bödeker/Herr Ugurcu), zeigt überdeutlich, dass es Zeit für andere Koalitionen wird. Die "Alten" ist übrigens nicht abfällig gemeint! Es ist wichtig, dass die "Neulinge" die erfahrenen Alten ab und zu um Rat fragen, und deren Sicht der Dinge in ihrer Meinungsbildung berücksichtigen. Wenn die Parteien allerdings ihre alten nur durch neue Köpfe ersetzen, ohne gleichzeitig wieder zu einer innerparteilichen demokratischen Streitkultur und zu einer ergebnisoffenen Gesprächsbereitschaft mit den Bürgern zurückfinden, dann wird im Falle der Bremerhavener CDU auch ein Herr Ugurcu nichts an ihrem weiteren Niedergang ändern. Demokratie bedeutet nämlich nicht, dass alle Parteimitglieder Ja und Amen zu allem sagen, was zwei oder drei Damen oder Herren an der Parteispitze ihnen vorbeten, sondern dass die zwei oder drei Damen oder Herren die Beschlüsse auf Grundlage der Mehrheit der Parteibasis öffentlich vertreten, sich die öffentliche Meinung dazu anhören und diese in die weitere Diskussion der Partei einbringen. Nur so ist eine umfassende demokratische Meinungsbildung gewährleistet. Erst dann darf es zu endgültigen Entscheidungen kommen!


Die Realität in Bremerhaven ist jedoch eine andere.

Man redet "da oben" gerne über Bürgerbeteiligung, redet aber nicht mit den Bürgern. Wenn die Bürger anderer Meinung sind, dann sind die nämlich nur lästig. Aber man ist ja leider verpflichtet, die Bürger einzubeziehen. Deshalb werden diesen fertig vorgekaute Brocken vorgelegt, zu denen sie zwar ja oder nein sagen, sich aber nicht "beteiligen" können, da ihnen die Möglichkeit vorenthalten wird, ihre eigenen Ansichten oder gar Änderungswünsche einzubringen. Anschließend werden die fertig vorgekauten Brocken dann in der Regel 1:1 in die Realität umgesetzt.

Bürgerbeteiligung ist das nicht, und Demokratie findet weiterhin nur am Wahltag statt. Alles weitere ist Demokratur.

Update:
Eine Vertiefung des Themas findet sich in einem Kommentar zu diesem Artikel und in meiner Antwort darauf.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Also ich kann dir da in einigem nicht ganz folgen. Zum einen finde ich, dass es doch die Sache der CDU-Fraktion ist, wen sie als Vorsitzenden haben möchte. Zum anderen glaube ich, dass du die Qualitäten, die ein Fraktionsvorsitzender mitbringen muss vielleicht nicht ganz bedenkst. Wenn Herr Neuhoff Vorsitzender geworden wäre, dann gäbe es wenigstens eine gewissen Kontinuität und schließlich muss man in dieser Funktion auch ein wenig eingearbeitet werden und auch eine gewisse Erfahrung haben. Wenn die CDU-Fraktion Herrn Urgucu dies nicht zutraut ist das deren Angelegenheit.

Daneben finde ich es sehr mekrwürdig, dass du immer wieder Parteien kritisierst und von Bürgerbeteiligung sprichst. Aus meiner Sicht gibt es viele Parteien, in denen sich Bürger engagieren, sich also auch beteiligen. In vielen Parteien findet auch rege Diskussion statt und dies nicht immer nur zu ausgesuchten Themen. Bürgerinitiativen und Interessenverbände vertreten immer nur partielle Interessen, in Parteien wird in einer größeren Gruppe viel mehr diskutiert und auch beschlossen.

Warum stellst du häufig das bürgerliche Engagement von Parteimitgliedern unter das von Bürgern, die sich nur partiell einbringen?

An anderen Stellen in deinem Blog beschreibst du die Individualisierung der Gesellschaft. Parteien bilden hierzu einen Gegenpol, ebenso wie Kirchen, Vereine, Gewerkschaften und andere Organisationen.

In Parteien finden sich Menschen ein, die sich innerhalb ihrer Gremien mit anderen Mitgliederen auseinandersetzen müssen und wollen und außerdem für ihre Entscheidungen auch gerade stehen müssen. Häufig entdecke ich, dass Menschen nach dem St. Florians Prinzip Politik betreiben und betrachten. Dies ist eine schlechte Basis für eine verläßliche Demokratie.

Dies waren nur ein paar spontane Gedanken...

Bin gespannt, wie du das siehst.

PS: Hoffe, das DU ist in Ordnung.

juwi hat gesagt…

Hallo Elias

klar ist "du" in Ordnung. In Blogs ist das im allgemeinen so üblich.

