... und lasst nicht mehr los!
Dieser kanibalische Befehl*) an die ISAF-Truppen in Afghanistan stammt von keinem anderen, als dem neuen Chef der Nato-Schutztruppe, Herrn Petraeus (US-General).
Die Jagdsaison ist eröffnet: "Macht unbarmherzig Jagd auf den Feind.", und: "Sucht den Feind und eliminiert ihn. Nehmt das ganze Netzwerk ins Visier, nicht nur Einzelne.", fordert Herr Petraeus die Soldaten der ISAF-Schutztruppe - also auch unsere deutschen Aufbauhelfer in Uniform! - in seiner vier A4-Seiten umfassenden "Leitlinie" (Guidance) auf. In meinen Ohren klingen diese Worte wie die eines Barbaren, nicht aber wie die eines Menschen, der in einem zivilisierten Land aufgewachsen ist. Ob Herr Petraeus selbst schon vom Fleisch "gezielt getöteter" Taliban probiert hat, ist mir nicht bekannt, und mit dem Strafrecht der USA kenne ich mich im einzelnen nicht so gut aus. Ich weiß jedoch, dass Kanibalismus in Deutschland mit Lebenslänglich bestraft wird. Ich hoffe doch stark, unsere deutschen Aufbauhelfer in Uniform hält das davon ab, den Worten des Herrn Petraeus Folge zu leisten.
Meiner und allen anderen nach dem Zweiten Weltkrieg geborenen Generationen haben die Generationen unser Eltern und Großeltern immer nachsichtig das "Glück der spät geborenen" vorgehalten, wenn wir ihnen Fragen stellten, die ihren Widerstand gegen die Verbrechen der Nazis und der Kriegsverbrechen der Wehrmacht betrafen. Wenn unsere "glücklicherweise" erst nach dem Zweiten Weltkrieg geborenen Generationen jetzt wieder einfach nur den Mund halten, angesichts dessen was - auch im Namen und unter Mitwirkung unserer Regierung - in Afghanistan geschieht, dann werden wir uns möglicherweise eines Tages mit den gleichen Fragen unserer Kinder und Enkel konfrontiert sehen. Wie kürzlich bekannt wurde, ist schon mindestens ein afghanischer Widerstandskämpfer von US-Sondertrupps gezielt getötet worden, der auf deutschen Fahndungslisten stand: Zur Gefangennahme, wohlgemerkt! (Jedenfalls behaupten das die dafür verantwortlichen Politiker der Bundesregierung.)
Was die "Rechtmäßigkeit" des "gezielen Tötens" einzelner ausgewählter Personen angeht - ein treffenderer Ausruck ist meiner Ansicht nach "Hinrichten" - gibt es übrigens auch auf internationaler Ebene sehr differenzierte Ansichten. Wenn die israelische Regierung im Gaza Streifen hochrangige Persönlichkeiten der Hamas hinrichten lässt, dann ist das ein Verbrechen. Herr Gerster (CDU) nannte die "gezielten Tötungen" seitens Israels übrigens ebenfalls beim Namen, und sprach von "Hinrichtung". Herr Cohn-Bendit (Bündnis 90/Die Grünen) gebrauchte diesbezüglich den Audruck "gezielte Ermordung". Wenn aber die US-Todeskommandos in Afghanistan das gleiche tun, wie die Regierung Israels im Gaza Streifen, dann soll das plötzlich mit dem Völkerrecht in Einklang stehen, wie kürzlich ein Sprecher der Bundesregierung verkündete (Tagesschau vom 28.07.2010)? Das ist doch krank!
Da die Hinrichtung ausgewählter gegnerischer Führungspersönlichkeiten mit dem Gedanken des Rechtsstaats nicht zu vereinbaren ist, und die Opfer sich vor ihrem Tod gegen die gegen sie erhobenen Anschuldigungen nicht verteidigen können, lehnt die Mehrheit der Länder "gezielte Tötungen" ab. Herr Annan (UN, ehemaliger Generalsekretär) verurteilte die "Liquidierung" des Hamas-Führers Abd al-Aziz al-Rantisi durch Israel am 17. April 2004: Die Tat verletze internationales Recht. (Liquidierung: Auch so ein bestialischer Ausdruck, dessen Bedeutung im Armee Jargon etwas netter klingen soll. Er bedeutet in etwa "Verflüssigung"!) Arabische Staaten bezeichnen die gezielten Tötungen Israels als Form des Staatsterrorismus und vergleichen sie mit den Attentaten palästinensischer Terroristen auf israelische Zivilisten und Soldaten. Auch daran wird deutlich: Wenn zwei das gleiche tun, ist es noch lange nicht das selbe! Es kommt wohl immer auf den Standpunkt an.
