Kalksandsteinwerk: Herausragendes Zeugnis Leher Industriekultur
Im Zusammenhang mit dem "Waffenstillstand" zwischen SPD und CDU in Form der auf Eis gelegten der Kaufland-Ansiedlung auf dem Phillips Field, berichtete die Nordsee-Zeitung am 24.03.2009 und am 25.03.2009 auch über Ausagen der Koalitionäre zur Entwicklung des ehemaligen Kistner Geländes mit dem Kalksandsteinwerk. Innerhalb der Großen Koalition wurde dazu der Kompromiss geschlossen, das Gelände mit allen bisher diskutierten Nutzungsmöglichkeiten europaweit auszuschreiben.
Ich habe ja nicht persönlich gehört, wie Herr Teiser (CDU, Bürgermeister und Kämmerer) im Interview mit der Nordsee-Zeitung geantwortet hat. Aber so wie er in der Zeitung zitiert wird, scheint er die Möglichkeiten, das Kistnergelände auch für etwas anders als für Discounter und Supermärkte zu nutzen, nicht gerade besonders ernsthaft in Erwägung zu ziehen: "Dann warten wir mal ab, wer sich alles aus Europa auf den Weg nach Bremerhaven macht, um uns dieses tolle, wertvolle Grundstück abzukaufen, um Markthallen und Hotels zu bauen."
Für Herrn Teiser war das von der holländischen Ten Brinke Gruppe vorgeschlagene Fachmarktzentrum der einzige realistische Vorschlag für das Kistner Gelände. Jeden anderen der bisher von den interessierten Investoren vorgeschlagenen Pläne nannte er reines Wunschdenken. "Solche Wunschvorstellungen kann ich auch selbst zeichnen. Was glauben Sie, was ich für Vorstellungen habe, wie Traumwelten aussehen."
Koalitionsvereinbarung
Diesbezüglich scheinen die in der Koalitionsvereinbarung der Großen Koalition zwischen SPD und CDU festgehaltenen Ziele erheblich von denen des Herrn Teiser abzuweichen. Darin wurde nämlich unter anderem vereinbart, dass "mit den Bürgerinnen und Bürgern" über die "Städtebauliche Planung für das Geeste-Ufer unter Einbeziehung des Kistnergeländes im Bereich vom Autobahnzubringer Mitte bis zur Stadthalle, die die attraktive Lage am Wasser auch auf lange Sicht nachhaltig berücksichtigt und der exponierten Lage in unserer Stadt besonders Rechnung trägt", diskutiert werden soll. Und weiter: "Hierbei soll vor allem das Wohnen am Wasser und die Ansiedlung von Dienstleistungsgewerbe sowie der Erholungswert für die Bevölkerung berücksichtigt werden." (Im Original kann man das in der Koalitionsvereinbarung ab Seite 14, "Die Stadtteile sind das Rückgrat Bremerhavens ...", nachlesen.)
An anderer Stelle wird im gleichen Abschnitt der Koalitionsvereinbarung die "planerische Entwicklung einer Mehrgenerationenhaus-Konzeption an exponierten Stellen wie dem Geestebogen zwischen Eishalle und Hafenstraße" erwähnt. Da der Platz hinter dem Eisstadion aufgrund des geplanten Verkaufs des Wilhelm-Kaisen-Platzes an Ten Brinke für den Bau eines "OBI" Baumarktes inzwischen ja verbal schon für den die Verlegung des Bremerhavener Festgeländes reserviert wurde, verbleibt in diesem Bereich also nur das Kistner Gelände für die "Mehrgenerationenhaus-Konzeption". Diesbezügliche Projektvorschläge der Investoren Horst Wübben (Bauunternehmer) und Wolfgang Ehlers (Stadtbau-Architekt) wurden bereits am 17.09.2007 in der Nordsee-Zeitung vorgestellt. Die Große Koalition befand es jedoch nicht für Wert, sich damit weiter zu beschäftigen.