Sicher ist es Sache der CDU-Fraktion, wen sie zum Fraktionsvorsitzenden wählt. Das ist auch nicht Ziel meiner Kritik. Herr Bödeker sagte nach der Wahl 2007, er wolle sein Amt aufgrund des Wahlergebnisses zur Hälfte der Legislaturperiode zur Verfügung stellen. Nach dem, was ich der Presse entnehmen konnte, hat es für mich den Anschein, als wäre es sozusagen ausgemacht gewesen, dass Herr Neuhoff für die Nachfolge von Herrn Bödeker kandidiert, und das er der einzige Kandidat gewesen wäre.

Wenn sich aber weitere Kandidaten für eine Wahl zur Verfügung stellen, dann bin ich es so gewohnt, dass diese den Wählern sagen, warum sie denken, dass sie sich für das Amt, für das sie kandidieren wollen, geeignet halten. Bei der Wahl entscheidet dann die Mehrheit darüber, wen sie am geeignetsten dafür hält. So wie es in der Nordsee-Zeitung dargestellt wurde, ist Herrn Ugurcu jedoch gar nicht erst die Chance gegeben worden, sich zur Wahl zu stellen. Bis zum Zeitpunkt vor der Wahl hätte es völlig irrelevant gewesen sein müssen, wer wem was zutraut. Wenn es so gewesen wäre, dass die Mehrheit der Wähler einem der Kandidaten nicht zugetraut hätte, dass er die nötigen Qualitäten mitbringt, dann hätte sich das im Ergebnis der Wahl wiedergespiegelt. Es geht mir auch überhaupt nicht um die Person Herrn Ugurcus, Herrn Neuhoffs oder irgend einer anderen Person. Ich finde es nur merkwürdig, wenn Leuten, die sich für ein Amt zur Verfügung stellen wollen und bereit sind, die damit verbundene Verantwortung zu übernehmen, nicht die Gelegenheit gegeben wird, sich einer Wahl zu stellen. Dass statt dessen jetzt Herr Bödeker weiterhin Fraktionsvorsitzender bleibt, ist selbstverständlich wieder alleinige Sache der CDU-Fraktion. Nach außen wirkt das jedoch wie eine "schnelle Einigung im engen Kreis" mit der man einer weiteren Diskussion und dem Risiko eines unberechenbaren Wahlergebnisses aus dem Wege gehen will.

Zwischen den Zeilen lese ich aus deinem Kommentar heraus, alle, die mit den Entscheidungen der Parteien nicht einverstanden sind, sollten doch einer Partei beitreten. Falls sich die Vorgänge um den ursprünglich geplanten Wechsel im Vorsitz der CDU-Fraktion so abgespielt haben sollten, wie sie sich mir aufgrund der mir zur Verfügung stehenden Informationen darstellen, dann wäre das für mich ein abschreckendes Beispiel, welches mich von einem Eintritt in dieBremerhavener CDU abhalten würde. Was mich persönlich im allgemeinen davon abhält irgendeiner Partei beizutreten, ist der Umstand, dass Mitglieder von Parteien unter dem Deckmantel des "Fraktionszwangs" immer wieder gezwungen waren, gegen ihr Gewissen oder ihre eigene Überzeugung zu stimmen. Zwang hat nach meinem Verständnis jedoch absolut nichts mit Demokratie zu tun. Ich kann besser damit leben, ohnmächtig den Entscheidungen der Politiker ausgeliefert zu sein, als im entscheidenden Moment ohnmächtig gegen meine Überzeugung handeln zu müssen. Außerdem gäbe es wohl ein ziemliches Gedränge in den Parteien, wenn alle bisher nicht darin organisierten Bürger ihre Mitgliedschaft in einer der Parteien anstreben würden ;o)

Ich kann schlecht beurteilen, wie gut oder wie schlecht das Verhältnis zwischen der CDU und den Bürgern der anderen Bremerhavener Stadtteile ist. Aufgrund meiner bisherigen Erfahrungen fürchte ich jedoch, dass ein Dialog der CDU mit den Bürgern Lehes nach dem Entschluss der CDU, den Wechsel im Fraktionsvorsitz nicht wie geplant durchzuführen, weiterhin nicht stattfinden wird. Ich habe keine Ahnung, ob sich mit einem anderen Fraktionsvorsitzenden tatsächlich etwas geändert hätte, aber zumindest hätte eine Chance dafür bestanden. Ich weiß von den Sprechern der Stadtteilkonferenz Lehe, dass die CDU des öfteren zu den Veranstaltungen eingeladen worden war. Im Gegensatz zur FDP, den Grünen und gelegentlich der SPD, ist von der CDU jedoch nie jemand zum Gespräch bereit gewesen. Themen wie Verkauf und Bebauung des Phillips Fields, die vor sich hinrottenden Gebäude auf dem ehemaligen Kistner Gelände im Zentrum der von einer fortschreitenden Verödung geprägten südlichen Hafenstraße, oder der komplette Leerstand und fortschreitende Verfall einiger Gründerzeithäuser im Leher Ortsteil Goethestraße brennen den Menschen im Viertel unter den Nägeln. Mitarbeiter des Einzelhandels bangen aufgrund des Wildwuchses von Supermärkten und Discountern um ihre nach Tarif bezahlten Arbeitsplätze. 400,- Euro Ausweichjobs sind für diese Menschen nicht gerade eine verlockende Alternative. Selbstständige kleinere Einzelhändler in der Hafenstraße bangen um ihre Existenz, falls es zur Ansiedlung eines großen Verbrauchermarktes auf dem Phillips Field kommen sollte. Ein Dialog mit den Betroffenen über ihre Sorgen und Ängste findet jedoch nicht statt. Dafür wächst bei den einen die Resignation, weil sie den Eindruck haben, "die da oben machen ja doch was sie wollen", und bei den anderen der Zorn, weil sie sich von den politischen Entscheidungsträgern nicht ernst genommen fühlen.

