Mit den Folgen der gestrigen Wahl werde ich jetzt wohl, ebenso wie weitere 65,7 Prozent der wahlberechtigten Bundesbürger, welche weder die Union noch die FDP gewählt haben, mindestens für die nächsten vier Jahre leben müssen. Mehr noch, als vom Ergebnis der voraussichtlichen Sitzverteilung im Bundestag, bin ich allerdings von der äußerst schwachen Wahlbeteiligung enttäuscht! Nachdem die Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 2005 noch 77,7 Prozent betragen hatte, haben gestern nur noch 70,8 Prozent der Wahberechtigten ihr Wahlrecht wahrgenommen. Das sind knapp 7 Prozent(!) weniger als vor vier Jahren. Wenn die Wahlbeteiligung gestern auch nur entfernt in der Nähe der von Wilfried Schmickler angemahnten 98 Prozent gelegen hätte, also mindestens 85 Prozent plus irgendetwas, dann hätte ich mit dem Wahlergebnis bedeutend besser leben können.
Vorläufiges amtl. Ergebnis der Bundestagswahl:
- Union: 33,8 Prozent (-1,4 Prozent)
- SPD: 23,0 Prozent (-11,2 Prozent)
- FDP: 14,6 Prozent (+4,8 Prozent)
- Linke: 11,9 Prozent (+3,2 Prozent)
- Grüne: 10,7 Prozent (+2,6 Prozent)
- Andere: 6,0 Prozent (+2,1 Prozent)
Ein ganz anderes Bild ergibt sich jedoch, wenn man nicht die prozentuale Verteilung in Bezug zu den abgegebenen Stimmen betrachtet, sondern diejenige in Bezug zu den Wahlberechtigten. Wenn die Nichtwähler ihre Stimme einer fiktiven NWP (NichtwählerPartei) gegeben hätten, dann hätte diese 29,2 Prozent der Stimmen erhalten, und der Anteil aller anderen Parteien wäre dann entsprechend schmaler ausgefallen:
Tabelle: Vergleich der Stimmverteilung nach dem vorläufigen amtlichen Ergebnis der
Bunderstagswahl (bezogen auf die abgegebenen gültigen Stimmen, 70,8 Prozent) mit
der auf die Anzahl der Wahlberechtigten bezogenen Stimmverteilung (100 Prozent).
Das muss man sich einmal deutlich vor Augen führen: Die fiktive NWP wäre die stärkste Partei geworden! Sie hätte die Bundeskanzlerin oder den Bundeskanzler stellen können, und in der nächsten Legislaturperiode die Richtung vorgegeben. Und was machen die statt dessen? Die bleiben zu Hause und schmollen. Aber später sind das dann die Gleichen, die sich darüber aufregen werden, was "die da oben" wieder für einen Blödsinn machen.
Ich kann ja verstehen, wenn die von den "etablierten Parteien" die Nase voll haben. So ist das Debakel der SPD nach der Analyse von Herrn Schönenborn (Wahlmoderator der ARD) auf "Hartz-IV" und "Rente mit 67" zurückzuführen. Umfragen zufolge hätten 67 Prozent der Wähler gesagt, die SPD habe mit Hartz-IV und der Rente mit 67 ihre sozialdemokratischen Prinzipien aufgegeben. Viele Wähler hätten die Entscheidung zur Rente mit 67 als Fortsetzung der Agendapolitik gesehen, die sie der SPD übel nähmen. Rund 2 Mio. potentielle SPD-Wähler seien einfach nicht zu Wahl gegangen. Wenn die doch wenigstens irgendeiner der kleinen Parteien ihre Stimme gegeben hätten!
Die Union (CDU/CSU) hätte dann nämlich nur ungefähr ein Prozent mehr der Stimmen erhalten, als auf die SPD nach dem vorläufigen amtlichen Ergebnis entfallen. Die SPD wiederum hätte nur 1,7 Prozent mehr erhalten als die FDP nach dem vorläufigen amtlichen Ergebnis abbekommen hat, und die FDP wäre mit 10,3 Prozent der Stimmen gerade einmal knapp so stark wie die Grünen nach dem vorläufigen amtlichen Ergebnis der Bundestagswahl.
Wenn die Politiker der zukünftig in der Bundesregierung vertretenen Parteien irgendwann wieder für sich reklamieren werden, "der Wähler" habe ihnen ja den Auftrag erteilt (und erfahrungsgemäß werden sie das!), dann sollte den Damen oder Herren eigentlich bewusst sein, dass sie gerade einmal gut ein Drittel "des Wählers" (34,3 Prozent) vertreten.
Das einzig Positive, das ich dem Ausgang dieser Bundestagswahl abgewinnen kann, ist die Tatsache, dass die Parteien von den extremen Rändern des Parteienspektrums auch im zukünftigen Bundestag nicht vertreten sein werden.
Mit den Positionen der Linken werden sich die anderen im Bundestag vertretenen Parteien zukünftig offen und offensiv auseinandersetzen müssen. Mit ihrem Anteil von 11,9 Prozent der abgegebenen Stimmen ist diese Partei nun wirklich nicht mehr zu übersehen. Eine derartige Auseinandersetzung mit den anderen Parteien wäre auch für die Linken gut, wenn sie sich mit den Ergebnissen der Diskussionen innerparteilich auseinandersetzen würden. Einen solchen Prozess haben damals auch die Grünen durchmachen müssen, bevor sie als Koalitionspartner in einer Bundesregierung akzeptiert wurden.
Ich bin gespannt, wie die Union und die FDP jetzt miteinander umgehen werden. Defakto werden in einer Schwarz-Gelben Koalition zwei Verlierer (CDU und CSU, minus 1,4 Prozent) mit einem starken Gewinner (FDP, plus 4,8 Prozent) darüber verhandeln, welche Richtung die Politik unseres Landes in der nahen Zukunft einschlagen wird. Vor diesem Hintergrund ist es nicht ganz uninteressant zu sehen, dass die CDU wohl 1,18 Mio. ihrer Wähler an die FDP verloren hat.
(Quellen: ARD/ARD-Tagesthemen vom 27.09.2009)
2 Kommentare:
Habe gleich bei Campact unterzeichnet, gute Sache.
lieben Gruss
Brigitte
eine interessante wahlanalyse, danke!
unterzeichnet bei campact hab ich auch, hab das abo.
lg kelly
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