Im vorletzten Absatz des genannten Abschnitts der Koalitionsvereinbarung haben CDU und SPD folgendes vereinbart: "Der neue Senat beabsichtigt, dass in Bremerhaven verstärkt Mittel der Europäischen Strukturfonds für Investitionen im Stadtteil eingesetzt werden sollen. Hierzu sind vom Magistrat bis Ende 2007 entsprechende Projekte zu entwickeln. Dazu sollen gehören: die Entwicklung des Kistnergeländes ... unter Einbeziehung der Bevölkerung in den Stadtteilen."
- "die Entwicklung des Kistnergeländes
... unter Einbeziehung der Bevölkerung"
Passiert ist NICHTS!!! Die größten Anstrengungen seitens der Großen Koalition wurden bisher auf dem Gebiet der Ignorierung der Leher Bevölkerung unternommen. Diesbezüglich hat sich bisher die CDU in besonderer Weise hervorgetan. Zu Beginn der Legislatur Periode wurde den Lehern ein Plan mit einem Getränkemarkt und zwei Supermärkten vorgelegt, den sie damals unter anderem aufgrund der nicht in das gründerzeitliche Umfeld passenden Supermarkthallen ablehnten. Davon abgesehen war aus der Leher Bevölkerung lediglich der Wunsch nach einem Nahversorger in der südlichen Hafenstraße geäußert worden. Von zwei Supermärkten und einem Getränkemarkt war nie die Rede. Seitdem scheint die Große Koalition der Meinung zu sein, sie habe ihrer Pflicht zur Beteiligung der Bürger an der Entwicklung ihres Stadtteils Genüge getan. Statt die Bürger an der Entwicklung ihres Stadtteils zu beteiligen, bombardierte sie diese mit einer Zumutung nach der anderen. Einen Überblick vermittelt die Seite der "Projektgruppe-Kistnergelände Bremerhaven".
Unterschiedliche Ausschreibungskonzepte
Ebenso wie Herr Teiser wäre auch Herr Schulz (SPD, Oberbürgermeister) dafür, das Grundstück europaweit mit allen Optionen auszuschreiben. Während Herr Teiser jedoch vorab einen Bebauungsplan festlegen will, der den kreativen Spielraum möglicher Investoren auf den darin festgelegten Rahmen beschränken würde, schwebt Herrn Schulz vor, ein neues Planrecht erst gemeinsam mit möglichen Interessenten zu entwickeln. Wenn die Ausschreibung entsprechend der Vorstellung von Herrn Schulz erfolgen würde, und Vertreter der Bürger in die Gespräche über die Pläne der möglichen Investoren einbezogen werden würden, und die Vorstellungen der Bürger ernsthaft im Entscheidungsprozess berücksichtigt werden würden, dann böte sich der Großen Koalition jetzt die Chance, ihre an mehreren Stellen festgeschriebene Bürgerbeteiligung bei der Entwicklung Lehes vielleicht doch noch verwirklichen.
Bauklotz Architektur
Die Ansammlung quaderförmiger Verkaufshallen, die Ten Brinke zu Papier gebracht hat, hätte analog zur Aussage von Herrn Teiser ("Solche Wunschvorstellungen kann ich auch selbst zeichnen") jedes kleine Kind mit Bauklötzen realisieren können. Seine plumpen Ablenkungsversuche führen aber zu keinem Ergebnis. Herr Teiser reduziert damit die Pläne der Investoren auf die bildliche Darstellung ihrer Entwürfe. Mich würde jedoch neben dem Kriterium, wie sich die geplanten Objekte in das gründerzeitlich geprägte Umfeld einfügen, vor allem interessieren, welche Machbarkeitsstudien und Marktanalysen den Plänen zu Grunde liegen, wie diese begründet sind und welcher Erfolg für das jeweilige Projekt dementsprechend zu erwarten ist.