Ich stelle das Engagement von Mitgliedern der Parteien nicht unter das der anderen Bürger. Nicht nur ich habe manchmal eher den Eindruck, die Parteien würden meinen, sie stünden über allen anderen Bürgern. Aber auch diese gegensätzlichen Blickwinkel ließen sich durch einen regelmäßigen Dialog sicherlich aus der Welt schaffen. Außerdem musste ich feststellen, dass die in Parteien organisierten Bürger im wesentlichen innerhalb ihrer jeweiligen Partei agieren. Die nicht in einer Partei organisierten Bürger, die sich nicht weniger für ihren Stadtteil und ihre Belange engagieren, scheinen von denen in den Parteien oft nur am Rande oder als Störenfriede wahrgenommen zu werden. Die Parteien werden von den Bürgern gewählt, damit diese deren Interessen wahrnehmen. Wenn eine wachsende Mehrheit der Bürger gegenüber den Absichten der Parteien ihren Unmut bekundet, und die Parteien im besten Fall mit Ignoranz darauf reagieren, dann ist etwas aus dem Lot geraten. Ich würde dann eigentlich erwarten, dass über das betreffende Thema ergebnisoffen miteinander diskutiert und unter Einbeziehung anderer Meinungen und neuer Erkenntnisse erneut darüber nachgedacht wird. Dafür bieten die Stadtteilkonferenzen einen geeigneten Rahmen. Das wäre dann eine lebendige Form der Bürgerbeteiligung.

Statt dessen wurden die Bürger von ihrem Bürgermeister als "der normale Leher Durchschnittsbürger, der statt zu Stadtteilkonferenzen zu gehen zu Hause vor dem Fernseher sitzt" beschimpft (Nordsee-Zeitung vom 24.11.2007). Die Bürger, die entgegen der Meinung ihres Bürgermeisters sehr wohl zur Stadtteilkonferenz gehen, warteten dort bisher jedoch vergeblich auf ihn. An seiner Stelle musste dann Herr Bödeker die Reaktionen der von ihrem Bürgermeister diffamierten Bürger ausbaden (Forum Nordsee-Zeitung, Podiumsdiskussion in der Theo am 12.12.2007). Alles in allem waren das die denkbar schlechtesten Voraussetzungen für eine sachliche Aussprache. Erschwerend hinzu kam, dass Herr Bödeker Fragen aus dem Publikum mit den immer gleichen Phrasen beantwortete, ohne jedoch auf Argumente aus dem Publikum oder auf aus dem Publikum heraus geäußerte Existenzängste einzugehen. Die Mitteilung eines Besuchers der Stadtteilkonferenz Lehe am 15.10.2008, ein CDU-Mitglied "mit großem Einfluss in der CDU", habe ihm gesagt, es halte die Stadtteilkonferenzen für ungeeignete Veranstaltungen zur Diskussion von Themen wie Stadtentwicklung oder die Probleme in den Stadtteilen, rundet dieses Bild ab.

In der Realität habe ich Bürgerbeteiligung bisher nur als Verwaltungsakt kennengelernt. Wenn es zum Beispiel einen vorgefertigten Bebauungsplan, oderFlächenänderungsplan gibt, dann erhält man unter Umständen die Möglichkeit, schriftlich dazu Stellung zu nehmen. Nachdem man sein Schreiben abgeschickt hat, ist es mit der Bürgerbeteiligung dann auch schon wieder vorbei. Eines Tages wird man mit irgendeiner Entscheidung konfrontiert, auf die man keinen Einfluss mehr hat. Darüber, welche Fakten und Argumente zu der Entscheidung geführt haben, ob die eigenen Anregungen oder Kritiken in die Entscheidung eingeflossen sind, oder ob diese möglicherweise auch gar nicht erst zur Kenntnis genommen wurden, kann man später nur spekulieren. Was bleibt, ist entweder einfach nur ein Gefühl der Erleichterung oder aber der Ohnmacht.

Der erste Lichtblick in Richtung gelebter Bürgerbeteiligung ist aus meiner Sicht das WiN-Projekt 2009. Ich bin sehr gespannt, was damit erreicht werden kann.

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