Samstag, 3. März 2012

Am "Roten Sand"

Bremerhaven-Mitte: Roter Sand
Diese Ecke in Bremerhaven, an der die Franziusstraße, die Rickmersstraße, die Bürgermeister-Smidt-Straße und die Barkkausenstraße aufeinandertreffen, nennt sich "Roter Sand".

Dazu, wie es zu diesem Namen kam, gibt es verschiedene Theorien. Die wohl am häufigsten genannte bezieht sich auf die Ziegeleiteiche, die von den Ton-Abbaugruben im Bereich hinter dem Haus auf der rechten Seite zurückgeblieben waren und aus denen das Rohmaterial für die Ziegel vieler der Bremerhavener Gründerzeithäuser gewonnen wurde. Demzufolge spielt der Name auf die rote Farbe der Ziegel ab.

Allerdings ist wäre dabei zu bedenken, dass die lehmartige Tonerde nicht rot ist und ihre Konsistenz nicht das geringste mit Sand zu tun hat. Die rote Farbe nehmen die Ziegel erst nach dem Brennvorgang an. Die Ziegeleiteiche sind nach dem Zweiten Weltkrieg zugeschüttet worden. An der Stelle, an denen früher einmal der Ton für den Boom im Wohnungsbau der damaligen Vorgängergemeinden der heutigen Stadt Bremerhaven abgebaut worden ist befinden sich heute Sportanlagen.

Das Backsteingebäude links im Bild ist das Zollamt "Roter Sand". Nachdem bei Weddewarden im Norden des bremischen Hafengebietes ein neues Hauptzolltor eingerichtet worden war, verlor das Zolltor "Roter Sand" für einige Jahre an Bedeutung. Über den Autobahnzubringer Cherbourger Straße ist das neue Hauptzolltor für die Container-Transporter erheblich bequemer zu erreichen. Im letzten Jahr wurde die Fassade des Gebäude jedoch komplett saniert. Um den Verkehrsfluss auf der Zufahrt zum Hauptzolltor zu verbessern ist schon seit vielen Jahren eine Untertunnelung der Cherbourger Straße in Planung. Der Tunnel soll wohl in den nächsten Jahren gebaut werden. Möglicherweise wird das Zolltor "Roter Sand" dann noch einmal für einige Zeit aus seinem Dornröschenschlaf geweckt werden.

Das Gründerzeithaus rechts im Bild ist ein freistehendes Eckgebäude, mit dem für viele Bremerhavener aus meiner Generation persönliche Erinnerungen verbunden sind. Im Erdgeschoss war früher das griechische Restaurant "Akropolis" untergebracht. Nach der Schulzeit bin ich dort mit ehemaligen Schulfreunden ab und zu zum Essen gewesen. Wir haben dort gemeinsam viele schöne Stunden verbracht. Da wir alle damals aber noch nicht viel Geld in der Tasche hatten, haben wir uns an den Wochenenden oft reihum bei einem beziehungsweise, einer aus unserer Clique getroffen und haben gemeinsam selbst etwas gekocht. Wir waren dabei sehr experimentierfreudig und haben Rezepte aus aller Herren Länder nachgekocht.

Als es Ende den siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts zum sogenannten Nachrüstungsbeschluss der NATO kam, wurde das Kriegsmaterial dafür auch über die bremischen Häfen in Bremerhaven eingeführt. Zu der Zeit war in Bremerhaven noch das Hauptquartier des "US Military Sealift Command" für Europa untergebracht. Am Roten Sand gab es damals etliche Sitzblockaden. Lautstarke und moralische Unterstützung erhielten die Demonstranten auf der Straße von den Bewohnern des Gründerzeithauses, die sich an den offenen Fenstern am Protest auf der Straße beteiligten. Auch einige der Fotos und Filmaufnahmen, die damals in der Presse und im Fernsehen zu sehen waren, wurden aus den Fenstern des Hauses heraus aufgenommen.

Die Stationierung der Kurzstreckenraketen mit ihren Atomsprengköpfen haben wir damit natürlich nicht verhindern können. Aber es gab uns zumindest das Gefühl, alles was gewaltlos und mit friedlichen Mitteln möglich war, gegen die neuerliche Eskalation des militärischen Irrsinns des Kalten Krieges unternommen zu haben. Einen größeren Einfluss auf die politischen Entscheidungen, die letztlich zu Gesprächen zwischen Vertretern der DDR und der BRD sowie zu ernthaften Abrüstungsverhandlungen und später zum Fall des Eisernen Vorhangs führten, hatte wohl die große Demonstration der Friedensbewegung im Bonner Schlossgarten ...

Das blau-weiße Gebilde geradeaus im Hintergrund des Fotos ist nicht etwa ein weiteres Gebäude, sondern ein Autotransporter, eine dieser "schwimmenden Hochgaragen", die eher Ähnlichkeit mit einem unten vorn und achtern angespitzten Schuhkarton haben, als mit einem Schiff.

Dem Gründerzeithaus drohte lange Zeit ein ähnliches Schicksal wie auch anderen Spekulationsruinen im benachbarten Stadteil Lehe. Es stand lange Zeit leer und zeigte bereits erste Spuren des Verfalls. Das Gebäude ist der zentrale Blickfang am Roten Sand. Wäre der Verfall so weit vorangeschritten, dass es hätte abgerissen werden müssen, dann wäre das ein herber Verlust für Bremerhaven gewesen.

Wenn ich richtig informiert bin, dann wurde das Haus verkauft und der neue Eigentümer hat es innen und außen gründlich saniert. Nicht nur die Fassade wurde im letzten Jahr mit frischer Farbe wieder ins rechte Licht gesetzt; auch die alten hölzernen Fenster sind in allen Etagen durch neue Fenster mit Isolierverglasung ersetzt worden. Jetzt fehlen eigentlich nur noch die Mieter. Wahrscheinlich ist dieses Gebäude - neben einigen Gründerzeithäusern in der "Alten Bürger" - das einzige in ganz Bremerhaven das noch etwas von dem Wohngefühl aus den Gründerjahren der "Hafenstadt" Bremerhaven mit Blick auf den Betrieb in den Kaiserhäfen vermitteln kann ...

1 Kommentar:

Hermann hat gesagt…

Danke für die interessante Information. Ich als Neubürger sauge so etwas natürlich förmlich auf

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