Angaangaq beim Kirchentag am Meer (22.05.2009)
Am Freitag, 22. Mai 2009 fanden abends im Rahmen des Kirchentags am Meer die "Strandkorbgespräche" statt. Nachmittags hatte es ein Gewitter gegeben, und anschließend war es empfindlich abgekühlt. Dazu wehte ein starker Wind. Trotzdem hatten sich ungefähr 70 Kirchentagsbesucher eingefunden, um den Gesprächen zuzuhören. Die Gesprächspartner auf der Bühne waren Herr Dr. Peter Lemke (AWI), Frau Dr. Susanne Nawrath (Klimahaus) und Waltraud Menger (Nationalparkhaus Land Wursten), sowie der Ehrengast Angaangaq, ein Schamane aus Kallaalit Nunaq, Grönland.
Das Thema der Strandkorbgespräche hieß - in Abwandlung des Kirchtag Mottos - "Mensch, was tust du?". Im Kern ging es um unser Klima und seine Veränderung. Frau Menger berichtete über bereits sichtbare Veränderungen im Wattenmeer vor unserer Küste. Als Beispiel führte sie die Zuwanderung einer Muschelart an, die eigentlich wärmere Temperaturen bevorzugt, als sie hier in den zurückliegenden Jahrhunderten üblich waren. Auch Wasservögel, die eigentlich Zugvögel sind, würden ihre Gewohnheiten ändern. Frau Nawrath sprach über die klimatischen Bedingungen in den Ländern der verschiedenen Klimazonen entlang des 8. Längengrades. Sie erzählte dazu jeweils, wie sich auch dort inzwischen die Klima Erwärmung bemerkbar macht. Im Wechsel berichteten Herr Lemke und Angaangaq über ihre Erfahrungen aus der Sicht des Wissenschaftlers und der persönlichen Erfahrung des Bewohners Grönlands. Angaangaq ist ein Schamane, ein Heiler in seinem Volk und ein Ältester. Er erzählte eine Geschichte, die davon handelte, wie die jungen Jäger aus seinem Volk den Beginn der Klimaveränderung bemerkten.
Die Jäger zogen zum Großen Eis - Angaangaq benutzte den Ausdruck "Big Ice" - um dort zu jagen. Wie sie es immer taten, baten sie den Schöpfer mit einer Zeremonie um eine gute Jagd, als sie an der Wand des Großen Eises angekommen waren. Bei diesem Mal war es das erste Mal, dass sie, als sie an der Wand des Großen Eises entlang nach oben schauten, Wasser daraus herausfließen sahen. Das war im Jahre 1963. Als sie mit Nahrung von der Jagd zurückgekehrt waren, erzählten sie den Ältesten von ihrer Entdeckung. Angaangaq sagte, das Dorf der Jäger läge nicht weit entfernt von der amerikanischen Millitärbasis in Grönland, und die Ältesten vermuteten, die Jäger hätten dort wohl zuviel Bier getrunken. Sie meinten, der Bericht der Jäger beruhe auf Phantasien aus ihrem Alkoholrausch und schenkten den Worten der jungen Jäger keinen Glauben ...
Im Herbst des Jahres 1963 gingen die Ältesten selbst jagen. Als sie ihre Zeremonie am Fuße der Wand des Großen Eises feierten, wurden dann auch sie Zeuge davon, wie das Wasser aus dem Eis floss. An diesem Tag habe die Temperatur bei -45°C gelegen. Mit Blick auf Herrn Lemke sagte Angaangaq, die Wissenschaftler würden sicher bestätigen, das bei dieser Temperatur eigentlich kein Wasser aus dem Eis hätte fließen dürfen. Bei 0°C beginnt Wasser zu gefrieren. Bei -5°C ist es Eis. Bei -45°C ist Eis steinhart. Aus Sicht der Ureinwohner Grönlands ist das Jahr 1963 das Jahr, in dem die Veränderung des Klimas begann. Herr Lemke bestätigte, dass im Norden, das Eis schneller schmilzt, als es bisher angenommen wurde. Besonders deutlich werde das an den Veränderungen des Eises im Polarmeer sichtbar.
Das Schmelzen des Eises trage bereits jetzt zu einer zusätzlichen jährlichen Erhöhung des Meeresspiegels um 3 mm bei. Das höre sich erst einmal nicht sehr dramatisch an. Über einen Zeitraum von 100 Jahren betrachtet wären das aber schon 30 cm. Bei einer weiteren Beschleunigung könnte der Meeresspiegel auch mehr als 30 cm in 100 Jahren ansteigen. Als weiterer Unsicherheitsfaktor käme hinzu, dass die Atmosphäre und das Klima ein träges System seien. Die Folgen der bereits jetzt in der Atmosphäre enthaltenen Treibhausgase würden sich erst in einigen Jahren in vollem Umfang bemerkbar machen. Das wäre auch dann so, wenn wir von Heute auf Morgen kein CO2 mehr in die Atmosphäre blasen würden. Es sei jetzt nur noch möglich, das Schlimmste zu verhindern.