Projektangebote von interessierten Investoren, die sich wohltuend von der genannten Bauklotzarchitektur abhoben, hat es in der Vergangenheit einige gegeben. Diese stießen bei der Großen Koalition - bzw. der einen oder anderen Hälfte davon - bisher jedoch jedes Mal auf taube Ohren. Auch wenn ich die Wohnhäuser auf Stelzen direkt am Geesteufer nicht für realisierbar gehalten habe, und diese alles andere als an die umgebende Bebauung angepasst gewesen wären, hätte ich mit dem Investor zumindest über die wirtschaftliche Seite seines Vorschlags gesprochen, und ihn gegebenenfalls um einen architektonisch passenderen Vorschlag gebeten, der auch die Fortführung des Geestewanderweges ermöglicht hätte.
Aus den Reihen der CDU hat es bisher jedoch nicht zu mehr als zu einer Supermarkthalle neben der anderen gereicht. Ich frage mich, ob die CDU in der Vergangenheit überhaupt mit den potentiellen Investoren über deren Pläne diskutiert hat oder ob diese gleich in der Ablage "P" verschwanden. Mit den Leher Bürgern hat jedenfalls schon lange kein Politiker der CDU mehr gesprochen, obwohl die Bürger eigentlich unter anderem auch an der Entwicklung des Kistner Geländes beteiligt werden sollten (siehe Koalitionsvereinbarung!).
Ich habe den Eindruck, dass die holländische Ten Brinke Gruppe der einzige Investor ist, mit dem die CDU bisher tatsächlich Gespräche geführt hat. Mit ihrer Baumarkt-, Supermarkt- und Discounter Schwemme liegt die Ten Brinke Gruppe offensichtlich genau auf dem Niveau führender Vertreter der CDU. Eine realistische Entscheidungsgrundlage bezüglich weiterer Supermärkte in Bremerhaven wäre das seit langem geforderte Einzehandelsgutachten für die Stadt. Dem verweigert sich die CDU jedoch vehement. Vielleicht hat sie ja Angst davor, dass darin möglicherweise schwarz auf weiß stehen könnte, dass Bremerhaven bereits jetzt mit Supermärkten, Discountern und Baumärkten völlig überversorgt ist. Wenn sie deswegen keine Bedenken hätte, dann gäbe es auch keinen Grund dafür, ein unabhängiges Einzelhandelsgutachten abzulehnen. Dieses müsste ihr dann ja eigentlich gerade recht kommen, da es ihr endlich die bisher schuldig gebliebenen sachlichen Argumente für ihren Ansiedlungswahn liefern würde.
Kistner's Kalksandsteinwerk
soll unter Denkmalschutz gestellt werden
Die Nordsee-Zeitung berichtete in ihrer Ausgabe vom 13.03.2009 darüber, dass die Stadtverordnetenversammlung ein Kataster in Auftrag gegeben hatte, für das der Kunsthistoriker Herr Schwartz im Auftrag des Landesamtes für Denkmalpflege in einem zweijährigen Projekt das gesamte Stadtgebiet flächendeckend bezüglich erhaltenswerter Gebäude untersucht hat. Das Kataster sei als Reaktion auf Aufträge zum Abriss etlicher historischer Bauten (z.B. die "kleine Rogge-Halle", das ehemalige Magazin der alten Lloydwerft) erstellt worden, die andere Bremerhavener Bürger und Politiker gerne erhalten gesehen hätten. Neben vielen anderen Gebäuden, die der Landeskonservator unter Schutz stellen möchte, ist auch das Kalksandsteinwerk auf dem Kistner Gelände als herausragendes Zeugnis Leher Industriekultur auf Liste der neuen Baudenkmäler zu finden. Damit dürfte es nicht mehr so einfach sein, das Kalksandsteinwerk in einer Nacht-und-Nebel-Aktion unter Zuhilfenahme einer Abrissbirne verschwinden zu lassen, und es wird ein fester Bestandteil zukünftiger Ausschreibungen und Projektvorschläge für die Nutzung des Kistnergeländes sein müssen.
