Samstag, 24. März 2012

Existenzbedrohende Gefährdung

Atomkraft? Nein Danke!Zwei Landwirte, deren Höfe in direkter Nachbar-
schaft zum Atomkraftwerk "Unterweser" (Esens-
hamm) liegen, haben mit ihrer Klage vor dem
Bundesverwaltungsgericht gegen das Atommüll-
"Zwischen"-Lager auf dem Gelände des Atom-
kraftwerks einen Teilerfolg verbuchen können.

Im Juni 2010 hatte das Oberverwaltungsgericht (OVG) ihre Klage abgewiesen. Aufgrund des sog. Funktionsvorbehalts (Art. 33 Abs. 4 GG) im Atomrecht sei allein die Exekutive für die Risikoermittlung und -bewertung verantwortlich. "Funktionsvorbehalt" bedeutet, dass bestimmte hoheitliche Bereiche nur von Beamten, die in einer besonderen Dienst- und Treuepflicht zum Staat stehen, ausgeübt werden dürfen. Der Begriff "Funktionsvorbehalt" an sich kommt im Atomgesetz übrigens nicht vor. In Urteilen im Zusammenhang mit Klagen gegen Atomkraftwerke und Atommülllager wird aber immer wieder darauf verwiesen.

Zur Begründung hatte das OVG ausgeführt, die gerichtliche Nachprüfung atomrechtlicher Genehmigungen sei darauf beschränkt, ob die behördliche Risikoermittlung und Risikobewertung auf einer ausreichenden Datenbasis und willkürfreien Annahmen beruht. Einer der Klagepunkte der beiden Landwirte war der nicht gegebene Schutz des Atommülllagers gegen den Absturz eines Passagierflugzeugs von der Größe eines "Airbus A 380".

Das OVG hatte die Abweisung der Klage unter anderem damit begründet, dass Sachverständigengutachten zufolge selbst unter Berücksichtigung des Absturzes einer vollgetankten "Boeing 747" (JumboJet) die für eine Evakuierung maßgeblichen Kriterien nicht erreicht werden würden. Den Flugzeugtyp "Airbus A 380" habe der Betreiber des Atommülllagers zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung noch nicht in die Prüfung einbeziehen müssen.


Stand der Technik: Anno Dunnemals

Im Klartext heißt das dann wohl, dass neue Erkenntnisse bezüglich der Sicherheit des Atommülllagers und der daraus folgenden erhöhten Gefährdung der Bevölkerung aufgrund veränderter Rahmenbedingungen, die erst nach der Erteilung der Betriebsgenehmigung erkannt werden, keine Rolle mehr spielen. Wenn die Atomkonzerne uns versichern, es bestünde keine Gefahr für die Menschen in der Nachbarschaft ihrer Atommülllager, dann beruhen diese Aussagen demzufolge also auf dem Stand von Wissenschaft und Technik von "Anno Dunnemals": Das ist der blanke Hohn!

Erschwerend hinzu kommt noch die mangelnde Offenheit der Betreiber der Atommülllager an den Standorten ihrer Atomkraftwerke. Aufgrund dessen, dass die für die Beurteilung der Gefahrenlage notwendigen Daten im Gerichtsverfahren "aus Gründen des Geheimnisschutzes" nur teilweise offen gelegt werden, wird es den Klägern nahezu unmöglich gemacht, die der Behauptung zugrundeliegenden Daten, denen zufolge das Atommülllager selbst dem Absturz einer vollgetankten Boeing 747 standhalten würde, zu widerlegen.


Atommülllager "Unterweser": Teilerfolg
 
Das Bundesverwaltungsgericht hat das Urteil der Vorinstanz jetzt aufgehoben und an das OVG zurückverwiesen. In einer Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.03.2012 heißt es, das Urteil verletze revisibles Recht. Das OVG habe seiner Entscheidung, die Behörde habe den "Airbus A 380" aus der Risikobewertung ausblenden dürfen, einen fehlerhaften Willkürmaßstab zugrunde gelegt und bei der Beurteilung der Vorsorge gegen den Beschuss mit Panzerfäusten sei dem OVG ein Fehler bezüglich der Überzeugungsbildung unterlaufen.
  • Mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen könne das Bundesverwaltungsgericht nicht selbst über die Rechtmäßigkeit der Genehmigung entscheiden.

Wenn ich das richtig interpretiere, dann sieht sich auch das Bundesverwaltungsgericht außerstande, die Gefährdung des Atommülllagers zu beurteilen, da ihm dafür aufgrund der "Gründe des Geheimnisschutzes" die notwendigen Informationen nicht zur Verfügung stehen. Deshalb muss das OVG jetzt erneut prüfen, ob das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) die Lagerstätte genehmigen durfte - inklusive des Absturzes eines "Airbus A380" und einem überzeugenden Beweis dafür, warum der Vorsorge gegen den Beschuss des Atommülllagers mit Panzerfäusten genüge getan wurde. Bleibt die Frage, wie sich das OVG ein umfassendes Urteil bilden soll, wenn ihm unter dem Vowand des Geheimnisschutzes die dafür notwendigen Informationen fehlen.

Im Übrigen schätzen zum Beispiel die "Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs" (IPPNW) die Gefährdung der Atommülllager an den Standorten der Atomkraftwerke durch Flugzeugabstürze völlig anders ein, als das BfS und das OVG. Auf der Internetseite "Atom-Secur" der "Ulmer Ärtzteinitiative", einer Regionalgruppe der IPPNW, gibt es eine recht anschauliche Simulation, die zeigt, was eine "Boeing 747" mit einem Atommülllager anrichten kann.