Um das zu erreichen, sagte Angaangaq, sei es nötig, dass die Menschen ihre Weisheit über ihre Profitgier stellen. Die Menschen haben die ganze Welt erobert sie sind sogar in den Weltraum vorgedrungen. Keine Entfernung schien den Menschen bisher zu weit. Aber die größte Entfernung, welche die Menschen noch zurückzulegen hätten, sei die Entfernung von ihrem Verstand zu ihren Herzen. Die Gier nach Macht und Reichtum mache ihre Herzen kalt wie Eis.
Angaangaq sagt, es ist leicher das Große Eis Grönlands
zu schmelzen, als das Eis in den Herzen der Menschen.
Angaangaq hat es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, das Eis in den Herzen der Menschen zum Schmelzen zu bringen. Das ist eine gewaltige Aufgabe für einen einzelnen Menschen. Angaangaq hat auf 5 Kontinenten in 40 Ländern für sein Anliegen geworben. Er ist in mehreren internationalen Organisationen und Vereinigungen tätig und ein gefragter Redner auf internationalen Konferenzen zu Umwelt- und ethnischen Themen. Er erzählte, nach einer Rede vor der UNO habe man ihm stehend applaudiert - aber nichts verändert.
Angaangaq hat die Mitte seines Lebens bereits überschritten. Nach einem Bericht in der Nordsee-Zeitung über die Strandkorbgespräche vom 23.05.2009 schwanken die Angaben über sein Alter zwischen 62 und 82 Jahren. Ich hoffe, es bleibt ihm noch Zeit genug, möglichst viel vom Eis in den Herzen der Menschen zu schmelzen.
Angaangaq und Herr Lemke waren sich darin einig, dass die Verbindung aus der Weisheit, wie Angaangaq sie verkörpert, und der Wissenschaft, wie sie von Herrn Lemke vertreten wird, zur Natur des Menschen werden muss. Wenn die Menschen sich sich diese Richtung weiterentwickeln, werden sie fähig sein, zu einer positiven Entwicklung der Welt beizutragen.
Nur mit der technischen Entwicklung, die allein bisher als Messlatte für den Fortschritt der Menschheit angesehen wird, kann der Kampf gegen die drohende Klimakatastrophe jedenfalls nicht gewonnen werden. Nach den Aussagen des UNO Klimareports von 2007 hat die Menschheit jedoch nur noch wenige Jahre Zeit zu reagieren. Die Basis dafür müsste jetzt gelegt werden. Wenn ich allerdings höre, was Politiker sagen, und sehe, was von ihrem Gerede übrig bleibt, wie sie den profitorientierten Managern international miteinander verwobener Konzerne nachgeben, dann zweifle ich daran, dass die Menschheit den Dreh noch hinbekommt. In Liedern, Gebeten und Andachten während der Veranstaltungen des Kirchentages war aber auch immer wieder die Hoffnung als treibende Kraft des Christentums von zentraler Bedeutung. Meine Hoffnung ist, dass nach den Wahlen in der nahen Zukunft in den demokratischen Industrienationen die Politiker das Sagen haben werden, die sich selbst nicht mehr belügen, den Menschen die Wahrheit sagen und den Gierigen, die auf Kosten der Lebensgrundlagen der Allgemeinheit leben, Einhalt gebieten.
Da es während der Strandkorbgespräche an der Seebäderkaje in Bremerhaven sehr windig war, ist die Tonqualität des Videos leider nicht sehr gut. Trotz meiner Bemühungen, den Ton nachzubearbeiten, sind immer noch sehr viele Knack-Geräusche zu hören. Angaangaq singt mit seiner Qilaut, einer Rahmentrommel. Er bildet dabei mit der Hand einen Resonanzraum, in den er hineinsingt, und bringt damit das Trommelfell zum schwingen. Über Probleme mit dem Zoll wegen seines Trommelfells erzählte Angaangak die folgende Geschichte: "Ich durfte mit der Bespannung aus Robbenfell nicht einreisen und musste sie auswechseln. Ihr schützt die Tiere, aber die Menschen nicht. Was wir brauchen ist Respekt, Berührung mit Herz und Geist. Wir müssen wieder in Einklang mit der Umwelt kommen."
(Quellen: Ice Wisdom, Nordsee-Zeitung vom 23.05.2009)
1 Kommentar:
Hallo Juwi
Da ist ein sehr eindrücklicher Beitrag und ein wenig friert es mich, wenn ich daran denke, wie wir uns hier noch immer in Sicherheit wiegen, obwohl es anderenorts schon krtitische Zustände gibt wegen der Klimaveränderung.
Das hat Angaangaq treffend gesagt die grösste Entfernung vom Verstand zum Herzen, die die Menschheit zurücklegen muss und das nicht zu langsam, damit es für die Erde und damit auch für uns als ihre Bewohner nicht zu spät sein wird.
Liebe Grüsse und schönes Pfingswochenende
Elfe
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