Die sogenannten Task Forces der US-Army, töten bei sogenannten Kill-Missions seit Monaten landesweit gezielt Taliban-Kommandeure: Ohne Anklage, ohne Beweise, ohne Richter und ohne Urteil. In einem Spiegel Online Artikel von gestern ist zu lesen, die gezielten Tötungen seien mit offensichtlicher Rückendeckung durch die US-Regierung ausgeweitet worden. Der Oberste Befehlshaber der US-Streitkräfte (und Friedensnobelpreisträger! ?), Herr Obama (USA, Präsident), seine Landsleute sowie die Regierungen aller anderen am Afghanistankrieg beteiligten Länder werden sich unter diesen Umständen wohl kaum beschweren können, sollten Herr Petraeus und andere hochrangige ISAF-Kommandeure demnächst das Opfer gezielter Tötungen durch afghanische Widerstandskämpfer werden. Bezüglich der Verleihung des Friedensnobelpreises an Herrn Obama hat Emmy gestern übrigens in einem anderen Zusammenhang einige wahre Worte zu Walter gesagt: "Hör mir bloß uff mit die Amis. Und mit dem Obama erst recht.", hat sie zu ihm gesagt, "Ick hatte ja ooch mal jedacht, dass der een Friedensengel is … aber der Schwefeljeruch wird immer uffdringlicher. Und wenn eener Streubomben als kriegsnotwendig bezeichnet, denn sollte der uff Knien nach Oslo kriechen und den Nobelpreis da mitten inne Nacht … also still und heimlich … wieder ablegen." Nachlesen kann man das hier.
Dass seit dem Herbst letzten Jahres auch im deutschen Nordsektor Taliban von US-Todeskommandos gejagt werden, und schon Dutzende Verdächtige getötet wurden, ist inzwischen nicht nur der Bundesregierung, sondern auch der Öffentlichkeit bekannt. Dass Todeskommandos aber sogar im deutschen Lager in Masar-i-Scharif - und damit im deutschen Zuständigkeitsbereich - untergebracht sind, ist zumindest mir erst seit der Veröffentlichung der US-Kriegsdokumente durch Wikileak bekannt. Politisch wird seitens der Bundesregierung jedoch weiterhin der Versuch unternommen, das Thema totzuschweigen. Spiegel Online schrieb gestern, Herrn zu Guttenberg sei zwar bewusst, dass die Bundeswehr ohne den Beistand der US-Eliteeinheiten gegen die Taliban kaum noch bestehen könne, er aber davon absehe, die gezielten Tötungen öffentlich zu loben. Dafür sei ihm das Thema in der der Öffentlichkeit wohl zu heiß. Ich hätte da einen Vorschlag zur Lösung des Problems, Herr zu Guttenberg: Ziehen sie die deutschen Soldaten umgehend aus Afghanistan ab!
Die "New York Times" berichtete am Sonntag, die militärische und politische Spitze der USA sehe in gezielten Tötungen einzelner Führungspersönlichkeiten der Widerstandskämpfer den einzigen Weg, um die Taliban in die Knie zu zwingen. Denen geht es also immer noch darum, mit ihrer US-Army einen Krieg gegen Untergrundkämpfer (oder auch Terroristen, Partisanen) zu gewinnen, der - nicht nur aus meiner Sicht! - mit militärischen Mitteln nicht zu gewinnen ist.
Bevor nach meiner Kritik an der Beteiligung "westlicher" Staaten am Krieg in Afghanistan jetzt der Eindruck entsteht, ich würde mit den Taliban sympatisieren, stelle ich hiermit klar dass dem nicht so ist: Was sich die Taliban-Regierung im Namen Gottes nach dem Abzug der Sowjet-Armee in Afghanistan geleistet hat, das hatte in meinen Augen eine bedrückende Nähe zu dem, was die Roten Khmer während der Jahre ihrer Schreckensherrschaft im Namen des Kommunismus in Kambodscha angerichtet haben! Trotzdem haben deutsche Soldaten in diesem Krieg nichts verloren!
*) Aus der Leitlinie (Guidance) des Herrn Petraeus zum Krieg in Afghanistan, Seite 1, letzter Absatz: "Pursue the enemy relentlessly. Togehter with our Afghan partners, get our teeth into the insurgents and don't let go."
(Quellen: Spiegel Online vom 31.07.2010 und vom 01.08.2010, Der Standard vom 31.07.2010, TAZ vom 26.07.2010, ARD-Tagesschau vom 28.07.2010, Wikipedia)
2 Kommentare:
Tja ... so is dit eben ... und Danke für den Link!
Gestern kam ein Nachbar von mir vom Hindukusch zurück. Der junge Mann ist Zeitsoldat. Mit einem anderen Nachbarn diskutierte ich dises Thema. Er vertrat dabei die Aufassung der Regierung. Ich habe ihm gesagt, das ist Krieg und wir haben eine Armee, die nur im Verteidigungsfall eingesetzt werden darf. Seine Reaktion es geht um das friedliche zusammenleben der Völker und um Terror. Ich wundere mih nur über seine Einstellung als fundametalistischer Christ. Wie lautet das Gebot: Du sollst nicht töten. Die größte Herausforderung für jeden Christ ist doch die Feindesliebe. http://stjosef.at/morallexikon/feindesl.htm
Herzliche Grüße aus dem Kraichgau
Helmut
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