Selektiver "Ansiedlungsstopp"
Einigkeit besteht innerhalb der Großen Koalition über die Ansiedlung eines Baumarktes auf dem Wilhelm-Kaisen-Platz. Das Bremerhavener Festplatzgelände soll dafür auf einen noch zu befestigenden Platz an der Geeste verlegt werden. Mit der Bremerhavener Baumarktdichte verhält es sich jedoch ebenso, wie mit dem Überangebot an Discountern und Supermärkten. Ein "OBI" Baumarkt auf dem Wilhelm-Kaisen-Platz ist schlicht überflüssig und gefährdet möglicherweise die Existenz eines der beiden benachbarten Baumärkte sowie eines alteingesessenen Familienunternehmens in der benachbarten Hafenstraße. Wenn ich einmal schnell eine Dreifachsteckdose, eine Glühlampe oder ein Werkzeug brauche bekomme ich das zu Fuß innerhalb von 20 Minuten bei "Brodersen & Peters" in der Hafenstraße. Was ich dort nicht bekommen kann, finde ich im "Max Bahr" Baumarkt. Den erreiche ich ebenfalls zu Fuß und benötige dafür nicht wesentlich mehr Zeit. Wenn ich größere, schwerere Teile brauche, dann muss ich sowieso das Auto nehmen - egal ob ich diese bei "Max Bahr", "Bauhaus" oder irgendwann vielleicht bei "OBI" kaufe.
Am 20.03.2009 berichtete die Nordsee-Zeitung darüber, dass sich die Große Koalition überraschend schnell auch darin einig war, den Bebauungsplan für das Gelände der ehemaligen Kaserne am Roten Sand dahingehend zu ändern, dass dort kein Supermarkt oder Discounter gebaut mehr werden darf - sehr zum Ärger des Käufers des Grundstücks, Herrn Grotelüschen. Dieser will im ehemaligen Kasernengebäude ein Jugendhotel einrichten. In seinen Überlegungen über weitere Nutzungsmöglichkeiten des 30000 m² großen Grundstücks hatte er auch einen Discounter oder Supermarkt nicht ausgeschlossen. Bei anderen Investoren war man diesbezüglich bisher nie zimperlich, und die CDU würde am liebsten jede noch verfügbare Fläche im benachbarten Leher Ortsteil Goethestraße mit Supermärkten und Discountern zupflastern. Wenn zwei das gleiche wollen ist es offensichtlich noch lange nicht das selbe.
Nicht dass ich jetzt falsch verstanden werde: Ich begrüße die Entscheidung, weiteren Supermärkten einen Riegel vorzuschieben. Das sollte sich dann aber nicht auf den Roten Sand beschränken. Konsequent wäre es, wenn die Große Koalition dann auch von derartigen Projekten auf dem Phillips Field (Vollversorger "Kaufland": Investor Ten Brinke), dem Kistner Gelände (Supermarkt, Discounter und Fachmarktzentrum: Investor Ten Brinke) und dem Wilhelm-Kaisen-Platz (Baumarkt "OBI": Investor Ten Brinke) absehen würde. Es könnte sonst möglicherweise leicht der Eindruck entstehen, dass mit dem Beschluss, am Roten Sand keine Supermärkte oder Discounter mehr zuzulassen, die unliebsame Konkurenz eines bedeutend kleineren Investors bereits im Vorfeld ausgebremst werden sollte. Hinzu kommt ein fader Nachgeschmack, da Herr Grotelüschen bei einigen Politikern der großen Koalition wegen seiner Kritik am Hafentunnel oder an der Schließung der Lindenallee sicherlich nicht gerade sehr beliebt ist. Andere Investoren scheinen da offensichtlich schon größere Steine im Brett zu haben.
Quellen (Nordsee-Zeitung, Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU für die Legislaturperiode von 2007 bis 2011, Projektgruppe-Kistnergelände Bremerhaven)
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