Die Initiative schreibt dazu (Zitat): "Die erstellten Gutachten über die Sicherheit der standortnahen Zwischenlager für Atommüll bei einem gezielten Terroranschlag mit einem Grossflugzeug werden von den zuständigen Behörden und Ministerien immer noch unter Verschluss gehalten. Dabei ist es mittlerweile ein offenes Geheimnis, dass allein durch die Grösse und das Gewicht Grossflugzeuge ungebremst durch die dünnen Wande und Decken der Lagerhallen für Atommüll hindurch fliegen würden. Auch ohne eine Veröffentlichung der Gutachten ist es offensichtlich, dass in diesem Falle die aufrecht gelagerten Castoren abgeräumt werden würden, wie Kegel. Die Spannweite der Flügel könnten dabei alle eingelagerten Castoren erfassen."


Die existenzbedrohende Gefährdung

Solange Gerichte und Kläger in existentiellen Rechtsfragen an der Überprüfung von Gutachten und den zugrundeliegenden Daten mit der Begründung "Geheimnisschutz" gehindert werden, ist nach meinem Rechtsgefühl etwas faul im Staate Deutschland. Sobald es um die Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz, sowie um die Bedrohung von Leib und Leben der Menschen geht, muss Schluss sein, mit der Geheimniskrämerei. Dann gehören alle Fakten auf den Tisch.

Dass es sich bei der Beurteilung der Gefahren im Zusammenhang mit dem Betrieb von Atomkraftwerken und Atommülllagern um existentielle Fragen handelt, sollte in Anbetracht der Folgen der Atomkatastrophen von Tschernobyl (April 1986) und Fukushima (März 2011) ja wohl außer Frage stehen. Hier haben die wirtschaftlichen Interessen der Atomkonzerne gegenüber denen der um ihre Esistenz fürchtenden Menschen zurückzustehen. Darüberhinaus liegt es in der Vernantwortung der heute lebenden Generationen die Sicherheit der nachfolgenden Generationen zu gewähleisten. Im Falle der Bundesrepublik Deutschland ist dieser Grundsatz (eigentlich eine Selbstverständlichkeit) sogar im Grundgesetz verankert. Im Artikel 20a heißt es:
  • "Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen ..."

Solange der Staat weiterhin den Betrieb von Atomkraftwerken und die daraus folgende Produktion weiteren Atommülls genehmigt, oder auch nur billigend in Kauf nimmt, setzt er seine Bürger jedoch der permanenten Gefährdung duch einen jederzeit möglichen Super-GAU in einem Atomkraftwerk aus. Darüberhinaus bedroht er aufgrund der möglichen Freisetzung radioaktiver Stoffe aus undichten Atommüllbehältern und -lagern die natürlichen Lebensgrundlagen künftiger Generationen. Jeder dafür verantwortliche Politiker verstößt somit fortwährend gegen das Grundgesetz.

Auch bezüglich der Beurteilung der Sicherheit von Atommülllagern handelt es sich um existentielle Fragen. Ein gutes Beispiel dafür ist das ehemalige Salzbergwerk "Asse-II". Dort wurde "versuchsweise" schwach- und mittelradioaktiver Atommüll "eingelagert". Mit dem "Versuchs-End-Lager" sollten Erfahrungen bezüglich der sicheren Lagerung hochradioaktiven Atommülls in einem zukünftigen Atommülllager im Salzstock bei Gorleben gesammelt werden.

Um Atommüll sicher zu lagern, muss dieser so lange von der Biosphäre isoliert werden, bis seine Radioaktivität so weit abgenommen hat, dass sie im "Rauschen der natürlichen Hintergrundstrahlung" verschwindet. Im Falle einiger Bestandteile des hochradioaktiven Atommülls handelt es sich dabei um viele Millionen bzw. Milliarden von Jahren ... - nach menschlichen Maßstäben also für die Ewigkeit.

Die Erfahrungen bezüglich der sicheren Lagerung von Atommüll in einer Salzformation, die mit dem inzwischen havarierten und zum "Atommülllager" umdeklarierten "Versuchs-End-Lager Asse-II" gemacht werden mussten, belegen die existenzbedrohende Gefährdung durch unterirdische Atommülllager in Salzformationen. Darüber, dass der Atommüll aus "Asse-II" zurückgeholt werden muss, bevor das einsturzgefährdete Bergwerk kollabiert, besteht inzwischen wohl allgemen Konsens. - Nur traut sich leider bisher offensichtlich keiner der Verantwortlichen, endlich damit anzufangen. - Und währenddessen läuft die Zeit davon: Nicht auszudenken, was geschähe, wenn der in einem möglichen Atommülllager "Gorleben" eingelagerte hochradioaktive Atommüll in einer Notfallaktion geborgen und an die Erdoberfläche zurückgeholt werden müsste.

Es ist nicht nur so, dass - wie immer wieder gesagt wird - die Technologie der Atomkraftwerke unbeherrschbar ist. Im Grunde genommen gilt das für die gesamte Kette vom Uranbergbau, über die Uranaufbereitung, die Energieerzeugung in Atomkraftwerken bis hin zm dabei anfallenden Atommüll, für dessen "sichere" Lagerung es weltweit keine Lösung gibt. Wie die Erfahrung mit dem ehemaligen "Versuchs-End-Lager Asse-II" gezeigt hat, endet die Ewigkeit unter Umständen nämlich bereits nach Ablauf weniger Jahrzehnte. Daran ändern auch geheimgehaltene Unterlagen, Vertuschungsversuche und Lügen gegenüber den davon betröffenen Menschn nichts.


(Quellen: Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.03.2012, Nordsee-Zeitung vom 23.03.2012, IPPNW, Wikipedia, Lexexakt)

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